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Bild: Rainer Sturm / pixelio.de

Golem und Golmit

Vom 19. August bis 15.Oktober 2005

Die Ausstellung zeigt Bilder zum jüdischen Golem-Mythos, der in moderner Weise
neu gedeutet und für die Gegenwart ausgelegt wird.

Wie nähert man sich diesen thematisch orientierten Bildern, die farbenfroh, bewegt und zugleich doch erdenschwer daher kommen? Die Bilder wirken so geheimnisvoll und komplex wie die Überlieferung vom Golem selbst.

Die Vielfalt der unterschiedlichen Vorstellungen, die mit der Gestalt des Golem verbunden ist, ist groß. Die Überlieferungsgeschichte des Golem beginnt in der Antike. Das Wort Golem findet sich bereits in der Bibel, in Psalm 139.16. Dort beschreibt es noch nicht eine Person oder Gestalt, sondern etwas Ungeformtes. Die rabbinische Tradition versteht einen Golem als einen Körper ohne Seele. So wird z.B. Adam in seinen ersten Lebensstunden, als er - gemäß einer rabbinischen Legende - noch keine Seele hatte, ein Golem, genannt (Sanh. 38 b). In einer anderen talmudischen Geschichte wird den Weisen die Gabe der Schöpfungskraft zugesprochen. "Rava schuf einen Mann und schickte ihn zu R. Zera. Dieser redete ihn an, aber er antwortete nicht. Er fragte: Bist du einer der Gesellen? Kehre zu deinem Staub zurück." Hier finden wir die Vorstellung, dass Gelehrte an der Schöpferkraft Gottes Anteil haben und selber in der Lage sind, Geschöpfe zu erschaffen.

In der mystischen Tradition des Mittelalters ist die Erschaffung des Golem mit ekstatischer Gotteserfahrung verbunden. Der Golem wurde durch bestimmte Praktiken und die Benennung des Gottesnamens ins Leben gerufen. Die Erschaffung einer Kreatur dient hierbei keiner praktischen Nutzanwendung. Der Golem übernimmt keine Aufgaben, er nimmt nicht am Leben teil. Mit der Erschaffung eines Golem sind Gefahren verbunden. Sie gehen allerdings nicht von dem Golem aus, sondern von dem Prozess seiner Verfertigung. Fehler bei seiner "Herstellung" führen nicht nur zum Scheitern des Prozesses, sondern können den Tod der Person bewirken, die sich daran versucht.

Die Geschichte des Golem bleibt nicht auf den Kreis jüdischer Mystiker beschränkt, sie findet Verbreitung in der Volksfrömmigkeit und wird weiter entwickelt. So wird der Golem eine Gestalt, die ihrem Erschaffer dient und nützliche Aufgaben für ihn erledigt. Zugleich wird dem Golem eine gefährliche Seite zugeschrieben: Er wächst von Tag zu Tag und damit er keinen Schaden anrichtet, muss er am Abend eines jeden Tages wieder zerstört werden. (...)
Am wohl bekanntesten sind die Legenden des Rabbi Jehuda Löw aus Prag. Ein interessantes Detail dieses Legendenkreises ist, dass Rabbi Löw den Golem schuf, um seine Gemeinde vor Anfeindungen der Christen zu bewahren. "Unterwegs sprach der Rabbi zum Golem: Wir haben dich aus Lehn geknetet und dir Leben eingehaucht, damit du die Juden vor Feinden und Verfolgung schützt." Und abschließend heißt es in der von Fassung von Eduard Petiska: "Nach Jahren besserten sich die Beziehungen zwischen Juden und Christen, verstummt waren die Gerüchte vom Gebrauch von Christenblut bei jüdischen Riten, und man bedurfte des Golems nicht mehr!

Die Gestalt des Golem regte die Fantasie vieler Künstlerinnen und Künstler im 19. und 20. Jahrhundert an. Sie findet sich nicht allein in der Literatur und im Film, sondern auch in der Musik, so z. B. die Golem Suite von Joseph Achron, ja sogar im Ballett.

Die Legenden werden neu gedeutet und fortschreiben, so z. B. von Harry Mulisch in Die Prozedur und Cynthia Ozik in The Puttermesser Papers. (...)

Auch Dorothe Alexander Märzröcke hat in ihrem Buch "Golem und Golmit" eine eigenständige, phantasievolle Fortsetzung gefunden. Wie bei Ozick, wenn auch auf ganz andere Art, gibt es einen weiblichen Golem, Golmit. Anders als dem Golem von Rabbi Löw gelingt es dem Golem des 20. Jahrhunderts allerdings nicht, Juden vor Verfolgung zu schützen.

Vor diesem Hintergrund sich auch die Gemälde zu verstehen und zu interpretieren. Hier geht es nicht um die Bebilderung einer alten Geschichte, sondern um eine eigenen ästhetische Annäherung und Auseinandersetzung.

Das großformatige Gemälde "Sefer Otijot" (heb. Buch der Buchstaben) von Nikolái Natasja Sahawi eröffnet mit seinen Hinweisen auf das Geheimnis von Schrift, Wort und Schöpfermacht den Blick in die Überlieferung der Kabbala und ihrer mystischen Traditionen. Nie ohne Schwarz oder Braun kommen seine daher. Sie erzählen von Anfängen, Leid und Dunkelheit, aber immer wieder auch von Hoffnung, Bewegung und Geduld, ja, klare, starke Farben und kraftvolle Linien zeugen von Bewegung und Mut, der sich auflehnt gegen das Dunkel und alles Vergehen.

Die Titel der Bilder von Sahawi beziehen sich zum einen auf die mystische Tradition (Sefer Otijot, Golem) und zum andern auf die Geschichte und die Gegenwart, in der die Shoa präsent ist. So lauten weitere Bildtitel Nach dunklen Tagen und Schwarze Milch der Frühe und Der Tod ist ein Meister aus Deutschland, beides Verse aufs einem Gedicht von Paul Celan. Gegenwart und Vergangenheit, Leben und Tod sind gleichermaßen präsent. Drei der Bilder tragen den Titel L`chaim, die hebräischen Worten bedeuten "Auf das Leben". L`chaim sagt man, wenn man sich zuprostet. Der Titel des letzten Bildes Beth Hachaijm enthält auch das Wort Leben, es geht um das Haus des Lebens. Es bezeichnet hier aber den Friedhof. Ein etwas anderer, der leuchtenden Farbe verbundenen Charakter zeigt sich in den Werken von Dorothe Alexander Märzröcke. Im Lichtspiel der Schöpfung tritt aller Schatten zurück, ohne dass zum Beispiel Wasser, Feuer, Luft und Erde, die Urelemente des zum Leben erweckten Golem, ihre dunklen Seiten verloren hätten. Schemenhaft, verschwommen wie in Nebel eingetaucht bleibt die Geburtstunde des Lebens. Doch sie erhebt sich zur Klarheit, zur Blüte. Trost, Heilung und Hoffnung liegen in diesen Bildern, die sich traumhaft-schön dem Betrachtenden erschließen und ihn zu berühren vermögen. So wird die Reise des Golem zur eigenen Lebensreise, getragen von einem "Gefühl der Leichtigkeit", das nur der erfährt, der sich mit hinein nehmen lässt in das Geheimnis des Anfangs und der Schöpfung.

Wir freuen uns, dass die Bilder von Dorothe Alexander Märzröcke und Nikolái Natasja Sahawi auch in kirchlichen Räumen, wie im Religionspädagogischen Institut Loccum, zu sehen sind. Sie laden ein zu einem Gespräch über jüdische Tradition, Geschichte und Gegenwart.

Die bildende Kunst bietet eine hervorragende Möglichkeit der Begegnung. Sie kann zu einer Entdeckungsreise werden, in der Fremdheit und Nähe neu beschrieben werden. (aus dem Begleitkatalog.

Kontakt

Künstler:
Dorothe Alexander Märzröcke
Nikolái Natasja Sahawi

Atelier Hof Ivre-Mort
Haßlinger Straße 153
49448 Marl
Telefon: 05443/997360/61
Homepage: www.atelier-hof-ivre-mort.de 

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Aus dem Leben des Golem -Judenstadt-