Wolfgang Kowar: Totempfahl

Collagen, Fotografien und Bildobjekte von Wolfgang Kowar vom 08. Januar bis zum 29. März 2020

Kleister, Papier, Pigment: Im Material von Wolfgang Kowars künstlerischen Arbeiten haften Botschaften aufeinander, ist Zeit aufbewahrt, verdichten sich Möglichkeiten. Schicht auf Schicht. „Ich widme mich einem Material, das seine Aufgabe schon erfüllt hat, Abfall geworden ist“, sagt der 1950 in Amberg geborene Künstler. Seit vielen Jahren lebt und arbeitet er in Burgdorf bei Hannover. Seine bildhauerische Arbeit erforscht ein (nicht-)alltägliches Material: die abgeschälten Plakatpakete von Litfaßsäulen. In den Schichten des Materials scheinen längst vergangene Zeiten in Strukturen und Farben, Formen und Lettern auf. Die doppelseitigen Reliefs eröffnen Vorstellungsräume, sie enthüllen einen tieferen Sinn des kommerziellen Abfallstoffes: Kunstobjekt zu werden. Kowar trägt mit Skalpell, Cutter, Schleifpapier und Handhobel Plakatschicht für Plakatschicht ab und schafft Bilder, deren Elemente aus unterschiedlichen Zeiten und Kontexten stammen. Dabei nutzt der Künstler den Zufall. Wie ein Schatzsucher gräbt er sich ein in das Material, weiß aber nie, wie tief er gehen darf. Liegt das eigentlich kostbare Motiv noch ein paar Plakatschichten weiter unten verborgen? Kowars Bilder sind De-Collagen: Es kommen in den Arbeiten Bildelemente hinzu, indem etwas weggenommen wird – ganze Plakatschichten oder nur winzige Details von Motiven, die der Künstler mit geradezu archäologischem Fingerspitzengefühl freilegt. Seine Arbeit ist riskant. Was er einmal weggeschnitten oder abgeschliffen hat, ist für immer verloren.

Neben Collagen und Decollagen werden im RPI auch Fotografien ausgestellt. „Die Dokumentation von Litfaßsäulen im urbanen Raum ist ein weiterer Arbeitsbereich“, erklärt der vielseitige Künstler. „Ich suche möglichst einzigartige, zum Teil auch skurrile Objekte der ‚Stadt-Möblierung‘ und lasse sie unabhängig von ihrer realen Umgebung in der Fotografie als Objekt bestehen.

“ Kowars künstlerische Vorbilder sind die sogenannten Affichisten, eine kleine Künstlergruppe, die Ende der 1940er bis in die 1960er Jahre in Paris aktiv war. Der Begriff „Affichist“ leitet sich vom französischen Wort „affiche“ ab: „Plakat“. Plakate sind die Grundlage der Arbeiten dieser kreativen Bewegung, Affichisten sind Plakatkünstler. Wolfgang Kowar selbst begann seine künstlerische Laufbahn mit Fotografie und Metallarbeiten. Immer schon faszinierten ihn thematisch wie ästhetisch Spuren der Vergänglichkeit. Die Suche nach einem geeigneten Material beendete wiederum ein Zufall. „Ich sah zum ersten Mal 2009, wie eine Litfaßsäule entkleidet wurde“, erinnert sich Kowar. „Das war das Initial, ‚Affichist‘ zu werden. Seitdem gilt mein Hauptaugenmerk diesem Material und der Entwicklung neuer Ausdrucksmöglichkeiten. Mich reizt der Widerspruch von Fragilität des Papiers und Blockhaftigkeit des Materials. In dessen Schichten türmen sich Zeitzeugnisse, stapeln sich Möglichkeiten - und sie fragen nach Entscheidungen. Es wäre auch Anderes möglich gewesen, das Leben ist potentielle Konstruktion. Ich erzähle von der Komplexität urbanen Lebens und stelle das langsame Wachstum vor Augen. Ich entschleunige, mache Langsamkeit und Gewordensein sichtbar. Und biete an, mehr zu sehen als die Oberfläche.“ Die „Bildobjekte“ sind leicht gebogen, die Plakatpakete sind geformt durch den Schwung der Litfaßsäule. Die Materialstärke variiert zwischen einem und sechs Zentimetern. Kowar enthüllt im Material sowohl das Werden des Materials selbst als auch die ästhetischen Möglichkeiten skulpturaler Materialerkundung. „Ich lege frei, was ohnehin enthalten ist, und zwar diachron in der Tiefe des Materials, synchron in der Oberfläche einer Schicht und simultan im Miteinander der Findung“, beschreibt er den künstlerischen Prozess. „Ich dekonstruiere das Sinnbehaftete der Schichten, erforsche und finde ihr Potential und konstruiere eine ästhetische Struktur. Das ist ‚Malen‘ durch Abtrag: KUNSTruieren.“ Ein Blick in die Tiefe des Materials ist dabei ebenso ein Blick in die eigene Vergangenheit und in die Vergangenheit der Gesellschaft, in der wir leben. Bei dieser intensiven Beschäftigung mit der Vergangenheit reizt es, dem Künstler die Frage zu stellen, wovon er für die Zukunft träume? Er antwortet mit Augenzwinkern: „Ich will in die MoMA [Museum of Modern Art, New York]. Weiß nur noch nicht, in welchem Oktober welchen Jahres!“

Besuchen Sie die Homepage des Künstlers: www.wolfgangkowar.de