„Wie hältst du‘s mit der Religion?” - Mit Goethes „Gretchenfrage“ in den Religionsunterricht oder die Konfi-Arbeit starten

von Oliver Friedrich

Zu den „Sternstunden“ meines Religionsunterrichts und der Konfi-Arbeit gehört seit Jahren der Einstieg mit der „Gretchenfrage“ aus Goethes Drama „Faust“.

Die Stunde eignet sich sowohl für den Sekundarbereich I und die Konfi-Arbeit als auch für alle Schulformen und Niveaustufen in den berufsbildenden Schulen. In beiden Zusammenhängen ist sie erprobt und immer wieder durchgeführt worden.

Didaktische Überlegungen

In den Haltungen von Margarete („Gretchen“) und Dr. Heinrich Faust begegnen den Lerngruppen zwei unterschiedliche Positionen zu Religion. Gretchen vertritt eine positive, der (christlichen) Religion zugewandte Haltung. Für sie ist es selbstverständlich, die Messe zu besuchen und an der Feier der Sakramente teilzunehmen. Faust dagegen weicht der drängenden Frage nach einer eindeutigen Haltung zur Religion immer wieder aus. Seine Position bleibt im Gespräch mit Gretchen unbestimmt. „Will niemand sein Gefühl und seine Kirche rauben.“ Am Ende bleibt Gretchen verwirrt und ohne eine klare Antwort zurück, denn sie weiß nicht, dass Faust zum Zeitpunkt ihrer Frage seine Seele bereits an den Teufel versprochen hat und als Gegenleistung noch einmal jung geworden ist.

Sowohl in der Haltung von Gretchen als auch in der von Faust finden sich Schüler*innen wieder. Es gibt in jeder Lerngruppe Personen, die im Sinne von Faust sagen, dass ihnen Religion eigentlich gleichgültig sei, dass sie nicht daran partizipierten, aber auch nichts dagegen hätten, wenn andere sich als religiös verstünden. Die Haltung Gretchens findet sich ebenfalls: Sowohl christliche Schüler*innen als auch Angehörige anderer Religionen vertreten nicht selten die Auffassung, dass man an etwas glauben müsse und dass dies zum eigenen Selbstverständnis gehöre.

Da die „Gretchenfrage“ ein für die Bühne geschriebener Dialog ist, kann der kurze Textabschnitt mehrfach in verteilten Rollen gelesen und auch gespielt werden. Den Textauszug in Frakturschrift zu verwenden, führt zu lustigen Lesefehlern und zur Verlangsamung des Lesens und ermöglicht gerade deshalb auch Personen mit Leseschwierigkeiten einen Zugang. Für eine kleine Inszenierung sind ein paar Requisiten hilfreich, die es den Jugendlichen ermöglichen, leicht in die jeweilige Rolle einzutauchen. Vor allem dann, wenn für die Gretchen-Rolle Perücken und Röcke bereit liegen, äußern die Lerngruppen nicht selten von sich aus den Wunsch, die Rollen gegengeschlechtlich zu besetzen oder beide Rollen mit dem gleichen Geschlecht.

Da die Gretchenfrage „Wie hältst du’s mit der Religion?“1 darüber hinaus die Gelegenheit bietet, die jeweils eigene Haltung zu religiösen Fragen und Erfahrungen zu überprüfen und mit den anderen ins Gespräch zu bringen, kann die Frage in Form eines Fragebogens an die Lerngruppe weitergegeben werden. Die Auswertung des Fragebogens kann dann im Klassengespräch erfolgen. Wichtig ist, dass das Teilen der eigenen Antworten mit den anderen freiwillig erfolgt.

Anmerkungen

  1. Im Original: „Nun sag, wie hast du‘s mit der Religion?“

Material

  • Textblatt 1: „Gretchenfrage“ aus Johann Wolfgang v. Goethe: Faust (in Fraktur; M 1)
  • Arbeitsblatt: „Wie hältst du‘s mit der Religion?“ (M 2)
  • Requisiten: Perücke, Brille, Schürze, Umhang, Hut, alte Bücher, Brille, Talar, Weinflasche, Pfeife, Rock, Kleid etc.

Stundenverlauf für eine Doppelstunde mit 90 Minuten

1. Stummer Impuls an der Tafel

FAUST

Assoziationen der Jugendlichen:

  • Gewalt
  • Gewalt erzeugt Gegengewalt
  • Kann weh tun
  • Keine Gewalt
  • Streit
  • Körperteil
  • Boxkampf etc.
  • Manchmal auch: Ist das nicht auch ein Gedicht von Beethoven oder Mozart?

Ergänzung an der Tafel:

Johann Wolfgang v. Goethe,
Faust, Drama 1808

Der*die Gruppenleiter*in erklärt kurz, wer Goethe war (deutscher Dichter 1749 – 1832) und was ein Drama („Handlung“ für die Bühne geschrieben) ist.

2. Überleitung zur Gretchenfrage

»Faust ist ein Theaterstück, das Johann Wolfgang v. Goethe geschrieben hat. Die Hauptperson darin heißt Heinrich Faust, Faust ist also der Nachname. Heinrich Faust ist ein Mann, der vieles studiert und vieles kennengelernt hat. Jetzt ist er alt und merkt, dass er in allem Studieren doch auch vieles in seinem Leben verpasst hat. Da erscheint ihm der Teufel und bietet ihm einen Deal an: Faust darf noch einmal jung sein, wenn er ihm, dem Teufel, seine Seele überlässt. Faust geht auf diesen Deal ein, wird noch einmal jung und verliebt sich in die schöne Margarete, die auch Gretchen genannt wird. Gretchen stellt Faust nun eine Frage, die berühmte „Gretchenfrage“. Diese Frage lesen wir jetzt in verteilten Rollen.«

3. Gretchenfrage lesen

Lerngruppe liest die Gretchenfrage (wie gesagt, in Frakturschrift) mehrfach. Dabei ist Lachen über die „komische“ Schrift und Verlesen wegen der Schrift ausdrücklich erlaubt.

4. Gretchenfrage spielen

Konfirmand*innen spielen die Szene mehrmals und benutzen dazu die bereit gelegten Requisiten.

5.    Auswertung der Gretchenfrage im Unterrichtsgespräch

Erst hier, wenn nicht bereits jemand vorher gefragt hat, Fremdwörter klären. Meist sind die Begriffe Sakramente und Messe nicht geläufig.

Impulsfragen:

  • Erklärt, welche Bedeutung Religion für Gretchen hat.
  • Erklärt, welche Bedeutung Religion für Faust hat.
  • Nennt die Stellen im Text, an denen man das jeweils erkennen kann.
  • Beurteilt die Frage von Gretchen und die Antworten von Faust.
  • Woran liegt es, dass der Dialog mit einer Frage endet?

6. Überleitung zum Arbeitsblatt (M 2)

»Jetzt geht die „Gretchenfrage“ an euch. Wie hältst du‘s mit der Religion? Welche Erfahrungen hast du gemacht? – Dazu gibt es ein Arbeitsblatt.«
Zum Ausfüllen ca. zehn Minuten Zeit geben.

7.    Auswertung und Besprechung des Arbeitsblatts

Nur diejenigen, die mögen, sagen etwas. Als „Opener“ ist es gut, wenn er*die Gruppenleiter*in den Aufschlag macht und selbst sagt, wie er*sie es mit der Religion hält.  


Folgestunde

Die Folgestunde wird mit vier DIN A4 Seiten eröffnet, auf denen Faust (Seite 1) , Gretchen (Seite 2), Kirche (Seite 3) und Religion (Seite 4) stehen. Die Lerngruppe wird nun gebeten, die vier Begriffe so aufzuhängen, dass durch Abstände und Anordnung deutlich wird, wie die Personen und Begriffe zueinanderstehen. Dabei gibt es natürlich mehrere Möglichkeiten, die die Lerngruppe jeweils diskutieren kann.

In einem zweiten Schritt können Personen aus dem mutmaßlichen Umfeld der Lerngruppe dazugenommen werden. In einer Klasse mit sozialpädagogischen Assistent*innen könnten das z.B. sein:

  • aus der ev. Kirche ausgetretener Erzieher, betet regelmäßig
  • überzeugte Atheistin
  • praktizierende Muslima
  • ungläubiger Moslem
  • Erzieherin, nicht getauft, geht aber jeden Sonntag in den Gottesdienst.
  • katholischer -Erzieher, Mitglied der kath. Kirche, betet nie.
  • Erzieherin, nicht religiös, Mitglied der baptistischen Gemeinde.

Auch hier sind selbstverständlich viele Möglichkeiten des Zuordnens gegeben. In der Regel entwickeln sich daraus interessante Gespräche zu Kirchenmitgliedschaft, religiöser Praxis und Bedeutung von Religion.

Elternabend

Die „Gretchenfrage“ eignet sich auch für einen Elternabend im Rahmen der Konfi-Arbeit.