Reli to go 4: Es wär´ schön blöd, nicht an Wunder zu glauben!

Wunderdeutungen und das Neue Testament

Wincent Weiss singt in seinem Lied „An Wunder“ von einer gescheiterten Liebesbeziehung. Der Sänger wurde offensichtlich verlassen, er hofft auf eine zweite Chance und klammert sich an ein „kleines Vielleicht“ und eben daran, dass ein Wunder geschehen könnte: „Ey, es wär´ schön blöd, nicht an Wunder zu glauben!“

 

Ein Wunder ist etwas, worauf man jenseits von Vernunft und Wahrscheinlichkeit hofft, eine Durchbrechung nicht nur von Statistik, sondern auch der Gesetze der Physik. Von solchen Wundern erzählt auch das Neue Testament: Tote werden lebendig, Kranke werden geheilt, unzählige Menschen werden satt.

 

Das Neue Testament berichtet, dass Jesus von Nazareth für diese übernatürlichen Phänomene verantwortlich gewesen sei. Doch für die Autoren des Neuen Testaments war nicht wichtig, dass Jesus Wunder tat, sondern warum er sie tat. Jesus war für sie nicht einfach ein besonders begabter Magier, sondern sein Handeln hatte ein Ziel. Jesus selbst hat gesagt: „Wenn ich aber durch den Finger Gottes die Dämonen austreibe, so ist ja das Reich Gottes zu euch gekommen.“ (Lk 11,20) Seine Wunder sind also zeichenhafte Vorabdarstellungen dessen, worauf er hoffte: die neue Königsherrschaft Gottes, in der es keine Krankheit, keine Ungerechtigkeit und keinen Hunger mehr geben würde.

 

Die Evangelisten haben diese Erinnerung bewahrt und weitergegeben. Und auch für sie war die Überlieferung von Jesu Wunderhandeln verbunden mit der Gewissheit: Jesus war und ist Gottes Sohn – für diese Botschaft wollten sie Menschen begeistern. So sagt der Evangelist Johannes, der zwar von Zeichen spricht, aber Wunder meint: „Noch viele andere Zeichen tat Jesus vor seinen Jüngern, die nicht geschrieben sind in diesem Buch. Diese aber sind geschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und damit ihr, weil ihr glaubt, das Leben habt in seinem Namen.“ (Joh 20,30f)

 

Von Wundern wurde also erzählt, um von Gott zu erzählen und die Botschaft von diesem Gott in Geschichten zu packen. Dafür bedienten sich die Menschen damals der Motive, die sie auch aus ihrer Umwelt kannten. Und weil von zahlreichen Göttern der Antike behauptet wurde, dass sie einen Sturm stillen konnten, so erzählte man das auch von Jesus (vgl. Mk 4,35–41). Andersrum formuliert: Wenn man von Jesus aussagen wollte, dass er Gott ist, dann musste man von ihm auch sagen, dass er einen Sturm stillen konnte.  

 

Wunder beschreiben also etwas mit den Begriffen menschlicher Wirklichkeit, das man sonst nicht beschreiben könnte: Das Gott-Sein Jesu. Seine Auferstehung. Das Geschehen des Abendmahls. Wie hätte man zum Beispiel die Botschaft, dass in Jesus Christus ein Mensch den Tod überwunden hat, besser in Worte fassen können als in Erzählungen, wie Jesus Tote auferweckt? Davon finden sich einige im Neuen Testament, u.a. die Geschichte von Lazarus. Hier sagt Jesus: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, ob er gleich stürbe; und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben.“ (Joh 11,25f) Das weist doch weit über die Geschichte von Lazarus hinaus, denn der wird ja selbstverständlich wieder sterben – und zeigt also, worum es hier wirklich geht: um eine Illustration des ewigen Lebens, in das hinein Jesus retten kann.

 

Ob all diese Wunder tatsächlich passiert sind? Die Wissenschaft ist da skeptisch und ich bin es auch. Heute geht man davon aus, dass Jesus tatsächlich die Gabe hatte, Menschen von bösen Geistern zu befreien – aber alle anderen Wunderüberlieferungen sind wohl später ergänzt, um Jesu Göttlichkeit auszumalen und das Wunder seiner Auferstehung darzustellen.

 

Immer mal wieder haben Wissenschaftler versucht, Wunder „logisch“ zu erklären: Jesus habe nicht wirklich einen Sturm stillen können, sondern sein Boot sei zufällig in eine windstille Bucht gesegelt; die Tochter des Jairus sei nur scheintot gewesen und nicht wirklich gestorben usw. Aber macht es das besser? Dann wären die Menschen, die sich damals diese Wunder erzählt hätten, weil sie sie erlebt haben, doch nur zu dumm gewesen zu begreifen, dass eigentlich etwas völlig Natürliches geschehen ist. Doch was bleibt dann von der Botschaft des Neuen Testaments und der Botschaft Jesu? Dann ist zwar „passiert“, was da erzählt wird – aber was ist da eigentlich passiert? Nein, diese Lösung überzeugt mich gar nicht.

 

Eher denke ich von der anderen Seite nochmal neu. Ich glaube nicht an Wunder, so wie ich an Gott glaube. Sondern ich glaube an Gott und deshalb glaube ich, dass in Wundergeschichten seine Göttlichkeit aufscheint. Wer das Bekenntnis „Jesus ist Gottes Sohn“ entfalten will, der muss erzählen. Und der muss so erzählen, dass er verstanden wird. Und das haben die Menschen getan, wenn sie von Jesus Wundergeschichten erzählt haben.

 

Eigentlich wäre es also schön blöd, an Wunder zu glauben. Aber genauso blöd wäre es auch, nicht zu glauben, dass Gott Wunder tun und Menschen so zum Glauben und zum ewigen Leben führen kann.

 

Michaela Veit-Engelmann

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