Das Thema 'Tod' im Religionsunterricht

von Dietmar Peter

 

„Reden vom Tod ist Reden vom Leben“. 1Betrachtet man die gängigen Handlungsebenen, die sich im Umgang mit Sterbenden, in Bestattungsbräuchen und Trauerriten offenbaren, drückt sich darin allerdings eher eine allgemeine und strukturelle Unfähigkeit zur Kommunikation des Wissens um Sterben und Tod aus. Das Thema scheint mit dem stark verbreiteten Glauben an menschliche Allmacht zu kollidieren. Damit ist nicht gesagt, dass die Darstellung und das Sprechen von Sterben und Tod in unseren gesellschaftlichen Bezügen einem Tabu unterliegt. Im Gegenteil: Eine zunehmende Veralltäglichung des Todes und seine Allgegenwärtigkeit in der Phantasie- und Lebenswelt heutiger Kinder und Jugendlicher widerlegt diese vielzitierte These. Sterben und Tod sind keine Ausnahmesituationen mehr; sie werden täglich medial ins Haus getragen. Unzählig sind die Bilder von Sterbenden und Toten, die z.B. durch das Fernsehen ausgestrahlt werden und auf Kinder und Jugendliche wirken. Schaltet man sich durch das inzwischen unüberschaubar gewordene Fernsehangebot, kann man täglich eine Vielzahl von Verkehrstoten, Leichen, die Umweltkatastrophen zum Opfer fielen und Menschen, die Opfer von Gewalt und Krieg wurden, sehen. 1992 wurden auf deutschen Bildschirmen etwa 500 Morde pro Woche gezählt 2. Diese Zahl dürfte sich inzwischen überholt haben. Für Amerika wurde errechnet, dass ein Durchschnittskind während seiner Grundschulzeit ungefähr 8.000 Morde und 100.000 andere Gewalttaten auf dem Bildschirm“ 3miterlebt hat. In diesem Zusammenhang machte sich kürzlich auch das Internet einen Namen, wo man sich (vorausgesetzt man kennt die WWW-Adresse) Bilder von Leichen bzw. Bildfolgen von der Zerstückelung einer Leiche auf den eigenen PC herunterladen kann.

Wer nun unterstellt, dass mit dieser Dauervisualisierung des Todes eine angemessene Auseinandersetzung bei Kindern und Jugendlichen gefördert bzw. der Wunsch nach einer ebensolchen initiiert wird, täuscht sich. Es kommt vielmehr zu einem sogenannten Vergleichgültigungseffekt 4d.h. zu einer um ein Vielfaches effektiveren Verdrängung des Todes als sie durch die in den Lehrplänen, Rahmenrichtlinien und Arbeitshilfen stereotyp wiederholte und viel beschworene Tabuisierung hervorgerufen wird.

Welche Bilder, Vorstellungen und Begriffe vom Tod resultieren daraus nun für Kinder und Jugendliche unterschiedlichen Alters? Auf welche Weise beschreiben und erklären sie das Phänomen im Umfeld von Sterben und Tod? Als hilfreich bieten sich hier die Ergebnisse einer Untersuchung des Thanatologen Joachim Wittkowski an. 5Wittkowski fragt darin nach Vorstellungen und Bildern kognitiven Inhalts, die Kindern zur Erklärung und Beschreibung des Todes zur Verfügung stehen. Er prägt dabei den Begriff des Todeskonzepts, worunter er eine kognitive (umfasst primär Wahrnehmen und Denken) und eine emotionale Komponente (umfasst die Gefühle, die mit den einzelnen kognitiven Inhalten verbunden werden) subsumiert. 6Die Inhalte des kindlichen Todeskonzepts speisen sich aus dem, was das Kind schon über den Tod weiß und dem, was das Kind durch Antizipation, Phantasie oder Erfindung aus bereits vorhandener kindlicher Erfahrung abgeleitet hat. Wittkowski unterscheidet im Todeskonzept mehrere Dimensionen, die er als Subkonzepte bezeichnet. Danach ergibt sich eine vierdimensionale Struktur mit den folgenden Komponenten: „Nonfunktionalität bezeichnet die Erkenntnis, dass alle lebensnotwendigen Körperfunktionen mit Eintritt des Todes aufhören; Irreversibilität steht für die Unumkehrbarkeit eines einmal eingetretenen Todes; Kausalität hebt auf die Ursachen für das Eintreten des Todes ab; Universalität betrifft die Einsicht, dass alle Lebewesen ohne Ausnahme sterben müssen.“ 7

Wie in anderen kognitionspsychologischen Theorien wird die Entwicklung der kindlichen Vorstellungen von Tod und Sterben in Stufen beschrieben. Dabei gilt, dass ein Kind bis zum dritten Lebensjahr dem noch keine Bedeutung zumisst und die genannten Komponenten in keiner Weise auch nur ansatzweise erfasst. Der Gegensatz von tot und lebendig ist nicht fassbar. So sind für das Kind alle Gegenstände lebendig und auch der tote Mensch wird in irgendeiner Form als lebendig vorgestellt. Kinder dieses Alters glauben, den Tod durch bestimmte Verhaltensweisen vermeiden zu können oder sie denken, dass bestimmte Menschen (Eltern, Freunde) nicht vom Tod betroffen seien. Trotz entsprechenden Spracherwerbs können sie die Notwendigkeit des Sterbenmüssens noch nicht in Worte fassen. Tod wird als reversibel und temporär erfahren und verstanden.

Im Alter von drei bis fünf Jahren entwickelt das Kind bereits begrenzte Vorstellungen vom Tod. Die Kinder stellen sich Totsein nun als reduziertes Leben vor. Es ist ihnen nicht möglich, klar zwischen ‘lebendig’ und ‘tot’ zu unterscheiden. Bezogen auf das Subkonzept Universalität und Irreversibilität liegt ein abgestuftes erwachsenengemäßes Todeskonzept vor. Tod wird mit dem Entfernen aus dem kindlichen Gesichtsfeld beschrieben und mit Verstecken, Fortlaufen oder Tot stellen gleichgesetzt. Dieses zeigt sich an einer Äußerung eines Kindes im Kindergartenalter: „Mein Bruder war auch gestorben, und er ist wieder lebendig geworden. Ja, das stimmt.“ 8Kinder setzen sich jetzt sachlich mit dem Tod auseinander. Sie erkennen, dass Tote sich nicht mehr bewegen können. Allerdings gestehen sie einer Leiche zum Teil noch Gefühlsregungen und Lebensfunktionen zu: So fragte mich ein fünfjähriges Kind nach der Beerdigung seines Opas: „Weint Opa jetzt da drin, wenn er uns hier sieht?“. Häufig beschäftigt Kinder dieses Alters auch, ob Tote unter der Erde noch atmen können und ob es im Sarg bequem ist. Friedhöfe sind in ihrer Vorstellung voll von lebendig Begrabenen.

Ab dem sechsten Lebensjahr wird der Bedeutungszusammenhang ‘Tod’ stärker affektiv besetzt und ein partielles Verständnis der konstituierenden Komponenten des reifen Todeskonzepts erworben. Der Tod wird nun nicht mehr nur mit Bewegungsunfähigkeit gleichgesetzt. Das Kind erkennt weitere Merkmale wie z.B. Atemstillstand, Ende des Herzschlages etc. Gedanken an den Tod lösen Gefühle von Angst und Trauer aus und werden mit dem Gefühl der Verlassenheit verbunden. Langsam bildet sich die Gewissheit heraus, dass alle Menschen sterben und dass die Eltern, Verwandten, Freunde und andere Nahestehende und schließlich auch das eigene Ich davon nicht ausgeschlossen ist. 9Die Kinder beschäftigen nun Fragen wie z.B. „Was wird nach dem Tod sein?“ oder „In welchen Zustand befinden sich die Toten?“. Eltern antworten darauf mit Geschichten vom Himmel, so dass kindliche Unsterblichkeitsphantasien durch religiöse Euphemismen ersetzt werden. Zu abstrakten Auffassungen vom Leben nach dem Tod sind die Kinder noch nicht fähig. Schaut man Kinderzeichnungen zum Thema an, so wird das Leben nach dem Tod mit einer Art Schlaraffenland in Verbindung gebracht. Auferstehung interessiert in erster Linie von ihrer technischen Seite und nicht so sehr von der Seite christlichen Glaubens. Fragen wie „Was macht Gott denn nur mit all’ den Toten?“ oder „Wie holt Gott die Toten aus den Gräbern?“ dominieren das Denken. Insgesamt werden die konstituierenden Komponenten des reifen Todeskonzepts, das für Erwachsene gilt, erfasst. So scheint es, dass die Subkonzepte ‘Universalität’, ‘Irreversibilität’, ‘Nonfunktionalität’ und ‘Kausalität’ innerhalb der genannten Altersspanne annähernd gleichzeitig verstanden werden. 10

Im Alter von neun Jahren und mehr verfügen die meisten Kinder über ein nahezu vollständiges Todeskonzept, d.h. sie sind in der Lage, logisch und biologisch zutreffende Kennzeichnungen der einzelnen genannten Subkonzepte des Todeskonzepts zu geben. Die Todesvorstellungen werden zunehmend realistischer und detaillierter. Zusammenhänge zwischen Tod, Sarg, Beerdigung und Friedhof können hergestellt werden. Allerdings ist der Gedanke, dass der Körper mit dem Tod zerfällt, für das Kind in der Regel noch nicht annehmbar. So äußerten sich neunjährige diesbezüglich wie folgt:

  • „Wenn ich auch mal sterbe, aber mein Herz stirbt dann nicht, weil immer im Herzen alles gut ist.“
  • „Ich möchte noch einmal auferstehen.“
  • „Wenn ich ins Grab falle, denke ich, dass ich in tausend Fetzen zerfalle.“
  • „Ich möchte nicht sterben, weil der Tod nicht schön ist. Aber weil alle Menschen sterben, stell’ ich mir das Paradies vor.“
  • „Ich stell’ mir vor, dass ich, wenn ich im Grab bin, so lange drin bleibe, bis die Welt von der Sonne verbrannt worden ist. Dann fängt die ganze Welt wieder an. Und wenn ich dann von meiner Mutter geboren werde, tue ich immer wieder das gleiche, und das geht immer so weiter.“ 11

Bis auf eine Ausnahme ist Hoffnung Thema dieser Aussagen. Zwar ist die erwartete Zukunft ungewiss, jedoch wird sie neu, erregend und besser vorgestellt.

Etwa ab dem zehnten Lebensjahr zeigen Kinder Trauerreaktionen, die denen von Erwachsenen äquivalent sind. Damit gewinnt die eigene Todesfurcht an Präsenz. Die resultierenden Ängste werden tendenziell verdrängt. Kinder in diesem Alter sind eher extrovertiert, stecken voller Energie und Plänen, die sich in erster Linie an den Erfordernissen des Alltags orientieren. Zum Nachdenken über den Tod bleibt dabei wenig Zeit.

Dieses verändert sich wieder etwa ab dem vierzehnten Lebensjahr. Die Auffassungen und Vorstellungen von Sterben und Tod werden weitgehend von Erwachsenen übernommen, „das Todeskonzept hat sich von magisch-animistischen zu biologischen Vorstellungen gewandelt, der Begriff des natürlichen Todes ist vorhanden“ 12. Die Auseinandersetzung mit dem Tod wird jetzt insbesondere im Zusammenhang mit der Frage nach dem Sinn des Lebens aufgenommen. Standen bis dahin kognitive Aspekte des Todeskonzepts im Vordergrund, so rückt nun die Frage nach der Entwicklung der emotionalen Komponenten desselben ins Zentrum. Dabei geht es nun insbesondere um die Angst vor Sterben und Tod.

Worum hat es nun zu gehen, wenn sich der Religionsunterricht anschickt, das Thema Tod zum Gegenstand seiner unterrichtlichen Betrachtungen zu machen? Sollen die Definitionen der biologischen Grenze zwischen Leben und Tod oder die Erfahrungen der Kinder und Jugendlichen mit Sterbenden und Verstorbenen im Zentrum des Interesses stehen? Welche Texte christlicher Überlieferung sollen in den Unterricht eingebracht werden? Die Antwort fokussiert sich dahingehend, dass ein verantworteter RU theologisch angemessen, wissenschaftlich fundiert und exemplarisch ausgewählt in die Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler hinein von Sterben und Tod spricht 13. Die primär religionspädagogische Aufgabe ist, den Kindern durch die Rede von Gott und Jesus Christus Vertrauen in Gegenwart und Zukunft zu geben und die Erfahrung des Angenommenseins zu ermöglichen. D.h. es geht nicht primär um die Frage „Wann, wie und warum sterben wir?“, sondern um die Eröffnung einer Perspektive über den Tod hinaus.

Des weiteren ist unverzichtbar, die Schülerinnen und Schüler mit den mit dem Tod eines Menschen verbundenen Ritualen vertraut zu machen, da diese zunehmend bei Kindern und Jugendlichen unbekannt sind. Verunsicherungen, Handlungsun­fähigkeit und unangemessenem Verhalten im Umgang mit Sterbenden oder Trauernden beschreiben die Konsequenz.

Wie diese Globalziele zu erreichen sind, hängt letztlich vom Alter der Schülerinnen und Schüler und ihrer aktuellen Situation ab. Die/der Unterrichtende wird sich dem Thema anders nähern müssen, wenn der Tod einer Lehrerin, eines Klassenkameraden die Auseinandersetzung mit dem Thema geradezu in die Klasse hineinträgt als wenn von einer sogenannten „Normalsituation“ („Ich behandle das Thema, weil es in diesem Schuljahr in den Richtlinien steht“) auszugehen ist. Nachstehend sollen einige Möglichkeiten zur Auseinandersetzung mit dem Thema Tod im Religionsunterricht aufgezeigt werden, die situativ zu modifizieren sind.

Da Kinder ab der Primarstufe in der Regel bereits über direkte oder indirekte Erfahrungen mit dem Tod verfügen, ist es sinnvoll, ihnen im Religionsunterricht zunächst die Möglichkeit zu eröffnen, davon zu erzählen. Sind die Erfahrungen derart belastend, dass alle oder einzelne Schülerinnen und Schüler angesichts des Todes sprachlos geworden sind, können nonverbale Kommunikationsformen die Sprachfähigkeit wieder herstellen. Dafür stehen das Malen von Bildern, die Vertonung eigener Todesvorstellungen mit Orffschen Instrumenten, das Finden und Darstellen angemessener Körperhaltungen, die den Gefühlen von Tod und Trauer entsprechen und deren Darstellung, das Verfassen eigener Texte u.v.m.

Ausgehend von den Erfahrungen gilt es, ein sachgerechtes Verständnis vom Tod anzubahnen. Im Zentrum dieser Bemühungen steht zunächst, den Kindern den Tod in seiner Endgültigkeit verstehbar zu machen. Beispiele aus der Natur oder Geschichten bieten sich hierzu an. So kann im Herbst der Weg der Blätter beobachtet und beschrieben werden oder anhand von Geschichten wie „Leb wohl, lieber Dachs“ 14oder der „Raupengeschichte“ 15eine realistische Auseinandersetzung mit der zeitlichen Begrenztheit des Lebens initiiert werden.

Die mit dem Tod verbundene Rituale erschließen sich leicht durch eine Exkursion auf einen Friedhof. Hier können die Kinder eine große Anzahl bedenkenswerter Orte aufsuchen und sie nach ihrem und dem Bedeutungsgehalt der dort vorfindlichen Gegenstände befragen: Friedhofskapelle, eine Gruft, Gräber, Grabschmuck, Grabsteine mit Inschriften etc. Besondere Bedeutung können hier die Grabsteine erhalten. Sie haben verschiedene Formen, Gestaltungselemente und Inschriften. An ihnen lassen sich die Einstellungen der Hinterbliebenen zu den Verstorbenen und zum Tod überhaupt ablesen. Zudem lassen sie Schlüsse auf religiöse und weltanschauliche Einstellungen zu. Des weiteren fördern vorbereitete Gespräche mit einer Pastorin oder einem Pastor, Angestellten eines Bestattungsinstituts, Mitarbeitern des Friedhofs oder der ‘Totenfrau’ die Erfahrung des Todes als alltäglichem Bestandteil des Lebens.

Neben dieser zum Teil sachlich angelegten Betrachtung des Todes sollte den Kindern das Nachempfinden der Bedeutung eines absoluten Abschiedes ermöglicht werden. Gespräche über alltägliche Erfahrungen des Verlustes, der Trennung und des Abschiednehmens können hilfreich sein. In Geschichten über den Abschied eines Freundes, den Tod eines Tieres etc. läßt sich ein Verständnis dafür anbahnen, dass unabwendbare Trennungen einen Verlust an Lebensqualität und Schmerz bedeuten. Auch hier können die Unterrichtenden auf das Betrachten und Lesen von Kinderbüchern oder Texten zurückgreifen, die sich mit Abschied und Tod auseinandersetzen. 16Vorstellbar wäre auch ein vorbereiteter Büchereibesuch, bei dem den Kindern eine bestimmte Auswahl an Büchern zum Thema zur Verfügung gestellt wird, aus der sie eine eigenständige Auswahl treffen. Nach der Lektüre der Bücher ist das Thema in der Schule wieder aufzugreifen, um die wesentlichen Einsichten der Kinder und ihre Verständnisprobleme festzuhalten und zu klären.

Neben den genannten Schritten gehört zur Anbahnung eines kompetenten und autonomen Umgangs mit Sterben und Tod im Religionsunterricht der Rückgriff auf die in biblischen Texten niedergelegten Erfahrungen und Glaubensaussagen. Diese unterscheiden sich im Alten und Neuen Testament. In den vorexilischen Texten des Alten Testaments wird der Tod als kreatürliches Geschehen von Jahwe, dem Schöpfergott, mit dem Leben verknüpft. Einerseits schafft, erhält, schützt und segnet Gott den Einzelnen und sein Volk, andererseits begrenzt er ihn und es durch den Tod. Er tötet, und er macht lebendig (1. Sam 2, 6). Ein verführter Tod wird in den Psalmen, bei den Propheten und in der Weisheitsliteratur dem Tun-Ergehen-Schema unterstellt, d.h. Gottesfurcht führt zum Leben und Segen, sündiges Handeln zum Strafgericht Gottes und damit zum Tod. Nur punktuell wird der Tod im Alten Testament als Grenze alles Lebendigen überschritten. Hierfür stehen die apokalyptischen Texte wie z.B. Dan 12 oder Jes 24 - 27. Die hier anzutreffenden Denkfiguren leiten über zum neutestamentlichen Verständnis des Todes. Durch den Tod Jesu Christi und durch seine Auferstehung ist der ‘Tod des Todes’ besiegelt. Die persönliche Neuschöpfung vollzieht sich im Glauben: „Mitten im Tod sind wir im Leben“ (Luther).

Damit besteht jedoch die Tatsache des Sterbenmüssen auch für den Glaubenden weiter. Sie bleibt ihm als Problem. Allerdings werden menschlichen Allmachtsphantasien durch den Tod Grenzen gesetzt. Der Ruf Jesu zur radikalen Abkehr von einem Leben, das über sich selbst verfügen zu können meint und sich damit von Gott entfremdet, hat hier einen Grund. Jesus ging es um das Verhältnis des Menschen zu Gott. Nicht die Faktizität des Sterbenmüssens ist für die neutestamentlichen Schriften ein Problem, sondern, dass wir uns im Leben von Gott trennen, d.h. als Sünder sterben (Lk 12, 13-21). Ein Sich-Verlassen auf Gott bedeutet, die Wahl eines Lebens, das den Tod definiert und ihn in seine Schranken weist. Die in Psalm 73 gemachte Zusage ‘Ich aber bleibe bei dir’ nimmt dem Tod seine Macht und eröffnet dem Menschen ein Leben, das ein Sich-Einlassen auf Sterben und Tod ermöglicht.

Für einen Religionsunterricht, der unter der Prämisse der beschriebenen didaktischen Vorüberlegungen ein biblisches Verständnis vom Tod zum Gegenstand seines Bemühens macht, können folgende Bausteine handlungsleitend sein: Zunächst einmal geht es darum, geeignete Perikopen zu finden, die mit den Erfahrungen der Kinder korrelieren. Als Beispiele seien hier Psalm 103, 15-18 oder Gen 25 genannt. Wichtig ist, dass die Schülerinnen und Schüler in den Gestalten der Bibel ‘Verbündete’ finden, Menschen, die ihnen angesichts der angstmachenden Situation ‘Tod’ Wege des Glaubens und Vertrauens aufzeigen.

Im weiteren Verlauf sollte der/die Unterrichtende bemüht sein, ein Verständnis für ein Weiterleben nach dem Tod anzubahnen. Die Nähe der Passionsgeschichte zu den menschlichen Grunderfahrungen in Zusammenhang mit dem Tod erscheint hier in besonderer Weise geeignet. Die Beschreibung des Leidens Jesu als Leiden eines Menschen, d.h. als schmerzhaftes, sich in mehreren Stationen vollziehendes und mit einem Schrei endendes Geschehen, bietet eine Vielzahl von Anknüpfungspunkten für die Schülerinnen und Schüler. So kann es im Religionsunterricht darum gehen, die Einsamkeit Jesu in Gethsemane mit Erfahrungen des Alleinseins der Kinder in Beziehung zu setzen oder den Verrat des Judas mit Situationen zu vergleichen, in denen sie von Freunden enttäuscht, verlassen oder verraten wurden. Die dunkle Geschichte des Todes Jesu kann in einem großen dunklen Bild dargestellt und verarbeitet werden, wobei wichtig ist, dass am Ende der Stunde ein Licht angezündet und auf die Folgestunde verwiesen wird.

Die Auferstehungsgeschichten sollten im Unterricht unter dem Gesichtspunkt des Vertrauens Jesu auf den liebenden Gott Gestalt gewinnen. Für die Schülerinnen und Schüler wird die Auferweckung Jesu als unverdientes Geschenk um so leichter verstehbar, je mehr Erfahrungen sie bereits mit einem liebenden Gott machen konnten. Das Vertrauen Jesu in seinen Vater lässt sich mit Erfahrungen von Vertrauen der Kinder in Gott und Mitmensch vergleichen. Die Kinder werden die Liebe Gottes in Tod und Auferweckung um so eher verstehen und nachvollziehen, je mehr sie im alltäglichen Leben auf Menschen vertrauen konnten und können. Daher ist die Erschließung der Auferweckung Jesu primär über die Anknüpfung an Vertrauenserfahrungen der Schülerinnen und Schüler möglich. Spiele wie ‘Blind geführt werden’ oder ‘sich rückwärts fallen lassen und von Mitschülerinnen und -schülern aufgefangen werden’ stehen hier als denkbare Beispiele für eine unterrichtliche Umsetzung. Neben allem unterrichtlichen Bemühen ist unverzichtbar, dass die Kinder ein Gefühl des Geborgenseins und des Vertrauens in der Klasse erleben und sich gehalten und akzeptiert fühlen.

Zusammenfassend bleibt zu sagen, dass ein Religionsunterricht, der das Thema Tod angemessen vermitteln will, sich der Aufgabe stellen muss, auf ein tiefer verstandenes Leben angesichts des Todes vorzubereiten. Im Vollzug des religiösen Lernprozesses befinden sich die Unterrichtenden und die Kinder gemeinsam auf einen nicht immer geradlinigen und planbaren Weg. Im Rucksack hat jeder seine Glaubens- und Lebenserfahrungen, von denen einerseits gezehrt wird, die aber auch ein Vorankommen erschweren. Wird die Last dabei allzu schwer, muss der Rucksack ausgepackt und auf seinen Inhalt überprüft werden. Ziel des Weges bleibt letztlich die Annahme menschlicher Endlichkeit - dieses jedoch, ohne dass alles Leben im Nichts aufgeht.

 

Anmerkungen

  1. Bodawaré, C.: Reden vom Tod ist Reden vom Leben. Neuere Kinder- und Jugendliteratur zum Thema ‘Tod’ als Impuls für die religionspädagogische Praxis in Sonderschulen. Essen 1989
  2. vgl.: Augsburger Allgemeine Nr. 31 v. 7.2.1992
  3. vgl.: Süddeutsche Zeitung Nr 47 v. 26.2.1992
  4. vgl.: Lämmermann, G.: Über den Tod reden mit Grundschulkindern? In: Der Evangelische Erzieher 1983. S. 658
  5. vgl.: Wittkowski, J.: Psychologie des Todes. Darmstadt 1990
  6. vgl.: Wittkowski, J., a.a.O. S. 44
  7. Wittkowski, J.: Psychologie des Todes. In: Universitas, Zeitschrift für interdisziplinäre Wissenschaft 46 (1991), 317
  8. zit. nach Rudolph, M.: Wie ist das, wenn man tot ist? Mit Kindern über das Sterben reden. Ravensburg 1979, 25
  9. Bodawaré, Chr. a.a.O., 35
  10. vgl. Wittkowski, J. 1990, 58
  11. zit. nach Brocher, T.: Wenn Kinder trauern. Hamburg 1990. 15, 17, 18, 20
  12. Bodawaré, Chr. a.a.O., 36
  13. vgl.: Böcker, W.: Gesellschaftliche und religionspädagogische Aspekte zum Umgang mit Sterben und Tod. In: Der Evangelische Erzieher, 1983. 651
  14. Valery, Susan: Leb wohl, lieber Dachs. Betz Verlag 1984.
    Der alte Dachs hat eine Ahnung von seinem bevorstehenden Tod. Er macht sich ohne Angst auf den Weg durch einen langen Tunnel und fühlt sich frei. Die Tiere, die zurückbleiben, trauern und erinnern sich an die positiven und lustigen Erlebnisse, die sie mit dem Dachs hatten.
  15. Brandt, Katrin; Bröger, Achim: Raupengeschichte. Zürich 1978.
    Anhand dieses Buches lernen die Kinder mithilfe künstlerisch sehr schöner Bilder die Verwandlung einer Raupe zum Schmetterling kennen und damit ein Zeichen für die Verwandlung, die mit dem Tod geschieht.
  16. Eine Liste geeigneter Bücher ist diesem Text angefügt.

 

Literatur:

  • Böcker, W.: Gesellschaftliche und religionspädagogische Aspekte zum Umgang mit Sterben und Tod. In: Der Evangelische Erzieher, 1983. 640 - 655
  • Bodawaré, C.: Reden vom Tod ist Reden vom Leben. Essen 1989
  • Brandt, Katrin; Bröger, Achim: Raupengeschichte. Zürich 1978.
  • Brocher, T.: Wenn Kinder trauern. Hamburg 1990
  • Dönges, K.; Jendorff, B.: Das Thema „Tod“ in religionsdidaktischer Perspektive. In: Der Evangelische Erzieher, 1983. 668 - 678
  • Feldmann, K.: Der Tod ist ein Problem der Lebenden. Frankfurt 1995
  • Lämmermann, G.: Über den Tod reden mit Grundschulkindern? In: Der Evangelische Erzieher, 1983. 655 - 667
  • Rudolph, M.: Wie ist das, wenn man tot ist? Mit Kindern über das Sterben reden. Ravensburg 1979
  • Steffensky, F.: Vom Leben zum Tod. In: Das Baugerüst 94/2. 100 - 106
  • Valery, Susan: Leb wohl, lieber Dachs. 1984.
  • Wittkowski, J.: Psychologie des Todes. Darmstadt 1990
  • Wittkowski, J.: Psychologie des Todes. In: Universitas, Zeitschrift für interdisziplinäre Wissenschaft 46, 1991. 317f


Kinder- und Jugendbücher zum Thema Tod
Bilderbücher

  • Brand, Katrin/Gröger, Achim: Raupengeschichte. Zürich 1978
  • Vainio, Pirkko: Die Schneegans. Gossau, Hamburg. 1993
  • Valery, Susan: Leb wohl, lieber Dachs. 1984
  • Veldhuijs, Max: „Was ist das?“ fragt der Frosch. Frankfurt, Salzburg. 1992
  • Wynnejones, Pat (Hg.): Die Geschichte von der Larve Geronimo. Stuttgart 1992

 
Tod eines alten Menschen

  • Alex, Marlee und Benny: Großvater und ich und die traurige Geschichte mit dem kleinen Kätzchen. Basel 1982
  • Bröger, Achim: Oma und ich. Eine Kindergeschichte, illust. von Nell Graber. Zürich 1986
  • Burningham, John/Korschunow, Irina: Mein Opa und ich. Zürich/Schwäbisch Hall 1984
  • Egger, Bettina/Jucker, Sita: Marianne denkt an ihre Großmutter. 1986
  • Gardiner, John Reynolds: Steinadler. Bilder von Gabriele Hafermaas. Ravensburg 1986
  • Günzel-Horatz, Renate: Kein Eis für Oma. Illustr.: F.W. Maiboom. Düsseldorf 1984
  • Harranth, Wolf/Oppermann-Dimow, Christina (Bilder): Mein Opa ist alt, und ich hab ihn sehr lieb. Ravensburg 1986
  • Härtling, Peter: Oma. Weinheim und Kassel 1975
  • Janosch: Der alte Mann und der Bär. Zürich 1985
  • Mai, Manfred: Wenn Oma plötzlich fehlt. Zürich/Köln 1984
  • Mazer, Norma: Abschied und Anfang. Aarau und Frankfurt a.M. 1988
  • Oma-Geschichten. Verschiedene Autoren. Wien 1986
  • Pausewang, Gudrun: Der Großvater im Bollerwagen. Zürich/Frauenfeld 1988
  • Schindler, Regine: Oma, Opa und ich. Lahr 1988.
  • Sommer-Bodenburg, Angela/The Tjong Khing: Julia bei den Lebenslichtern. München 1989
  • Tidholm, Thomas (Bilder)/Tidholm, Anna-Clara (Text): Die Reise nach Ugri-La-Brek. Weinheim und Basel 1990
  • Welsh, Renate: Eine Hand zum Anfassen. Ein Briefroman. Wien/München 1985
  • Wolf, Winfried/Duroussy, Nathalie (Bilder): Indianerjunge Kleiner Mond. Gossau und Hamburg 1992

 
Tod der Eltern

  • Farley, Carol: Die Welt ist eine Seifenblase. Zürich/Köln, 1979
  • Kilian, Susanne: Die Mondmutter. Eine Kindergeschichte von der Erinnerung, der Trauer und der Liebe. Würzburg 1989
  • Zöller, Elisabeth: Auf Wiedersehen, Mama! Recklinghausen 1990

 
Tod eines Säuglings

  • Broeckhoven, Diane: Auf Wiedersehen, Vogelkind! Hamburg 1990
  • Glade-Hassenmüller, Heidi: Ein Sonntag im September. Recklinghausen 1991

 
Tod von Kindern und Jugendlichen

  • Abrahamsen, Aase Foss: Es war nicht meine Schuld.1987
  • Bernhard-von Luttitz, Marieluise: Möchtest du mein Bruder sein? Das Abenteuer einer unerwarteten Freundschaft. Stuttgart, 1989
  • Breen, Else: Stoppt das Karussell. Baden-Baden 1980
  • Ellermann, Heike: Der rote Faden. Oldenburg 1994
  • Gaes, Jason: Mein Name ist Jason Gaes. Ich bin acht Jahre. Ich hatte Krebs. Hamburg 1989
  • Gerber-Hess, Maja: Das Jahr ohne Pit. Ein Tagebuch. 1989
  • Hughes, Monica: Jäger in der Nacht. Zürich/Köln 1984
  • Isler, Iris und Edith: Die Fahrt zum Pferdeparadies. Mein Leben mit Iriso oder: Die Geschichte eines Engels, der auf die Erde kam. Winterthur 1992
  • Kaldhol, Marit: Abschied von Rune. München 1987
  • Korschunow, Irina: Die Sache mit Christoph. Zürich/Köln 1978
  • Lindgren, Astrid: Die Brüder Löwenherz. Hamburg 1973
  • Mebs, Gudrun: Birgit. Eine Geschichte vom Sterben. Basis Verlag, Berlin 1982
  • Pohl, Peter: Jan, mein Freund Ravensburg 1990
  • Pressler, Mirjam: Stolperschritte. Stuttgart 1981
  • Schindler, Regine: Pele und das neue Leben. Eine Geschichte von Tod und Leben. Lahr 1981
  • Seehafer, Klaus (Text)/Lesch, Christiane (Bilder): Sieben Tiere zum Himmel. Düsseldorf 1986
  • Stolp, Hans: Bleib, mein goldener Vogel. Ein sterbendes Kind erzählt. Solothurn 1989
  • Ure, Jean: Erinnerung an David. Mödling-Wien 1989
  • Zeevaert, Sigrid: Max, mein Bruder. Würzburg 1990