Meine Jugend in der DDR

von Tobias Richter

So erlebte ich, Jahrgang 68, die sozialistische Schule der 80er-Jahre


Die Konfirmation als Kontra zur Jugendweihe?

Ja, es war ein Glaubensbekenntnis, sich in der DDR konfirmieren zu lassen. Studien sagen, 98 Pro-zent der Jugendlichen gingen am Ende der 80er-Jahre zur Jugendweihe. Die staatlichen Repressalien waren so groß, dass fast alle Jugendlichen im 8. Schuljahr Jugendweihe als atheistisches Bekenntnis-ritual feierten, auch viele kirchlich gebundene Jugendliche. Wer sich traute und sich nicht vom staat-lichen Druck einschüchtern ließ, feierte ein Jahr später Konfirmation.

Ich selbst ging diesen Weg so, weil mein Elternhaus ebenso gespalten war. Während meine Mutter mich eher christlich erzog, war mein Vater in verantwortlicher beruflicher Position. Die Stelle eines Abteilungsleiters setzte die Parteimitgliedschaft voraus, und er war schon Ende der 70er aus der Kirche ausgetreten. Die Jugendweihe abzulehnen, hätte fast alle beruflichen Perspektiven verbaut: kein Abitur, kein Studienplatz, nur sehr unattraktive Ausbildungsberufe noch dazu die ständigen Demütigungen und Ausgrenzungen während der Schulzeit. Für einen derartigen Weg brauchte es ein sehr widerständiges und autarkes Elternhaus. Ich beneidete manchmal Kinder von kirchlichen Mitarbeiter*innen, die ihren Weg konsequent gehen konnten und nicht mit ihren Gewissenskonflikten allein waren. Ich löste für mich diesen Konflikt damit, dass ich das geforderte Gelöbnis zur Jugendweihe nicht mitsprach, (was natürlich bei 25 Schülern nicht wirklich auffiel) und die Feier mir nicht wichtig war. Umso schmerzhafter war es für mich ein Jahr später (es musste ein Jahr „Schamfrist“ zur Jugendweihe eingehalten werden), dass mein Vater zur Konfirmation selbst nicht mit anwesend war und der kleinen Feier, die meine Mutter organisiert hatte, fernblieb. Der politische Konformitätsdruck der DDR ging direkt durch unsere Familie. Das Bekenntnis zur Konfirmation mit fünf weiteren Jugendlichen sprach ich dann aus Überzeugung. Erwachsen werden in der DDR war geprägt von starken Identitätskonflikten.


Erziehung zu einer sozialistischen Persönlichkeit

„Die Erziehung zu einer sozialistischen Persönlichkeit“ war das Ziel der Volksbildung in der DDR und bestimmte die gesamte Schulzeit! Wie sich als junger Christ dazu verhalten?

In der sozialistischen Volksbildung waren konfirmierte Jugendliche die Rückwärtsgewandten: die, die noch an Gott glaubten, die die Evolution nicht verstanden und davon ausgingen, dass die Welt in sieben Tagen erschaffen wurde. Ich kann mich an Bloßstellungen und lächerlich machende Unterrichtsstunden in Biologie, Geschichte und Staatsbürgerkunde erinnern, wo wir als Christ*innen persönlich herausgefordert waren und erklären sollten, wie wir an so etwas noch glauben könnten. In der sozialistischen Volksbildung wurde Religion verächtlich gemacht. Der Satz von Marx „Opium des Volks“ war ständig präsent. Leider wurde ich aber als Heranwachsender in Christenlehre und Konfi-Unterricht auf derartige Herausforderungen wenig vorbereitet, sondern eher der intrapersonale Konflikt verstärkt. („Du kannst der Bibel vertrauen“; meine erlebte kirchliche Unterweisung war von einem sehr fragwürdigen Schriftverständnis geprägt. Konstruktive theologische Auseinandersetzung wurde nicht befördert.) Dabei hätte ich dies gerade in der Konfrontation mit dem „real existierenden Sozialismus“ und dem „dialektischen Materialismus“ gebraucht – ein Identitätskonflikt, der sich sehr grundlegend darstellte. Sich in dieser Konfrontation so schwer verständlich machen zu können, kränkte und verunsicherte.

In meiner Erinnerung waren die jährlichen Einzelgespräche mit der Schulleiterin, einem Agitationsoffizier der Nationalen Volksarmee (NVA) und der Klassenlehrerin ab der 8. Klasse besonders herausfordernd. In sehr bedrängenden Gesprächen wurden in unserer Schule alle etwas sportlich orientierten und mit nicht allerschlechtesten Noten versehenen Jungen zu Agitationsgesprächen vorgeladen. In denen mussten sie erklären, warum sie nicht zu einem Offiziersdienst oder wenigstens zu einem Unteroffiziersdienst in der NVA bereit seien. Dabei wurde ich als pazifistisch geprägter junger Christ oft sehr in die Enge getrieben. Wie konnte ich aufrecht aus einem derartigen Gespräch gehen und etwas von meiner für mich wichtig gewordenen friedensethischen Dimension meines Glaubens verdeutlichen? Ich war als junger Mensch in meinen Grundüberzeugungen gefordert. Und wer ist mit 14 Jahren gegenüber dreist agitierenden Erwachsenen schon sprachfähig? Es waren Texte von Liedermachern oder Gedichte, die mir Orientierung in derartigen Gesprächen gaben. Unsere Schulleitung war in diesem Punkt sehr ehrgeizig, denn unser alter Schulleiter wurde als Lehrer zurück in eine andere Schule versetzt, weil er zu wenig potenzielle Offiziersanwärter „lieferte“. Nicht nur aus der oben beschriebenen Erfahrung heraus habe ich deshalb einen sehr kritischen Blick auf die derzeitige Diskussion über Werbung der Bundeswehr in Schulen und bei unter 18-Jährigen!

Die weiteren Konfliktfelder in der Jugend der DDR wie Wehrerziehung, Dienst ohne Waffe, hätten den Rahmen dieses Beitrags gesprengt.

 

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