pelikan

Dem Koran begegnen

von Annett Abdel-Rahman

 

Für Muslim*innen ist der Koran die wichtigste Quelle und Ressource ihres Glaubens an Allah und den Propheten Muhammad1 : im Sinne spiritueller Haltungen wie glaubenspraktischer Handlungen. Es ist daher naheliegend, dass die Begegnung mit dem Koran auch im Zentrum des islamischen Religionsunterrichts steht.

In den Kerncurricula (KC) aller Schulformen für das Fach Islamische Religion des Landes Niedersachsen durchzieht die Beschäftigung mit dem Koran alle geforderten Kompetenzbereiche. Exemplarisch sei dies anhand des KC der Sek I genauer beschrieben.

Im Rahmen der Teildimensionen religiöser Kompetenz, den prozessbezogenen Kompetenzen, wird als Deutungskompetenz unter anderem die Fähigkeit verstanden, „die Bedeutung ausgewählter Suren2  und Hadithe3  zu erschließen“, die Urteilskompetenz erwächst unter anderem aus den Fähigkeiten, „unterschiedliche muslimische Positionen im Hinblick auf Bekenntnis, Glaubenspraxis und Ethik zu vergleichen“ sowie „aus islamischer Perspektive einen eigenen Standpunkt zu religiösen und ethischen Fragen einzunehmen und argumentativ zu vertreten“. Die Gestaltungskompetenz ist mit der Befähigung verbunden, „die ästhetische Dimension des Korans (Rezitation, Kalligrafie) zu beschreiben und zum Ausdruck zu bringen.“4

Im Rahmen des inhaltsbezogenen Kompetenzbereiches konkretisiert die Leitfrage „Nach Koran und Sunna fragen“ die Beschäftigung mit dem Koran:

„Die Schülerinnen und Schüler […] können Entstehung, Aufbau und Bedeutung des Korans […] darstellen und erläutern. Den koranischen Text erschließen sie aus einer altersgemäßen Perspektive und erwerben methodisches Können, um sich produktiv und selbständig mit koranischen Texten in deutscher Sprache auseinander zu setzen.“5 

Den oben genannten Kompetenzerwerb im islamischen Religionsunterricht tatsächlich zu ermöglichen, ist mit besonderen Herausforderungen für die Lehrkräfte verbunden, auf die im Folgenden genauer eingegangen werden soll. Im Anschluss werden verschiedene Zugänge der Beschäftigung mit dem Koran erläutert und anhand eines Beispiels gezeigt, auf welche Weise die Auseinandersetzung mit Aussagen aus dem Koran im Religionsunterricht möglich sein kann. Abschließend werden Kriterien genannt, die die Arbeit mit Koranversen im Unterricht erleichtern können.

Aus der Beschäftigung mit dem Koran ergeben sich insbesondere für den islamischen Religionsunterricht einige Besonderheiten:6


Die Sprache

Die Sprache des Korans ist Arabisch. Dabei ist dieser Fakt allein nicht das Besondere an ihm, sondern es ist die Komposition und die Poesie der Sprache selbst. Die sprachliche Schönheit des Korans berührt und überwältigt die Menschen von Beginn an bis zur Gegenwart. Ästhetik und Klarheit der arabischen Sprache des Korans gelten als so unübertroffen, dass sie in Staunen versetzt, „Anhänger wie Gegner begeistert, beglückt, erschüttert und entsetzt, jedenfalls bewegt, oft geradezu hypnotisiert, in Ekstase versetzt“7 . Im Koran selbst werden Dichter*innen und Poet*innen in verschiedenen Versen aufgefordert, sprachlich Gleiches hervorzubringen, um letztendlich zu konstatieren, dass dies nicht möglich ist:

„Sag: Wenn sich die Menschen und die Ğinn zusammentäten, um etwas beizubringen, was diesem Qur‘ān gleich wäre, sie brächten nicht seinesgleichen bei, auch wenn sie einander Beistand leisten würden.“ (al- Israʾ 17:88)8 .
 

In dieser aus muslimischer Sicht durch Menschen nicht hervorzubringenden Symbiose poetischer Form und inhaltlicher Klarheit der Offenbarung liegt das Wunder des Korans, iʿǧāz al- qurʾān. Die arabische Sprache wird dabei nicht als „heilig“ verstanden, sondern sie entfaltet sich im Koran in ihrer schönsten Komposition. „In keiner anderen Religion ist die Offenbarung mit der sprachlichen Form so eng verbunden wie im Islam. Sprache ist nicht nur das Medium, durch das der Verkünder verkündet, sondern sie ist auch ein erheblicher Teil der Offenbarung. Sie ist Authentizitätsbeweis der göttlichen Botschaft. Der Inhalt der Botschaft ist gebunden an seine sprachliche Form. Über die Form wird die Bedeutung der Offenbarung erschlossen.“9  Die Form von der Bedeutung zu trennen, bedeutet demnach, das spirituelle Erleben und das inhaltliche Verständnis des Korans einzuschränken und damit auch das Verständnis der Art und Weise, wie er über Jahrhunderte seine Hörer*innen und Leser*innen berührt hat. Vor dem Hintergrund dieser Bedeutung analysierten muslimische Gelehrte in ihren Interpretationen des Korans (tafsīr) inhaltliche wie ästhetische Dimensionen der arabischen Sprache. Zusätzlich wurden Rezitationsregeln (tağwīd) des Korans studiert, bedeuteten doch unsauber artikulierte arabische Buchstaben oder unpassende Lesepausen schon inhaltliche Unterschiede.


Die Übersetzung

Mit Blick auf den Religionsunterricht muss demzufolge die Frage gestellt werden: Wie kann der Koran den Schüler*innen zugänglich gemacht werden, die die arabische Sprache nicht beherrschen? Eine Übersetzung, genauer gesagt Übertragung, des Korans beinhaltet das Problem, dass die Mehrdeutigkeit vieler Verse verengt wird. Die Übertragung bedeutet eine Festlegung auf Wörter, die nur annähernd wiedergeben können, was das Original aussagt. „Eine Übersetzung ist dagegen immer disambiguierend. Wenn nun die Ambiguität des Textes als dessen wesenhafter Bestandteil betrachtet wird, bleibt in der Übersetzung in der Tat nur ein Text übrig, der um wichtige Dimensionen reduziert wird.“10

Deshalb gilt die arabische Sprache des Korans den Muslimen als kaum übersetzbar, die über dreißig11  sehr verschiedenen Koran-Übertragungen allein in die deutsche Sprache verdeutlichen das.


Die ästhetische Dimension

Ein zweites Problem bei der Übertragung des Korans ist, dass seine ästhetische Dimension verloren geht. Der Koran ist ursprünglich mündlich in Form emotionaler, poetischer Rezitationen vorgetragen und weitergegeben worden. Viele Muslim*innen lernen bis heute, ihn auf schöne Art vorzutragen und sind ergriffen, wenn sie Koranrezitationen hören, unabhängig davon, ob sie den Text verstehen.

„What is impossible to convey when translating these verses is the way their sound when recited accords so well with their meaning. […] Those who appreciate music know that it can be meaningful without lyrics; many would even say that music can transmit meaning that cannot be signified with words. The Qur`an is not music, however, when it is recited, it can have a similar aural impact.“12

Schüler*innen geht diese emotionale, ästhetische Dimension des Korans verloren, wenn sie die arabische Sprache nicht beherrschen, was in den seltensten Fällen der Fall ist, es sei denn, es ist ihre Muttersprache.


Die Zeit der Offenbarung

Auch wenn der Koran in seiner Bedeutung als universell gültig verstanden wird, so gibt es doch einen historischen Offenbarungskontext, der für das Verständnis der Verse von Bedeutung ist. Für Schüler*innen (und auch für Erwachsene) ist die Zeit der Offenbarung kaum vorstellbar, sie können sich nicht in die damaligen gesellschaftlichen, ökonomischen, sozialen und klimatischen Verhältnisse hineinversetzen. Ihre Lebensumstände, aber auch ihre Mentalitäten oder Lebensanschauungen sind grundsätzlich verschieden von denen der Ersthörenden der Offenbarung.13

Die genannten Besonderheiten der Beschäftigung mit dem Koran können nicht alle im islamischen Religionsunterricht aufgelöst werden. Dies kann nur unter Einbezug auch anderer Lernorte wie Moscheen oder religiöser Bildungsinstitutionen geschehen. Dennoch müssen Lehrkräfte diese Aspekte bei der Planung und Durchführung ihres Unterrichts berücksichtigen. Es ist ihre Aufgabe, eine wechselseitige Erschließung zwischen dem Text der Offenbarung und den Lebenswelten ihrer Schüler*innen zu ermöglichen, auch, den Koran als spirituelle Quelle sichtbar zu machen.

Die Begegnung mit dem Koran im Religionsunterricht kann auf unterschiedliche Weise geschehen:


Der reflexiv-intellektuelle Zugang

Um Aussagen aus dem Koran deuten und sich dazu in Beziehung setzen zu können, ist es notwendig, fachgerecht mit konkreten Versen aus dem Koran im Unterricht zu arbeiten.

Im Koran heißt es „(Dies ist) ein gesegnetes Buch, das Wir zu dir hinabgesandt haben, damit sie über seine Zeichen nachsinnen [layaddabbaru] und damit diejenigen bedenken, die Verstand besitzen.“ (Ṣād 38:29). Der Begriff Tadabbur beschreibt im koranischen Gebrauch das tiefe Nachsinnen über den Koran, einzelne Verse und ihre Bedeutungen. Die Verse zu lesen und zu rezitieren, reicht nicht aus, um ihre tiefe Bedeutung zu erfassen. Tadabbur beschreibt ein Innehalten im konzentrierten Nachdenken über die Aussage eines Verses oder Begriffes: die Auswahl der Wörter verstehen und ihre Bedeutung(en) erfassen; Wortgruppen entschlüsseln und Parallelen zu vorhandenem Wissen ziehen; die Aussagen eines Verses in Verbindung mit den Konsequenzen für das eigene Handeln zu reflektieren. Abgeleitet von dem oben genannten Vers, kann man die Methode, mit der die Schüler*innen einen koranischen Text analysieren, Tadabbur-Methode14  nennen. Sie ist eine Methode der Texterschließung, die verdeutlichen soll, dass sich koranische Texte mit einer strukturierten Vorgehensweise besser erschließen lassen. Schüler*innen verstehen in ihrer Anwendung auch, dass man nicht ohne Weiteres Gebote und Verbote aus dem Koran ableiten kann, sondern Zusammenhänge und Kontexte beachten muss.15 

Als Hilfen für diese tiefere Auseinandersetzung mit den entsprechenden Koranversen dienen:

•    unterschiedliche Übersetzungen, die ein Bedeutungsspektrum sichtbar werden lassen,
•    andere Koranverse („Koran erklärt Koran“),
•    Hadithe zu dem Themenspektrum,
•    ein oder mehrere klassische Korankommentare (tafsīr) von Gelehrten, die die einzelnen Verse interpretiert und in Zusammenhänge gesetzt haben.
 

Die Tadabbur-Methode geht von einer kleinschrittigen Umgangsweise mit dem Text aus und lässt sich mit folgenden Schritten darstellen:

1.    Korantext (Verse) aufmerksam lesen, Schlüsselwörter markieren,
2.    mögliche Fragen an den Korantext notieren,
3.    Fragen strukturieren in inhaltliche Fragen und Verständnisfragen,
4.    Studium von zusätzlichem Textmaterial,
5.    Diskussion/Austausch möglicher Antworten auf die Fragen,
6.    Bedeutung des Textes mit eigenen Worten zusammenfassen,
7.    Bedeutung des Korantextes für das eigene Leben und Handeln erschließen.
 

Umfang und Abstraktionsgrad der zusätzlichen durch die Lehrkraft zur Verfügung gestellten Textmaterialien (Punkt 4) ist abhängig von der Lernausgangslage der Schüler*innen. Diese wird nicht nur durch deren Alter definiert, sondern auch durch Vorwissen und religiöse Heterogenität. Die einzelnen Schritte der Tadabbur-Methode erkennen die aktive Rolle der Schüler*innen bei der Sinnerschließung der Koranverse an und lassen ihnen Raum für eigene Interpretationen, die sich vor dem Hintergrund von wissensbasiertem, strukturiertem Textmaterial entfalten können. Damit kann sie einen Mittelweg darstellen „nämlich eine methodische Annäherung (…). Die zwar den Subjekten für ihre individuelle und gemeinschaftliche Reflexion mit dem Koran Raum einräumt, dies jedoch gleichzeitig an bestimmte Richtlinien bindet, um den Ansprüchen des Textes gerecht zu werden.“16 


Der emotional-ästhetische Zugang

Das Hören des Korans ist eine spirituelle Handlung. Am Lernort Schule kann diese Dimension von Religiosität sicherlich nur ansatzweise entfaltet werden, aber sie kann durch entsprechende Unterrichtsarrangements sichtbar gemacht werden. Die Lesungen des Korans durch verschiedene Rezitator*innen klingen sehr unterschiedlich und sind dementsprechend auch unterschiedlich berührend.

Möglichkeiten, einen Zugang zum Hören des Korans zu schaffen, können exemplarisch sein:

•    die Sure al-Fātiḥa (die bekannteste Sure des Korans) oder andere kleine, bekannte Suren von verschiedenen Rezitator*innen vortragen und auf sich wirken lassen17 ,
•    das Koran-Hören in einer Stilleübung anwenden,
•    den Gebetsruf von verschiedenen Menschen (verschiedener Zeiten und Kulturen) vergleichen,
•    Menschen befragen, wann und warum sie den Koran hören und welche Wirkung er auf sie hat.

Auch die Beschäftigung mit der arabischen Sprache kann eine spirituelle Handlung darstellen. Aus ihr hat sich die Kalligrafie entwickelt, bei der arabische Buchstaben in künstlerischer Weise dargestellt werden. Daraus hat sich dann auch die Ornamentik entwickelt, deren Muster keinen Anfang und kein Ende haben und damit an eine der Wesenseigenschaften Gottes erinnern.

Folgende Beispiele zeigen Möglichkeiten, sich mit der geschriebenen arabischen Sprache aus dem Koran zu beschäftigen:

•    die arabische Schreibweise von Allah im Koran entdecken und nachzeichnen,
•    Verzierungen/Verse aus dem Koran in Moscheen (als außerschulischem Lernort) entdecken,
•    kalligrafische Darstellungen von Schlüsselbegriffen aus dem Koran vergleichen oder entschlüsseln,
•    arabische Schriftzeichen in Ornamenten entdecken,
•    Elemente aus Kalligrafie und Ornamentik nachgestalten18 .


Der Umgang mit dem Koran im Religionsunterricht

Beide Zugänge werden durch einen bewusst respektvollen Umgang mit dem Koran im Unterricht verstärkt. Unter Muslim*innen ist es üblich, die rituelle Waschung zu vollziehen, bevor sie den Koran (muṣḥaf) berühren. Für die Koranexemplare, die Erläuterungen zum Korantext oder eine anderssprachige Übersetzung enthalten, ist dies nicht notwendig. Diese Exemplare werden auch im islamischen Religionsunterricht benutzt. Es ist sicherlich sinnvoll, einen ethischen Umgang mit dem Koran auch im Unterricht zu praktizieren, denn er ist für Muslim*innen eben nicht nur intellektuelles Material, welches es zu durchdringen gilt, sondern auch die Botschaft des Einen an die Menschen. Auch wenn es keiner rituellen Waschung für die übersetzen Exemplare bedarf, so können Schüler*innen sich in Anlehnung an sie vor der Nutzung die Hände waschen, ihn nicht auf Stühlen oder dem Boden ablegen, sondern nur auf einem sauberen Platz des Tisches und ihn sorgfältig behandeln.


Den Koran reflektieren mit der Tadabbur-Methode –
Ein konkretes Unterrichtsbeispiel

Im Rahmen der Leitfrage „Nach der Verantwortung des Menschen in der Welt und der Gesellschaft fragen“ des KCs des Sek I lautet eine inhaltsbezogene Kompetenz für die Schuljahrgänge 9 und 10:

„Die Schülerinnen und Schüler stellen eine islamische Position zu ethischen Fragen dar und begründen ihren eigenen Standpunkt.“

Eine gegenwärtig viel diskutierte ethische Frage ist die nach dem individuellen Engagement für den Klimaschutz. Ist es für Menschen eine Verpflichtung, ihr Leben zu ändern, um klimatische Veränderungen zu bremsen? Muss man sich an Bewegungen wie Fridays for Future beteiligen oder nicht? Sollte man vegan leben und konsequent auf Fleischgenuss verzichten? Ist Engagement für den Klimaschutz auch ein Gottesdienst? Vor dem Hintergrund dieser umrissenen Anforderungssituation ist es notwendig, sich auch mit Aussagen aus dem Koran zu beschäftigen, die die Aufgabe des Menschen in der Welt definieren oder umschreiben. Mit der Tadabbur-Methode analysieren die Schüler*innen in den vorgegeben, oben beschriebenen Schritten von 1 bis 7 einen ausgewählten Vers.


Erster Schritt

Im ersten Schritt lesen sie den Koranvers und markieren entsprechende Schlüsselwörter:

„Er ist es, der die Erde zu einer Wiege für euch gemacht hat und für euch darauf Wege (des Lebensunterhalts) vorgezeichnet hat und (der) Wasser vom Himmel herabsendet: und dadurch bringen Wir verschiedene Arten von Pflanzen hervor. Esst (denn von diesen Erzeugnissen des Bodens) und weidet euer Vieh (darauf). In all diesem, siehe, sind fürwahr Botschaften für jene, die mit Vernunft versehen sind.“19  (Ta Ha 20:53-54)


Zweiter Schritt

Im zweiten Schritt notieren sie Fragen, die mit dem Vers verbunden sein könnten, wie zum Beispiel:

•    Was bedeutet „die Erde zu einer Wiege machen”?
•    Was bedeutet „Lebensunterhalt”?
•    Welche Botschaften sind damit gemeint?
 

Dritter Schritt

Im dritten Schritt werden einfache Verständnisfragen im Austausch geklärt, wie zum Beispiel:

„Was bedeutet Lebensunterhalt?“
 

Vierter Schritt

Im vierten Schritt setzen sich die Schülerinnen und Schüler mit zusätzlichem Textmaterial auseinander. Dazu vergleichen sie zwei weitere Übersetzungen des Koranverses:
 

Übersetzung von Bubenheim & Elyas:20
„(Er ist es,) Der euch die Erde zu einer Lagerstatt gemacht und für euch auf ihr Wege sich hinziehen und vom Himmel Wasser herabkommen läßt, womit Wir dann Arten verschiedener Gewächse hervorbringen. Eßt und weidet euer Vieh. Darin sind wahrlich Zeichen für Leute von Verstand.“ (Ta Ha 20:53-54)

Übersetzung von Mahir:21
„Er ist es, Der euch die Erde ebnete, euch dort Wege bahnte und Wasser aus den Wolken am Himmel regnen lässt. Und damit lassen wir verschiedenartige Pflanzen paarweise gedeihen. Esst davon und lasst euer Vieh weiden! Darin liegen Zeichen für Menschen, die denken können.“ (Ta Ha 20:53-54)

Des Weiteren werden andere Koranverse herangezogen, die diesen Koranvers näher erklären, sozusagen nach dem Prinzip „Koran erklärt Koran“. Dazu werden die Koranverse (ar-Rad 13:3), (al-Anam 6:141) und (al-Baqara 2:30)22  analysiert:

„Und Er ist es, der die Erde weit ausgebreitet hat und feste Berge und Wasserläufe auf sie gesetzt hat und darauf zwei Geschlechter von jeder (Art von) Pflanzen erschaffen hat. (Und Er ist es, der) die Nacht den Tag bedecken lässt. Wahrlich, in all diesem sind fürwahr Botschaften für Leute, die denken!“ (ar-Rad 13:3)

„Denn Er ist es, der Gärten ins Dasein gebracht hat – (sowohl) die bebauten (als auch) die wildwachsenden und die Dattelpalme und Felder mit vielgestaltigem Ertrag und den Olivenbaum und den Granatapfel: (alle) einander ähnlich und doch so verschieden! Eßt von ihrer Frucht, wenn sie Früchte tragen, und gebt (den Armen) ihren gebührenden Anteil am Erntetag. Und verschwendet nicht (Gottes Wohltaten): Wahrlich, Er liebt nicht die Verschwender!“ (al-Anam 6:141)

„Und als dein Herr zu den Engeln sprach: „Ich werde auf der Erde einen Nachfolger (Khalīfa) einsetzen.“
(Sie sagten: „Willst Du auf ihr einen einsetzen, der auf ihr Unheil stiftet und Blut vergießt, während wir dein Lob singen und deine Heiligkeit rühmen?“ Er sprach: „Ich weiß, was ihr nicht wisst.“) (al-Baqara 2:30)

Während die beiden Verse (ar-Rad 13:3) und (al-Anam 6:141) durch die Schüler*innen selbständig erschlossen werden können, benötigt man für Vers (al-Baqara 2:30) weitere Erläuterungen. Im Sinne der didaktischen Reduktion liegt der Fokus der Erarbeitung nur auf dem ersten Satz und dem Schlüsselbegriff des Khalīfa, der sich auf den Menschen und seine Aufgabe in der Welt bezieht. Aus dem Korankommentar von Tabari23 , einem bedeutenden Historiker und Gelehrten des 9. Jahrhunderts lässt sich unter anderem sinngemäß die folgende Interpretation von Khalīfa folgern:

Khalīfa leitet sich vom Verb khalafa ab, was bedeutet „einem anderen nachfolgen“. Ein Khalīfa ist jemand, dem die Erde in Beisitz gegeben wird und der sie verantwortlich verwaltet.
Als ein Khalīfa soll der Mensch nach dem Willen Allahs entsprechend handeln und gerecht urteilen.
 

Fünfter Schritt

Im fünften Schritt tauschen die Schüler*innen Antwortmöglichkeiten zu ihren formulierten Fragen aus.
 

Sechster Schritt

Dies bereitet Schritt sechs vor, in dem sie dann mit eigenen Worten die Bedeutung des Koranverses (Ta Ha 20:53-54) erklären und zusammenfassen.
 

Siebenter Schritt

Im siebten Schritt setzen sie die Bedeutung der Aussage des Verses mit ihrem individuellen Handeln in Beziehung. Mit Bezug auf die Anforderungssituation bedeutet das, sich zu der ethischen Frage zu positionieren, inwieweit aktiver Klimaschutz zur Bewahrung der Schöpfung auch ein zutiefst religiöses Handeln im Sinne eines Gottesdienstes sein kann und welche Handlungsoptionen sich für jeden einzelnen konkret daraus ableiten lassen.

Die einzelnen Schritte der Tadabbur-Methode durchzugehen erscheint mühsam, sie wirken aber einer Profanisierung des Korans entgegen und schärfen die Sensibilität im Umgang mit dem Text.


Kriterien für die Auswahl an Koranversen

•    Ausgehend von den Lebenswelten der Schüler*innen sollten die Koranverse, die für die Erarbeitung im Unterricht ausgesucht werden, ermöglichen, Anforderungssituationen zu erschließen, die die Relevanz von Religion in ihrem Leben sichtbar machen.
•    Da viele Schüler*innen des islamischen Religionsunterrichts eine weitere Sprache sprechen und Deutsch nicht ihre Muttersprache, aber gemeinsame Unterrichtssprache ist, sollten die verwendeten Koranverse sprachlich leicht erschließbar sein.
•    Es ist Aufgabe der Lehrkräfte, die Zeit der Herabsendung oder ggf. Herabsendungsanlässe altersangemessen zu thematisieren, um ein umfassenderes historisches Verständnis zu ermöglichen.
•    Das zusätzliche Textmaterial soll das „In-Beziehung-Setzen“ des*der Schüler*in mit dem Text erleichtern, deshalb muss es für die entsprechende Lerngruppe angemessen aufbereitet werden, indem zum Beispiel Korankommentare sprachlich zugänglicher formuliert werden.
•    Die Analyse exemplarisch ausgewählter arabischer Schlüsselwörter zeigt auf, welche Vielfalt an Bedeutungen durch die arabischen Begriffe transportiert werden kann, die in den Übersetzungen möglicherweise verloren gegangen sind.
•    Im Unterricht sollte mit mehreren Übersetzungsangeboten des Korans gearbeitet werden, um Vielfalt und Ambiguität sichtbar werden zu lassen.

Niemand geringerer als Gott ist für Muslim*innen der Erste, der sie etwas lehrt – inhaltlich erfassbar im Koran als Rede Gottes an die Menschen (kalām Allah). Die ersten Worte der Offenbarung sind bemerkenswert: „Lies im Namen deines Herrn, Der erschaffen hat“, (al- ʿAlaq 96:1-5). Das Wort Lies geht auf das arabische Wort ʾiqra zurück, es ist das erste Wort, das Gott an die Menschen offenbart. Noch genauer wird es mit rezitiere bzw. trage vor übertragen. Aus demselben arabischen Grundwort leitet sich so auch die grundlegende Bezeichnung für die Rede Gottes ab: al- Qur‘ān: die Rezitation, der Vortrag oder das oft zu lesende Buch24 .25 Es gilt daher, mit Hilfe entsprechender Methoden Schüler*innen zu ermutigen, den Koran zu lesen, um in ihm Weisheiten zu entdecken oder ihn zu hören, um sich berühren zu lassen.   


Anmerkungen

  1. Sallallāhu ‘alayhi wa sallam / Allahs Friede und Segen sei mit ihm. Es ist bei Muslim*innen üblich, bei der Erwähnung des Namens des Propheten diesen Segensspruch auszusprechen. Aus Gründen der Lesbarkeit wird der Segensspruch nur an dieser Stelle explizit aufgeführt.
  2. Suren sind Abschnitte oder Kapitel des Korans, insgesamt gibt es 114 Suren. Die Suren bestehen aus Versen, die nummeriert sind.
  3. Hadithe sind Überlieferungen über Aussagen, Haltungen und Handlungen des Propheten Muhammad.
  4. Vgl. Niedersächsisches Kultusministerium, KC Sek I Islamische Religion, 15.
  5. Vgl. a.a.O., 20–21.
  6. Die Ausführungen der folgenden Unterkapitel sind eine Zusammenfassung aus: Abdel-Rahman, Kompetenzorientierung im islamischen Religionsunterricht, 208-211.
  7. Kermani, Gott ist schön, 15.
  8. In diesem Artikel werden die Suren mit Namen und Nummer genannt, dann folgt die Nummer des Verses.
  9. Selmani, Sprache und Offenbarung. Zur Rolle des Arabischen im Islam, 109f.
  10. Bauer, Die Kultur der Ambiguität, 140.
  11. Vgl. die Aufzählungen hier: Aslan, Deutsche Koranübersetzungen (chronologische Bibliografie).
  12. Mattson, The Story of the Qur’an: its history and place in Muslim life, 34.
  13. Vgl. Cavis, Den Koran verstehen lernen, 151.
  14. Vgl. bislang unveröffentlichtes Unterrichtsmaterial einer Workshopreihe, bei der mit der Tadabbur-Methode gearbeitet wurde: Abdel-Rahman/Klausing, Khalifa-fi-l-Ard – Welche Aufgabe hat der Mensch in der Schöpfung? (Modul 8), unveröffentlichtes Arbeitsmaterial, 3.
  15. Michael Kiefer hat dafür den treffenden Begriff „Lego-Islam“ benutzt: Kiefer, Studie Lego-Islam.
  16. Cavis, Den Koran verstehen lernen,175.
  17. Auf der folgenden Seite kann der Koran in verschiedenen Sprachen gelesen und durch eine Vielzahl an Rezitator*innen gehört werden: https://tanzil.net/#1:1 (27.09.2022).
  18. Für den islamischen Religionsunterricht gibt es eine ausgearbeitete Unterrichtssequenz zum Schwerpunkt „Islamische Kunst“: Niedersächsisches Kultusministerium: Materialien für einen kompetenzorientierten Unterricht in den Jahrgängen 7-8, 49–57.
  19. Asad, Die Botschaft des Koran.
  20. Bubenheim/Elyas, Der edle Qur’ān und die Übersetzung seiner Bedeutungen in die deutsche Sprache.
  21. Māhir, Sinngemäße deutsche Übersetzung des heiligen Koran Arabisch - Deutsch.
  22. Alle drei Verse sind der folgenden Übersetzung entnommen: Asad, Die Botschaft des Koran. Übersetzung und Kommentar.
  23. Vgl. Al-Ţabarıī, The commentary on the Qur‘ān, 208ff.
  24. Andere Namen für den Koran sind zum Beispiel al- Furqān (die Unterscheidung) oder auch al- Hudā (die Rechtleitung).
  25. Vgl. Abdel-Rahman: Kompetenzorientierung im islamischen Religionsunterricht, 200-201.

 

Literatur

  • Abdel-Rahman, Annett: Kompetenzorientierung im islamischen Religionsunterricht. Eine Analyse ausgewählter Curricula als Beitrag zur Fachdidaktik des islamischen Religionsunterrichts, Osnabrücker Islamstudien 2022
  • Abdel-Rahman, Annett und Kathrin Klausing: „Khalifa-fi-l-Ard – Welche Aufgabe hat der Mensch in der Schöpfung? (Modul 8)“, Hannover 2018 („Radikal nett und engagiert“ Workshopreihe für MINA e.V. – Muslimisches Frauenbildungszentrum), 1-15 unveröffentlichtes Arbeitsmaterial
  • Al-Ţabarıī, Abū Jaʻfar Muḥammad B. Jarı̄r: The commentary on the Qurʼān, übers. von. J. Cooper, W. F. Madelung und A. Jones, Repr Aufl., Oxford 1989
  • Asad, Muhammad: Die Botschaft des Koran. Übersetzung und Kommentar, 2. Aufl. Ostfildern 2011
  • Aslan, Serdar: „Deutsche Koranübersetzungen (chronologische Bibliographie)“, in: islam-akademie.de, www.islam-akademie.de/islamwissen schaften/koranuebersetzung/156-deutsche-koranuebersetzungen-chronologische-bibliogra phie (13.04.2021).
  • Bauer, Thomas: Die Kultur der Ambiguität. Eine andere Geschichte des Islams, Berlin 2011
  • Bubenheim, Abdullah Frank und Nadeem Ata Elyas: Der edle Qur’ān und die Übersetzung seiner Bedeutungen in die deutsche Sprache, al-Madīna al-Munauwara: König-Fahd-Komplex zum Druck vom Qur’ān 2009
  • Cavis, Fatima: Den Koran verstehen lernen. Perspektiven für die hermeneutisch-theologische Grundlegung einer subjektorientierten und kontextbezogenen Korandidaktik, Paderborn 2021
  • Kermani, Navid: Gott ist schön. Das ästhetische Erleben des Koran, München 2011
  • Kiefer, Michael: Studie Lego-Islam. „Sie besuchen keine Moschee, sondern gründen ihre eigene.“, in: IslamiQ - Nachrichten- und Debattenmagazin (10.12.2017), www.islamiq.de/2017/12/10/sie-besuchen-keine-moschee-sondern-gruenden-ihre-eigene (28.09.2022)
  • Māhir, Mușțafā: Sinngemäße deutsche Übersetzung des heiligen Koran Arabisch – Deutsch, 2. Aufl., Kairo 2007
  • Mattson, Ingrid: The Story of the Qur’an: its history and place in Muslim life, Oxford: Wiley-Blackwell 2013
  • Niedersächsisches Kultusministerium (Hg.): Kerncurriculum für die Schulformen des Sekundarbereichs I Schuljahrgänge 5-10 Islamische Religion, Hannover 2014
  • Niedersächsisches Kultusministerium (Hg.): Islamische Religion. Materialien für einen kompetenzorientierten Unterricht in den Jahrgängen 7-8, Hannover 2017
  • Selmani, Lirim: „Sprache und Offenbarung. Zur Rolle des Arabischen im Islam“, in: Lasch, Alexander/ Wolf-Andreas Liebert (Hg.): Handbuch Sprache und Religion, Bd. 18, Berlin/Boston 2017, 109-153