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Heilig(e) wie du und ich?!

von Kerstin Hochartz und Anne-Elisabeth Rossa


Idee einer Unterrichtseinheit für den gemeinsam verantworteten christlichen Religionsunterricht im Sekundarbereich I an Haupt-, Real- und Oberschulen aus wechselseitiger evangelischer und katholischer Perspektive am Beispiel des Themas „Heilig(e)”


Was bedeutet es für die Praxis der Unterrichtsplanung, christlichen Religionsunterricht gemeinsam zu verantworten? Dieser Frage geht der vorliegende Praxisartikel nach, indem die Autorinnen ein Vorgehen der verschiedenen Konfessionen anhand eines konkreten Themas exemplarisch skizzieren.


Brainstorming

Zunächst gilt es, in einem freien Brainstorming als Lehrkraft das Thema aus der Innenperspektive der eigenen Konfessionalität zu betrachten. Dabei ist deutlich zu reflektieren, aus welcher Perspektive auf das Thema geschaut wird: Aus der Perspektive der Person der Religionslehrkraft? Aus der Perspektive der Kirche, deren Mitglied sie ist? Aus der Perspektive der regional geprägten Frömmigkeit des Milieus, in dem die Lehrkraft und die Schüler*innen leben und die in unterschiedlichen Traditionen, Ritualen und Brauchtümern Ausdruck findet?

Danach muss im Brainstorming die Außenperspektive der nicht eigenen Konfessionalität eingenommen werden. Welche Erwartungen an das Thema wird bei der anderen Konfessionalität vorausgesetzt? Wo werden Unterschiede vermutet?

Zuletzt wird überlegt, wo es Gemeinsames innerhalb des Themas bei beiden Konfessionen gibt.

Ziel eines ersten Brainstormings aus der beschriebenen dreifachen Perspektive ist eine Sensibilisierung für konfessionelle Unterschiede und christliche Gemeinsamkeiten eines Themas. Im Anschluss daran erfolgt als weiterer Perspektivwechsel der interreligiöse und interkulturelle Blick.

Für das Thema„Heilig(e)” könnte das konkret bedeuten:

Aus evangelischer Sicht werden möglicherweise mit dem Begriff „Heilig(e)” zunächst die Sakramente Taufe und Abendmahl, die heilige christliche Kirche, vielleicht das Wort des Evangeliums assoziiert. Aus katholischer Perspektive könnten die Sakramente und Firmung, die Namenspatron*innen, die heilige katholische Kirche, die Heiligen als Mittler*innen zwischen Mensch und Gott, die Heiligsprechung, das Fest Allerheiligen, der Papst als der Heilige Vater oder der Heilige Stuhl als der römische Bischofssitz in einem ersten Brainstorming genannt werden. Beiden Konfessionen gemeinsam wäre die Heilige Schrift und aus dem Apostolischen Glaubensbekenntnis die Gemeinschaft der Heiligen und der Heilige Geist. Heilige Orte nichtchristlicher Religionen könnten ebenso in den Blick genommen werden wie Heilige Bücher anderer Buchreligionen. Aber auch heilige Gegenstände oder Menschen, die symbolisch für Idole stehen wie Fußballstars, Musikgrößen oder die eigene Familie, die vielen heilig ist.


Faktencheck

Nachdem das Brainstorming erste Ideen, Stolperfallen und Sensibilitäten eröffnet hat, muss eine Verortung des Themas in den derzeit noch getrennten Kerncurricula in den Blick genommen werden. Gibt es das Thema sowohl im evangelischen als auch im katholischen Kerncurriculum? Wird es im selben Kompetenzbereich eingeordnet oder in verschiedenen? Sind mehrere Kompetenzbereiche als Orte für das Thema möglich? Werden je nach Kompetenzbereich andere Schwerpunkte gesetzt? Es muss geklärt werden, welche Aspekte des Themas Bezüge zur Lebenswirklichkeit der konkreten Lerngruppe haben.

Für das Thema „Heilig(e)” könnte das konkret bedeuten:

Innerhalb des Kompetenzbereichs „Nach der Verantwortung des Menschen fragen“ in Jahrgang 7/8 werden katholischerseits für die inhaltsbezogene Kompetenz „Die Schülerinnen und Schüler erklären anhand eines biblischen Textes oder einer Biographie, dass Glauben Konsequenzen für die Lebensgestaltung hat“1  unter den Beispielen für mögliche Inhalte ausdrücklich die Heiligen neben Idolen, Helden und Personen aus dem Lebensumfeld genannt.2  Auf evangelischer Seite werden Personen und Aktionen aus der Region im Blick auf den Einsatz für die Menschenrechte angeführt, „z. B., Malala Yousafzai, Liu Xiaobo, Ican, Amnesty International, Viva con Aqua, M. L. King, Nelson Mandela“3 .

Das Thema „Heilig(e)” ist in Jahrgang 5/6 an Haupt-, Real- und Oberschulen innerhalb des Kompetenzbereichs „Nach Gott fragen“ zu verorten, wo es in den Kerncurricula für das Fach Katholische Religion der Sek I ausdrücklich genannt wird, nicht aber in den entsprechenden Curricula für das Fach Evangelische Religion.

Als mögliche Inhalte für den Kompetenzerwerb werden im katholischen Kerncurriculum „Zeugnisse von Heiligen“4  wie Nikolaus, Martin oder Franziskus beispielhaft erwähnt.

Innerhalb des Kompetenzbereichs „Nach Gott fragen“ in Jahrgang 5/6 ist die angestrebte Kompetenz in beiden Kerncurricula: „Die Schüler*innen setzen sich mit Menschen auseinander, die ihr Vertrauen auf Gott zum Ausdruck bringen“5 . Im Kerncurriculum für den evangelischen Religionsunterricht werden dabei „Beispiele für christliches Handeln“ als exemplarischer Inhalt aufgeführt, im Kerncurriculum für den katholischen Religionsunterricht „Zeugnisse von Heiligen“. Beides ließe sich unter dem Stichwort „Gemeinschaft der Heiligen“ im Blick auf christliche Gemeinsamkeiten und konfessionelle Besonderheiten im gemeinsamen Unterricht bearbeiten.


Die Einstiegsstunde zum Thema „Heilig(e)” als Praxisbeispiel

Die Galerie der Heiligen

Die Lehrkraft erstellt im Klassenzimmer eine Galerie der Heiligen. Dafür hängt sie verschiedene Fotos (vorzugsweise gerahmt) an die Wand oder stellt Fotos in Bilderrahmen auf einen Tisch, der mit einer Decke besonders herausgehoben ist aus der Menge der Tische im Klassenraum. In der „Galerie der Heiligen” gibt es das Bild eines bekannten Fußballspielers, eines Musikstars, von Malala, von Greta Thunberg, von St. Martin oder St. Nikolaus, von einem Heiligen mit Heiligenschein, ein Familienfoto und ein Klassenfoto (M 1).

Nach den Einstiegsfragen: „Wen seht ihr? Wen kennt ihr?“ können Vermutungen angestellt werden, warum die Bilder dieser Menschen hier zusammen auf dem Tisch stehen. Welche Gemeinsamkeiten haben sie? Der Titel „Galerie der Heiligen” kann zu den Bildern gestellt / gehängt werden. Spontane Äußerungen der Schüler*innen zu dem Titel im Zusammenhang mit den Portraits werden gehört. Es werden Fragen gesammelt, die in den nächsten Stunden zum Thema „Heilig(e)” geklärt werden. Beispiele:

•    Wird man heilig geboren?/ Wann ist jemand heilig?
•    Ist heilig besser als normal?
•    Ist heilig das gleiche wie besonders wichtig?
•    Wenn ein Mensch heilig ist, kann er auch wieder unheilig werden?
•    Gibt es heilig mit und ohne Gott?
•    Haben Heilige einen Heiligenschein?

Die Schüler*innen gestalten aus Tonkarton Bilderrahmen (Kopiervorlagen zu den Rahmen in den Downloadmaterialien) in einer vorgegebenen Größe und bekommen zur nächsten Unterrichtsstunde den Auftrag, das Bild eines Menschen, den sie als Heiligen bezeichnen würden, (in einer entsprechenden Größe) mitzubringen oder das Bild der Lehrkraft zu mailen, die sie für die Aufnahme in der Galerie ausdruckt. In der nächsten Unterrichtsstunde stellt jede*r ihren*seinen Heiligen begründet vor.

Verlaufsplanung der Unterrichtsstunde:

Lernziel: „Die Schülerinnen und Schüler setzen sich mit Menschen auseinander, die ihr Vertrauen auf Gott zum Ausdruck bringen“6 

Einordnung in die inhalts- und prozessbezogenen Kompetenzen: „Deutungskompetenz“7  bzw. „Religiös bedeutsame Sprache und Zeugnisse verstehen und deuten“8

Mögliche weitere Themen der Unterrichtseinheit könnten sein:

•    Was ist mir heilig?,
•    Galerie der Heiligen,
•    Heilige in der katholischen Kirche (anhand eines populären Beispiels   wie St. Martin oder St. Nikolaus) – Feste und Feiern im Kirchenjahr,
•    Heiligsprechung,
•    die Gemeinschaft der Heiligen (nach evangelischem und katholischem Verständnis),
•    moderne „Heilige“ wie Malala oder Greta Thunberg.

 

PHASE
Einstieg / Gelenktes L-SuS-Gespräch
  
GEPLANTER UNTERRICHTSABLAUF   
    •    Die L. begrüßt die SuS und deutet als stummen Impuls auf den als Galerie vorbereiteten Klassenraum. Die SuS nehmen die Bilder wahr und äußern Vermutungen dazu. Die L. lenkt die SuS durch Fragen wie „Wen seht ihr? Wen kennt ihr?“
•    Ggf. sammelt die L. Antworten der SuS zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden der dargestellten Personen.
•    Die L. präsentiert den Titel „Galerie der Heiligen“ und bespricht diesen mit den SuS. Spontane Äußerungen und Fragen der SuS werden gesammelt, sodass diese in den darauffolgenden Unterrichtsstunden wieder aufgegriffen werden können.

MEDIEN
Gerahmte Bilder von Heiligen, Idolen, Vorbildern
Papierstreifen oder Tafelanschrieb: „Galerie der Heiligen“

PHASE
Vertiefung / PA  

GEPLANTER UNTERRICHTSABLAUF
Die SuS tauschen sich in Partnerarbeit über Menschen aus, die für ihr Leben besondere Bedeutung haben. Sie beschreiben jeweils gegenseitig eine ausgewählte Person und begründen, warum diese für sie „heilig“ ist.
   
MEDIEN
AB „Steckbrief“ für eine Personenbeschreibung

PHASE
Sicherung / EA  
 
GEPLANTER UNTERRICHTSABLAUF
Die SuS erarbeiten einen Steckbrief zu einer für sie heiligen Person, die sie in der nächsten Unterrichtsstunde vorstellen sollen, und beginnen, einen passenden Rahmen zu dem Portrait der Person zu gestalten, mit dem die „Galerie der Heiligen“ erweitert werden soll.  
   

Anmerkungen    

  1. Nds. Kultusministerium, 2020, 25.
  2. Vgl. a.a.O., 26.
  3. Vgl. a.a.O., 24.
  4. Vgl. a.a.O., 22.
  5. Vgl. a.a.O., 21.
  6. Nds. Kultusministerium (Hg.): Kerncurriculum für die Oberschule Ev. Religion Schuljahrgänge 5-10, Hannover 2020, 19 und Nds. Kultusministerium (Hg.): Kerncurriculum für die Oberschule Kath. Religion Schuljahrgänge 5-10, Hannover 2020, 21.
  7. Nds. Kultusministerium, Ev. Religion OBS, 19.
  8. Nds. Kultusministerium, Kath. Religion OBS, 21.