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Das Menschenbild von Yuval Noah Harari

von Andreas Behr

Als Rutger Bregman seinem Buch „Im Grunde gut“1  den Untertitel „Eine neue Geschichte der Menschheit“ gab, verwies er damit auf das einige Jahre zuvor erschienene „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ von Yuval Noah Harari.2  So könnte man denken, dass hier ein deutlicher Gegensatz aufgezeigt werden soll. Wenn Bregman den Menschen als „im Grund gut“ beschreibt und damit einen bewussten Gegenentwurf zur Geschichte der Menschheit von Harari vorlegt, dann muss Letzterer wohl den Menschen als im Grunde schlecht oder böse beschreiben.

Diesen Eindruck wird man bei einer oberflächlichen Lektüre von „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ im Original oder als Graphic Novel „Sapiens. Der Aufstieg“ bestätigt finden.

In der Comic-Version steht die Menschheit vor Gericht, nachdem eine Polizistin jede Menge Fakten zusammengetragen hat, die belegen, dass der homo sapiens für das Massensterben vieler Arten verantwortlich ist.

Harari zeichnet den Weg des Menschen als den eines über Leichen Gehenden nach. Er nimmt dabei aber weniger eine Bewertung des Menschen vor, sondern er beschreibt und bewertet Fakten, z.B. archäologische Funde.

In „Sapiens. Der Aufstieg“ erfolgt schlussendlich kein Urteil über den Menschen. Die Faktenlage der Vergangenheit soll den Menschen aber ermahnen: Der Homo sapiens ist in der Lage, die Welt zu gestalten. Jede*r Einzelne wird Rechenschaft darüber ablegen müssen, wie sich das menschliche Leben auf die Mitwelt ausgewirkt hat.

Der Mensch ist nach Harari nicht gut, insofern er sich negativ auf die Umwelt auswirkt. Er ist dabei weniger böse, sondern vielmehr gierig. Er sucht den eigenen Vorteil, verschafft sich Nahrung, Schutz und Gesundheit und nimmt Kollateralschäden in Kauf, die er ohnehin erst seit wenigen Jahrzehnten mit dem eigenen Handeln in Verbindung bringen kann.

Menschen können miteinander kooperieren und so gemeinsam für das Allgemeinwohl sorgen. Dabei haben sie aber, so Harari, andere Lebewesen nicht oder nicht genug im Blick. Der Mensch ist also nicht böse, sondern eher egoistisch oder auch schlicht tierisch: ein Tier, das auf die Erhaltung der eigenen Art fixiert ist. Nun ist dieses Tier aber mit Bewusstsein ausgestattet und damit zu Moral fähig. Der Mensch kann sein Verhalten zum einen bewerten und zum anderen radikal ändern. Die Menschheit hat es in der Gegenwart in der Hand, sich für Gut oder Böse zu entscheiden. Der Mensch ist nicht böse, er könnte es aber werden.

Bevor er sich der Geschichte der Menschheit widmete, hat Harari zur Geschichte des Militärs im Mittelalter geforscht und publiziert. Ich komme nicht umhin, hier eine Prägung zu vermuten, die bestimmt, auf welche Art der Autor den Menschen beschreibt: letztlich als Kriegsmann, der für das eigene Wohl auch vor Gewalt nicht zurückschreckt.

Trotz der gründlich recherchierten und neutral vorgetragenen Fakten in seinen Büchern kommt Harari nicht umhin, den Menschen aus den ganz eigenen Augen zu beschreiben. Im Auge dieses einen Betrachters, der ein wahrhafter Universalgelehrter unserer Tage ist, erscheint der Mensch nicht unbedingt als böse, sicherlich aber nicht als „im Grunde gut“.

Anmerkungen

  1. Vgl. der folgende Artikel von Gerd Liebenehm-Degenhard in diesem Heft.
  2. Harari, Yuval Noah: Eine kurze Geschichte der Menschheit, München, 36. aktualisierte Aufl. 2015.