Oneminutesky 12 Scheinheilig

St.-Peter-Kirche, Zürich.
Blasse Heilige schauen auf mich herab. Ihre Heiligenscheine sind mit der Zeit durchsichtig geworden. Fast möchte ich sagen: durchschaubar. Sind sie nur noch Scheinheilige?
Ich glaube: Wir alle sind heilig. Nicht nur einzelne, besonders gelungene Exemplare unserer Spezies.
Heilig ist der Mensch nicht, indem er sich selbst übertrifft. Und das, was ihn menschlich macht, verblassen lässt. Heilig ist der Mensch als Ebenbild Gottes. Ins Leben gerufen, um da zu sein. Nicht, um sich zu bewähren oder zu beweisen.
Auch wenn es dem Menschen nicht möglich ist, die Vielfalt seiner Möglichkeiten zu entfalten: Sie ist ihm anzurechnen.
Wer den Menschen so würdigt, der würdigt Gott. Im Gelingen des Lebens, auch im Versagen.
Darum mache ich mir kein Heiligenbild vom Menschen. Lieber frage ich so nach dem Menschen, dass er sichtbar werden kann.​​​​​​​

Impulse zur Arbeit mit dem Videoclip

Geistliche Lieder 

  • Herr, unser Herrscher, wie herrlich bist du [Psalm 8] (EG 270)
  • Gib uns Frieden jeden Tag (EG 425)
  • Solang es Menschen gibt auf Erden (EG 427)
  • Herr, Deine Gnade/Mercy is falling (freiTöne 76)
  • Gott hat mich gemacht (freiTöne 97)

Biblische Texte für Lesungen

  • Mk 10, 17-27: „Guter Meister, was soll ich tun, damit ich das ewige Leben ererbe?“ wird Jesus von einem wohlhabenden jungen Mann gefragt. Jesu Antwort ist für den „reichen Jüngling“ allerdings nicht so leicht hinzunehmen.
  • Psalm 8: Gott, „was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?“ Gott legt dem Menschen die Schöpfung zu Füßen: Wofür ist gesorgt, wofür kann und soll der Mensch selbst sorgen? 

Denkanstöße:

  • 1. Mose 27a: „Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn…“
    • Was macht die Menschlichkeit des Menschen aus?
    • Was macht den Menschen Gott ebenbildlich?
  • Psalm 8: Gott, „was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst…?“
    • Eine erstaunliche Aussage! Wird nicht sonst immer vom Menschen gefordert, er solle Gottes eingedenk sein? Was bedeutet es, dass Gott des Menschen gedenkt? 
  • Wir verdienen uns Heiligkeit nicht. Und es ist nicht an uns, sie jemandem zu verleihen oder abzusprechen. So ist ausgeschlossen, dass eine heiliger sein kann als der andere. Denn wer wollte das auch beurteilen?! Der/die andere wird mir immer Geheimnis bleiben, das ich zu bewahren habe. Ich würdige meinen Mitmenschen, indem ich ihm zugestehe, unendlich mehr Möglichkeiten zu haben, als ich zu einem bestimmten Zeitpunkt erkennen kann. Ich erkenne ihn an, unabhängig von seinen Taten. Würdige ihn als Ebenbild Gottes. Setze mich nicht über ihn. Und überfordere ihn nicht.

Diskutiere Menschenbilder aus theologischer und philosophischer Perspektive anhand folgender Textimpulse:

    • 1. Mose 8,21: Gott schließt nach der Sintflut einen Bund mit Noah und spricht: „Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen; denn das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf. Und ich will hinfort nicht mehr schlagen alles, was da lebt, wie ich getan habe.“
    • Paulus
      • Röm 5,12-21: Adam und Christus
      • Röm 7 und 8: Leben angesichts des Gesetzes, Freiheit im Geist
      • Gal 5 (insbes. 22f.): Mensch aus Fleisch und Geist
    • Luther: Was bedeutet es gemäß lutherscher Gnadentheologie, dass der Mensch simul iustus et peccator (= gleichzeitig Sünder und Gerechter) ist?
    • Was bedeutet es, den Menschen und dessen Handeln – um eine Formulierung von Spinoza aufzunehmen - sub specie aeternitatis (= unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit) anzuerkennen?

 

  • Heilige und Ikonen: Für manche Leute sind sie Vermittler zwischen Mensch und Gott. 
    In säkularisierten Gesellschaften ist der Begriff der Ikone mittlerweile neu besetzt: Heute versteht man eher Stars und kulturell einflussreiche Berühmtheiten als ikonisch.

Menschen, die als oder wie Heilige verehrt werden: Sie können Identifikationsfiguren sein oder Vorbilder. Der Mensch schaut sich immer andere Menschen an und vergleicht sich mit ihnen. Unsere Mitmenschen sind unsere Influencer:innen und unsere Rival*innen. Vor allem in (sozialen) Medien kann einem Menschen gleichsam gehuldigt werden, aber er kann auch durch Bashing und Dissen oder durch Cyber-Mobbing und hate speech von heute auf morgen zum Opfer erniedrigender Attacken werden. 

    • Welche „Heilige“, Ikonen, Influencer:innen geben gerade den Ton an?
    • Habe ich Vorbilder? Welche und warum (nicht)?
    • Warum brauchen Menschen Vorbilder? 
    • Welche Rolle spielen Heilige im Leben mancher religiöser Menschen? 
    • Warum beten evangelische Christ*innen keine Heiligen an? 
    • Wie können wir in unseren (medialen) Umgangsformen die „Heiligkeit“ der Person bewahren?

 

  • Man soll sich von Gott kein Bildnis machen, heißt es in den Zehn Geboten. Aber vom Menschen sollte man sich auch kein Bildnis machen, fand der Schriftsteller Max Frisch, denn das sei „lieblos“ und „Verrat“ am Menschen. 
    • Lies den Text (siehe unten), gib seine Kernaussage in eigenen Worten wieder. 
    • Wie ist die Auffassung von Max Frisch mit einer evangelisch-christlichen Perspektive auf den Menschen in Dialog zu bringen? 

 

Den Text findet man unter anderem hier:

https://deutschunterlagen.files.wordpress.com/2014/12/frisch-c2abdu-sollst-dir-kein-bildnis-machenc2bb.pdf

 

Eine gekürzte Version:

 

Du sollst dir kein Bildnis machen (Max Frisch)

Es ist bemerkenswert, dass wir gerade von dem Menschen, den wir lieben, am mindesten aussagen können, wie er sei. Wir lieben ihn einfach. Eben darin besteht ja die Liebe, das Wunderbare an der Liebe, dass sie uns in der Schwebe des Lebendigen hält, in der Bereitschaft, einem Menschen zu folgen in allen seinen möglichen Entfaltungen. Wir wissen, dass jeder Mensch, wenn man ihn liebt, sich wie verwandelt fühlt, wie entfaltet, und dass auch dem Liebenden sich alles entfaltet, das Nächste, das lange Bekannte. Vieles sieht er wie zum ersten Mal. Die Liebe befreit es aus jeglichem Bildnis. Das ist das Erregende, das Abenteuerliche, das eigentlich Spannende, dass wir mit dem Menschen, den wir lieben, nicht fertig-werden: weil wir sie lieben; solange wir sie lieben. Man höre bloß die Dichter, wenn sie lieben; sie tappen nach Vergleichen, als wären sie betrunken, sie greifen nach allen Dingen im All, nach Blumen und Tieren, nach Wolken, nach Sternen und Meeren. Warum? So wie das All, wie Gottes unerschöpfliche Geräumigkeit, schrankenlos, alles Möglichen voll, aller Geheimnisse voll, unfassbar ist der Mensch, den man liebt – 

Nur die Liebe erträgt ihn so.

 

Warum reisen wir?

Auch dies, damit wir Menschen begegnen, die nicht meinen, dass sie uns kennen ein für allemal; damit wir noch einmal erfahren, was uns in diesem Leben möglich sei –

Es ist ohnehin schon wenig genug.

 

Unsere Meinung, dass wir das andere kennen, ist das Ende der Liebe, jedes Mal, aber Ur-sache und Wirkung liegen vielleicht anders, als wir anzunehmen versucht sind – nicht weil wir das andere kennen, geht unsere Liebe zu Ende, sondern umgekehrt: weil unsere Liebe zu Ende geht, weil ihre Kraft sich erschöpft hat, darum ist der Mensch fertig für uns. Er muss es sein. Wir können nicht mehr! Wir künden ihm die Bereitschaft, auf weitere Verwandlungen einzugehen. Wir verweigern ihm den Anspruch alles Lebendigen, das unfassbar bleibt, und zugleich sind wir verwundert und enttäuscht, dass unser Verhältnis nicht mehr lebendig sei.

„Du bist nicht“, sagt der Enttäuschte oder die Enttäuschte, „wofür ich dich gehalten habe.“

Und wofür hat man sich denn gehalten?

Für ein Geheimnis, das der Mensch ja immerhin ist, ein erregendes Rätsel, das auszuhalten wir müde geworden sind. Man macht sich ein Bildnis. Das ist das Leblose, der Verrat.

 

Dann sprach Gott alle diese Worte: Ich bin Jahwe, dein Gott, der dich aus Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus. Du sollst neben mir keine anderen Götter haben. Du sollst dir kein Gottesbild machen und keine Darstellung von irgendwas am Himmel droben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde. Du sollst dich nicht vor anderen Göttern niederwerfen und dich nicht verpflichten, ihnen zu dienen.“ (Ex 20, 1.3)

 

Quelle: Max Frisch: Tagebuch 1946-1949 (Suhrkamp Taschenbuch 1148), Frankfurt 1985, S. 27-32.

 

  • Der Künstler Arnulf Rainer ist dafür bekannt, Bilder - vor allem Portraits - zu übermalen (Beispiele findet man leicht über die Google-Bildersuche unter den Stichworten „Arnulf Rainer Werke“ oder „Arnulf Rainer Übermalungen“). Diese Methode kann auch im Unterricht angewendet werden, um sich dem Selbstbildnis zu nähern. Ein Selbstporträt (ausgedrucktes Selfie, kopiertes Foto, eine Skizze o.ä.) wird mit Farben, Mustern oder in Collagentechnik im buchstäblichen Sinne: über-arbeitet. Das ursprüngliche Bild und die Übermalung stehen dabei für unterschiedliche Perspektiven auf die Person. Dabei können folgende Anregungen leitend sein:
    • Welches Bild habe ich von mir – welches Bild haben andere von mir?
    • Wer bin ich? Wer gebe ich zu sein vor? Wer wäre ich gerne?
    • Wer bin ich heute – wer möchte ich in zehn Jahren sein?
    • Wie sehe ich mich? Wie sieht Gott mich?

 

Weitere inhaltliche Kontexte, innerhalb derer dieser Video-Clip eingesetzt werden kann:

  • Menschenbild
  • Menschenrechte
  • Gottesebenbildlichkeit
  • Antirassismus, Anti-Diskriminierung
  • Menschliche Freiheit und Verantwortung
  • Gnadenbegriff und Rechtfertigungslehre

TIPP: https://material.rpi-virtuell.de/themenseite/menschenbild/ 

 

Vorschlag für eine Andacht mit ONEMINUTESKY-Videos

Begrüßung 
[Musik]
Video als Impuls
Stille
[Lesung]
[Ansprache]
Gebet
Vaterunser
Segen
[Musik]

Hilfreiche Links:

Bibeltexte  
www.die-bibel.de 
www.bibleserver.com

Gebete
www.velkd.de/gottesdienst/wochengebet.php 

 

Kirchenjahr    
www.kirchenjahr-evangelisch.de