„Du sollst ein Segen sein“ – Eine multireligiöse Einschulungsfeier am Gymnasium

Von Doerthe Blömer

 

Immer nach den Sommerferien stellt sich in den Schulen die Frage, wie die Einschulungsfeier der neuen Erstklässler*innen (Grundschule) und Fünftklässler*innen (weiterführende Schule) aussehen kann.

Gerade als Religionslehrer*in möchte man den Kindern bei dieser Feier mehr mitgeben als reine Informationen zur / zum Klassenlehrer*in, Schulgebäude und dem Stundenplan.

Die Schüler*innen sollen bei dieser Feier gestärkt werden in ihren Talenten und Erwartungen – ebenso sollen sie ernst genommen werden mit ihren Ängsten und Sorgen hinsichtlich des Neuanfangs.

Ein Gottesdienst zur Einschulung kann diese persönlichen Anliegen aufgreifen und zudem den Kindern den Segen und Zuspruch Gottes für den neuen Lebensabschnitt schenken.

In vielen Schulen gibt es daher noch immer den „klassischen“ Einschulungsgottesdienst – meist in der nächstgelegenen Kirche; oft bereits ökumenisch gestaltet.

Doch ist dieses Angebot hinsichtlich unserer multireligiösen und multikulturellen Gesellschaft noch zeitgemäß? Grenzen wir dadurch nicht Schüler*innengruppen aus? Andererseits: Bei der Menge an unterschiedlichen Glaubensrichtungen, die gelebt werden – kann man hier überhaupt allen gerecht werden?

Der vorliegende Ablauf einer multireligiösen Einschulungsfeier stellt einen Mittelweg dar. Die Feier wird in dieser Form von Vertreter*innen der drei abrahamitischen Religionen (Judentum – Christentum – Islam) seit 2006 an einem Osnabrücker Gymnasium durchgeführt.

Ausschlaggebend für diese Neuorientierung der Einschulungsfeier war die steigende Anzahl der muslimischen Kinder, die an der Schule angemeldet werden und wurden. Diese sollen sich wie ihre christlichen Mitschüler*innen mit ihrem Glauben in der Einschulungsfeier wiederfinden.

Die drei monotheistischen Glaubensrichtungen lassen sich durch ihren Glauben an nur einen Gott und weitere theologische Gemeinsamkeiten gut vereinen. Diese Form der gemeinsamen religiösen Feier betont somit das Verbindende und nicht das Trennende.

Dieses Zeichen zu setzen, kann alle Mitfeiernden (Eltern, Lehrer*innen und Schüler*innen) auffordern, Toleranz und Empathie für den anderen entgegenzubringen. Und dies wünschen wir uns als Lehrer*innen nicht nur hinsichtlich der Religiosität: Alle Schüler* innen, die eingeschult werden, stammen aus unterschiedlichen Familien, Kulturen und Religionen und trotzdem sind sie miteinander verbunden, da sie mit ihrer Einschulung Schüler* innen der Klassen- und Schulgemeinschaft werden.

Die folgende multireligiöse Einschulungsfeier zum Thema „Du sollst ein Segen sein“ wurde an unserer Schule erarbeitet und durchgeführt.


Ablauf der Gemeinschaftsfeier zur Einschulung der neuen fünften Klassen

BEGRÜSSUNG (Moderation)

Liebe Schülerinnen und Schüler, liebe Eltern, liebe Familienangehörige, liebe Gäste, herzlich heiße ich Sie und euch am Gymnasium „In der Wüste“ willkommen.

Ein neuer Lebensabschnitt beginnt – sicherlich nicht nur für euch Fünftklässler, sondern auch für eure Eltern, eure ganze Familie und auch für die älteren Schülerinnen und Schüler und die Lehrerinnen und Lehrer beginnt wieder ein neues Schuljahr und somit ein neuer Anfang.

Wir sind heute hier, um diesen Tag mit dem Segen Gottes zu beginnen. In Liedern und Gebeten drücken wir aus, dass wir unser Leben, unsere Fähigkeiten und Talente nicht uns selbst verdanken, sondern dem Allmächtigen.

Am Beginn einer neuen Wegstrecke wollen wir zum einen danken für Vergangenes, für Geschenktes und wir wollen bitten – um Segen für den weiteren Weg.

Der Paradiesgarten, einer der drei Gärten der Weltreligionen hier in dieser Schule, erinnert dabei an den Anfangs- und den ersehnten Endpunkt von Judentum, Christentum und Islam.

Sie bekennen Gott in verschiedenen Namen als Schöpfer der Erde und aller Menschen. Deswegen wollen wir auch zu Schulbeginn nicht nach Religionen und Konfessionen getrennt feiern, sondern gemeinsam: Juden, Christen, Muslime, aber auch Angehörige aller anderen Religionen.

Ich freue mich sehr darüber, dass bei dieser Feier Vertreter aller drei abrahamitischen Religionen anwesend sind. So darf ich herzlich begrüßen:

  • Rabbiner der Jüdischen Gemeinde
  • Pastor von der Evangelischen Kirche
  • Gemeindereferent der Katholischen Kirche
  • Imam von der islamischen Gemeinde
     

Während unserer Feier hören wir Texte aus den verschiedenen Glaubenszeugnissen der einzelnen Religionen. So hören wir die Schriftlesungen nicht nur auf Deutsch, sondern dürfen der Tora auf Hebräisch und dem Koran auf Arabisch lauschen.

Wir möchten Sie und euch herzlich einladen, sich auf diese Feier einzulassen und erst am Ende der Feier zu klatschen. Vielen Dank.
Beginnen wir mit einem Lied, in dem Juden, Christen und Muslime ihren Gott loben.


LIED: He’s got the whole world.


ANSPIEL 1

Schüler 1: Hallo ihr Vier, wie geht’s?
Schüler 2: Danke, hach, die Ferien waren herrlich.
Schüler 3: Ja, meine auch.

(Zustimmendes Nicken aller)

Schüler 4: Wisst ihr, woran ich letztens noch gedacht habe?
Schüler 5: Woran?
Schüler 4: Na, wie wir hier vor zwei Jahren standen und unsere Einschulungsfeier hatten.
Schüler 3: Oh ja, Mann, was hatte ich Angst davor, dass ich in der Klasse keine Freunde finde.
Schüler 1: Ja, und dann dieses riesige Gebäude und die vielen Menschen, meine Grundschule hatte gerade mal zwölf Räume.
Schüler 4: Ich hatte Sorge, dass ich das gar nicht alles schaffe. Diese Erwartungen von Lehrern und Eltern. Die vielen Hausaufgaben, der Lernstoff.
Schüler 2: Ja, genau und dann noch jeden Morgen Bus fahren. Die ersten Male war ich total früh an der Bushaltestelle, weil ich Angst hatte, den Bus zu verpassen.
Schüler 5: Ach, wir könnten noch tausend Sachen aufzählen, was uns bedrückt hat und so ganz vergessen werden wir das bestimmt nicht.
Schüler 1: Ich könnt mir vorstellen, dass es den neuen Fünfern auch so geht.
Schüler 2: Ja, aber was kann man denn machen, damit sie sich besser fühlen?
Alle: Mmh …


ÜBERLEITUNG (Moderation)

Es folgt nun eine Lesung aus der Tora auf Hebräisch. Dieselbe Stelle findet sich auch in dem ersten Testament der christlichen Bibel – anschließend hören wir die deutsche Übersetzung.


LESUNG: Gen 12,1-3

Original auf Hebräisch (Rabbiner)

Übersetzung (ev. Pastor)
Der Herr sprach zu Abram: Zieh weg aus deinem Land, von deiner Verwandtschaft und aus deinem Vaterhaus in das Land, das ich dir zeigen werde. Ich werde dich zu einem großen Volk machen, dich segnen und deinen Namen großmachen. Ein Segen sollst du sein. Ich will segnen, die dich segnen; wer dich verwünscht, den will ich verfluchen. Durch dich sollen alle Geschlechter der Erde Segen erlangen.


ÜBERLEITUNG ZUR KORANLESUNG (Moderation)

Wir hören nun eine Lesung aus dem Koran, der Heiligen Schrift des Islam auf Arabisch. Der Koran hat im Islam eine hohe Bedeutung. Das Hören und Lesen des Korans auf Arabisch gilt bereits als Gebet, als eine gottesdienstliche Handlung. Lassen wir uns in Stille und Aufmerksamkeit auf die für uns ungewohnte, schöne Sprache ein.


LESUNG: Sure 33, 41

Original auf Arabisch (Imam)

Übersetzung (Imam oder Moderator):
O ihr Gläubigen, gedenket Allahs in häufigem Gedenken
Und preiset Ihn morgens und abends.
Er ist’s, der euch segnet, und Seine Engel (legen Fürbitte für euch ein,) dass Er euch aus den Finsternissen zum Licht führt; und Er ist gegen die Gläubigen barmherzig.
Euer Gruß sei an dem Tage, da ihr Ihm begegnet: „Frieden!“ Und Er hat für sie einen edeln Lohn bereitet.


LIED: Gott gab uns Atem


ANSPIEL 2

Schüler 6 kommt nachdenkend nach vorne: „Du sollst ein Segen sein“… Wie soll denn das gehen? „Ich segne Dich“, ja, das kenn ich oder auch „Der Segen des Herrn sei mit dir“, aber wie kann denn ein Mensch ein Segen sein?

Schüler 7 und Schüler 8 kommen dazu.
Schüler 7: Hallo X. Na, wie geht es dir?
Schüler 6: Hallo, ihr beiden. Habt ihr vorhin mitbekommen, was aus der Tora vorgelesen wurde: „Du sollst ein Segen sein.“
Schüler 8: Ja, das haben wir gehört. Was hat das denn eigentlich mit der Einschulungsfeier hier zu tun?
Schüler 7: Weiß ich auch nicht so richtig. Aber die Gefühle, die die anderen vorhin geschildert haben, als wir vor zwei Jahren hier eingeschult wurden, an die kann ich mich auch noch erinnern.

Schüler 9 kommt, dreht sich irritiert suchend um

Schüler 6: Wer ist das denn?
Schüler 8: Ich glaub, ‘n neuer Fünfer.

Schüler 7 geht zu Schüler 9

Schüler 7: Hallo. Was suchst du denn?
Schüler 9: Ich finde meinen Raum nicht. Und ich weiß auch gar nicht so genau, wer in meiner Klasse ist.
Schüler 7: Zu welchem Raum musst du denn?
Schüler 9: Das weiß ich eben auch nicht. Wir haben gestern den Stundenplan bekommen, aber ich hab‘ vergessen, die Räume mit aufzuschreiben.
Schüler 6: Oh Mann, das ist blöd, aber das ist doch nicht so schlimm.
Schüler 9: Aber wir haben doch jetzt Physik und ich kenn‘ den Lehrer nicht – und was hat der denn jetzt für ein Bild von mir!
Schüler 7: Der wird das verstehen und außerdem ist ja noch Pause. Komm, wir gehen zusammen zum Sekretariat und fragen nach deiner Klasse.
Schüler 9: Echt, das ist aber nett von dir.

Schüler 7 und Schüler 9 gehen ab.

Schüler 6: Du, ich glaub, jetzt hab‘ ich es verstanden.
Schüler 8: Ja, du hast Recht. Ich denke „Du sollst ein Segen sein“ bedeutet, dass man anderen helfen soll, wenn sie Hilfe brauchen. Ich hätte am Anfang hier auch oft Hilfe gebraucht.
Schüler 6: Stimmt.

Schüler 7 kommt zurück.

Schüler 8: Mensch, deinetwegen wissen wir jetzt, was der Ausspruch bedeutet.
Schüler 6: Ja, ich hab‘ es auch verstanden, man kann ein Segen sein, wenn man nett und hilfsbereit ist.
Schüler 8: Genau.
Schüler 7: Das ist ja eigentlich ganz logisch. Also, ich hab’s verstanden.


ÜBERLEITUNG (Moderation)

Ihr seht, es ist gar nicht so schwer, ein Segen für einen anderen Menschen zu sein. Und manchmal brauchen auch wir Menschen, die für uns ein Segen sein können.
So bringen wir nun gemeinsam unsere Bitten vor Gott, dem Allmächtigen, damit wir alle an seinem Segen mitarbeiten.


BITTEN

Vertreter der katholischen Gemeinde:
Ich bitte darum, dass Menschen, denen es nicht gut geht, auf andere treffen, die für sie ein Segen sind und sich mit ihnen verbunden fühlen.

Schüler:
Ich bitte darum, dass die Schülerinnen und Schüler in den neuen Klassen schnell Kontakte zu anderen knüpfen und so zu einem Segen für alle werden.

Schülerin:
Ich bitte darum, dass Lehrerinnen und Lehrer und Schülerinnen und Schüler sich gegenseitig unterstützen und so ein Segen füreinander werden können.

Vertreter der katholischen Gemeinde:
In dieser Schule leben und lernen Menschen aus verschiedenen Nationen und Religionen, mit unterschiedlichen Talenten und Vorstellungen. Ich bitte darum, dass wir alle einander respektvoll und mit Wertschätzung begegnen, damit jeder den Segen Gottes spüren kann.

Vertreter der jüdischen Gemeinde:
Juden, Christen und Muslime sind durch den Glauben an Gott als den Schöpfer verbunden. Ich bitte um ein Miteinander überall auf der Welt in gegenseitiger Achtung, in Offenheit und in Frieden.


GEBET (Schüler):

DU, den wir mit vielen Namen anrufen,
ein neues Schuljahr beginnt.
Wir gehen mit vielen anderen zusammen
In dieses Schuljahr,
um voneinander zu lernen.
Es macht viel mehr Spaß,
wenn wir Freunde sind.

Gib uns deshalb den Mut,
auf die anderen zuzugehen
und sie zu verstehen,
auch wenn sie anders sind
als wir selbst.

Gib uns die Kraft,
0ein Segen für unsere Mitmenschen zu sein,
denn Du bist der Freund aller Menschen,
wie auch immer sie Dich nennen.


ÜBERLEITUNG (Moderation)

Es folgt ein Segen auf Hebräisch und Deutsch. Anschließend hören wir die erste Sure auf Arabisch.


AARONITISCHER SEGEN (Rabbiner, ev. und kath. Vertreter)

Der Herr segne dich und behüte dich.
Der Herr lasse sein Angesicht über dich leuchten und sei dir gnädig.
Der Herr wende sein Angesicht dir zu und schenke dir Heil.


SURE 1 (Imam)


ABSCHLUSS (Moderation)

Bevor nun gleich hier in der Aula euer erster Schultag beginnt, möchte ich mich bei allen Mitwirkenden dieser Feier herzlich bedanken.
Euch, liebe neuen Fünfklässler, wünschen wir alles Gute und einen guten Start in eure Zeit hier an der Schule.
Lasst uns nun zum Abschied in vielen verschiedenen Sprachen singen.


LIED: Shalom chaverim (Kanon)