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„Du bist unvergleichlich!” Die Erfahrung der Annahme aus einem Lied sprachlich und leiblich in Verbindung bringen mit der paulinischen Rechtfertigungsbotschaft

Jeannette Eickmann


Thematischer Schwerpunkt

Bei Paulus geht es um ganz elementare Identitätsfragen, die für Schüler*innen des Sekundarbereichs I von großer Relevanz sind: „Darf ich sein?, Darf ich ‚ich selbst sein?, Inwiefern muss oder kann ich mich verändern?, Darf ich dazugehören?“1  Aber: Die Sprache des Paulus lässt sich oftmals nur schwer erschließen und häufig wird deutlich, wie schwierig und sperrig die paulinische Rechtfertigungstheologie für Schüler*innen dieser Altersgruppe ist.2  Einen konkreten lebensweltlichen Bezug, an dem sich Schüler*innen eine mögliche Lebensrelevanz deutlich machen können, bietet das Lied „Unvergleichlich“ von Batomae3, einem Singersongwriter aus Berlin. Der Song huldigt das Anderssein, das nicht Perfekte an einem Menschen und ermutigt dazu, sich so anzunehmen wie man ist, statt sich ständig vergleichen zu müssen mit dem von den (sozialen) Medien propagierten Schönheitsideal. Die Message des Songs ist also eine Rechtfertigungsbotschaft in moderner Gestalt – wird die besungene Person dort doch dazu animiert, sich aus einer Perspektive des Geliebtseins ansehen zu lassen, um sich selbst mit allen Stärken und Schwächen annehmen zu können. Paulus macht in 1. Kor. 12,13 darauf aufmerksam, dass man sich, andere und Gott nur verzerrt, unvollständig und fragmentarisch sieht wie in einem blind gewordenen Spiegel. Seine Hoffnungsverheißung ist: Das bleibt aber nicht immer so. Diese Hoffnung wird schon konkret in dem letzten Satz ermutigt: Du wirst erkennen, dass Gott dich schon immer angenommen (gerechtfertigt) hat, wie du bist und wie er es dir zugesagt hat.


Das Thema Essstörung im Musikvideo und im Jugendroman

In dem Musikvideo zu dem Lied „Unvergleichlich“  präsentiert sich Jana Crämer (Bloggerin von „Endlich ich“, Influencerin und mit dem Musiker Batomae, ihrem besten Freund, bundesweit auf Konzertlesungen – auch an Schulen! – unterwegs) mit ihrer Essstörung schonungslos ehrlich: Sie wog vor wenigen Jahren noch 180 Kilo und zeigt sich dort mit ihrem nicht perfekten Körper, ihrer Scham darüber und ihrem Ekel vor sich selbst – aber auch mit ihrem Strahlen, wenn es ihr gelingt, ausgelöst durch den liebenden Blick des Sängers, sich selbst anzunehmen.

Jana Crämer spricht offen in ihrem Podcast „Schweigen ändert nichts“ über ihre Essstörung und erzählt in ihrem Debütroman „Das Mädchen aus der 1. Reihe“ auch autobiografisch die Geschichte von Lea, einer jungen Frau, die unter einer Essstörung leidet, und die ihre Sorgen für einen Abend vergessen kann, wenn sie mit ihrer besten Freundin Jule auf den Konzerten ihrer Lieblingsband in der ersten Reihe steht. Für ihr Engagement wurde Jana Crämer 2018 mit dem Signs Award geehrt.


Angenommensein und Annahme bei Paulus

In Röm 15,7 greift Paulus den Gedanken des Angenommenseins auf und verbindet ihn mit der Aufforderung, ebenso andere Menschen ohne jegliche Einschränkung – vorbehaltlos – anzunehmen. Auch wenn sich bei Paulus diese Annahme auf den Fremden bezieht – den, der bei uns Zuflucht sucht – ist es im unterrichtlichen Kontext durchaus legitim, diese Annahme auf die Fremdheit im Nächsten auszuweiten: jeden Menschen mit all seinen Eigenarten und Eigenheiten anzunehmen, statt sich über den Körper, die Kleidung, die Hautfarbe, die Erfahrungen der einen oder die Dyskalkulie, die körperliche Beeinträchtigung, die Selbstzweifel, die Krise des anderen lustig zu machen und ihn deswegen auszugrenzen. Um anderen mit diesem liebe- und respektvollen Blick begegnen zu können, bedarf es immer wieder des Perspektivwechsels, der in dieser Sequenz eingeübt und im Folgenden näher erläutert wird.


Lernsituation

Laut einer aktuellen Jugendstudie4 haben viele Jugendliche hinsichtlich ihrer Selbstwahrnehmung und -bewertung ein zwiegespaltenes Körpergefühl. Zwar wollen sie sich mehrheitlich von externen Bewertungen nicht beeindrucken lassen, gestehen jedoch gleichzeitig ein, dass ihnen dies nicht gut oder nur mit Unterstützung (von Freunden und Familienmitgliedern) gelinge. Um dieses sensible Thema in Unterrichtszusammenhängen an- oder besprechen zu können, bedarf es eines Schutzraumes der eigenen Person. Genau an diesem Punkt setzt der Song „Unvergleichlich“ von Batomae an. Dem eigenen Gefühl der Minderwertigkeit, das also vielen Schüler*innen dieser Altersgruppe bekannt sein dürfte, wird dort der liebende Blick des Sängers/des lyrischen Ich auf die wertvolle Einzigartigkeit des lyrischen Du gegenübergestellt. Sowohl im Lied als auch im Video und im Romanauszug können sich Schüler*innen stellvertretend individuell verorten, ohne eigene Schwächen preisgeben zu müssen.

Paulus dürfte den meisten Schüler*innen des Sekundarbereichs I erst einmal nicht viel sagen. Auch wenn der Ursprungszusammenhang der Paulusbriefe nicht direkt mit der Lebenswirklichkeit von Jugendlichen korreliert, spricht seine Theologie in das beschriebene Lebensgefühl hinein.

Zwei Möglichkeiten des Einsatzes dieses Unterrichtsbausteins innerhalb einer Paulussequenz bieten sich an. Möglich ist, sich zunächst biografisch der Person des Paulus anzunähern und diesen Baustein nach der Erarbeitung des Damaskuserlebnisses einzuarbeiten, wenn es darum geht, ansatzweise in seine Theologie einzuführen. Ebenfalls ist denkbar, mit dem lebensweltlichen Impuls des Liedes einzusteigen und es als sprachliche Brücke zur Rechtfertigungsbotschaft des Paulus zu nutzen. Erst im Anschluss stünde dann die Person des Paulus als eine Art Anforderungssituation im Fokus: Was ist das für ein Mensch, der auf seinen Missionarsreisen solche Botschaften verkündet?


Lernimpuls

Ausgangs- und Endpunkt in dieser Lernsequenz ist das Lied „Unvergleichlich“ von Batomae. Zu Beginn werden nur die beiden ersten Strophen gehört und innerhalb einer Inszenierung sprachlich und gestalterisch interpretiert. Im weiteren Verlauf wird das Lied sowohl mit dem dazugehörigen Musikvideo, einem Romanauszug als auch mit 1. Kor.13,12 und Röm 15,7 verknüpft. Das Lied fungiert so als Brücke zwischen biblischer Sprache und Jugendsprache.


Lernarrangement

  • Erster Unterrichtsschritt:

Inszenierung des Liedes „Unvergleichlich“ von Batomae

In der ersten Doppelstunde hören die Schüler*innen die ersten beiden Strophen des Liedes „Unvergleichlich“ von Batomae und inszenieren den Liedtext. Um eine größere Deutungsoffenheit zu gewährleisten, wird das Lied zunächst (ohne Musikvideo oder Text) nur gehört – gerne mit geschlossenen Augen, um den Fokus auf das innere Wahrnehmen des Liedes als musikalische Gestaltung einer Aussage zu legen. Spontanen Assoziationen und Eindrücken sollte im Anschluss Raum gegeben werden: Was hast du gehört? In welcher Krise könnte sich die besungene Person befinden? Beschreibt die Sicht des Sängers auf die besungene Person!

Nach diesem fokussierten ersten Höreindruck liegt der Kern der Doppelstunde anschließend auf einer kooperativen Arbeitsphase im Sinne von Think, Pair, Share: Dazu arbeiten die Schüler*innen arbeitsteilig in Einzelarbeit die Perspektive des lyrischen Du und des lyrischen Ich heraus, tauschen sich in Partnerarbeit aus und schreiben zwei bis drei zentrale Aussagen auf eine Gedanken- (Innensicht des lyrischen Du) bzw. Sprechblase (Außensicht des lyrischen Ich). Besondere Bedeutung sollte darauf liegen, dass die Schüler*innen anhand von konkreten Beispielen eine eigene Sprache finden für Aussagen im Lied wie „Ich bin nicht gut genug“, „Ich reiche mir nicht“, „Du bist unvergleichlich“, „Jedes Detail an dir ist heilig“. In Gruppenarbeit werden die jeweils drei bis vier aussagekräftigsten Aussagen des Du und des Ich ausgewählt. Diese sollen in die Inszenierung eines Dialogs einfließen, in der die Perspektiven auch körperlich und räumlich dargestellt werden. Für die Inszenierung steht den Schüler*innen einige Tipps (M 1) zur Verfügung.

Differenzierungsangebot

Schüler*innen mit dem Förderbedarf Lernen können eine Anlegekarte zum Liedtext (M 1a) nutzen, auf der sich der Inhalt des Liedtextes in leichterer Sprache befindet.

  • Zweiter Unterrichtsschritt:

Die Gefühlssprache des Musikvideos erarbeiten

In der zweiten Doppelstunde steht das Musikvideo als konkretes Beispiel einer menschlichen Krise im Fokus. Aufgrund der hohen Offenheit der Darstellung ist weder mit negativen oder obszönen Äußerungen noch mit Hohn seitens der Schüler*innen zu rechnen, sondern mit echtem Interesse und Mitgefühl. Als Einstieg können einige der Stills (M 2) ungeordnet an die Tafel gehängt werden, um eine Seherwartung zu schulen. Hypothesen zum Inhalt des Videos können gebildet und an der Tafel notiert werden. Nach dem ersten Sehen sollte spontanen Äußerungen genügend Raum gewährt werden. Die Lehrkraft sollte an dieser Stelle einige Informationen über Jana Crämer und ihr gemeinsames Engagement mit dem Sänger Batomae einfließen lassen. Mithilfe des Arbeitsblatts M 3 werden nach dem zweiten Sehen gezielt Janas Gefühle, Gedanken und Wünsche in den Blick genommen, die anschließend an der Tafel z. B. anhand der Stills und verschiedenfarbiger Karteikarten gebündelt werden können. Die Schüler*innen sollten dazu ermutigt werden, wirklich alle Gefühle, auch Ekel und Scham über sich selbst, zu thematisieren, da dies eine wichtige Voraussetzung dafür ist, Empathie für sich selbst und andere zu entwickeln. Eine Annahme der (eigenen) Person kann nur gelingen, wenn auch die (eigenen und fremden) Schattenseiten aufgedeckt und integriert werden.

Für besonders interessierte Schüler*innen böte sich hier die Möglichkeit, bis zur nächsten Doppelstunde ein Kurzreferat zum Thema Essstörungen vorzubereiten.

  • Dritter Unterrichtsschritt:

Die Spiegelmetaphorik bei Paulus und im Jugendroman erschließen

Um die religiöse Perspektive des Paulus in 1. Kor 13,12 entschlüsseln zu können, beginnt die dritte Doppelstunde mit einer leiblichen Übung zur Wirkung von Spiegeln in Partnerarbeit: Die Partner sitzen oder stehen sich (einer als Mensch und einer als Spiegel) gegenüber; der Mensch beginnt mit langsamen Bewegungen und der Spiegel ahmt diese zeitgleich nach. Nach einer gewissen Zeit wird gewechselt. Als Variante werden die vorgespielte Mimik und Gestik in einer zweiten Runde beim Nachahmen so gesteigert, dass der Spiegel das Abbild verzerrt darstellt („Probiert einmal aus, welche Arten von Zerrspiegeln es gibt“). In der Auswertung der Übung sollte der Unterschied zwischen dem Spiegelbild und einem Foto erarbeitet werden. Auf einem Foto sieht man sich so, wie andere Menschen einen sehen; das Spiegelbild zeigt demgegenüber ein gespiegeltes Bild von uns: Wir sehen uns also seitenverkehrt und – je nach Spiegel – verzerrt.

Nach dieser Vorübung befassen sich die Schüler*innen anhand des Arbeitsblatts M 4 mit 1. Kor. 12,13. Die Ergebnisse der Einzel- und Partnerarbeit können mit Hilfe der Zeichen und Symbole (M 5) an der Tafel/am Whiteboard oder auch in Gruppenarbeit veranschaulicht werden: Grafisiert, was „sehen“ jetzt und einmal und „erkennen“ jetzt und einmal bedeutet!

Als Überleitung zum kurzen Auszug aus dem Roman „Das Mädchen aus der 1. Reihe“, in dem ebenfalls eine Spiegelszene im Vordergrund steht (M 6), fungiert die Wortkarte „Jana/Lea?“ (M 7), mit der die Lehrkraft den autobiografischen Bezug im Roman herstellen kann. Die Ergänzung der Szene durch die Schüler*innen legt den Fokus auf die neu eingebrachte Perspektive des göttlichen Blicks und die daraus veränderte Sicht Janas / Leas auf sich selbst.

Differenzierungsangebot

Für Schüler*innen mit Förderbedarf Lernen oder für leistungsschwächere Schüler*innen steht ein differenzierendes Arbeitsblatt zu 1. Kor 13,12 (M 4a) zur Verfügung, das den Kontrast von Realität und Verheißung stärker in den Vordergrund des Verstehens rückt und zusätzlich Hilfen durch Visualisierung anbietet.

  • Vierter Unterrichtsschritt:

Eine eigene Rechtfertigungsbotschaft in einer Liedstrophe gestalten

Paulus fokussiert in Röm 15,7 die Annahme anderer als konsequente Weiterführung der Selbstannahme. Nach der intensiven Empathieschulung der Vorstunden kann nun an der Tafel oder am Whiteboard, in der Kreismitte oder in Gruppenarbeit anhand der Wortkarten „Du bist unvergleichlich!“ und Röm 15,7 (M 7) sowie der bereits bekannten Zeichen / Symbole (M 5) dieser Zusammenhang herausgearbeitet werden: Der gerechtfertigte Blick auf sich selbst ermöglicht, andere Menschen mit ihren Eigenheiten annehmen zu können. Als Schlüsselwort fungiert hier „darum“. Sprachlich setzen die Schüler*innen dies um, indem sie eine eigene Rechtfertigungsbotschaft als alternative dritte Strophe des Liedes „Unvergleichlich“ formulieren (M 8).


Anregung zur Weiterarbeit

Eine lohnenswerte Möglichkeit der Weiterarbeit besteht in dem Erstellen eigener Erklärvideos seitens der Schüler*innen. Neben der Stärkung der Medienkompetenz ist das Ziel, die erarbeiteten komplexen Zusammenhänge zwischen Paulus, Batomae und Jana Crämer zu reduzieren und auf einer Metaebene sprachlich kreativ-explorativ auf den Punkt zu bringen – eine Aufgabe, die kriteriengeleitet auch als Ersatzleistung für eine schriftliche Arbeit gestellt werden kann. Ein digitales Tool, mit dem man recht leicht ein eigenes Erklärvideo mit der so genannten Legetechnik erstellen kann, ist MySimpleShow. Dabei ist es sinnvoll, wenn die Lehrkraft einen „Classroom-Zugang“ anlegt und die Schüler*innen diesen Zugang nutzen, der viele Möglichkeiten der Gestaltung bietet.5

Anmerkungen

  1. Woyke, Paulus, 2.2 Anknüpfungspunkte.
  2. Vgl. dazu a.a.O. die Ausführungen im Abschnitt 2.1 Herausforderungen.
  3. Erscheinungsdatum: 14.08.2015 bei Spinnup. Website: www.batomae.de.
  4. Vgl. Calmbach u.a., SINUS-Jugendstudie 2020, 302.
  5. Folgende Erklärvideos führen in das Tool ein: https://www.youtube.com/watch?v=lU0GMZkxpcY.

Literatur

  • Calmbach, Marc / Möller-Slawinski, Heide / Borchard, Inga / Schleer, Christoph: SINUS-Jugendstudie 2020. Lebenswelten von Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren in Deutschland, www.bpb.de/system/files/dokument_pdf/SINUS-Jugendstudie_ba.pdf (05.06.2021)
  • Crämer, Jana: Das Mädchen aus der 1. Reihe, 3. Aufl., Oldenburg 2017
  • Woyke, Johannes: Paulus, bibeldidaktisch, Sekundarstufe. Wissenschaftlich-religionspädagogisches Lexikon, hg. von der Deutschen Bibelgesellschaft, abrufbar unter: http://bibelwissenschaft.de/stichwort/100149 (05.06.2021)