pelikan

Gottes Geist ist ohne Leib nicht zu haben Einige Überlegungen zur Leiblichkeit aus systematisch-theologischer Perspektive

Stephan Schaede


Die immer nur relativen Aufschlüsselungsleistungen anthropologischer Zugänge

Leiblichkeit – allein der Ausdruck schon. Ein Körpertheoretiker unserer Tage könnte polemisieren. Dieser Ausdruck sei ein Griff in die Mottenkiste alteuropäischer Lebensphilosophie. Kann es, naturwissenschaftlich gründlich aufgeklärt betrachtet, nicht allein um den molekularbiologisch, neurophysiologisch in seinen Komplexitäten gut beschreibbaren menschlichen Körper gehen? Der Körper ist zu fassen. Der Körper lässt sich in die Röhre schieben und analysieren. Der Leib aber ist eine verstaubte unklare Variante des Körperbegriffs, ein Konzept für philosophische Erbauungslyriker gemacht.


Nun ist auch der Körperbegriff schon seit längerer Zeit auf den Diskursschragen begrifflicher Pathologien gelegt worden. Eine Baustelle sei er, wurde da behauptet. Nicht einmal klar sei, „ob der Körper überhaupt ein Faktum der Biologie“ oder „sozialer Konstruktionen“ ist. Der Körper löse sich als ursprünglich sichere Verankerung in der Welt auf. Er werde modelliert und verbessert, sei im Blick auf seine Realität instabil. Dreierlei steht zur Disposition: die wissenschaftlichen Begriffe vom Körper, die Bilder vom menschlichen Körper, die die kulturelle Kommunikation produziert, und die elementare Selbsterfahrung mit mir als verkörpertem Lebewesen. Donna Haraway denkt über Biopolitik postmoderner Körper nach und entdeckt eine „außerordentlich enge Verbindung von Sprache und Technologie“.1

 
Trotz alledem: Leib, nicht einfach Körper, hat ein besonderes systematisches Gewicht, wenn es um anthropologische Fragen geht. Paulus fragt die Gemeinde in Korinth: „Wisst Ihr nicht, dass eure Leiber Glieder Christi sind?“ (1. Kor. 6,15). In den Einsetzungsworten heißt es: „Dies ist mein Leib“. Nicht: Dies ist mein Körper. Und die Auferstehungshoffnung knüpft sich an Leiblichkeit. „Es wird gesät ein natürlicher Leib und wird auferstehen ein geistlicher Leib“ (1. Kor. 15,44). Die biotechnische Körpersprache jedoch trotzt solchen Aufstellungen und empfiehlt, über informationsverarbeitende Organismen zu reden. Die machen Fehler, funktionieren bisweilen schlecht. Aber sie erfahren kein Leid. Sie haben keine Schmerzen. Der eschatologische Zinnober, mit dem sich die Theologie herumquält, wenn sie über die Auferstehung von den Toten spricht, erledigt sich auf das Schönste von selbst. Kann es also eine elegantere Form der Lebensbewältigung geben als sich auf diese Art biotechnologischer Lebensphilosophie einzulassen?


Die Frage ist allerdings: Sind Menschen Körperkonstrukte? Bin ich ein Konstrukt? Ich kam als Nachzügler zur Welt, weil sich meine Eltern auch mit Ende 30 sehr mochten und nach Knaus-Ogino verhüteten. Das tönt nicht gerade konstruiert. Insofern mogelt gerade der Körperbegriff das, was ich bin, das, was mein Leben auszeichnet, und das, was Objekt von wissenschaftlichen Betrachtungen ist, ineinander.


Ich bin kein Körper. Ich existiere auch nicht als Organismus. Interpretiert werden, als Körper und Organismus interpretiert werden, das kann ich. Und das können Wissenschaften nachträglich auf ihre Weise rationalisieren und verobjektivieren. Diese Verobjektivierungen wirken wiederum auf mich und mein Leben zurück. Es sind Rückwirkungen, die mich verändern. Aber deshalb dürfen sie nicht schon mit mir selbst verwechselt werden. Wir sind nicht physische Wesen mit organischem und geistigem sich daraus herauswindendem Überbau. Um das stark zu machen, hat sich die biblische Anthropologie weniger auf das philosophische Gegenüber der Seele gestürzt und eine eigene Welt des seelischen Lebens der leiblichen Welt gegenübergestellt. Die leibfeindlichen Folgen einer solchen Gegenüberstellung auch im christlichen Verständnis des Menschen sind immer wieder des Langen und Breiten diskutiert worden. Man darf hier allerdings nicht terminologisch ideologisch werden. Der Bestimmung der Seele zugewandte anthropologische Vorstöße wie das von Isolde Karle stark gemachte Plädoyer für eine „Wiederentdeckung der Seele in der Seelsorge“2 läuft gerade nicht Gefahr, Körper und Seele gegeneinander auszuspielen. Dennoch: Eine noch so kluge Leib-Seele-Dialektik wirft Fragen auf: Wird von Seele und Leib gesprochen, gilt es, beide Instanzen wieder „zusammenzubekommen“. Ist meine Seele die Seele meines Körpers, die Seele im Körper, ohne den Körper denkbar, dann aber begrenzt als was?


So gesehen macht ein gründlicheres Eintauchen in anthropologische Fragen bescheiden und lässt erahnen: Welcher anthropologischer Zugang auch immer gewählt wird; unsere Beschreibungen sind perspektivische Annäherung an das Phänomen von Leben, die bestimmte Dimensionen dieses Lebens aufschlüsseln, an sie heranführen, menschliches Leben aber nicht abschließend erklären und durchleuchten können. Es wäre also Unfug zu sagen: Was das Leben eines Lebewesens, insbesondere des Menschen sei, lasse sich nur angemessen aus der Körper, der Körper-Seele, oder Leiblichkeitsperspektive beschreiben. Es muss vielmehr darum gehen, die jeweils relative Aufschlüsselungsleistung eines Zugangs stark zu machen: Was aber sind die Stärken des Zugangs, Leben als leibliches Leben zu begreifen?


Anthropologische Aufschlüsselungen

Einige maßgebliche Stärken der Leiblichkeitsperspektive seien hier kurz zusammengerafft: Leiblichkeit ist eine zentrale Bestimmung der Weise, wie wir in der Welt sind. Leibverlust bedeutet Weltverlust. Der Leib arrangiert umgekehrt die Zugänge zur Welt, die affektiven Zugänge über die diversen Sinne. Er arrangiert sie in einer Form der Sinnlichkeit, die im Empfinden ein Selbstverhältnis etabliert. Denn „zur Sinnlichkeit des Leibes gehört die Möglichkeit, daß man sich selber tastet, sich selber sieht und auch sich selber hört.“3  Gleiches gilt für die affektive Ebene. Leiblich fühlt sich ein Mensch selber in Lust und Schmerz und Freude. Zugleich ist „[d]er Leib immer da … Es gibt viele Körper, von denen ich mich entfernen, von denen ich Abstand nehmen kann. Den Leib hingegen kann ich nicht einfach dort stehen lassen wie einen Schirm, ich kann mich nicht einfach von ihm entfernen.“4 So ist der Leib die treue Weise, in der ich mich ausdrücke. Er ist als lebendiger Organismus nicht Instrument, sondern Bildner meines Verhaltens, Gestalter meiner Gestalt. „Der Organismus läßt sich eben nicht vergleichen mit einer Klaviatur, auf der äußere Reize spielen und ihre eigentümliche Gestalt abzeichnen, aus dem einfachen Grunde, weil er selbst dazu beiträgt, die Gestalt zu bilden“5. Insofern ist der Leib Medium meines Selbstbezugs und zugleich Medium, in dem ich vor mir selbst und anderen zur Darstellung komme. Mit ihm werde ich, wie der Philosoph Edmund Husserl als Deutung vorschlägt, zur „Umschlagstelle“6 zwischen Raum und symbolischem Denken, zur Umschlagstelle von Natur und Kultur. Der Leib ist mir wie ich mir selbst von meiner Entstehung an gegeben. Zugleich kann ich mit ihm und aus ihm etwas machen und aus mir etwas machen, ihn kultivieren. Im Modus des Widerfahrnis wiederum gestaltet sich mein Leib durch Erlebnisse, Umwelteinflüsse, Geschehnisse usw. Als Umschlagstelle verstanden ist der Leib dann auch nicht das körperliche Äußere gegenüber einem seelischen Inneren. Vielmehr gestaltet er ein Selbstverhältnis inmitten eines Verhältnisses zu anderen, und das so, dass ich selbst nie „ganz und gar und nur hier, sondern auf gewisse Weise auch dort bin, … wo die Anderen mich beanspruchen“, wo die anderen sind. Mit meinem Leib ist zugleich „Zwischenleiblichkeit“ als „Verschränkung von eigenem und fremden Leib“7 gegeben. Meine eigene Leiblichkeit arbeite ich, und sie arbeitet sich, auch in meiner eigenen leiblichen Biografie durchgängig heraus, indem ich mich auf andere Leiber beziehe bzw. auf sie bezogen bin. Martin Luther hat diese leibliche menschliche Pointe gern auf die anthropologische Formel des Herzens gebracht. Das menschliche Herz ist jene Instanz, mit der der Mensch jenseits von einseitiger Innerlichkeit und einseitiger Äußerlichkeit im Glauben von Gott angesprochen über sich hinaus fährt und in der Liebe in den Mitmenschen empathisch hineinfährt und bei anderen ist, durchaus ganz leiblich-präsentisch.8 In diesem leibphänomenologischen Deutungshorizont verstanden entwickelt die Wendung des Paulus, dass der Leib Tempel des Heiligen Geistes sei (1. Kor 6,19f.) und sich die christliche Gemeinde in ihrer Vielfalt von Begabungen (vgl. 1. Kor 12,12-27 mit Röm 12,4-6), zumal die in einem Raum versammelte Gemeinde als Leib vor und mit Gott begreifen kann, einen ganz eigene Triftigkeit. Überhaupt kann so gesehen religiöse Kommunikation, insofern sie nicht anders als zwischenleiblich denkbar ist, als Leib des Geistes Gottes begriffen werden.


Diese anthropologische und theologische Relevanz der Leiblichkeit sei aus aktuellem Anlass gegen Ende der hochakuten Corona-Krisenfahrt an zwei Aspekten kurz entfaltet, nämlich erstens dem der Bedeutung des leiblichen Lebens in der Corona-Krise, und zweitens dem des Verhältnisses von Leiblichkeit und Digitalität im Kontext von Krisenkommunikation.


Die essenzielle Bedeutung leiblichen Lebens in der
Corona-Krise

Leben ist unter den Bedingungen dieser geschöpflichen endlichen Welt physisch verankertes leibliches Leben. Diese Dimension stand zu Beginn der Corona-Krise dominant im Vordergrund. Das ist verständlich. Denn das Virus ist ein Angriff auf das physische Leben von Menschen. Lebensschutz hieß zunächst einmal: Physisches Leben ist vor der Schädigung durch das Virus zu schützen. Das führte hierzulande zu einem umfangreichen Maßnahmenkatalog, der als gesamtgesellschaftliche Kraftanstrengung zur Vermeidung einer Triage begriffen werden kann. Darunter haben jedoch andere Lebensdimensionen gelitten: das soziale Leben (Isolation von Menschen in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, höhere soziale Lasten auf dem Familienleben), das Arbeitsleben etc. Empfindliche Lebenseinbußen im Namen von physischem Lebensschutz. Das ist insofern nachvollziehbar, als physisches Leben elementare Grundlage anderer Lebensprozesse ist. Wer sein physisches Leben verliert, kann es niemals mehr wiedergewinnen. Leben braucht zunächst Herzschlag und Atem. Chronische Schädigungen physischen Lebens beeinträchtigen alle anderen Lebensdimensionen eines Menschen und es ist harte Arbeit, angesichts physischer Störungen das Leben Tag für Tag aufs Neue zu gewinnen. Der barmherzige Samariter hat nicht zuletzt deshalb gepflegt und verbunden und nicht nur gut zugeredet. Und die Heilungswunder stehen nicht umsonst in den biblischen Texten neuen Testaments. Problematisch wird aber, wenn die Konzentration auf eine physische Lebensrettung diese verabsolutiert und dadurch andere Lebensdimensionen gefährdet. Allerdings zeichnete sich in der Konzentration auf eine physische Lebensrettung eine eigenwillige Konzentration auf physische Wohlfahrt ab, die symptomatisch deutlich macht: Auf physische Wohlfahrt kann man sich verständigen, weil im Übrigen das Unternehmen, für die ganze Gesellschaft einen Sinn zu identifizieren oder gar zu generieren, gescheitert ist. Auch diese dahinterliegende Sinnkrise ist beim Namen zu nennen. Christlich gesehen führten diese so effektiven Maßnahmen gerade im ersten Lockdown in eine unbarmherzige physische Mumifizierung der Lebensexistenz von Bürger*innen hinein und so in die ethische Irre. Ignoriert wurde so gesehen die Leiblichkeit des phyischen Lebens. Der isolierte physische Leib litt und leidet unter der räumlichen sozialen Distanz. „Corona“, so Hans Hauner, Ernährungsmediziner von der Technischen Universität München, „befeuert“ eine andere Pandemie, „die Adipositas-Pandemie“.9  Und seine für präventive Pädiatrie zuständige Kollegin Renate Oberhoffer-Fritz gab zu Protokoll: „Aktivität und Bewegung sind wichtig, um unsere Gesundheit und auch unser Wohlbefinden zu stärken“.10 


Leiblichkeit und Digitalität in Zeiten von Krisenkommunikation

Der soziale Raum ist wesentlich auch präsentisch. Er lebt von leibhaftiger Begegnung, Atmosphäre, Atem, Geruch und je nach Vertrautheit von Umarmung. Das macht die Corona-Krise deutlich, die so übel gemacht hat, dass als erstes Heilmittel leibliche Distanz empfohlen wurde. Die Folgen dieses Übels haben insbesondere ganz junge, besonders alte und benachteiligte Menschen zu spüren bekommen. Der soziale Raum kann sich aber in Gestalt digitaler Vernetzung in eingeschränkter Weise arrangieren. Das war in gewisser Weise in so manchem Kontext entscheidende Hilfe. Digitale Repräsentationen der Leiblichkeit, vermittelt über den Bildschirm, haben Figurationen des leiblichen Lebens in die Einsamkeit von Pflegeeinrichtungen hinein vermittelt. Im Zusammenhang der Frage des sozialen leiblichen Lebens ergibt sich also die Aufgabe einer produktiv kritischen Aufnahme der Digitalisierung. Hier kann festgehalten werden: Digitale Kommunikation lebt elementar von Atmosphäre, von Emotionen und Gefolgschaft. Das kann stark sein.


Die Grenzen des Digitalen machen aber deutlich, wie elementar human leibhaftige Leiblichkeit ist. ZOOM ist eine Hilfe, aber bei Unterricht, Konferenzen oder Andachten und Gottesdiensten durch die Kachellandschaft und das Streaming hindurch zeigte sich: Die Ermüdung tritt in Gesprächsszenarien ungleich schneller ein als in präsentisch-leiblichen Konstellationen. Unsere Leiber können durch den Bildschirm hinweg die Gesten, die leiblichen Authentizitätssignale viel schlechter erkennen und lesen. Ob eine Intervention, ein bejahender, nachdenklicher oder fragender Blick in seinen feinen Signalen ankommt, ist ungewiss. Erste empirische Studien aus Berkeley unterlegen, dass es ungleich schwerer ist, über digitale Kommunikation kreativ und innovativ zu werden.11  Vor allem aber hat digitale Kommunikation Grenzen bei Ritualen. Passageriten wie die Verabschiedung aus der KiTa oder die Aufnahme in die neue Schule, diese leibhaftigen raumträchtigen Sozialtransformationen sind auf präsentische leibliche Kommunikation angewiesen. Konfirmation, Beerdigungen oder Taufe lassen sich digital nicht realisieren. Es wurde viel um die digitale Durchführung des Abendmahls gerungen. Wenn überhaupt, sind digitale Abendmahlsformate Überbrückungslösung in Situationen großer Not. Sie sind zumindest darauf angewiesen, dass leibhaftige Menschen als digitales Gegenüber Brot und Wein einsetzen und leibhaftige Menschen reale Elemente unter dem Zuspruch durch die digitalen Repräsentationsmöglichkeiten hindurch empfangen und zu sich nehmen. Jedoch: Keine noch so gut digital inszenierte 3D-Inszenierung ersetzt einen Heidespaziergang, eine Strandwanderung oder das Gefühl, über die Schwelle eines Sakralraums zu treten. Die digitalen Medien haben ein empfindliches Defizit in Sachen Passageriten und Abendmahl, nicht etwa deshalb, weil der Geist Gottes über sie nicht kommunizieren könnte. Ihr Problem ist: Sie können keine endliche, leibliche Gemeinschaft arrangieren, reduzieren leibseelische Interaktion, leibhaftige Kopräsenz im Raum, weshalb der Himmel – das meinte wohl Paulus, als er von einem geistigen Leib (soma pneumatikon) sprach, der auferstehe – im Blick auf seine ewigen Rahmenbedingungen nicht digital, sondern leibhaftig präsentisch verfasst sein wird.


Unter den Bedingungen der Endlichkeit allerdings ist der Leiblichkeit eingezeichnet, dass die mit ihr verknüpfte räumliche Präsenz Raum- und Grenzüberschreitungen schwierig macht. Hier hat die digitale Kommunikation geholfen und die Brutalität des „social distancing“ wenigstens partiell in die Form eines „physical distancing“ abgeschwächt. Bestritten wird jedoch ein christliches Verständnis sozialen Lebens, dass es die Möglichkeit einer radikalen Transformation des sozialen leiblichen Lebens in die digitale Welt geben könne.


Am Ende ist ein besonders machtvolles Symbol für die Hochschätzung der Leiblichkeit die Eingangspassage des Johannesevangeliums. Das „Wort ward Fleisch“, nicht Buch, nicht Video, nicht Tweet. Gott hat nicht simuliert, er wurde auch nicht bloß repräsentiert und hat auch nicht digital informiert. Er kam zu uns, im Sinne einer ernsthaften Einwohnung Gottes im leibhaftigen Jesus von Nazareth. Gottes Geist ist ohne Leib nicht zu haben. Christlich gesehen ist soziale und leibliche Präsenz lebensnotwendig, im Verhältnis von Gott zu Mensch, und im Verhältnis zwischen Menschen und Menschen. Der digitale Schein der Präsenz hat geholfen und hilft in Krisenzeiten, ersetzt aber leibhafte Präsenz nicht. Gesellschaftliches kann so wenig wie kirchliches Leben in leibloser Gemeinschaft überleben, ist in dieser Gestalt gefährdet.


In Zeiten einer pandemischen Krisenfahrt fördern beide Kommunikationsformen in ihrem Zusammenspiel ein christliches Verständnis von Solidarität. Wieso? Soziales leibliches Leben ist Verstärker und erster Träger menschlicher Solidarität. Wer sich leiblich begegnet, erfährt eine gemeinsam geteilte Lebenslage, Austausch etc. (die geteilte Lage ist nur Bedingung, nicht hinreichender Grund von Solidarität, wie Klopapier- und Mehlknappheit in der frühen Krisenphase deutlich gemacht haben.). Weil das aber so ist, muss christliche Lebenskunst wiederum dafür werben, diese empathisch gefühlte, leiblich gesättigte Solidarität im Namen einer globalen Weltanziehungskraft zu überwinden. Es ist die Chance des Digitalen, durch starke Bilder und Nachrichten darauf aufmerksam zu machen, dass hochsolidarische Lebensrettung innerhalb einer Region, eines Landes oder Erdteils in die Sackgasse einer provinzialisierten Solidarität führt, die sich mit Menschen in anderen Ländern/Erdteilen massiv entsolidarisiert.


Vor diesem Hintergrund: Theologie und Kirche, ein klug arrangierter Religionsunterricht treten weder als ausschließliche Anwälte des Analogen noch ausschließliche Anwälte des Digitalen ein. Sie treten im Namen Gottes für Menschlichkeit ein. Was immer Menschlichkeit und den Respekt vor der Leiblichkeit angesichts endlicher schulischer und kirchlicher Ressourcen fördert, ist gut, solange nicht die eine die andere Form zu ersetzen und zu verdrängen beansprucht.

Anmerkungen

  1. Vgl. Haraway, „Biopolitik postmoderner Körper. Konstitutionen des Selbst im Diskurs des Immunsystems“, 161, 170, 175.
  2. Vgl. www.ev.rub.de/pt-karle/karle_vortraege.html.de
  3. Vgl. Waldenfels, Das leibliche Selbst, 39 mit 37 und 31.
  4. Ebd.
  5. Varela u.a., Der mittlere Weg der Erkenntnis, 13.
  6. Vgl. Woelert, Der Leib als Umschlagstelle von Raum und symbolischem Denken.
  7. Waldenfels, leibliches Selbst, 284-304, bes. 290.
  8. Vgl. Luther, De libertate christiana – Von der Freiheit eines Christenmenschen, 309.
  9. www.sg.tum.de/exercisenutrition/news-single-view/article/tum-studie-zu-ernaehrung-und-bewegung-seit-beginn-der-corona-pandemie-vorgestellt (26.6.2021).
  10. Ebd.
  11. Ginsburg, Disability, 99-126. Vgl. mit Winter, Problems working in semi and full-time virtual teams, 21.

Literatur

  • Ginsburg, Faye: Disability in the Digital Age, in: Horst, Heather A. / Miller, Daniel: Digital Anthropology, London / New York 2012, 99-127
  • Haraway, Donna: „Biopolitik postmoderner Körper. Konstitutionen des Selbst im Diskurs des Immunsystems“, in: dies.: Die Neuerfindung der Natur: Primaten, Cyborgs und Frauen, Frankfurt am Main, New York 1995, 160-199
  • Liebsch, Burkhard: Leib und Leben. Im Blick der Phänomenologie (M. Merleau-Ponty) und der Epistemologie (G. Canguilhem), in: Schaede, Stephan / Hartung, Gerald / Kleffmann, Tom (Hg.): Das Leben. Historisch-systematische Studien zur Geschichte eines Begriffs. Bd. 2., Tübingen 2012
  • Luther, Martin: De libertate christiana – Von der Freiheit eines Christenmenschen. 1520: Martin Luther Studienausgabe. Bd. 2, hg. von Hans-Ulrich Delius, Leipzig 21992, 260-309
  • Varela, Franciso J. / Thompson, Evan, Rosch, Eleanor: Der mittlere Weg der Erkenntnis. Übers. von Hans Günter Holl, Bern / München / Wien 1992
  • Waldenfels, Bernhard: Das leibliche Selbst. Vorlesungen zur Phänomenologie des Leibes, hg. von Regula Giuliani, Frankfurt am Main 2000
  • Winter, Aaron: Problems working in semi and full-time virtual teams: Comparison of virtual team problems pre and post-Covid 19 epidemic, Enschede 2021
  • Woelert, Peter: Der Leib als Umschlagstelle von Raum und symbolischem Denken, in: Suzana Alpsancar u.a. (Hg.). Raumprobleme. 2011. www.academia.edu/311847/Der_Leib_als_Umschlagstelle_von_Raum_und_symbolischen (26.6.2021)