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#hopesongs – der Sound der Zukunft

Von Michaela Veit-Engelmann


Hopesongs im Religionsunterricht – warum eigentlich?

Wovon träume ich? Und wohin träume ich mich? Schüler*innen verschiedener Altersstufen erzählen davon, dass Popsongs ihnen Welten öffnen und Orte erschließen, die ihnen sonst vielleicht verborgen geblieben wären. Musik und Klang können Emotionen freisetzen; Schüler*innen trauen sich, im Mitsingen der Texte und Mitfühlen des Rhythmus ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen. Musik weckt Sehnsucht – und ist selbst ein Ort, um der Sehnsucht Raum zu bieten.


Didaktische Überlegungen

Es mag eine Binsenweisheit sein, dass theologische Themen nicht nur in theologischen Texten zu finden sind – doch diese Binsenweisheit gilt es, für den Religionsunterricht fruchtbar zu machen. Viele Popsongs überraschen mit einer inhaltlichen und theologischen Tiefe, die die Lehrkraft als unbedarfte Hörerin vielleicht gar nicht erwartet hätte. Sänger*innen und Bands wie Adel Tawil, Sido, Silbermond, Kon tra K, Bosse oder Marteria – sie alle haben sich ihre eigenen Gedanken dazu gemacht, welche Zukunft sie haben wollen, worauf sie hoffen und wonach sie sich sehnen können – und dabei durchaus nicht mit religiösen Anspielungen und Anklängen gespart. Die hier vorgestellte Unterrichtsidee präsentiert deshalb unter dem Titel „#hopesongs – der Sound der Zukunft” kreative Möglichkeiten, wie die Sehnsüchte der Schüler*innen, moderne Popsongs und ein altes biblisches Hoffnungslied miteinander ins Gespräch gebracht werden können.1 

Die (nahe oder ferne) Zukunft beschäftigt Schüler*innen aller Altersstufen: Die Zukunft – das unbekannte Land. Und so fragen sie sich: Wo, wie und mit wem werden sie leben, welchen Beruf werden sie ergreifen? Eng verknüpft mit solchen individuellen Vorstellungen ist die globale Zukunft: Wird die Menschheit die Katastrophen in den Griff bekommen oder wird sie sich selbst zugrunde richten? Ängstliche Befürchtungen und hoffnungsvolle Erwartungen wechseln einander ab. Auch die Kerncurricula beziehungsweise die Rahmenrichtlinien Evangelische Religion verordnen die Frage nach der Gestaltung der (eigenen) Zukunft deshalb im Religionsunterricht und setzen dabei je eigene Akzente. Sich diesem Thema mithilfe von Popsongs zu nähern, bietet sich geradezu an. Vielfach sind die Schüler*innen selbst überrascht von dem, was in „ihrer“ Musik inhaltlich drinsteckt. Sie geben zu, selten so genau hingehört zu haben, wenn es um die Texte geht; der Aha-Effekt ist also garantiert. Wichtig ist allerdings, die Äußerungen, die in den Popsongs laut werden, als Stimmen im Chor der Meinungen und Positionen ernst zu nehmen – und sie nicht nur als Einstieg für die eigentlich zu vermittelnde Botschaft zu verwenden.

Umgekehrt gilt: Wenn Liedtexte und ein Bibeltext in einen fruchtbaren Dialog miteinander treten sollen, gilt es auf die Gleichwertigkeit der Methoden zu achten: Moderne und biblische Texte müssen sich auf Augenhöhe begegnen. Das ist allerdings gar nicht so einfach, wenn sich ein unter Einsatz der technischen Möglichkeiten des 21. Jahrhunderts produzierter Song und ein Bibeltext gegenüberstehen!


#hopesongs – Zum Ablauf der Unterrichtseinheit

Die im Folgenden beschriebene Unterrichtseinheit ist angelegt auf circa vier Unterrichtsstunden, kann aber durch die Einbettung in einen größeren unterrichtlichen Kontext Teil eines umfangreicheren Themenkomplexes werden.

Die Einheit „#hopesongs” spannt einen weiten Bogen von einer persönlich-individuellen Annäherung an das Thema „Zukunft“ über die Beschäftigung einer biblischen Utopie (Jes 65 in Auszügen) sowie die Auseinandersetzung mit modernen Zukunftsvisionen, wie sie sich in den ausgewählten Popsongs finden, bis hin zu einem offenen Abschluss. Bewährt hat sich der folgende methodische Fünfschritt:


1. „MEINE ZUKUNFT“ – TALKBOX

Der Einstieg in diese Einheit ist bewusst offen konzipiert und in Anlehnung an die Methode Think-Pair-Share gestaltet: Jede*r Schüler*in erhält als Impuls für die individuelle Beschäftigung mit dem Thema „Zukunft“ eine Karte mit einer offenen Frage, die zum Nachdenken anregt (M 1). Nachdem er*sie sich selbst Gedanken dazu gemacht hat, tauscht er*sie sich mit einem*einer Mitschüler*in über die jeweilige Frage aus. In einem dritten Schritt erfolgt dann die Präsentation dieses Nachdenkens im Plenum; allerdings nicht als ausdrückliche Wiederholung von Frage und Antwort, sondern unter der offeneren Leitfrage „Über welche Themen habt ihr eben in eurer Zweiergruppe gesprochen?“ Die Antworten werden von der Lehrkraft als Stichworte an der Tafel gesammelt.

Dauer ca. 20 Minuten.


2. EIN URALTER „HOPESONG“ – DIE VISION DES PROPHETEN JESAJA

An den offenen Einstieg in das Thema der Einheit schließt sich die gemeinsame Lektüre von Jes 65 an (M 2), die die Lehrkraft einleitet mit dem Hinweis, dass es sich hierbei um eine uralte Zukunftsvision handele. Nach der Klärung von Verständnisfragen erfolgt ein Gespräch im Plenum über den Bibeltext. Leitfragen können dabei sein: Zu welchen Themen äußert sich der Bibeltext? Was erwartet der Prophet Jesaja, und wer wird diese Erwartung verwirklichen? Worauf richtet sich die Hoffnung von Jesaja – auf das Diesseits oder das Jenseits? Was verrät der Text über die Situation, in der er geschrieben wurde?

Zur Sicherung der Ergebnisse dieses Gesprächs bietet sich die Erstellung einer Mindmap rund um Jes 65 und die diskutierten Fragen an – dies sollte allerdings möglichst auf einer zweiten Tafel geschehen, so dass die als Ergebnis der Talk-Box-Runde notierten Stichworte weiterhin sichtbar bleiben.

Dauer: 20 Minuten (falls Schüler*innen die Mindmap in ihre Religionsmappe übernehmen sollen, entsprechend länger).

Informationen für Lehrkräfte zu Jes 65 in Auszügen

Wer Jes 65 liest, kann sich der Faszination dieses Textes oft nur schwer entziehen. Der*die Leser*in wird mit hineingenommen in den Gegensatz zwischen der gegenwärtigen Not und dem zukünftigen Heil und der Hoffnung auf die Erfüllung dieses Heils durch Gott. „Siehe, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen“, so übersetzt Luther diese Gottesrede – gemeint ist keine Neuschöpfung jenseits der irdischen Lebensgestaltung, sondern ein Neuwerden auf dieser Erde: Der Tierfrieden deutet an, wie wunderbar das sein wird – doch zugleich bleibt dieses Leben ganz dem verhaftet, wie es auch jetzt auf Erden ist: Die Menschen werden auch in dieser neuen Welt sterben, doch erst nach einem langen und erfüllten Leben, alt und lebenssatt. In dieser Welt soll die eigene Arbeit nicht vergeblich sein. Jede*r darf das ernten, was er*sie selbst gesät hat. Kann man besser ausdrücken, dass es hier grundsätzlich um Gerechtigkeit geht? Doch das Allerwichtigste ist das Heil-Sein der Beziehung zwischen Gott und Menschen – wenn der Eine schon weiß, was die Andere sagen will: „Und es soll geschehen: Ehe sie rufen, will ich antworten; wenn sie noch reden, will ich hören.“

Jes 65 galt lange als Teil des sogenannten Tritojesajabuches, d.h. des nach Protojesaja (Jes 1–39) und Deuterojesaja (Jes 40–55) dritten Teils des großen Prophetenbuches. Doch ist die Wissenschaft heute wieder vorsichtiger geworden, was die definitive Scheidung von Jes 40–55 und Jes 56–66 in zwei verschiedene Bücher angeht. Heute geht man eher davon aus, dass die letzten Kapitel des Jesajabuches die Heilsbotschaft des Deuterojesaja unter verändertem Vorzeichen weiterschreiben: Das, was Deuterojesaja geweissagt hatte, trat nicht so unmittelbar ein wie erhofft – man spricht hier von einer Heilsverzögerung. Vermutlich zielen diese Texte und damit eben auch Jes 65 hinein in die Zeit nach dem Ende des Babylonischen Exils 539 v. Chr., als die Israeliten in ihr Land zurückkehren durften und dort vor der großen Herausforderung standen, ihr Leben neu zu ordnen.


3. MODERNE POPSONGS – DER SOUND DER ZUKUNFT

Ein Vergleich zwischen dem Jesaja-Text und den in der Talk-Box-Runde genannten Stichworten zeigt, dass viele der Themen, die die Schü ler*innen genannt haben, bereits zur Zeit des Propheten Jesaja aktuell waren. Diese Erkenntnis kann die Lehrkraft als Überleitung zur Beschäftigung mit den modernen Popsongs nutzen. Das bisherige Tafelbild wird um die Titel und Interpreten ergänzt, mit denen die Schüler*innen sich im Folgenden beschäftigen sollen (möglichst als Ausdrucke auf buntem Papier). Eine Liste mit den hier vorgeschlagenen Liedern ist als M 3 im Downloadbereich zu finden.

In Kleingruppen beschäftigen sich die Schü ler*innen nun mit einem ausgewählten Popsong. Ihre Aufgabe ist es, den Text des Popsongs und den Text des biblischen Hoffnungsliedes aus dem Jesajabuch miteinander ins Gespräch zu bringen. Dafür wird die Methode des Texttheaters gewählt; diese ist der Klasse im besten Fall bereits bekannt, kann aber sonst auch im Rahmen dieser Einheit eingeführt werden.

Informationen für Lehrkräfte zur Methode Texttheater

Ziel der Methode „Texttheater“ ist es, einen Text bzw. ausgewählte Teile eines Textes zu in s zenieren, so dass die zentralen Inhalte deutlich werden. Dies geschieht, indem der Text durch die Art seines Vortrags interpretiert wird. Einzelne Textteile und Sätze können laut oder leise, ängstlich oder wütend, langsam oder schnell vorgetragen werden. Wichtig ist: Wiederholungen, Umstellungen, Auslassungen sind ausdrücklich erlaubt – hier sind der Phantasie kaum Grenzen gesetzt! (Allerdings: Es dürfen nur Wörter verwendet werden, die im Text selbst vorkommen – Hinzufügungen sind nicht zulässig!)

Die Schüler*innen sind aufgefordert, die aus ihrer Sicht zentralen Textelemente aus dem Bibeltext und dem Liedtext2  miteinander zu verknüpfen und daraus einen Textdialog entstehen zu lassen; hilfreich dafür sind Leitfragen und Anleitung zur Erstellung eines Texttheaters (M 4). Die Schüler*innen hören das Lied gemeinsam an (dass mindestens ein*e Schüler*in pro Gruppe über eine Smartphone verfügt, kann vorausgesetzt werden); dann erarbeiten sie die zentralen Inhalte und präsentieren hinterher ihr Texttheater als Ergebnis.

Dauer: mindestens 45 Minuten


4. #HOPESONGS – DER SOUND DER ZUKUNFT: PRÄSENTATION

Bei der abschließenden Präsentation sollte die Lehrkraft genügend Zeit einplanen, um die Lieder, um die es sich jeweils dreht, noch einmal mit der Klasse zu hören und auch die entsprechenden Videos zu schauen. Dabei ist auf die Qualität von Ton und Bild zu achten. Als fruchtbar erweist es sich, wenn die Schüler*innen im Plenum eine Interpretation des Originalsongs und des Videos versuchen, bevor die Kleingruppe ihr Texttheater präsentiert. Dies erleichtert den zuhörenden Schüler*innen dann auch das inhaltliche Verständnis der Präsentation sowie die Einordnung der Verbindung von Bibeltext und Liedtext. Letztere fördert oft überraschende und sehr nachdenklich stimmende Ergebnisse zutage:

„Ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen, spricht der Herr“ (Jes 65) – „Aber zu Hause ist da, wo meine Freunde sind!“ (Adel Tawil, Zuhause)
„Gib mir einfach nur ein bisschen Sicherheit!“ (
Silbermond, Irgendwas bleibt) – „Es sollen keine Kinder mehr da sein, die nur einige Tage leben, oder Alte, die ihre Jahre nicht erfüllen.“ (Jes 65)
Die Rückmeldungen der Klasse zu den Präsentationen stellen eine gute Möglichkeit dar, mit den Schüler*innen eine Feedback-Kultur einzuüben – sowohl in Bezug auf inhaltliche Rückmeldungen als auch für solche zur Präsentationsform.

Dauer: ca. 45 Minuten


5. MEIN AUSBLICK IN DIE ZUKUNFT

Am Ende steht die Erkenntnis: Die Themen, die schon den Propheten Jesaja umtrieben, sind immer noch aktuell. Dies kann sich die Lehrkraft zunutze machen, wenn sie die Schüler*innen noch einmal in eine abschließende – und gerade in ihrer Offenheit durchaus fruchtbare – Diskussion verwickelt. Denn ist es nicht eigentlich bitter, dass die Menschen noch immer von einer Zukunft träumen, die sich schon Jesaja vor 2.500 Jahren erhoffte? Dies impliziert auch die Frage, ob sich Menschsein nicht dadurch auszeichnet, dass Hoffnungen und Träume dazugehören. Meist gelangen die Schüler*innen selbst dazu, sich zu fragen, ob ein Mensch wirklich glücklich wäre, wenn er das, wovon er träumt, erreicht hat.

Dauer: ca. 20 Minuten


Anmerkungen

  1. Die Idee wurde als Workshop im Rahmen des „Schülerforums to go“ der Hannoverschen Landeskirche im Winter 2020 entwickelt und in mehreren verschiedenen Schulklassen der Jahrgänge 9 bis 13 durchgeführt. Die an späterer Stelle zitierten Antworten der Schüler*innen stammen aus diesen Workshops.
  2. Alle Liedtexte sind online abrufbar, u.a. über www.songtexte.de.