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Religion, Theologie und Philosophie. Eine Verhältnisbestimmung aus systematisch-theologischer Perspektive

von Tom Kleffmann

Zwei Vorbemerkungen: Zum einen ist festzuhalten, dass der Standpunkt für die folgende Verhältnisbestimmung zwischen Religion, Theologie und Philosophie selbst ein christlich theologischer ist. Eine philosophische Verhältnisbestimmung oder z.B. eine islamisch-theologische fiele anders aus. Zum anderen ist daran zu erinnern, dass zwar im Christentum Theologie und Philosophie von Anfang an wesentlich aufeinander bezogen waren, dass sich aber im Laufe der Theologie- und Philosophiegeschichte das Verhältnis immer wieder fundamental anders ausgestaltete. Die ganze christliche Theologiegeschichte ließe sich auch als wechselvolle Geschichte eben dieses Verhältnisses erzählen. Jeder Versuch, das Verhältnis zu skizzieren, muss sich bewusst sein, sich in dieser großen Geschichte zu positionieren.

Im Folgenden ist zunächst das Verhältnis zwischen der – christlichen – Religion, also der Kommunikation des christlichen Gottesverhältnisses, und der Theologie als Reflexionsgestalt dieser Kommunikation zu bedenken. Dann ist nach dem existenziellen Grund von Philosophie zu fragen, um anschließend  zu klären, wie sich Glauben und Theologie dazu verhalten. Kann die Philosophie das Feld der Religiosität erschließen oder will sie es ersetzen? Bekräftigt sie die Relevanz der Rede von Gott oder verneint sie diese? Als entscheidend wird sich dabei die Frage nach dem Subjekt des Lebens und Denkens erweisen. Am Schluss findet sich eine Skizze der Möglichkeiten dessen, was Philosophie für das gelebte Gottesverhältnis und die Theologie bedeuten kann.

Glauben und Theologie

Religion, christlich verstanden, bedeutet Leben im Gottesverhältnis – die Kommunikation der Gemeinschaft Gottes mit den Menschen, die in Christus Gegenstand des Glaubens ist, und die Kommunikation der entsprechenden menschlichen Gemeinschaft. Paradigmatisch geschieht diese Kommunikation im Gottesdienst: in der Verkündigung (dem Zusprechen) der Gemeinschaft Gottes in seinem Namen, in der entsprechenden menschlichen Selbsterkenntnis (auch was die Sünde, die reale Getrenntheit des Lebens betrifft), im Sich-Verlassen auf die zugesagte Gemeinschaft (Glauben), in der gemeinschaftlichen Antwort darauf in Gebet und Bekenntnis, in der Feier der Christusgemeinschaft in Gestalt der Sakramente. Aber auch die christliche Wahrnehmung der Natur gehört zu dieser Kommunikation, indem sie sie als Äußerung (Schöpfung) Gottes versteht, die einen – in der Christusgemeinschaft erschlossenen – Sinn hat.

Demgegenüber vollzieht die Theologie nicht die Kommunikation des Gottesverhältnisses, sondern sie reflektiert sie. Theologie bedeutet, die kommunikativen Vollzüge des religiösen, kirchlichen Lebens zu unterbrechen, um sie kritisch zu bedenken. Das geschieht jedoch im Interesse eben der Wahrheit dieser Kommunikation – d.h. Theologie ist nicht in erster Linie Selbstzweck, sie ersetzt die Kommunikation der Christusgemeinschaft nicht, sondern sie dient ihr.1

Konkreter entsprechen dem die zwei Grundcharaktere der Theologie, die zu unterscheiden, nicht aber zu trennen sind: Theologie als Lehre des Glaubens und Theologie als kritische Wissenschaft. Als Lehre des Glaubens hat Theologie die Aufgabe, den Zusammenhang der Bedeutung Gottes, des (wahren oder unwahren) Lebens, der Welt, wie er im Evangelium von Christus erschlossen ist, kritisch normativ zu vergewissern. Jede Glaubensäußerung impliziert diesen Zusammenhang; aber wegen der ständigen Möglichkeit, das Gottesverhältnis misszuverstehen, ist der Zusammenhang immer wieder von der Mitte des Evangeliums aus zu reflektieren. Eine Grundgestalt dieses Sinns von Theologie ist schon das ursprünglich mit der Taufe verbundene Bekenntnis.

Theologie als kritische Wissenschaft bildet sich erst mit der Unterscheidung der theologischen Disziplinen im 18. Jahrhundert und ihrer Inanspruchnahme der spezifischen philologischen, historischen und philosophischen und später auch pädagogischen (psychologischen, soziologischen usf.) Wissenschaftlichkeit aus. Da diese je spezifische Wissenschaftlichkeit und Rationalität als solche vom theologischen Impetus unabhängig ist, ist hier die Tendenz zur Entfremdung der Disziplinen von der theologischen Gesamtaufgabe eine ständige Herausforderung. Umso wichtiger ist die hermeneutisch-systematische Reflexion des notwendigen Zusammenspiels der Disziplinen. Die hermeneutische (auf den geschichtlichen Ursprung des Evangeliums bezogene) Gesamtaufgabe der Theologie wiederholt die Aufgabe der Theologie als Lehre mit den Mitteln der Wissenschaften – der Praxis des Gottesverhältnisses kritisch zu dienen.2

Warum Philosophie?

Christliche Theologie hat sich zu allen Zeiten auf Philosophie bezogen; aber die Frage, was Philosophie ist, ist unvergleichlich vielfältiger zu beantworten als die Frage, was Theologie ist. So wird auch die Frage, „Warum Philosophie?“ so vielfältig beantwortet, wie es Philosophien gibt. Sie zu beantworten impliziert, selbst Philosoph zu sein.

Philosophie ist (wie anders auch die Theologie) eine Reflexion des menschlichen Lebens, also des Wahrnehmens, Verstehens, Erkennens, Kommunizierens, Verhaltens, die aufs Ganze geht. Philosophie will die Wahrheit, den Zusammenhang des Ganzen denken oder begreifen, also das Verhältnis von menschlichem Subjekt, Welt und vielleicht auch Gott, im Ganzen. Aber sie denkt (reflektiert) nicht vom Gottesverhältnis aus, sondern der Mensch für sich (Heidegger: der auf sich selbst gestellte Mensch3) fragt nach der Bedeutung des Ganzen. Ihr Medium dabei ist die menschliche Vernunft. Aber was ist Vernunft? Möchte man (im Anschluss an Wolff und Kant) zwischen Verstand und Vernunft differenzieren, dann lässt sich zunächst sagen: Während der Verstand die Fähigkeit bezeichnet, gegenständliche (empirische) Zusammenhänge zu erkennen und in Urteilen festzuhalten, bedeutet Vernunft, dass das Denken aufs Ganze geht. Indem Vernunft die Möglichkeit bezeichnet, mit Mitteln des Nachdenkens (logischen Schließens) allgemeine (als solche nicht empirische) Zusammenhänge zu erkennen und Schlüsse zu ziehen, kann sie nach dem Zusammenhang oder der Einheit des Ganzen fragen.

Dabei ist es ein Signum insbesondere der neuzeitlichen philosophischen Vernunft, dass ihr menschliches Subjekt mit fortschreitender Konsequenz den Zusammenhang oder die Einheit des Ganzen als Zusammenhang oder Einheit im Denken reflektiert, also das denkende Subjekt als das voraussetzt, was die Einheit im Denken konstituiert.4 

Mit Kants sog. kopernikanischer Wende in seiner „Kritik der reinen Vernunft“ (1781) kam dies zu einem vorläufigen Höhepunkt: Die Sinne liefern nur an sich sinnlose Daten, welche erst die Kategorien des Verstandes wie z.B. Kausalität zu gültiger Erkenntnis konkreter Zusammenhänge verknüpfen. Die Kategorien bezeichnen aber keine Struktur der Wirklichkeit an sich, sondern lassen sich nur als Funktion der Identität des denkenden Subjekts ableiten. In letzter Konsequenz heißt das: Das denkende Subjekt ist absoluter Konstrukteur der Welt, die es erkennt – ihr Gesetz ist seine Einheit mit sich.5 

Für die Frage nach dem existenziellen Grund von Philosophie ergibt sich zusammenfassend folgende These: Er liegt in dem wesentlichen Bedürfnis des Menschen, mit seiner Vernunft die Wahrheit des Ganzen (der gegenständlichen Wirklichkeit, des Lebens und Denkens, vielleicht auch Gottes) zu erkennen – was insbesondere in der neuzeitlichen Emanzipation von einem scheinbar selbstverständlichen religiösen Verständnis dieses Ganzen bedeutet, auf sich selbst als denkendes Subjekt zu reflektieren.

In welchem Verhältnis stehen Glauben und Theologie zum einen und Philosophie zum anderen?6

Der Grundimpuls, Philosophie zu treiben, ist die vom auf sich selbst gestellten Menschen aufgeworfene vernünftige Frage nach dem Zusammenhang des Ganzen und seiner Bedeutung – des Ganzen zugleich der gegenständlichen Wirklichkeit, des selbstbewussten Lebens und des Denkens. Die entsprechende Reflexion des Lebens und Erkennens gehört zum Wesen des Menschen; die Philosophie vollzieht also nur methodisch, was jeder Mensch mehr oder weniger explizit kennt. Eben diese elementare Reflexion ist aber auch die Bedingung dafür, die Rede von Gott überhaupt zu verstehen. Denn sie bedeutet, dass die Selbstverständlichkeit des Lebens und Verstehens, seine fraglose Sinnhaftigkeit zerbricht: Der Mensch, indem seine Reflexion Leben und Wirklichkeit im Ganzen umfasst, muss sich als ein Für-sich-Sein realisieren, das allem gegenübersteht7 und eben nach dem Sinn des Ganzen fragt, nach einem einheitlichen Grund und seiner Bedeutung für es.

Dies ist die gemeinsame Wurzel von Philosophie und Religion. Zugleich ist es aber auch der Punkt, an dem sie sich unterscheiden. Denn selbst wenn Gott auch eine philosophische Antwort auf die philosophische Frage nach dem Ganzen sein sollte – die religiöse oder theologische Rede von Gott widerspricht dem sich festhaltenden Auf-sich-selbst-gestellt-Sein und behauptet die Kommunikation des Gottesverhältnisses als Sinn des Ganzen. Der Sinn der Welt und des Lebens wird als schöpferische Wirklichkeit Gottes verstanden, der das Nichts, die Sinnlosigkeit, den Tod und die Trennung des Für-sich-Seins überwindet, indem er seine Gemeinschaft kommuniziert. Sie ist der göttliche Sinn des Ganzen. Der Mensch gewinnt an ihr Teil in dem Glauben, in dem er sich mitsamt Verstand und Vernunft auf ihre Verkündigung verlässt.

Das schließt freilich nicht aus, sondern ein, dass der (systematischen) Theologie aufgegeben ist, die Kommunikation Gottes als Sinn des Ganzen (der Welt, der Geschichte, des Lebens) konzis zu denken und zu explizieren. So expliziert sie die Vernunft des Glaubens – was die Vernunft des auf sich selbst gestellten Menschen zugleich voraussetzt und überschreitet.

Exkurs:

Inwiefern setzt die theologische Vernunft des Glaubens die Vernunft des Menschen für sich voraus? Man könnte im Anschluss an Luther sagen: Weil die Vernunft (einschließlich des Verstandes) die wesentliche Funktion innerweltlicher Freiheit des Menschen ist – im Verhältnis zu den Dingen, die sie in ihren Zusammenhängen erkennt und technologisch bearbeitet, aber auch im zwischenmenschlichen Verhältnis, indem sie die Freiheit der Einzelnen im Verhältnis zueinander zum Wohle aller organisiert.

Philosophisch wird diese Vernunft, indem der Mensch mit ihr nach dem Grund seines Daseins, nach seiner Bestimmung, nach dem Sinn seiner Freiheit fragt – und doch diese Frage aus sich heraus nicht wirklich beantworten kann.8 

Verkündigung und Glaube der Gottesgemeinschaft setzen diese Vernunft, in der der Mensch sein Selbstsein und seine Selbstbestimmung in Welt und Gesellschaft realisiert, voraus – um sie zu überschreiten. Denn die Gottesgemeinschaft setzt eben den freien Menschen, der nach dem Ganzen fragt, voraus – als Geschöpf Gottes. Die Theologie aber setzt die Vernunft voraus und transformiert sie, um mit derselben semantischen und logischen Eindeutigkeit und Systematizität wie die Philosophie eben die Kommunikation der Gemeinschaft Gottes als Wahrheit des Ganzen zu denken.9 

Philosophie zum einen und Glauben oder Theologie zum anderen können aber auch in einen Gegensatz treten. Das geschieht – wiederum nach Luther – insbesondere dann, wenn die Philosophie, also der für sich fragende, denkende Mensch mit den Mitteln seiner Vernunft selbst über das Ganze, den Sinn des Ganzen oder eben „Gott“ zu urteilen beansprucht10 bzw. einen solchen Sinnzusammenhang des Ganzen konstruiert. Dann verderben Philosophie und Theologie zu einer schlechten Theologie. Das Grundproblem liegt darin, dass die ratio des Menschen, wenn sie über das Ganze, den Sinn oder „Gott“ urteilt, die radikale Getrenntheit des Menschen samt seiner ratio von Gott verkennt. Zugleich denkt sie nicht von Gottes Sich-Kommunizieren aus; mit ihrer Logik innerweltlicher Identität kann sie den Menschen auch im Verhältnis zu „Gott“ nur als sich selbst bestimmenden denken. Der von ihr entworfene „Gott“ kann nur einer sein, der die Selbstbestimmung des Menschen (z.B. in seinem moralischen Handeln) bestätigt. So aber verfehlt die ratio den Gott, der sich mit dem Menschen gerade in der Ohnmacht, im Tod, in der Angst des Für-sich-Seins identifiziert und in der Kommunikation seiner Gemeinschaft neues Leben schafft.

Nun hat zwar die Philosophie der Aufklärung dem theologischen Anliegen Luthers insoweit entsprochen, dass sie im Rahmen der Selbstkritik der reinen (nicht empirisch arbeitenden) Vernunft bei Kant die Unmöglichkeit einer metaphysischen Gotteserkenntnis feststellte.11 Die Vernunft kann Erkenntnis mit Hilfe der Kategorien nur im Blick auf die Welt beanspruchen, wie sie uns durch die sinnlich gegebenen Daten erscheint. Doch hindert das eben nicht, dass sich umso unumschränkter das „Ich […] zur allgemeinen Vernunft vergöttert“, wie Hamann der Aufklärung vorhielt12  – indem es sich wie gesagt als absoluter Konstrukteur seiner Welt voraussetzt. Was bei Kant nur eine formale Voraussetzung war (indem die Identität des denkenden Ich zum Gesetz aller empirischen Erkenntnis wird), erscheint dann etwa bei Feuerbach oder Marx als philosophische Ideologie, gemäß der der Mensch selber sich seine sinnvolle Wirklichkeit kollektiv schaffen muss.

Friedrich Nietzsche hat die Grundalternative aus der philosophischen Sicht des auf sich selbst gestellten Menschen in größter Klarheit auf den Punkt gebracht: Die philosophische Reflexion realisiert, dass nicht erst Religion, sondern überhaupt der Glaube an Werte und Moral, an das Ich und seine Freiheit, aber letztlich auch schon die unsere Wirklichkeit strukturierende Sprache überhaupt menschlich kreative Sinndeutungen darstellen. Sie sind Funktionen des selbstbewussten Lebens, das Orientierung und Rechtfertigung braucht. Diese Reflexion auf das Ganze bedeutet den Nihilismus, der voraussetzt, dass überhaupt kein Sinn, kein Wert gegeben ist. Das heißt, der erkennende Mensch hat für Nietzsche zum Selbstbetrug des religiösen und sonstigen Glaubens nur die Alternative, nun bewusst zu sein, was er immer schon war: der Gott, der sich seine Lebenswelt inszeniert und konstruiert, um sich in ihr zu genießen.13

Zusammenfassung: Was kann Philosophie für das gelebte Gottesverhältnis und die Theologie bedeuten?

Sehr viel Verschiedenes! Ich nenne vier Punkte, die mir am Wichtigsten scheinen:

Erstens kann die Philosophie, indem sie das Ganze von Welt, Sinn und Leben reflektiert, helfen, die Relevanz der Rede von Gott neu zu klären. Sie betreibt die grundsätzliche Selbsterkenntnis des auf sich selbst gestellten Menschen in seinem Erkennen und Leben – eine Selbsterkenntnis, die für den Gedanken des ganz Anderen öffnen kann. Entsprechend erwachsen auch in neuerer Zeit der Religion oder Theologie immer wieder mehr oder weniger offensichtlich philosophische Verbündete, die die Grenze zur Religion berühren – ohne Anspruch auf Vollständigkeit nenne ich Michael Theunissen, Dieter Henrich, Volker Gerhardt und Holm Tetens.

Damit hängt der zweite Punkt eng zusammen: Als Wissenschafts- oder Erkenntnistheorie, die etwa die Bedeutung des erkennenden Subjekts bedenkt, kann die Philosophie helfen, naturalistischen Selbstverabsolutierungen naturwissenschaftlich-empirischer Weltzugänge zu widersprechen. Überhaupt kann nur die Philosophie ein Gespräch zwischen Theologie und Naturwissenschaft vermitteln.

Drittens: Nicht nur ist eine philosophisch ausgebildete, begrifflich und logisch präzise Begriffsarbeit für eine evidente, sprachmächtige Darlegung der Vernunft des Glaubens unerlässlich. Sondern die Auseinandersetzung mit der Philosophie ist deswegen wesentlich, weil gerade der Bezug auf das Denken des auf sich selbst gestellten Menschen immer wieder den Punkt kennzeichnet, an dem die Theologie ihre Sache findet: das Kommen Gottes zum Menschen als Bestimmung der Welt und des Lebens.

Schließlich, viertens, dienen auch die Auseinandersetzung mit redlichen atheistischen Philosophien wie z.B. mit Nietzsches Lebensphilosophie der Sprachfähigkeit der Theologie in einem kulturellen Klima, das von solchen Gedanken mitgeprägt ist. Zum wirklichen Gottesverhältnis führen freilich nicht philosophisch-theologische Argumente, sondern nur die Tatsache, dass Gott sich dem Menschen, der nach dem Ganzen fragt, kommuniziert.

Anmerkungen

  1. Das geschieht grundsätzlich in demselben Sinn, wie in jeder Kommunikation immer wieder deren Reflexion durch das kommunizierende Subjekt notwendig ist – als vorläufige und auch kritische Vergewisserung dessen, was sie für es bedeutet.
  2. Vgl. Kleffmann, Grundriß, 65-82; kürzer in: Kleine Summe der Theologie, § 5, 19-29. Diesem Zusammenhang der Theologie entspricht dann auch der sog. theologischen Zirkel, in dem sich theologisch bestimmt, was die theologischen Fachdisziplinen als solche ebenso wenig erforschen können wie die entsprechenden außertheologischen Fachwissenschaften: was Geschichte, Sprache, Kommunikation, Wahrheit usf. eigentlich ist.
  3. Vgl. Heidegger, Phänomenologie und Theologie. Heidegger redet vom „auf sich selbst gestellten Dasein“ und der „frei auf sich selbst gestellten Vernunft“ (62). Zu seiner Auseinandersetzung mit der Theologie, in der sich das findet, vgl. Kleffmann, Systematische Theologie – zwischen Philosophie und historischer Wissenschaft.
  4. Zuvor war die Annahme einer göttlichen Vernunft (Logos) selbstverständlich möglich, die als allgemeine Struktur der Wirklichkeit zu erkennen ist – und die der Mensch nachvollzieht, indem er als Vernunftwesen Bild Gottes ist. Deshalb konnte etwa Anselm von Canterbury (1033-1109) ohne weiteres beanspruchen, die Wahrheit Gottes, der Schöpfung, Inkarnation usf. in ihrer Notwendigkeit rein rational darzulegen – der Glaube selbst fragt nach der vernünftigen Begründung des Geglaubten.
  5. Den Theologen und Königsberger Zeitgenossen Kants, Johann Georg Hamann (1730-1788) führte dies zu der theologischen Diagnose, dass sich hier das Subjekt der aufklärenden Vernunft selbst vergöttert – nicht zuletzt, indem sich seine Vernunft um seiner Autonomie willen nicht nur von jeder konkret kommunikativen Erfahrung des Anderen, sondern schließlich von der Heteronomie geschichtlicher, sprachlicher Kommunikation zu reinigen versucht. Doch Sprache ist „das erste und letzte Organon und Kriterion der Vernunft, ohne ein ander Creditiv [Beglaubigung] als Ueberlieferung und Usum“ (Werke, 284, 24-26). Wahre Vernunft darf nicht vergessen, dass ihr Verstehen stets in der Geschichte des allgemeinen Gespräches steht – das für Hamann wesentlich und ursprünglich das Gespräch von Gott und Mensch ist.
  6. Vgl. dazu ausführlich: Kleffmann, Grundriß, 22-40.
  7. Vgl. Kleffmann, Kleine Summe, § 1, 1-5. P. Tillich redet in diesem Zusammenhang vom „ontologischen Schock“ als Bedingung der Offenbarung des Unbedingten (Systematische Theologie I, 136f.140 u.ö.).
  8. Hier ließe sich Luthers Disputation De homine (Über den Menschen) von 1536 vergleichend (LDStA 1, 664-669) anführen.
  9. Die Philosophie selbst kann, so Luther, die Inkarnation als Inbegriff der Gemeinschaft Gottes nicht begreifen. In den Glaubensartikeln sei vielmehr „zu einer anderen Dialektik und Philosophie überzugehen, welche Wort Gottes und Glaube genannt wird“. Die Philosophie sei in ihrem Gebiet, eben dem der Vernunft Verfügbaren, zu belassen und im „Reich des Glaubens [...] eine neue Sprache zu sprechen“. Vgl. Disp. zu Joh 1,14 (1539), WA 39II, 3-5 (These 2.27.40) und insgesamt: Kleffmann, Hamann und Luther, 207-220.
  10. Die ursprüngliche Versuchung und Verkehrung liegt darin, dass die ratio durch sich, ohne das Wort, über Gott zu urteilen beansprucht – vgl. WA 42, 116.
  11. Die Philosophie des Deutschen Idealismus (Schelling, Hegel) passt insofern nicht in diese Verhältnisbestimmung von Philosophie und Theologie, als sie beansprucht, gerade die Inkarnation und Trinität Gottes als Inbegriff philosophischer Vernunft zu denken. Dem nachzugehen, würde hier zu weit führen.
  12. Nadler, Johann Georg Hamann. Werke, Bd. 3, 180.
  13. Vgl. Kleffmann, Nietzsches Begriff des Lebens und die evangelische Theologie.

Literatur

  • Hamann, Johann Georg: Werke. Historisch-kritische Ausgabe, hg. v. Josef Nadler, Sämtliche Werke  Bd. 3. Schriften über Sprache, Mysterien, Vernunft, Wien 1951
  • Heidegger, Martin: Phänomenologie und Theologie, in: ders.: Wegmarken. 2. Aufl., Frankfurt am Main 1978
  • Kleffmann, Tom: Grundriß der Systematischen Theologie, Tübingen 2013
  • Kleffmann, Tom: Hamann und Luther. Die philosophische Vernunft und eine Theologie der Sprache. In: Hans Christoph Askani / Michel Greandjean (Hg.): Luther und die Philosophie. Streit ohne Ende? Tübingen 2021, 207-220
  • Kleffmann, Tom: Kleine Summe der Theologie, Tübingen 2021
  • Kleffmann, Tom: Nietzsches Begriff des Lebens und die evangelische Theologie, Tübingen 2003
  • Kleffmann, Tom: Systematische Theologie – zwischen Philosophie und historischer Wissenschaft. Eine Auseinandersetzung mit M. Heidegger, in: Neue Zeitschrift für Systematische Theologie und Religionsphilosophie 46 (2004), 207-225
  • Luther, Martin: Werke. Weimarer Ausgabe. Weimar 1883-1929