Reli to go 21: Nun sag, wie hast du’s mit der Religion? Was ist eigentlich „Religion“?

 

 

 

Reli to go 21

Nun sag, wie hast du’s mit der Religion? Was ist eigentlich „Religion“?

 

„Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?“, bedrängt Margarete, genannt Gretchen, den Gelehrten Faust in dem gleichnamigen Klassiker Johann Wolfgang Goethes. Warum richtet Gretchen diese Frage an ihren Verehrer? Die meisten jungen Frauen Mitteleuropas des 21. Jahrhunderts würden sicher nicht im Traum darauf kommen, ihren Verehrern diese Frage zu stellen.

Goethe lässt seine Protagonistin diese Frage als ethische Entscheidungsfrage stellen, die für Gretchen eine sehr gewichtige Rolle spielt. Sie wird nämlich von Faust umworben. An der Frage nach der Religion macht Gretchen die Frage fest: Richtet sich dein Handeln nach guten Maßstäben oder nach schlechten aus? Kann ich dir vertrauen? „Religion“ steht hier also in dem Spannungsfeld zwischen Gutem und Bösem repräsentativ für die Seite des an guten und richtigen moralischen Maßstäben ausgerichteten Lebens. Dahinter steht der christliche Gott im Himmel. Sein Gegenspieler ist die Teufelsgestalt im „Faust“: Mephisto, der über die Hölle herrscht. Mit ihm hat Faust einen Pakt geschlossen und darin seine Seele verkauft. Doch Gretchen weiß nichts davon. Sie scheint aber etwas zu spüren, denn sie gibt im Grunde selbst eine Antwort auf ihre Frage: „Allein ich glaub‘, du hältst nicht viel davon.“

Doch was ist „Religion“ denn nun eigentlich?

Die Verwendung des Begriffes „Religion“ in Goethes „Faust“ knüpft an die Bedeutung des lat. relegere (wieder aufsammeln; bedenken, achtgeben) an; so wie schon Cicero dieses Wort mit Blick auf den römischen Tempelkult verwendete, den es seiner Auffassung nach sorgsam zu beachten galt. Dieser „richtigen“ religio (Beachtung überlieferter Regeln) stellte Cicero die „falsche“ superstitio gegenüber, den Aberglauben. Im Kontext dieses Begriffsverständnisses geht es also um ein Richtig oder Falsch, um Gut oder Böse. Und Religion steht in moralischer Hinsicht für das Richtige und Gute, für das gewissenhafte Bedenken und Einhalten überlieferter Regeln, Lehren und Traditionen. Der christliche Gelehrte und Kirchenvater Lactantius hingegen führte das Wort religio auf religare (an-, zurückbinden) zurück. Er meinte, bei Religion handele es sich um ein mystisches „Band der Frömmigkeit“, eine innere Rückbindung des*der Gläubigen an Gott.

Heute kann die Frage, was „Religion“ denn nun sei, nicht mehr einfach beantwortet werden. Bislang ist es nicht gelungen, einen Konsens darüber zu finden, was denn nun als „Religion“ bezeichnet werden kann. Im Gegenteil: Mittlerweile werden Hunderte verschiedene Definitionen gezählt. Es gibt aber zwei Kategorien, nach denen diese Definitionen geordnet und unterschieden werden können:

1. Substanziale Religionsdefinitionen, die um einen Bezugsgegenstand (z.B. Gott, Götter, das Heilige; in sog. Pseudoreligionen auch die Nation, Geld, Konsumgüter) kreisen; z.B.: „Religion ist die erlebnishafte Begegnung mit dem Heiligen …“ (Gustav Mensching)

2. Funktionale Religionsdefinitionen, die um ein Bezugsproblem (z.B. Erfahrungen von Kontingenz wie Krankheit, Tod, Leid, Schuld oder existenzielle Fragen nach dem Sinn) kreisen. Sie beschreiben, welche Leistung Religion für den*die Einzelne*n oder eine Gemeinschaft erbringt; z.B.: „Religion ist Kontingenzbewältigung durch Anerkennung unserer schlechthinnigen Abhängigkeiten.“ (Hermann Lübbe)

„Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?“ Heute würde der Gelehrte Faust vermutlich zurückfragen: „Bevor ich dir diese Frage beantworte: Sag, was verstehst du unter Religion?“ Und wenn Gretchen zufälligerweise Religionspädagogin wäre, dann könnte sie auf Grundlage einer jüngeren Arbeitsdefinition für die Religionspädagogik antworten: Religion bezieht die großen existenziellen Fragen des Menschen auf etwas Absolutes (z.B. Gott, das Heilige) und bietet über Symbole, Rituale, Erzählungen und Regeln die Möglichkeit, zu diesem Absoluten in Beziehung zu treten. Damit transzendiert Religion den Erfahrungsraum des Menschen.

Christina Harder

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