Medizin und ethische Fragen im Film

Von Nicole Schwarzer und Anja Klinkott

 

Am Sterbebett seiner Mutter erkennt ein Arzt seine eigenen Grenzen. Ein junger Mann am Beginn seines Erwachsenseins wird mit seinem Tod zum Lebensretter einer Mutter zweier Söhne. Ein junger Attentäter konfrontiert Lebensretter mit seinen Gedanken. Ein unsympathischer Cowboy übernimmt Verantwortung für seine Gesundheit und stellt sich damit einem mächtigen System entgegen.

In allen Geschichten lernen wir Menschen kennen, die an ihre Grenzen kommen, moralisch und ethisch. Wir erleben Mediziner*innen, Ärzt*innen und medizinisches Personal in den Konflikten zwischen Opfer und Täter*in, zwischen am Leben erhalten und sterben lassen, zwischen den Eltern, die ihre Kinder loslassen müssen, und den Kindern, deren Eltern weiterleben dürfen. Wir erleben sie zwischen politischen Interessen und dem Schicksal der einzelnen Person.

Diese Menschen kümmern sich als erste um die Schwächsten in unserem Leben. Sie stehen direkt neben ihnen, wenn es ihnen schlecht geht, wenn Körper und Geist nicht mehr das tun, was unsere Gesellschaft fordert. Diese Helfenden stehen immer wieder an den Wendepunkten unseres Lebens, am Beginn und am Ende. Das ist ihr Auftrag. In diesem Frühjahr sind sie besonders in unseren Fokus gelangt und wir haben Raum, uns darüber bewusst zu werden und Fragen zu stellen.

Wie gehen wir mit unserer Gesundheit um, welchen Lebensstil verfolgen wir und werden wir unserer Verantwortung gerecht? Wann ist ein Leben lebenswert? Wo sind die Grenzen, wenn wir den Menschen selbst gestalten wollen? Wie gehen wir mit Kranken und Sterbenden um und wie mit den Lebenden?

Die hier vorgestellten Spiel-, Kurz- und Dokumentarfilme stellen eine kleine Auswahl an Geschichten bereit, die es möglich machen, uns diesen Fragen zu widmen.

Mehr Geschichten finden Sie unter www.medienzentralen.de.


Dallas Buyers Club
Jean-Marc Vallée, USA 2013,
Spielfilm 117 Minuten,
FSK ab 12 freigegeben, empfohlen ab 16 Jahren

Texas, Mitte der 1980er-Jahre. Rodeoreiter Ron Woodroof lebt großspurig und verschwenderisch. Nach einer seiner zahlreichen illegalen Wetten drückt es sein Bekannter im passenden Jargon aus: „Eines Tages werden sie dir die Scheiße aus dem Leib prügeln, oder noch Schlimmeres.“ Und Woodroof antwortet, der Geschichte vorgreifend: „Ach, an irgendwas muss man doch sterben.“ Als ihm seine Ärzte bei einer Unfalluntersuchung eröffnen, dass er HIV-positiv ist und nur noch wenige Wochen zu leben hat, verändert sich seine Sicht auf Leben und Wirken in kleinen Schritten.
Homophob, arrogant und zynisch sucht er nach eigenen Wegen, die schnell voranschreitende Krankheit zu bekämpfen, statt seinen Ärzten zu vertrauen. Woodroof springt über seinen Schatten, beschafft sich illegal nicht zugelassene Medikamente und startet einen regen Handel mit Hilfe des transsexuellen Rayon an andere AIDS-Kranke. Doch sein Beschaffungsring „Dallas Buyers Club“ macht Furore und ruft die Gesundheitsbehörde auf den Plan.

Woodroofs Ziel, acht Sekunden auf dem Bullen zu bleiben, wird zum Symbol für einen Kampf gegen mächtige Interessen. „Woodroofs Erfolge haben […] nichts Triumphales, sondern machen vielmehr die Absurditäten eines Gesundheitsapparats deutlich, der unheilbare Patienten zu juristischen Winkelzügen zwingt. Und mit seinen Fragen nach der Verantwortung von Staat und Pharmaindustrie gegenüber todkranken Menschen wird »Dallas Buyers Club« ganz nebenbei auch zu einem politischen Film.“ (Mihm, K., G. (2014). epd Film, 2014 (Februar), 42)
Ein Film, der keine großen Helden zeigt. Still und respektvoll nähert er sich einem Unsympathen, der sich im Lauf seiner Erkrankung entscheidet, Verantwortung für seine Gesundheit zu übernehmen und damit auch für die anderer. Sprache und Bild des Films sind nichts für zarte Gemüter. Er zwingt uns, uns mit einer Wirklichkeit und ihren Folgen für den Einzelnen und unsere Gesellschaft in bitteren Tönen auseinanderzusetzen. Zuschauer*innen können viel lernen über Toleranz, Offenheit, Vorurteile, Verantwortung und die Entscheidungen im Leben.
Für die Bearbeitung des Themas im Unterricht ist er geeignet ab dem 10. Jahrgang


Die Lebenden reparieren
Katell Quillévéré, Belgien / Frankreich 2016, Spielfilm 99 Minuten, FSK ab 12 freigegeben empfohlen ab 16 Jahren

Nach einem Unfall liegt Simon nur noch von Geräten am Leben erhalten im Krankenhaus. Bis auf sein Gehirn sind seine Organe jedoch unversehrt, weshalb er für eine Organspende in Frage kommt. Seine getrenntlebenden Eltern werden von den Ärzten sachlich vor eine Entscheidung gestellt, einem anderen Menschen womöglich das Leben zu retten. Währenddessen begegnet die herzkranke Claire ihren beiden erwachsenen Söhnen. Der eine sorgt sich um Mutter und Bruder, während der andere sie, mit der Hoffnung sie zu schützen, belügt. Er tut es seiner Mutter gleich. Eine Transplantation ist ihre einzige Chance aufs Überleben.
Dokumentarisch, menschlich und metaphysisch umkreist die Inszenierung das Thema Organspende. Die Geschichten der einzelnen Figuren, die beruflich oder privat mit der Organspende zu tun haben, werden zur kunstvollen Reise durch ein kleines Stück Leben bis zum Tod. Die Begegnung der verschiedenen Protagonist*innen, die an Simons und Claires Leben und Sterben teilhaben, authentische Wut, Stille und Trauer lassen den Betrachter*innen Raum, ihre eigenen Positionen in der Geschichte zu finden. Es lohnt sich, ihnen zuzusehen.

„Quillévéré nimmt sich lyrische Freiheiten, eine Landschaft verwandelt sich in Meereswogen. Diese Poesie färbt ab auf die Operationssequenzen, die sie in schockierender, zuversichtlicher Ausführlichkeit filmt: als eingehaltenes Versprechen an die Lebenden und an den Toten.“ (Midding, G. (2017). epd Film, 2017 (34), 76)

Der Film ist gut geeignet für Erwachsene und ältere Jugendliche ab dem 10. Jahrgang. Achten sollten Lehrende in jedem Fall darauf, dass insbesondere die Operationsszenen belastend sein können. Der Film kommt mit viel Begleitmaterial zur Auseinandersetzung mit den Themen Tod, Verlust und Familie.


CRISPR – Revolution im Genlabor
Claudia Ruby, Deutschland 2016,
Dokumentarfilm 44 Minuten,
FSK: Lehrprogramm gemäß § 14 JuSchG

Mit der Entwicklung der CRISPR/Cas-Technologie treten die Möglichkeiten gentechnischer Veränderungen in eine neue Phase: Wie mit einer Schere lassen sich mit diesem Verfahren aus dem genetischen Erbgut von Lebewesen und Pflanzen Teile herausschneiden, verändern und ersetzen oder sogar hinzufügen. Die Vision einer Heilung von Erbkrankheiten rückt damit ebenso in greifbare Nähe wie die erweiterten Möglichkeiten gentechnischer Veränderungen von Pflanzen. Die Dokumentation widmet sich zu gleichen Teilen den Herausforderungen durch CRISPR in der Humanmedizin sowie in der Landwirtschaft.

Am Beispiel eines an einer Erbkrankheit erkrankten Teenagers wird gezeigt, welche Möglichkeiten einer Behandlung mit der Entwicklung von CRISPR verbunden sein können. Aber auch, welche ethischen Fragen dabei ernst genommen werden müssen. Bei der Erforschung der Methode für die Landwirtschaft werden Unterschiede zur bestehenden Gentechnik erklärt sowie Chancen, aber auch Risiken aufgezeigt. Im Film kommen sowohl die Betroffenen als auch Expert*innen aus Forschung und Medizin sowie theologischer Ethik und Biolandwirtschaft zu Wort.

Was darf die Medizin, was darf die Landwirtschaft? Auch die Entdecker und Forscher der Methode CRISPR sind sich der ethischen Schwierigkeiten bewusst. Schwere Erbkrankheiten früh und dauerhaft heilen zu können ist eine der Möglichkeiten, das Ermöglichen von „Designerbabys“ auf Bestellung eine andere. Neben ethischen Fragen kann eine solche Entwicklung auch zu weitreichenden politischen Konsequenzen führen. Ähnliches gilt für die Landwirtschaft. Für die Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung kann diese Methode ein Segen sein. Allerdings ist die Forschung daran zeitlich und finanziell aufwändig, so dass sie überwiegend für große Unternehmen interessant ist.

Für die Zuschauenden ab etwa zwölf Jahren ist die Dokumentation eine gute Methode, einen differenzierten Einblick in einen sehr kleinen Teil des großen Bereichs der Gentechnik zu erhalten. Eine abschließende Wertung der Methode CRISPR findet nicht statt. Mit dem bereitgestellten Arbeitsmaterial können sowohl im Bereich der Naturwissenschaften als auch im Religions- und Ethikunterricht bestehendes Wissen vertieft, aber auch Vereinfachungen und Vorurteile thematisiert und diskutiert werden. Auch für Veranstaltungen im Bereich der Medizinethik gibt die Dokumentation gute Impulse und kann daher sehr breit eingesetzt werden. Arbeitsblätter bieten die Möglichkeit, sich mit den entstandenen Fragen theoretisch zu beschäftigen.


Pränataldiagnostik – Wann ist Leben lebenswert?
André Rehse, Deutschland, 2011,
Dokumentation 17 Minuten,
FSK: Lehrprogramm gemäß § 14 JuSchG

Darf ein Mensch entscheiden, welches Leben lebenswert ist? Vor dieser Frage können auch Frauen stehen, die sich für eine vorgeburtliche Untersuchung entscheiden. Von vielen werdenden Eltern wird diese Pränataldiagnostik zunächst als eine Möglichkeit gesehen, sich der gesunden Entwicklung ihres Babys zu vergewissern. Was aber geschieht, wenn eine solche Untersuchung den Verdacht oder schlimmer die Bestätigung für die geistige oder körperliche Behinderung eines Kindes dokumentiert? Im Film kommen Schwangere, Ärztinnen, Mütter, Familienangehörige sowie Berater*innen zu Wort. Mitglieder einer betroffenen Familie geben Einblick in ihren Alltag. Wie sieht das Leben mit einem behinderten Kind aus, welche Gründe können aber auch dafürsprechen, sich gegen ein Kind und für einen Schwangerschaftsabbruch zu entscheiden? Welche rechtlichen Vorgaben müssen alle Beteiligten beachten?

Die Dokumentation zeigt exemplarisch die diagnostischen Möglichkeiten während einer Schwangerschaft und beleuchtet die Möglichkeiten, aber auch die ethischen Schwierigkeiten, die daraus entstehen können. Der Film ist in drei auch separat einzusetzende Sequenzen aufgeteilt, die den Einsatz im Unterricht erleichtern und einen guten Einstieg in die Thematik bieten. Da die im Film dargestellten Standpunkte auf Erfahrungen realer Menschen beruhen und von diesen berichtet werden, erleichtern sie den Verständnisprozess für die Schüler*innen. Je nach Altersstufe kann die Dokumentation im Sekundarbereich I als Anregung verstanden werden, sich mit Themen wie „Schwangerschaft“, „Pränataldiagnostik“, „Leben und Tod“ und „(eigene) Lebensentwürfe“ auseinanderzusetzen.


Erlösung
Eduardo Chapero-Jackson, Spanien 2007, Kurzspielfilm 16 Minuten,
FSK: Lehrprogramm gemäß § 14 JuSchG

Ein Arzt wird an das Krankenbett seiner Mutter gerufen. Auch wenn deren Pflegerin darauf hinweist, dass die alte Dame im Sterben liegt, ignorieren sowohl er als auch seine erwachsene Schwester das Unvermeidliche. Wie in einer Klinik setzt der Mediziner gezielt Medikamente ein, die der Patientin helfen sollen. Lediglich seine eigene Frau kann nach einiger Zeit die offensichtliche Qual der Schwiegermutter nicht mehr ertragen und hilft ihr mit liebevoller Ehrlichkeit, sich friedlich aus der Welt zu verabschieden.
Wie viel medizinische Behandlung benötigt ein Mensch? Welche Maßnahmen dienen dem*r Patient*in, welche sind mehr eine Beruhigung, „alles versucht zu haben“? Wo liegen die Grenze des Möglichen und der Beginn einer Palliativmedizin? Kann es eine Form von Richtlinien geben, die medizinischem Personal eine Handhabe, aber auch Entscheidungssicherheit gibt? Wer erlässt diese Richtlinien und nach welchen Kriterien? Diese Fragen, die sich hier exemplarisch am Verhalten des Arztes am Sterbebett der eigenen Mutter stellen, sind Fragen, die in der aktuellen Situation um die Krankheit Covid-19 für viele Mediziner*innen eine nie dagewesene Dringlichkeit bekommen.

Der Kurzspielfilm aus dem Jahr 2007 ist hochaktuell. Sehr deutlich wird der zum Teil qualvolle Sterbeprozess einer alten Dame gezeigt. Demgegenüber stehen die erwachsenen Kinder, die mit sehr unterschiedlichen Strategien versuchen, den sich abzeichnenden Verlust der Mutter zu verhindern. Der Film ist aufgrund der teilweise sehr drastischen Szenen für Schüler*innen frühestens ab dem Sekundarbereich II, besser aber noch in berufsbildenden Schulen zur Altenpflege oder in der Hospizarbeit geeignet. Er stellt exemplarisch gut die vier Stufen der Trauerbewältigung nach Elisabeth Kübler-Ross dar. Parallel dazu eignet sich der Film auch, um über unterschiedliche Formen von Trauer und deren Bewältigung ins Gespräch zu kommen.

Der Film und das Arbeitsmaterial stehen auch im Download zur Verfügung.


Stillstand (aus der DVD: Der schmale Grat)
Benjamin Teske, Deutschland 2011,
Kurzspielfilm 11 Minuten,
FSK: Lehrprogramm gemäß § 14 JuSchG

Nach einem Amoklauf an einer Schule wird der junge Assistenzarzt Alexander auf eine harte Probe gestellt. Es ist eine apokalyptische Situation, in die er aus dem Feierabend zurück in die Arbeit gerufen wird: Schwerverletzte, traumatisierte Menschen, dazwischen Angehörige und medizinisches Personal, das versucht, die Übersicht zu behalten. Sichtlich geschockt, aber routiniert verhalten sich Krankenpfleger, -schwestern und Ärzte und leiten die notwendigen Maßnahmen für eine Patientin mit Schussverletzung ein. Allen Bemühungen zum Trotz können sie die Frau nicht retten. Aber für niemanden bleibt Zeit, das Geschehene zu verarbeiten. Sofort muss das Team den nächsten Patienten behandeln. Hierbei, so stellen sie bald fest, handelt es sich um den Täter. Auch er ist verletzt. Allerdings scheint der noch sehr junge Mann sich an seiner Tat zu ergötzen und bringt das medizinische Personal damit an seine mentalen Grenzen.

Wie viel psychische Belastung erträgt ein Mensch? Wer hilft den Helfern? Wo bleibt in einer Ausnahmesituation, wie in diesem Film dargestellt, Zeit zur Reflexion und zur Neuorientierung? Der Kurzfilm zeigt exemplarisch und mit unterschiedlichen filmstilistischen Mitteln das Dilemma eines jungen Arztes. Es handelt sich um keine unrealistische Situation. Ein Szenario, wie es auch nach größeren Verkehrsunfällen oder anderen Unglücken entstehen kann. Auch dabei müssen Verursacher und Opfer gleichermaßen medizinisch behandelt werden. Dieser Film, entstanden 2011 im Rahmen eines Masterstudienganges an der Hamburg Media School, hat durch die Pandemie um Covid-19 eine neue Aktualität erreicht. Die Belastung, die „systemrelevante“ Mitarbeitende im Gesundheitswesen physisch wie psychisch erfahren, ist enorm. Die Entscheidungen, die sie zu treffen haben, stellen sie nicht selten vor ein moralisches Dilemma.
Der Film eignet sich für Schüler*innen ab 14 Jahren sowie an berufsbildenden Schulen als Impulsfilm und Diskussionsgrundlage zu schwierigen medizinischen und ethischen Entscheidungen. Der Film und das Arbeitsmaterial stehen auch im Download zur Verfügung.