Reli to go 3: Muss ich alles glauben was in der Bibel steht?

Man muss zugeben: Einem Menschen unserer Zeit fällt es schwer, alles zu glauben, was in der Bibel steht. Dass zum Beispiel Gott die Welt in sieben Tagen erschaffen habe (Gen 1,1–2,4). Dass Mose das Schilfmeer geteilt habe, damit das Volk Israel trockenen Fußes hindurchziehen könne (Ex 14) und dass Jesus mit fünf Broten und zwei Fischen einmal viertausend und einmal fünftausend Menschen satt gemacht habe (Mk 8,1–9; Mk 6,30–44). Rudolf Bultmann, ein Neutestamentler aus dem 20. Jahrhundert, hat mal gesagt: „Man kann nicht elektrisches Licht und Radioapparat benutzen, in Krankheitsfällen moderne medizinische und klinische Mittel in Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des Neuen Testaments glauben.“[1] Wer wisse, wie die Welt funktioniere, der könne nicht an die Bibel glauben – und der müsse es also auch nicht tun. Die Antwort auf die Frage „Muss ich alles glauben, was in der Bibel steht?“ lautet also: Nein.

 

Doch finde ich, dass schon die Frage falsch gestellt ist. Denn die Bibel selbst verlangt ja gar nicht, dass ich alles glauben muss, was da aufgeschrieben ist. Die Bibel selbst will nämlich – und das wird in der Diskussion, ob man alles glauben „müsse“, gerne übersehen – gar kein Geschichtsbuch sein; sie will nicht historisch korrekt Bericht erstatten darüber, was tatsächlich geschehen ist. Sondern sie will davon erzählen, was Menschen mit ihrem Gott erlebt haben und wie sie dieses Geschehen gedeutet hatten. So schreibt der Evangelist Johannes selbst am Ende seines Buches: „Diese aber sind geschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und damit ihr, weil ihr glaubt, das Leben habt in seinem Namen.“ (Joh 20,31)

 

Die Geschichten der Bibel sind also immer schon gedeutete Glaubenserfahrung, sie werden erzählt im Rückblick und damit als Deutung der eigenen Vergangenheit. Und sie werden erzählt, um Menschen für die Zukunft Hoffnung und Halt zu geben.

 

Die Menschen, die diese Überlieferungen weitergaben oder diese Texte aufschrieben, die trugen dabei, so hat es mir mal ein Professor für Altes Testament erklärt, die rosarote Brille der Verliebten. Ein biblisches Beispiel vermag das vielleicht zu erhellen: So werden von Jesus sogenannte Speisungswunder erzählt – mit wenigen Broten und Fischen soll er Tausende satt gemacht haben. In dieser Geschichte steckt eine tiefere Botschaft: Jesus schenkt den Menschen das, was lebensnotwendig ist. In dieser Erzählung steckt aber auch eine Erinnerung an seine Mahlgemeinschaften mit denen, die damals am Rande der Gesellschaft standen. Und als die Menschen sich davon nach Ostern erzählt haben, da wussten sie schon, dass Jesus nicht nur gestorben und auferstanden ist, sondern dass er auch am letzten Abend vor seinem Tod im letzten Abendmahl gemeinsam mit seinen Jüngern gegessen und sie aufgefordert hat, dies zukünftig weiterhin „zu seinem Gedächtnis“ (vgl. u.a. Lk 22,19) zu tun. Auf diese Weise – das feiern wir im Abendmahl ja bis heute – erhalten Menschen Anteil an Jesu Leben, Sterben und Auferstehen. Jesus also schenkt, um es mal ganz theologisch zu sagen, geistliche Speise und macht in Ewigkeit satt. Das ist das eigentliche Wunder. Doch wie will man davon erzählen, wenn nicht durch Geschichten, die im Hier und Jetzt spielen und die dieses große Wunder in Bilder packen, die die Menschen verstehen? Zum Beispiel in das Bild von Fischen und Broten?

 

Mögen also nicht alle Überlieferungen, die in der Bibel stehen, so passiert sein – mag es vielleicht sogar so sein, dass die meisten Geschichten nicht so passiert sind –, so sind diese Erzählungen doch wahr. „Wahr“ ist doch nicht nur das, was historisch ist, sondern Wahrheit meint viel mehr und viel Tieferes. Es geht um die Wahrheit des Glaubens an Gott und das Vertrauen auf diesen Gott.

 

Also: Nein, ich muss nicht alles glauben, was in der Bibel steht. Aber als Christin glaube ich an die Wahrheit, die in diesen Geschichten drinsteckt und von der sie auf ganz menschliche Weise erzählen wollen.

 

Michaela Veit-Engelmann

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[1] Rudolf BultmannNeues Testament und Mythologie. 1941, 18.