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Die Guten und die Bösen – Ein interdisziplinäres Gespräch über die politische Instrumentalisierung religiöser Symbolik

von Arwed Marquardt und Christina Harder


Er läuft. Die Steigung des Berges wird immer steiler. Er kämpft sich den steinigen Weg hoch – den Berggipfel fest im Blick. Seine Kleidung: nicht etwa atmungsaktive Funktionskleidung für den Extremsport, sondern eine amerikanische Fliegerjacke, mit Lammfell gefüttert, dazu Jeans und Lederstiefel; das Bild eines starken, sich aufopfernden Naturmenschen, der unter großer Kraftanstrengung laufend einen Berg erklimmt. In parallelen Bildeinspielungen ist sein Gegner zu sehen, den er zu einem großen Boxkampf herausgefordert hat. Auch sein Kampfgegner läuft unter großer Kraftanstrengung eine immer steiler werdende Steigung hinauf; allerdings auf einem Laufband, das mittels einer Hydraulik in einen immer größeren Winkel hochgestellt wird. Er ist an Messgeräte angeschlossen, die seine Herzfrequenz messen, um seine körperliche Leistungsfähigkeit zu optimieren. Seine Kleidung: moderne Funktionskleidung für den Leistungssport; das Bild eines durch modernste Technik optimierten menschlichen Körpers, der eher einer Maschine zu gleichen scheint als einem Menschen aus Fleisch und Blut.

Der sympathische Naturmensch heißt Rocky Balboa und repräsentiert die USA, sein körperlich optimierter Gegner heißt Ivan Drago und repräsentiert die Sowjetunion. Sie beide werden vor den Augen der Weltöffentlichkeit in einen großen Boxkampf treten: ein Kampf der Systeme im Kalten Krieg, ein Kampf von Gut gegen Böse. Der Film heißt „Rocky IV“2. Die beschriebene Szene steht am Ende der knapp zehnminütigen Trainingsszene3 kurz vor dem großen Ringkampf in der Sowjetunion.


Ein interdisziplinäres Gespräch – didaktische Vorüberlegungen

Der Film „Rocky IV“ aus dem Jahr 19854, daraus konkret die besagte Trainingsszene, bietet ein sehr gutes Anschauungsbeispiel für die politische Instrumentalisierung religiöser, hier explizit christlicher Symbolik. Dabei handelt sich um ein nach wie vor aktuelles Thema5: Religiöse Symbolik wird für politische Botschaften instrumentalisiert, um die eigene Sache als die gute, die Gegenseite als die böse darzustellen. Es wird also eine binäre Freund-Feind-Struktur konstruiert, die mittels religiöser Symbolik stark emotionalisiert wird.

Ein Gespräch dreht sich dabei um zentrale philosophische Fragen: Was ist gut und was ist böse? Lässt sich unsere Welt in ein einfaches duales Schwarz-Weiß- / Gut-Böse-Muster pressen? Wann, wo und mit welchen Mitteln konstruieren Menschen ihre Realität durch ein dualistisches Denken? Warum tun sie das? Welche Rolle spielen dabei Religion(en) und religiöse Symbolik? Wie lassen sich diese Konstrukte, die eine komplexe Wirklichkeit in ein simples Gut-Böse-Schema pressen wollen, entschlüsseln und aufbrechen?

An diesen zentralen Fragen wird der interdisziplinäre Charakter philosophischer wie theologischer Gespräche deutlich. Ausgangspunkt wird die Trainingsszene aus „Rocky IV“ sein, die vor den politischen Hintergründen des Kalten Krieges und des atomaren Wettrüstens in der 1970-er- und 1980-er-Jahren gedeutet werden muss. Hier werden also historisches ebenso wie politisches Grundlagenwissen vermittelt und vertieft; zugleich bedarf es grundlegender Kompetenzen zur Wahrnehmung und Deutung religiöser Symbolik in eben diesem zeithistorischen Kontext. Zu dieser Thematik mit den zentralen Fragen lässt sich also hervorragend ein gemeinsames philosophisches Gespräch der Fächer Politik, Geschichte sowie Religion/Werte-und-Normen/Philosophie anregen, sofern schulorganisatorisch möglich. Denkbar sind auch vertiefende gemeinsame Projektarbeiten, an denen in den jeweiligen Fächern aus den spezifischen Perspektiven gearbeitet wird.

Weitere Impulse im Verlauf des mit der Trainingssequenz aus „Rocky IV“ angeregten Gesprächs werden die Verknüpfung zu grundsätzlichen philosophischen Fragen herstellen sowie den Bogen zu aktuellen Beispielen politischer Instrumentalisierung religiöser Symbolik schlagen.


Grundsätzliches zum historischen Kontext und zur Methodik des Films

In den letzten Jahrzehnten wurde in mehreren wissenschaftlichen Veröffentlichungen Rocky IV analysiert.6 Dieser Artikel geht von der These aus, dass der Film als propagandistisches Medium eingesetzt wird, das mit Hilfe einer binären Freund-Feind-Struktur arbeitet. Von großer Bedeutung sind dabei christliche Symbole und Elemente der christlichen Glaubensgeschichte. Die vorliegende Analyse geht daher auf die visuellen Mechanismen der Hegemonie der christlichen Bilderwelt in der westlichen Welt ein, die dazu dienen, eine dichotomische Opposition zu schaffen, die auf der Konstruktion eines guten „Wir“ (die USA) und eines bösen „Sie“ (die UdSSR) beruht. Dieses funktionale Moment des „Othering“ durchzieht den gesamten Film, tritt aber in der Trainingssequenz besonders deutlich hervor.

Das wichtigste methodische Mittel zur Herstellung des Othering ist die ständige Verwendung von binären Gegensätzen. Evelyn Keller erklärt, dass bestimmte Menschen ihre Realität durch dieses Schwarz-Weiß-Denken konstruieren; ein kognitiver Prozess, der das Verständnis der Dinge durch Oppositionen vereinfacht. Infolgedessen kann binäres Denken die Übernahme von Stereotypen und Vorurteilen erleichtern, die schwer zu dekonstruieren sind.7 Rocky IV macht sich den Kontext der politischen und kulturellen Polarisierung nach Beendigung des Kalten Krieges zunutze, indem er ein weltweites Publikum anspricht, das in diesen unsicheren Zeiten nach Erleichterung suchte. Sowohl die Katastrophe des Vietnamkriegs (1955–1975) als auch der Watergate-Skandal (1972–1974) wirkten sich negativ auf die Selbstwahrnehmung der US-Bürger aus. Wie viele andere kulturelle Manifestationen, vermittelten auch amerikanische Filme im Kontext des Kalten Krieges und der Zeit danach ein Gefühl der Niederlage. Das war der Fall bei Rocky (1976) und Rocky II (1979), beides patriotische und propagandistische Aufrufe zur individuellen Teilnahme an der nationalen Wiedergeburt. Mit dem Ziel, die Nation aufzumuntern, brachte der Beginn der Reagan-Regierung große Veränderungen in der Konfiguration des kollektiven Imaginären der USA. Bereits etablierte Vorstellungen von der Sowjetunion als böses Imperium, eine konservative Rekonstruktion der Gesellschaft und neue fiktionale Helden zur Rettung der Nation wurden hervorgebracht.

Obwohl die Opposition „Wir“ gegen „Sie“ mit Hilfe des Publikums konstruiert wird, wird der Kampf zwischen den Nationen von den Boxern in Einzelkämpfen verkörpert.8 Wie die Analyse zeigen wird, spielt die christliche Symbolik eine fundamentale Rolle bei der Schaffung der dichotomen Realität. Die Verkörperung des „Andersseins“ ist Ivan Drago. Der Russe wird als diabolische Verkörperung der Opposition und als Bedrohung des American Way of Life gegenüber den amerikanischen, christlich fundierten Werten dargestellt.

Der Filmkritiker William J. Palmer konstatiert in seiner Rezension, dass Russland als „unerbittliche, emotionslose Maschine“ dargestellt wird.9 Der sowjetische Athlet wird aus einem niedrigen Kamerawinkel aufgenommen, der nur seinen gigantischen Schatten zeigt und ihn als schrecklichen und mächtigen Athleten darstellt. Im Gegensatz zu Rockys altem Freund Apollo Creed tanzt Drago vor dem Schaukampf zu Beginn des Filmes nicht, spricht nicht und interagiert mit niemandem. Er ist statisch, starr und unkommunikativ, er zeigt eine Reihe von Gesten, die ihn wie einen Androiden aussehen lassen. Filmkritiker neigen dazu, Drago mit dem „Terminator“-Stereotyp eines Cyborgs mit starkem Körper und begrenztem Verstand sowie der Frankenstein-Trope, einer wissenschaftlichen Schöpfung, die kaum zu menschlichen Reaktionen fähig ist, zu vergleichen.

Wenn Drago sich auf den Ring zubewegt, werden er und das Publikum erleuchtet und eine neue Farbe wird zum Protagonisten: Rot. Er wird ergänzt durch Tausende von roten Fahnen der Sowjetunion, die die Dunkelheit durchbrechen. Das Gefühl der Isolation, der Angst und des Geheimnisses hat sich in Gewalt verwandelt und zeigt, dass dieses Spiel kein Spektakel ist, sondern ein Krieg. Die Verbindungen zum Bösen werden wieder einmal deutlich, die düstere und rot gefärbte Umgebung, die durch die Fahnen geschaffen wird, verwandelt die Arena in eine Hölle auf Erden, und Dragos riesige und furchterregende rote Gestalt ist der Teufel.


Christliche Symbolik in der Trainingsszene

Da wir davon ausgehen, dass der gesamte Film mit seiner Gut-Böse-Dichotomie von christlichen Symbolen getragen wird, sollen diese im Folgenden näher analysiert werden. Hierzu dient die bereits benannte Trainingsszene, mit der das philosophische Gespräch über Gut-und-Böse-Konstruktionen und die Instrumentalisierung religiöser Symbolik eröffnet werden soll.

Sylvester Stallone hat sich selber öffentlich zu seinem christlichen Hintergrund bekannt und zieht eine Verbindung zwischen der Filmfigur Rocky zu niemand Geringerem als Jesus Christus, wenn er sagt: „Ich war immer ein gläubiger Mensch. Ich möchte das aber nicht so zur Schau stellen. Ich versuche manchmal, es subtil mit in meine Arbeit einfließen zu lassen. Rocky beispielsweise ist sehr christlich bezüglich seiner Ideale.“10  Und weiter: „Rocky vergibt gerne. Da ist keine Verbitterung in ihm. Er hält immer die andere Wange hin. Und es ist, als ob es in seinem ganzen Leben um das Dienen geht.“

Die Trainingsszene beginnt mit einem maximalen Ortswechsel Rockys. Er ist in das Land seines Gegners gereist, um dort in der Abgeschiedenheit der sibirischen Schneewüste (Motiv der Wüstenwanderung: vgl. Mt 4,1-11; Mk 1,12-13; Lk 4,1-13) sein Trainingsprogramm zu absolvieren. Er wird dabei begleitet von einem kleinen Stab an Helfern. Hier drängt sich die Parallele zu Jesu Jüngern auf, die den Messias auf dem Weg, seinen Auftrag zu erfüllen, begleiteten und unterstützten. Die Holzhütte, in der er seine Trainingseinheiten absolviert, ist äußerst spartanisch; geheizt wird mittels Brennholz, das der Champ selber schlägt. Die Hütte erinnert an den einfachen Stall, in dem Jesus, der Messias und Retter der Welt, der Legende nach geboren wurde.11 Die Schlichtheit der einfachen Scheune ist jedoch durchgehend mit klarem Tageslicht ausgeleuchtet. Das Weiß des Schnees intensiviert noch die Helligkeit, mit der das Training des guten amerikanischen Heilsbringers inszeniert wird.

Im scharfen Kontrast dazu werden die Trainingseinheiten seines Gegners Ivan Drago inszeniert: Sie finden in Trainingsräumen ohne Tageslicht statt, die mit Hightech-Trainingsgeräten ausgestattet sind. Als Lichtquelle dienen einzig große Neon-Röhren an der Decke. Hier ist nicht nur alles steril, maschinell, kalt, sondern auch künstlich; weit weg von jeder Natürlichkeit und Schlichtheit, in der nach christlichem Narrativ jedoch der Heilsbringer des Guten verortet ist. Hier wird klar: In dem künstlichen Licht der sowjetischen Hochleistungssportlabore trainiert die Repräsentanz des Antichristen, des Bösen.

Rocky beginnt nun sein hartes Training in aller Natürlichkeit und Schlichtheit. Er läuft täglich an den einfachen Menschen vorbei, die in dieser unwirtlichen, dem Menschen alles abverlangenden Schneelandschaft leben und hart arbeiten müssen. Damit entsteht der Eindruck von Nähe zwischen den einfachen Sowjet-Menschen und dem US-Amerikaner Rocky, der die freie westliche Welt, das Gute repräsentiert und es mit der unfreien Welt des Kommunismus, der Repräsentanz des Bösen, aufnimmt. Rocky wird also nicht nur als bodenständiger Naturmensch dargestellt, sondern ebenso als einfacher Mann des Volkes, der den einfachen Menschen näher ist als hochgestellten Persönlichkeiten. Auch hier ist die Parallele zu dem Messias Jesus nicht zu übersehen, der die Nähe zu den ausgegrenzten und zu den einfachen Menschen suchte. Jesus selbst war ein einfacher Mensch, ein Zimmermann aus Nazareth. Eine Parallele kann ebenso zu der Hirtenszene in der lukanischen Geburtserzählung (Lk 2,8-14) gezogen werden: Die Botschaft von der Geburt des Retters und Heilands wird zuallererst den einfachsten Menschen, die ihr ganzes Leben in der Natur und in Armut verbringen, überbracht.

Im scharfen Kontrast wieder die Darstellung des Bösen in Person Ivan Dragos: Er ist umgeben von Funktionären mit versteinerten Gesichtern, abgeschieden und getrennt von Menschen des einfachen Volkes.

Rocky trainiert zudem mit dem, was den einfachen Menschen hier in der weißen Ödnis zur Verfügung steht: Er zieht seinen Trainer auf einem Schlitten kriechend durch den Schnee hinter sich her. Er hackt das Brennholz. Und er trägt ein schweres Joch, das auf seinen Schultern liegt, dabei stolpert er, steht wieder auf und kämpft. In einer Szene, in der Rockys Bauchmuskulatur im Bild ist, wird kurz ein Wundmal an seiner Seite sichtbar; ähnlich wie das auf zahlreichen Gemälden dargestellte Wundmal Jesu, das ihm laut der johanneischen Passionserzählung durch den Speer des römischen Soldaten zugefügt wurde (Joh 19,34). Hier wird ein geschundener Körper gezeigt, dem die Entbehrungen und die Härte des Kampfes für das Gute anzusehen sind. Rocky folgt also unter schwersten Bedingungen seiner Bestimmung, seinem Auftrag, den Kampf mit dem Bösen aufzunehmen. Unübersehbar sind hier die Parallelen zwischen Jesus, der das Kreuz der Welt getragen hat, und Rocky. Die Verbindung zu den Gottesknechtliedern im Buch des Propheten Jesaja drängt sich gleichermaßen auf, insbesondere zu dem vierten Gottesknechtlied (Jes 52,13-15): Der Gottesknecht erfüllt seinen Auftrag, den Gott ihm aufgebürdet hat, seine Bestimmung, unter großen Entbehrungen und Schmerzen; am Ende wird er Erfolg haben und seinen Auftrag erfüllt haben und zur Belohnung in die allerhöchste Stellung erhoben werden. Anklänge an den Christushymnus in Philliper 2,6-11 sind ebenfalls wahrzunehmen.

Im Gegensatz dazu trainiert der maschinell-künstliche Sowjetmensch Ivan Drago an Hightech-Geräten, die seinen Körper einer Maschine gleich optimieren sollen. Auch ihm ist durchaus die Anstrengung, die Härte des Trainings anzusehen. Doch sein Körper scheint nahezu makellos zu bleiben bzw. zu werden: leicht gebräunte, ebenmäßige, glänzende Haut, gespannt über beeindruckende Muskelpakete – ohne Kratzer oder gar Wundmale so wie bei dem Kämpfer für das Gute, bei Rocky (und Jesus).

Eines Tages reist Rockys geliebte Frau Adrian an und überrascht ihn. Sie gestehen sich gegenseitig, dass sie einander vermisst haben. Die aufopferungsvolle Liebe seiner Frau unterstützt fortan den aufopferungsvollen Helden in seinem Kampf (vgl. hierzu das Hohelied der Liebe: 1 Kor 13,1-10). Im Kontrast hierzu wird die Frau des Sowjetmenschen dargestellt: mit versteinerter Miene, bis in die letzte Haarsträhne perfekt gestylte Blondhaar-Frisur, kein Wort sprechend. Bei Rocky also die bedingungslos liebende, warmherzige und natürliche Ehefrau; bei Drago die unterkühlte, gefühllose, künstliche Sowjetblondinen-Frau.

Am Ende der Trainingszeit schließlich erklimmt Rocky unter Anstrengung einen Berg. Er wird belohnt mit einem Theophanie-gleichen Abendrot-Himmel. Berge sind in der Tradition sowohl des Alten als auch den Neuen Bundes zwischen Gott und den Menschen Orte der Gotteserfahrung, der Epiphanie bzw. Theophanie. Auf dem Berg Sinai/Horeb erhält Mose von Gott die 10 Gebote (Ex 19-20/Dt 5). Auf dem Berg Horeb begegnet Gott dem Propheten Elia (1 Kön 19,8-16). Auf einem Berg spricht Jesus seine Seligpreisungen, und auf einem Berg (Golgatha) schließlich wird Jesus gekreuzigt. Und auch während seines Wirkens zieht sich Jesus immer wieder auf einen Berg zurück, um in Gottes Nähe zur Ruhe kommen und aufatmen zu können.

Die vielen Anspielungen auf biblische Motive, insbesondere die auffälligen Parallelen zwischen den Heilsgestalten Jesus und Rocky emotionalisieren den Dualismus zwischen dem Guten auf der Seite des US-Amerikaners Rocky und dem Bösen auf der Seite des Sowjetmenschen Ivan Drago.


Einstieg ins Gespräch (Philosophie von)

Den Gesprächsteilnehmenden werden kurze Informationen zu den Rocky-Filmen sowie zu der Filmhandlung von Rocky IV gegeben, bevor ihnen die Trainingsszene gezeigt wird. Anschließend werden sie gebeten, erste Eindrücke und Gedanken auszutauschen. Da die filmisch inszenierte Dichotomie, das emotionalisierte Gut-gegen-Böse/Wir-gegen-sie Schema in der Trainingsszene mehr als augenscheinlich ist, werden die Teilnehmenden sehr wahrscheinlich genau darauf zu sprechen kommen. Ob ihnen gleichermaßen bereits zu Anfang die übervolle Anreicherung der Szene mit christlich-biblischer Symbolik auffällt, kann nicht erwartet werden. Dies hängt sehr von der Zusammensetzung der Gesprächsgruppe, von ihrem Vorwissen und ihren Prägungen ab.

Nachdem ein erster Austausch stattgefunden hat, können beispielsweise mit der Inquiry-Methode12 die (philosophischen) Fragen der Gesprächsteilnehmenden gesammelt werden. Es ist, wie gesagt, durchaus davon auszugehen, dass sie Fragen formulieren wie: Ist die Welt so einfach in Schwarz und Weiß, Gut und Böse einzuteilen? Was ist überhaupt „gut“ und was „böse“? Warum konstruieren Menschen sich ihre Wirklichkeit gerne nach einem schlichten binären, dualistischen „Wir, die Guten“ – „Sie, die Bösen“-Schema?


Impulse zur Vertiefung (Philosophie für)

Die Gesprächsteilnehmenden werden in mehrere Gruppen aufgeteilt. Jede Gruppe erhält eine bildliche Darstellung und dazu einen oder mehrere passende Bibelstellen:
•    Eine Gruppe setzt sich mit dem Motiv des Stalles/der Scheune sowie
     der inszenierten Schlichtheit und Nähe zur Natur auseinander. Sie
     erhält jeweils eine bildliche Darstellung der Geburt Jesu im Stall13
     sowie der Hirten auf dem Feld14 ; dazu den Bibeltext Lk 2,1-20.
•    Eine andere Gruppe setzt sich mit dem Motiv des aufopferungsvollen
     Schmerzensmannes auseinander, der das Joch/Kreuz der Welt trägt,
     um seinen Auftrag für die Welt ausführen zu können. Sie erhält jeweils
     die bildliche Darstellung eines Mannes (Jesu), der einen
     Joch/Kreuzbalken auf seinen Schultern trägt15 sowie Jesu, der das
     Kreuz trägt16; dazu die Bibeltexte Joh 19,17 sowie Jes 42,1-4 (1.
     Gottesknechtslied) und Jes 52,13-15 (2. Gottesknechtslied).
•    Die nächste Gruppe setzt sich mit dem Motiv der bedingungslosen
     Liebe auseinander. Sie erhält das Bild einer Frau, die ihren Mann
     liebevoll umarmt oder das Bild eines Liebespaares17; dazu den
     Bibeltext 1 Kor 13,1-10.
•    Eine weitere Gruppe schließlich befasst sich mit dem Motiv des Berges
      als Ort der Epiphanie bzw. Theophanie. Sie erhält das Bild einer
      imaginierten Epiphanie/Theophanie auf einem Berg18; dazu die
      Bibeltexte 1 Kön 19,8-16, Jes 2,2-4 und Mt 5,1-11.

Sie erhalten dazu die Aufgabe: Setzt die bildlich dargestellten christlichen und biblischen Motive sowie die Bibeltexte dazu in Beziehung zu der Trainingsszene aus Rocky IV. Analysiert und interpretiert davon ausgehend die entsprechende Filmszene vor dem Hintergrund der von euch formulierten philosophischen Frage(n).


Impulse zum Weiterdenken (Philosophie mit)

Um schließlich die Aktualität der zentralen Frage(n) rund um die Instrumentalisierung christlich-biblischer Symbolik in der Trainingsszene in Rocky IV aufzuzeigen, wird den Gesprächsteilnehmenden ein Foto von Donald Trump im US-Wahlkampf mit einer Bibel in der Hand19 gezeigt; möglich ist auch ein Bild mit Wladimir Putin und dem Patriarchen Kyrill20. Sie erhalten kurze Informationen zu Fotos und ihres Entstehungskontextes.21  Der Diskurs über die grundlegende philosophische Frage nach Gut und Böse, über schlichte binäre Wirklichkeitskonstruktionen, über die politische Instrumentalisierung religiöser Symbolik kann weitergeführt und vertieft werden.

Anmerkungen

  1. Als Grundlage und Ausgangsidee für diesen Artikel dienen Überlegungen und Ausarbeitungen Arwed Marquardts im Rahmen einer Lehrveranstaltung für Studierende der Kulturwissenschaften an der Leuphana-Universität mit dem Titel „Das kämpferische Subjekt“.
  2. Rocky IV. Directed by Sylvester Stallone. 1985. Beverly Hills, CA: MGM/UA Home Video, 2008. DVD.
  3. Rocky vs. Ivan Drago Rocky IV Training Montage HD; bei YouTube: https://youtu.be/A_hLdPRsssE.
  4. Drehbuch, Regie, Hauptrollen: Sylvester Stallone; Dolph Lundgren, Brigitte Nielsen. Der Film erhielt 1986 fünf goldene Himbeeren, dennoch wurde er ein Kassenschlager.
  5. Beispiele: 1. Im Wahljahr 2020 zeigte sich Donald Trump nach einer Wahlkampfrede im Rosengarten vor der Kirche St. Johns in Washington mit einer Bibel in der Hand. Damit signalisiert er seinen treuesten Anhänger*innen im evangelikalen Milieu, dass sie gemeinsam mit ihm auf der guten, der richtige Seite, während die gegnerischen Demokraten auf der Seite des Antichristen stehen. 2. Auch Wladimir Putin zeigt sich immer wieder gerne zusammen mit höchsten Repräsentanten der russisch-orthodoxen Kirche; so gratulierte er bspw. am 20.11.2021 dem Patriarchen Kyrill zum 75. Geburtstag und zeichnete ihn mit dem höchsten staatlichen Orden Russlands aus, dem Orden des heiligen Apostels Andreas.
  6. Vgl. Salyer, Rocky Road; Walsh, “Italian Stallion”; Hilby et al., Utilizing Film; Tholas-Disset, From Rocky.
  7. Vgl. Keller, Reflections on Gender and Science, 8.
  8. Dass ausgerechnet Angehörige ethnischer Minderheiten (denn auch Rocky Balboa ist nur zur Hälfte amerikanischer Abstammung) als legitimierte Vertreter im Kampf gegen die Sowjetunion eingesetzt werden, ist provokant. Bekannt ist Muhammad Alis Ausspruch: „I don´t give a damn, I don´t go to Vietnam”. Für seine Verweigerung des Kriegsdienstes sollte er eine Haftstrafe antreten und 10.000 Dollar Strafe zahlen. Nur durch langwierige Gerichtsverfahren blieb ihm das Gefängnis erspart, sein Titel als Champ wurde ihm jedoch aberkannt und die Boxlizenz für drei Jahre entzogen.
  9. Vgl. Palmer, The Films of Eighties, 219.
  10. Stallone, Sylvester: https://www.promisglauben.de/sylvester-stallone-ueber-seine-filmfigur-rocky-ist-sehr-christlich (07.12.2021).
  11. Bei dem Evangelisten Lukas ist von einer Futterkrippe die Rede, in die Maria ihren Sohn Jesus legte (Lk 2,7.12), weil in der Herberge kein Platz gewesen sei. In der Legendenausbildung wurde der Geburtsort Jesu deshalb in einen Stall verlegt, um den Kontrast zwischen diesem ganz anderen König und den weltlichen Königen, die in Palästen wohnen, hervorzuheben.
  12. Vgl. hierzu in diesem Heft, 41 und das Downloadmaterial zum Beitrag, 38ff.
  13. Z.B.: www.krippe-erloeserkirche.de/Landschaft/Sze nen%20unserer%20Krippe/der%20Stall/
  14. Z.B.: https://vinyl.bertelsmann.com/de/records/view/L38108
  15. Z.B.: https://images.app.goo.gl/2HxfkjGucUaeE3my6
  16. Z.B.: https://images.app.goo.gl/ygyBNc9SdyuSeZH QA
  17. Z.B.: https://images.app.goo.gl/jAwQfmJqxjcYzzzb7
  18. Z.B. https://images.app.goo.gl/pftJdvG4G32QaZ577
  19. Donald Trump hält eine Bibel in der Hand: https://images.app.goo.gl/xjRoo9WqRMqbPHwg8
  20. Putin mit Kyrill bei einer Prozession: https://images.app.goo.gl/xpFGpST1WPgbA3dbA
  21. S.o. und Fußnote 5.

 

Literatur

  • Hilby, Alyssa C./Stephens, Carrie A./Stripling, Christopher T.: Utilizing Film to Teach Leadership: An Analysis of Miracle, Rocky IV, and Lincoln, in: Journal of Human Sciences and Extension 4 (3) (2016), 143-157; www.jhseonline.com/article/ view/764/662
  • Hirshberg, Matthew S.: Perpetuating Patriotic Perceptions: The Cognitive Function of the Cold War, Santa Barbara 1993
  • Keller, Evelyn F.: Reflections on Gender and Science. New Haven 1985
  • Lopes, Rui/Brock, Maria: “Rocky IV” is a Cold War Montage with a Robotic Heart; www.popmatters.com/192493-rocky-iv-is-a-cold-war-mon tage-with-a-robotic-heart-2495540139.html
  • Palmer, William J.: The Films of the Eighties: A Social History, Carbondale 1995
  • Romano, Frederick V.: The Boxing Filmography. American Features, 1920-2003, Jefferson 2004
  • Salyer, Jeffrey L. Jr: Rocky Road. The Hero‘s Journey of Rocky Balboa through the “Rocky” anthology. Master’s thesis, Regent University 2009; https://search.proquest.com/openview/b92b 9476703493f039b4411659397b3d/1?cbl =18750&diss=y&pq-origsite=gscholar
  • Silverblatt, Art et al.: Media Literacy. Keys to Interpreting Media Messages, Santa Barbara 2014
  • Stallone, Sylvester: www.promisglauben.de/sylves ter-stallone-ueber-seine-filmfigur-rocky-ist-sehr-christlich (07.12.2021)
  • Tholas-Disset, Clémentine: From Rocky (1976) to Creed (2015). “Musculinity” and Modesty, in: InMedia 6/2017, https://journals.openedition.org/inmedia/pdf/849
  • Walsh, Lisl: “Italian Stallion” meets “Breaker of Horses”. Achilles and Hector in Rocky IV (1985), in: Classical Myth on Screen, New York 2015
  • Yüksel, Hasan: Cold War Ideology: The Rocky 4 Movie, in: Journal of Labor and Society 21 (3) 2018, 385-414 https://onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1111/wusa.12351