Reli to go 16: Der Mensch als Gottes Ebenbild – Was soll das heißen?

In der Bibel steht: Gott schuf den Menschen zu seinem Bild! Da steckt viel theologischer Sprengstoff drin. Sind wir Menschen, egal ob dick oder dünn, groß oder klein, egal welcher Hautfarbe oder ob mit einer Behinderung oder nicht, wirklich Ebenbilder oder Abbilder Gottes? Was sagt das über uns Menschen? Und noch viel komplizierter: Was sagt das über Gott?

„Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei, die da herrschen über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über die ganze Erde und über alles Gewürm, das auf Erden kriecht. Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau.“ (Gen 1,26f)

Dass ein Mensch zum Bild Gottes wird, kannte man damals im antiken Israel aus der Königsideologie: In der Vorstellung der Nachbarvölker ebenso wie im Königtum in Israel selbst galt ein König als menschlicher Stellvertreter Gottes auf Erden, als sein Abbild und sein „Sohn“ (vgl. Ps 2,7: „Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt!“). Die 1. Schöpfungsgeschichte überträgt diese Vorstellung nun auf alle Menschen, sie demokratisiert also den Gedanken der Gottebenbildlichkeit. Und in der Tat sind laut dem Alten Testament alle menschlichen Geschöpfe Gottes dafür zuständig, sich an seiner Stelle um die Erde zu kümmern: „Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über alles Getier, das auf Erden kriecht.“ (Gen 1,28)

Wenn ich mich heute so auf der Erde umschaue und all die menschengemachten Klima- und Umweltprobleme sehe, so frage ich mich, ob wir das mit dem Untertan-Machen der Erde nicht ein bisschen überinterpretiert haben und ob wir nicht weniger „herrschen“ und uns mehr hätten „kümmern“ sollen. Überhaupt: Ist es nicht Hybris zu glauben, der Mensch könnte stellvertretend für Gott Verantwortung auf dieser Erde übernehmen?

Übrigens tut sich noch ein theologisches Problem auf. Die oben zitierten Worte aus Gen 1 stehen noch vor dem Sündenfall (Gen 3). Die theologische Tradition würde sagen: Die Menschheit und die gesamte Schöpfung ist „gefallene Schöpfung“, also solche, die nicht mehr im von Gott gewollten Urzustand lebt. Und auch wenn ich selbst nicht glaube, dass Adam und Eva gelebt und also die Geschichte mit dem verbotenen Apfel wirklich stattgefunden hat, so weiß ich doch: Die Menschheit lebt nicht so, wie Gott es von ihr will. Bin ich also tatsächlich noch Gottes Ebenbild oder habe ich da auf der ganzen Linie versagt? Martin Luther würde sagen: Eindeutig Letzteres, und das Einzige, was der Mensch jetzt noch tun kann, ist, darauf zu hoffen, dass Gott selbst diese Gottebenbildlichkeit seiner Geschöpfe wiederherstellt. Spätestens im Jenseits, so Luther.

Und nun? Für mich bedeutet das: Gottes Ebenbild bin ich nicht, weil ich so „bin“ wie Gott, etwa ausgestattet mit bestimmten geistigen oder körperlichen Fähigkeiten. Sondern Gottes Ebenbild bin ich, weil ich in Beziehung zu Gott stehe und darin sein Ab-Bild und sein Gegenüber bin. Bild Gottes bin ich, weil ich ohne ihn nichts bin. Für mich stecken in dem Begriff der Gottebenbildlichkeit deshalb Zuspruch und Anspruch zugleich. Der Zuspruch: Als Geschöpf Gottes bin ich von Gott geliebt und unendlich wertvoll, auch wenn ich an dem scheitern mag, was Gott von mir fordert. Denn der Anspruch des Gottebenbildlichkeitsbegriffs ist ein ganz hoher: Gottes Ebenbild bin ja nicht nur ich, sondern sind dann ja alle Menschen – auch die, die ich nicht leiden kann. Trotzdem soll ich sie als meine Mitebenbilder behandeln und mich mit ihnen gemeinsam um die Schöpfung kümmern. Maßstab und Beispiel für dieses „richtige“ Verhalten als Ebenbild Gottes ist übrigens Jesus Christus. Das Neue Testament bezeichnet ihn deshalb als Ebenbild Gottes in Person (vgl. 2Kor 4,4; Kol 1,15; Hebr 1,3).

Jeder einzelne Mensch ist Ebenbild Gottes, von Gott so geschaffen. Da steckt in der Tat viel theologischer Sprengstoff drin. Gottes Ebenbilder dürften eigentlich keine Schönheits-OPs nötig haben – und doch sind wir so selten mit uns zufrieden. Warum eigentlich? Und wenn Gott Menschen zu seinem Ebenbild erschafft, „will“ er dann wirklich, dass Menschen mit einer Behinderung leben? Das weiß ich nicht und glaube ich nicht. Aber Fakt ist: Jeder Mensch ist Gottes Ebenbild! Egal, was er ist und tut und wie er lebt. Das gilt auch für die, die schwul sind oder non-binär. Punkt.

Michaela Veit-Engelmann

Download pdf