Tierbestattungen kein Tabu mehr – Wir müssen nicht jedes Tier bestatten, aber wir dürfen die Tiere bestatten, die zu unserer Familie gehört haben

Von Michael Rosenberger

Allein in den letzten beiden Jahrzehnten entstanden in Deutschland rund 30 Tierkrematorien und 120 Tierfriedhöfe, die mit etwa 160 Tierbestatter*innen zusammenarbeiten. Der Bundesverband der Tierbestatter e. V., in dem sich die meisten von ihnen zusammengeschlossen haben, schätzt, dass von den jährlich 1,4 Millionen versterbenden Hunden und Katzen derzeit etwa 10.000 auf einem Tierfriedhof bestattet werden (und ein Vielfaches davon im eigenen Garten). Das ist noch ein vergleichsweise geringer Anteil von 0,7 Prozent aller Tiere und entspricht einem Gesamtumsatz von ungefähr 16 bis 20 Millionen Euro. Doch die Zahlen steigen – im Norden schneller als im Süden Deutschlands, und in der Stadt, wo viele Menschen keinen eigenen Garten haben, schneller als auf dem Land.

Sollen die Kirchen sich diesem Trend stellen und sich an Tierbestattungen beteiligen? Geht das, christliche Tierbegräbnisse durchzuführen? Bei vielen Amtsträger*innen, aber auch bei einem erheblichen Teil der Gläubigen stößt diese Überlegung auf Skepsis, ja sogar auf Ablehnung. Es wird die Sorge geäußert, der Unterschied zwischen Mensch und Tier könnte verwischt werden, und die Frage gestellt, ob man dann nicht alle Tiere begraben müsste. Erkennbar wirkt hier die Überzeugung der griechischen Philosophie nach, Tiere seien vernunftlose Wesen, die im Unterschied zum Menschen keine unsterbliche Seele hätten und daher nicht in die Ewigkeit eingehen könnten. Die frühe Kirche hatte diese Auffassung der Mainstream-Philosophie der damaligen Zeit unhinterfragt übernommen und spätestens seit Augustinus in die dogmatischen Lehren integriert. Dabei überging sie die biblischen Vorstellungen, die eine ganz andere Richtung weisen.

Heute, eineinhalb Jahrtausende später, entdecken wir diese biblischen Vorstellungen vom Tier und seiner Berufung durch Gott neu und erkennen: Jedes Tier hat

  • einen unmittelbaren Gottesbezug, denn es ist von Gott gut erschaffen und für gut befunden worden (Gen 1). „Jedes Geschöpf ist also Gegenstand der Zärtlichkeit des Vaters, der ihm einen Platz in der Welt zuweist. Sogar das vergängliche Leben des unbedeutendsten Wesens ist Objekt seiner Liebe, und in diesen wenigen Sekunden seiner Existenz umgibt er es mit seinem Wohlwollen.“ (Papst Franziskus 2015, Laudato si, Nr. 87) Auf diese Weise wohnt Gott selbst in jedem Geschöpf und offenbart sich durch dieses der Welt.
  • die Möglichkeit, durch seinen Existenzvollzug seinen Gott und Schöpfer zu preisen und zu verherrlichen (Papst Franziskus 2015, Laudato si, Nr. 33 und 69, die Idee zahlreicher Psalmen aufgreifend).
  • einen unmittelbaren Bezug zum inkarnierten Christus, denn Christus ist „Fleisch“ geworden, und das heißt: Er ist Geschöpf geworden. Die deutsche Übersetzung des Fachbegriffs „Inkarnation“ mit „Menschwerdung“ ist schlichtweg falsch, weil sie eine Reduzierung der Geschöpfe auf den Menschen impliziert. „Inkarnation“ ist „Einfleischung“, „Geschöpfwerdung“. Der Logos-Hymnus in Joh 1, aus dem der Gedanke stammt, bezieht sich auf die erste Schöpfungserzählung in Gen 1 – und auch dort geht es um die ganze Schöpfung und alle Geschöpfe.
  • einen unmittelbaren Bezug zum leidenden Christus, denn sein Leiden ist ein Leiden mit und für die gesamte Schöpfung. Bei seiner Kreuzigung verfinstert sich die Sonne, und das zur sechsten Stunde, wo sie am höchsten steht (Mk 15,33 parr). Die ganze Schöpfung ist so hineingenommen in das Leiden Christi.
  • eine Hoffnung auf Erlösung, denn wenn Christus in seiner Fleischwerdung das Geschöpfsein angenommen hat, ist jedes Geschöpf erlöst – ganz nach dem klassischen Glaubenssatz „alles, was (von Gott) angenommen ist, ist auch erlöst.“
  • In seiner Enzyklika Laudato si1  ist Papst Franziskus voller Hoffnung im Blick auf die Zukunft aller Geschöpfe. Er entwickelt das Bild einer Prozession, die menschliche und nichtmenschliche Geschöpfe gemeinsam durch diese Zeit gehen – unterwegs zur Herrlichkeit des Himmels: „Gemeinsam mit allen Geschöpfen gehen wir unseren Weg in dieser Welt.“ (Nr. 244) Alle Geschöpfe „gehen mit uns und durch uns voran auf das gemeinsame Ziel zu, das Gott ist […]. Denn der Mensch […] ist berufen, alle Geschöpfe zu ihrem Schöpfer zurückzuführen.“ (Nr. 83) „Das ewige Leben wird ein miteinander erlebtes Staunen sein, wo jedes Geschöpf in leuchtender Verklärung seinen Platz einnehmen und etwas haben wird, um es den endgültig befreiten Armen zu bringen.“ (Nr. 243)

Wenn wir diesen theologischen Paradigmenwechsel an- und ernstnehmen, sind Tierbestattungen kein Tabu mehr. Wir müssen nicht jedes Tier bestatten, aber wir dürfen die Tiere bestatten, die zu unserer Familie gehört haben. Friedhöfe waren immer ein Bild sozialer Beziehungen. Warum sollten wir die Tiere, die ein Leben lang eine enge Bindung an uns Menschen hatten, im Tod aus dieser Beziehung ausschließen? Für Menschen haben wir uns gottlob abgewöhnt, manchen (Suizidant*innen, ungetauften Kindern) das christliche Begräbnis zu verweigern. Die kirchliche Offenheit für Tierbegräbnisse läge ganz auf dieser Linie.

Anmerkung:

  1. Die Enzyklika Laudato si‘ von Papst Franziskus ist unter http://w2.vatican.va/content/francesco/de/encyclicals/documents/papa-francesco_20150524_enciclica-laudato-si.html (zuletzt aufgerufen am 21.10.2019) abrufbar.