Spielen im Religionsunterricht

Von Arthur Thömmes

 

 

Didaktische Überlegungen

Das Spielen im Religionsunterricht bietet eine aktivierende und handlungsorientierte Möglichkeit, den Schulalltag zu unterbrechen und ganzheitlich und kompetenzorientiert zu lernen.1

Wenn ich meine Enkelkinder beim Spielen beobachte, ist für mich besonders beeindruckend, dass sie noch über die kindliche Fähigkeit der Imagination verfügen. Die Ältere spielt am liebsten Rollenspiele. Dabei versetzt sie sich und die Mitspieler*innen in eine künstliche Situation: „Opa, du bist jetzt das Kind und Oma ist die Lehrerin.“ Anschließend lenkt sie uns wie eine Regisseurin durch die Spielhandlung. Die jüngeren Jungs spielen in einer anderen Welt mit Feuerwehr- und Polizeiautos. Sie bauen und konstruieren oder stehen als Rockstar auf einer imaginären Bühne, wobei alle möglichen Gegenstände zu einer Gitarre gemacht werden. Dabei sind wesentliche Merkmale des Spiels erkennbar: die Freiheit des Spiels, intrinsische Motivation, Selbstzweck, Wechsel der Realitätsebenen, Ritualisierung, Entspannung, Freude usw.

Dabei sind sich Entwicklungspsychologie und Spielforschung einig, dass Spielen mehr ist als Unterhaltung und Zeitvertreib. Besonders im vorschulischen Bereich ist das Spielen ein Indikator für die kindliche Entwicklung (Spielbeobachtung, Spieldiagnostik, Spielaktivitäten). Spielen ist sozusagen die Haupttätigkeit eines Kindes. Es spielt sich Schritt für Schritt ins Leben hinein und verarbeitet spielend die eigenen Alltagserfahrungen. Kinder konstruieren sich ihre persönlichen Lebenswirklichkeiten und erarbeiten sich so persönliche, soziale, intellektuelle, handwerkliche, motorische, körperliche, emotionale, kognitive oder kreative Kompetenzen. Kinder machen sich im Spielen ein Bild von der Welt, das sie mitnehmen in ihre weitere Entwicklung. Sie lernen die Menschen und die Welt zu begreifen. Es ist ein ganzheitliches und selbstbestimmtes Lernen mit allen Sinnen. Dabei werden viele unterschiedliche Spielformen ausprobiert: Funktionsspiel, Konstruktionsspiel, Rollenspiel, Regelspiel und Bewegungsspiel.
In der Grundschule werden diese kindlichen Spielerfahrungen genutzt, um das kompetenzorientierte Lernen zu entfalten. Die Spiele werden dabei an die jeweiligen Fachdidaktiken angepasst.

Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass das Spiel an weiterführenden Schulen häufig ein Schattendasein führt. Je älter die Schüler*innen werden, desto mehr wird das Spiel vor allem von den Lehrenden als kindisch bewertet. Und das, obwohl Jugendliche in ihrer Freizeit viel spielen. Dabei hat sich die Art des Spielens durch die technischen Möglichkeiten auf digitale und virtuelle Spielebenen verlagert.

In meiner jahrzehntelangen Tätigkeit als Lehrer konnte ich durchweg feststellen, dass viele Jugendliche sich gern – auch im Rahmen des Unterrichts – auf das Spielen in seinen vielfältigen methodischen Varianten einlassen. So erfahren sie auch, dass das Spiel nicht nur ein Zeitvertreib, sondern auch eine Form des Lernens darstellt.

Damit das Spielen gelingt, sind einige Grundprinzipien bedeutsam:

•    Das Spiel sollte zweckfrei und spontan sein und einen Raum der Freiheit eröffnen. Dieser Grundsatz kann im Rahmen des Unterrichts – bei den Schüler*innen – ganz neue Spielräume ermöglichen. Das heißt aber auch, dass die pädagogische Instrumentalisierung nicht im Vordergrund stehen sollte. Trotz des schulischen Blicks auf den Lernerfolg sollten die Schüler*innen erfahren, dass das Spielen im Religionsunterricht ihnen Raum schenkt für Fantasie, Selbstentfaltung und Kreativität.

•    Spielen ist ein ganzheitlicher Prozess mit allen Sinnen, mit Kopf, Herz und Hand.

•    Das ausgewählte Spiel sollte zur Lerngruppe und zum Thema passen.

•    Wichtig bei jedem Spiel sind die Spielregeln und der Ablauf. Beides sollte anschaulich erläutert werden.

•    Spielende können in Rollen schlüpfen, um so Problemfragen aus unterschiedlichen Perspektiven zu erkunden.

•    Spiele im Religionsunterricht können die soziale Kompetenz im Zusammenspiel fördern (Fairness, Achtsamkeit, Rücksichtnahme).

•    Im Spiel können Konflikte bearbeitet und Probleme durch Simulation gelöst werden.

•    Spiele können Gefühle auslösen. Das sollte die Lehrkraft im Blick behalten.

•    Spiele sollten Spaß bereiten und die Gemeinschaft fördern.

•    Viele traditionelle Spiele inszenieren einen Wettbewerb, in dem es um Gewinner und Verlierer geht. Das fördert nicht immer das Selbstbewusstsein. Daher sollten im Religionsunterricht vor allem kooperative Spiele genutzt werden.

•    Spiele fördern die Gemeinschaft und die sozialen Kompetenzen. Zwar treten beim Spiel auch Stärken und Schwächen hervor, letztlich steht aber das gemeinsame Tun im Mittelpunkt.

•    Spiele sollten nicht zur Routine werden, sondern immer wieder kreativ neu entfaltet werden. Daher sollten sie in einer guten Abwechslung mit anderen Methoden und Medien eingesetzt werden.

•    Spiele können in der Einstiegsphase bei der Problematisierung hilfreich sein. Auch in der Erarbeitungsphase können Spiele helfen, neue Perspektiven zu entdecken und so das Thema zu entfalten und zu vertiefen. Als Methode der Vertiefung und Wiederholung von Lerninhalten kann das Spielen zum Lernerfolg beitragen.

•    Spiele sollten reflektiert und nachbearbeitet werden (Was habe ich gelernt? Wie habe ich mich gefühlt?).

Im Folgenden werde ich einige Spiele vorstellen und deren Einsatz im Rahmen des Religionsunterrichts methodisch-didaktisch erläutern.

Spiele im Unterricht: Zehn Beispiele

Knotenspiel

Das sogenannte Knotenspiel bzw. der gordische Knoten gehört zu meinen Lieblingsspielen, das an vielen Stellen des Religionsunterrichts genutzt werden kann. Eine Gruppe stellt sich in einem Kreis Schulter an Schulter auf. Alle strecken beide Hände in die Mitte und erzeugen so (durcheinander, über- und unterei-nander) einen Knoten. Zwei Grundregeln sind wichtig: Es darf nicht die Hand eines Nachbarn ergriffen werden und auch nicht zwei Hände einer Person. Nun kann das Entwirrspiel beginnen. Der Knoten soll gemeinsam gelöst werden. Dabei darf keine Hand losgelassen, jedoch können zwei Hände wie in einem Kugellager ineinander gedreht werden. Es entsteht eine eigene gruppenspezifische Dynamik mit unterschied-lichen Lösungsszenarien. In die Knie gehen, über Hände klettern, darunter hindurch kriechen ... Wenn die Regeln eingehalten werden, entsteht am Ende ein Kreis (manchmal auch zwei Kreise).
Das Knotenspiel fördert die Kommunikation und ist gleichzeitig eine Form der Selbsterfahrung, indem gemeinsam an der Lösung eines Problems gearbeitet wird. Dabei kann es hilfreich sein, wenn die nicht am Spiel beteiligten Schüler*innen das Geschehen beobachten: Entwickelt sich gemeinsam eine Lösungsstrategie? Wie beteiligen sich einzelne Schüler*innen am Geschehen? Warum wurde das Problem (nicht) gelöst?

Die Spielerfahrungen können auf viele andere Problembereiche übertragen werden. Daher ist ein vertiefendes Reflexionsgespräch hilfreich.

Innen- und Außenkreis

Besonders im Bereich der Kommunikation und bei Unterrichtsgesprächen können spielerische Elemente helfen, ein Thema von mehreren Seiten und aus unterschiedlichen Rollen zu betrachten. Dabei nutze ich gerne einen Innen- und einen Außenkreis. In der Mitte sitzen etwa vier Personen und ein*e Moderator*in, der*die die Gesprächsführung übernimmt. Er*sie führt in das Thema ein und die unterschiedlichen Positio-nen werden ausgetauscht. Hier sind besonders kontroverse Themen sinnvoll. Die Regeln sind einfach: Jede*r Gesprächsteilnehmer*in aus dem Innenkreis kann aufstehen und einem* einer Teilnehmer*in des Außenkreises die Hand auf die Schulter legen. Dieses wortlose Zeichen ist eine Aufforderung, sich in den Mittelkreis zu setzen und sich am Gespräch zu beteiligen.

Umgekehrt kann aber auch ein*e Beobachter*in im Außenkreis in die Mitte gehen und eine*n Teilnehmer*in wortlos bitten, ihm* ihr seinen*ihren Platz zu überlassen. Diese spielerische Kommunikation wirkt vor allem aktivierend und bringt Abwechslung in die Diskussion.

In einem weiteren Spiel befinden sich drei Stühle in der Mitte, die jeweils die Rolle und thematische Position des*der Redner*in beschreiben: Kritiker, Schönrednerin, Provokateur, Clownin, Realist, Optimistin, Pessimist usw. Auch hier können die Personen wie oben beschrieben ausgetauscht werden.

Forumtheater

Es gibt viele Spiele, die aus dem Bereich der Theaterpädagogik kommen und auch im Religionsunterricht hilfreiche Impulse setzen können. Beim Forumtheater steht eine reale Problemsituation im Mittelpunkt. Aber auch biblische Szenen lassen sich so ansprechend vertiefen. Dazu entwickelt eine Gruppe eine kurze Spielhandlung (z. B. Kain und Abel treffen sich, um ihren Konflikt zu lösen). Die Szene wird vorgeführt und von den Mitschüler*innen beobachtet. In einer zweiten Runde werden die Rollen teilweise oder alle ausge-tauscht, sodass die Spielhandlung und damit die Problemlösung einen ganz neuen Verlauf nehmen.

Reli-Tabu

Die Grundregel beim Reli-Tabu ist einfach: Am Ende einer Unterrichtsreihe oder als Einstieg werden zu erratende Begriffe auf vorbereitete Karten geschrieben. Darunter werden fünf Wörter notiert, die bei der Umschreibung des zu erratenden Begriffes nicht benutzt werden dürfen. Das Erstellen der Karten kann mit der ganzen Klasse vorgenommen werden. Die Karten können auch über einen längeren Zeitraum unterrichtsbegleitend entworfen werden. Es werden mehrere Spielgruppen gebildet. Jeweils zwei Gruppen spielen miteinander. Die erste Gruppe beginnt, indem ein Mitglied in einer festgelegten Zeit den Begriff auf der Karte umschreibt. Dabei darf er die Tabuwörter nicht benutzen. Der Rest der Gruppe rät den Begriff. Die zweite Gruppe überwacht das Spiel. Wenn ein Tabuwort genannt oder die Zeit überschritten wird, spielt die nächste Gruppe weiter. Bei diesem Spiel steht neben dem Spaß die Wiederholung und Vertiefung von Fachbegriffen im Mittelpunkt.

Biblische Pressekonferenz

Nachdem die Schüler*innen sich mit einem bestimmten biblischen Thema auseinandergesetzt haben, wird dies in Form einer Pressekonferenz aufbereitet und vertieft. So können z. B. einzelne Mitwirkende rund um die Kreuzigung Jesu eine Presseerklärung abgeben und die Fragen der kritischen Journalisten beantworten. Mitwirkende könnten etwa Petrus, Judas, ein Hohepriester, Pontius Pilatus oder Maria Magdalena sein. Natürlich werden unterschiedliche Pressevertreter*innen (seriöse und Boulevardpresse) anwesend sein. Die einzelnen Personen bereiten sich in Arbeitsgruppen auf das Spiel vor.

Wertemarkt

Das Spiel findet auf einem Markt mit Marktständen und Besuchern statt. Die Marktschreier*innen bieten unterschiedliche Werte an („Kauft meine Ehrlichkeit, denn so wird die Welt besser!“). Die Marktbesucher*innen können kritisch nachfragen, bevor sie sich für oder gegen einen Kauf entscheiden.

Eine Alternative bietet z. B. ein Markt der Religionen, auf dem Sinnangebote von unterschiedlichen Religionen gemacht werden.

Entscheide dich!

Entscheidungsspiele bieten eine gute Möglichkeit, sich argumentativ mit dem eigenen Urteil auseinander-zusetzen. Die Szenen können vorher von den Schüler*innen selbst entworfen werden. 1. Eine neue WG soll gegründet werden. Es bewerben sich ganz unterschiedliche Typen (Punk, Vorbestrafte, Obdachloser, Sparkassenkauffrau usw.). Du musst dich entscheiden. 2. Nach einem Sturm droht ein Rettungsboot zu sinken, weil sich zu viele Personen darauf befinden. Die Personen werden mit einem Satz umschrieben (Eine alleinerziehende Mutter von vier Kindern. Ein an Krebs erkrankter alter Mann. Ein Politiker usw.). Es muss schnell gehandelt werden. Welche Entscheidung treffen die einzelnen Personen innerhalb einer vorgegebenen Zeit? Muss ein Mensch über Bord oder gibt es eine ganz andere Lösung für die Problemsituation?

Gerichtsverhandlung

In einer fiktiven Gerichtsverhandlung wird eine Person angeklagt (z. B. Jesus wegen Volksverhetzung und Amtsanmaßung; Kain wegen Mordes an seinem Bruder; Eva als Sünderin, die den Menschen die Unschuld nahm). In einem Rollenspiel wird eine Gerichtsverhandlung mit den Elementen einer reale Verhandlung inszeniert (z. B. Vernehmung, Anklageschrift, Beweisaufnahme, Plädoyer, Beratung, Urteilsverkündung). Unterschiedliche Rollen sind dabei entscheidend (Anklage, Zeug*innen, Richter*in, Staatsanwaltschaft, Verteidigung, Sachverständige usw.). Das Rollenspiel bedarf einer guten Einführung und Einarbeitung. Es bietet eine gute spielerische Möglichkeit der fachlichen Vertiefung eines biblischen Themas.

Talkshow

Zu vielen aktuellen Themen des Religionsunterrichts (z. B. Sterbehilfe, künstliche Intelligenz, Verschwörungstheorien) bieten Talkshows eine gute Möglichkeit, ein Thema aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Dazu werden zu den unterschiedlichen Positionen Arbeitsgruppen gebildet, die jeweils Argumente für ihre Position zusammenstellen und diese begründen. Jeweils ein*e Vertreter*in der Expertengruppen nimmt an der Talkshow teil. Ein*e Moderator*in übernimmt die Gesprächsführung. Auch hier besteht die Möglichkeit, die einzelnen Rollen während des Spiels neu zu besetzen.

Spiele-Werkstatt

Bei diesem Projekt steht das Lernen durch kreatives Handeln im Mittelpunkt. Dabei setzen die Arbeitsgruppen neue Spielideen konkret um. Es werden mehrere Phasen durchlaufen: 1. Planung: Spielideen, konkrete Themen und die Arbeitsschritte werden festgelegt. 2. Durchführung: Nach einer thematischen Vertiefung wird das Thema in eine Spielidee eingearbeitet (z. B. Brett-, Karten- oder Bewegungsspiel). Das Spielmaterial und die Spielanleitung werden hergestellt. 3. Präsentation: Die fertigen Spiele werden auf Tischen verteilt. Jede Gruppe spielt in einem rotierenden System alle Spiele. Die einzelnen Spiele werden nach verschiedenen Kriterien (Spielidee, Spielanleitung, Umsetzung, Materialien, Spielespaß, Abwechslung, thematische Tiefe usw.) von den Spielgruppen bewertet. 4. Reflexion: Alle Spielgruppen erhalten eine Rückmeldung.

Weil in diesen Zeiten zunehmend Lernprozesse digital (z. B. Gamification) gestaltet werden, ist es sinnvoll, bewährte analoge Spielkonzepte nicht aus dem Blick zu verlieren. Vielmehr können beide sich gegenseitig bereichern und in ein gutes Gleichgewicht gebracht werden.

Denn: „Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“ (Friedrich Schiller)
 

Anmerkungen

  1. Vielfältige religionspädagogische Anregungen gibt es auf der Internetseite des Autors: www.fundgrube-religionsunterricht.de

Literatur

  • Niehl, Franz W. / Thömmes, Arthur: 212 Methoden für den Religionsunterricht. Neuausgabe. München 2014
  • Thömmes, Arthur: Spiele zur Unterrichtsgestaltung. Religion und Ethik, Mülheim an der Ruhr 2009
  • Thömmes, Arthur: 101 Spiele für den Religionsunterricht für Kinder von 6 bis 10 Jahren, Mülheim an der Ruhr 2010
  • Thömmes, Arthur: Gemeinsam sind wir stark! Spiele zur Förderung der Klassengemeinschaft in der Sek I, Mülheim an der Ruhr 2017