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Baumarten mit „Migrationshintergrund” im „Deutschen Wald“?!

von Dirk Schäfer

Diese Neu-Formulierung der an mich gestellten Frage nimmt eine Anleihe an unsere gesellschaftspolitische Diskussion. Nur mit dem Unterschied, dass die Sichtweise auf unsere Natur oft geprägt ist von dem starken Wunsch, alles so zu erhalten, wie es „von Natur aus“ einmal war – und alles Fremde auszugrenzen. Dabei ist die Migrationsfrage – wie auch in unserer Gesellschaft – längst entschieden: Seit sicherlich 150 Jahren werden Baumarten von anderen Kontinenten hier gepflanzt. Von botanisch interessierten Menschen oder Forstleuten, die nach neuen Möglichkeiten für die Forstwirtschaft suchten.

Mit gutem Erfolg, wie beispielsweise Douglasien oder Roteichen zeigen, die sich harmonisch in die hiesige Pflanzenwelt integrieren (meine besten Steinpilze finde ich unter Roteichen …). Aber auch mit höchst bedenklichen Folgen wie bei der spätblühenden Traubenkirsche. Diese verdrängt auf den ärmeren Sandböden alles, was uns dort lieb und wichtig ist, und dominiert den Wald (und ich habe in meinen ersten Forstpraktika wochenlang auf Knien deren Sämlinge ausreißen müssen…).

Und letztlich müssen wir den Blick weiten: Auch in der krautigen Vegetation nimmt die Vielfalt zu. Gerade aus den Ziergärten dringen „fremde“ Pflanzenarten in unsere Natur vor. Manche fügen sich leicht verschämt im neuen Lebensraum ein und arrangieren sich mit dem, was dort bereits lebt. Andere nehmen sich ganz unverschämt ihren Wuchsraum und lassen der ursprünglichen Pflanzenwelt keinen Platz – der Sachalinknöterich malt in etlichen Harzer Bachtälern ein unschönes Bild davon.

Zunächst einmal müssen wir aber einer Wirklichkeit ins Auge schauen: Mit dem Klimawandel haben wir uns gesellschaftlich bereits abgefunden. Das 1,5 Grad-Ziel ist postuliert – wenngleich kaum jemand (ich auch nicht) daran glaubt, dass wir es halten werden. Und 1,5 Grad weltweit bedeutet auf den Kontinenten etwa vier Grad Erwärmung – Ozeane erwärmen sich erheblich langsamer, machen aber 70 Prozent der Erdoberfläche aus. Außerdem ist Wald nie klimaresilient in dem Sinne, dass er sein Wesen unabhängig vom Klima erhalten könnte. Wald hat sich immer angepasst an die Wuchsbedingungen – die vielen unterschiedlichen Waldgesellschaften von den Savannen Afrikas bis zu den borealen Nadelwäldern im hohen Norden zeugen davon. Auch die gut erforschte Waldgeschichte der letzten 10.000 Jahre seit dem Ende der letzten Eiszeit belegt dies. Den Beginn eines neuen Anpassungsprozesses in einer Phase rasanter Klimaveränderung erleben wir gerade sehr augenfällig im Harz – tausende Hektar abgestorbene Fichtenwälder. Aber auch im Süden und Osten Niedersachsens ist es für den aufmerksamen Spaziergänger unzweifelhaft erkennbar, dass Trockenheit und Hitze vielen Baumarten – auch Buchen und selbst Kiefern und Eichen – sehr zu schaffen machen.

Nun braucht der Wald unsere Hilfe in diesen Anpassungsprozessen nicht! Er nimmt sich einfach die Jahrhunderte Zeit, bis Baumarten einwandern, die mit wärmeren und trockeneren Wuchsbedingungen zurechtkommen. Dazu gehören Absterbeprozesse – schleichend oder schlagartig – oder langsame Metamorphosen. Diese Zeit allerdings haben wir Menschen nicht! Wir brauchen den Wald: als Lebens- und Erholungsraum, aber vor allem auch für unsere Versorgung mit Holz. Merke: Der größte CO2-Emittent ist die Baubranche und hier vor allem das Segment Zement /Beton. Da ist Holz eine Alternative, auf die wir besser nicht verzichten sollten.

Wir sind in unserer Verpflichtung für nachfolgende Generationen gezwungen, uns Gedanken über den Wald der Zukunft zu machen. Welche Baumarten können heute leben? Welche haben auch das Potenzial, bei fortschreitendem Klimawandel alt zu werden, also auch noch in 100 Jahren bis zur Erntereife zu wachsen? Diese Frage ist alles andere als trivial, und immerhin öffnen sich ihr mittlerweile auch Verbandsvertreter aus dem Naturschutz.

Ich hörte einmal den Satz von der „assistierten Migration südeuropäischer Baumarten in einer anthropogen veränderten Umwelt“. Alle Achtung zur Formulierung – kurzum: Wir helfen Baumarten aus Südeuropa und pflanzen sie, statt ihre natürliche Einwanderung im Laufe der Jahrhunderte abzuwarten. Gemeint sind damit aber nur die Baumarten, die von Natur aus ohnehin irgendwann bei uns ankommen würden. Aber viele von ihnen sind sehr empfindlich gegenüber Frost im Mai/Juni. Auch wenn wir glauben, dass sie in 100 Jahren hier genau richtig sind, müssen wir damit rechnen, dass jung gepflanzte Bäume die jetzt noch vorkommenden Spätfröste nicht überleben können. Etliche südeuropäische Baumarten sind zudem ausgesprochen wuchsschwach. Sie produzieren also wenig Holz. Aus einer Flaum- oder Korkeiche lässt sich kaum Furnierholz gewinnen.
Deshalb bin ich davon überzeugt, dass die „Baumartenfrage“ weiter gefasst werden muss.

  • Wenn sich eine Baumart in die hiesige Pflanzenwelt integriert, ohne heimische Arten zu verdrängen, und heimischen Tier- und Pflanzenarten (Beispiel: Steinpilze unter Roteichen…) Lebensraum bietet,
  • wenn sie sich in Mischung mit heimischen Baumarten anpflanzen lässt,
  • wenn sie stabil gegenüber Sturm und Insekten und anpassungsfähig im Klimawandel ist,
  • wenn sie forstlich durch einen hohen Zuwachs von gut nutzbarem Holz vorteilhaft ist (Die Douglasie z. B. hat eine jährliche Wuchsleistung von ca. 15 Kubikmeter Holz pro Jahr und Hektar – mehr als die Fichte [ca. zwölf Kubikmeter] und viel mehr als Buche oder Eiche [neun bzw. sieben Kubikmeter]. Sie leistet dadurch einen höheren Beitrag zur CO2-Speicherung.),

dann sollten wir uns und kommende Generationen in sorgfältiger Abwägung dieser Möglichkeiten nicht verschließen!

Und am Rande vielleicht interessant: Die Douglasie war vor den Eiszeiten, also bis vor rund 150.000 Jahren, hier bereits zu Hause und ist infolge des Kälteeinbruchs in Europa ausgestorben. Sie kommt also nur „nach Hause“…

Wie nun kann ich die Frage geistlich fassen? Ich glaube an Gott als den Schöpfer (…) – und für jedes Geschöpf gilt seit 1. Mose: Und siehe, es war sehr gut! In meiner Verantwortung für die Schöpfung will ich nun beides tun: der „fremden Art“ mit Wohlwollen begegnen, aber auch Rücksicht gegenüber der heimischen Natur walten lassen!