Respekt als Thema bei Klassenseminaren der evangelischen Schülerinnen- und Schülerarbeit

Von Gudrun Junge

 

Klassenseminare als Übungsfeld für Respekt

Klassenseminare sind ein gutes Übungsfeld, um den respektvollen Umgang im Miteinander von Jugendlichen zu thematisieren, zu erleben und zu reflektieren. Dabei ist es nicht unerheblich, dass ältere Jugendliche (Teamerinnen und Teamer) mit den Schülerinnen und Schülern gemeinsam die Inhalte gestalten. Die Teamerinnen und Teamer haben im Umgang mit einer Kleingruppe wie auch im Plenum nicht die Rolle von Lehrenden, sondern werden als Gleiche gesehen, die allerdings eine besondere Aufgabe und Verantwortung bei diesem Seminar haben. Ihr Zugang zu den Jugendlichen ist direkter, frei von Benotung und auf ähnlicher Ebene. Die Schülerinnen- und Schülerarbeit greift, wenn es möglich ist, auf peer-education zurück und arbeitet mit dafür qualifizierten Jugendlichen, die sich zusätzlich noch auf die jeweilige Thematik eines Klassenseminars vorbereiten. Dabei wird das Thema „Respekt“ selten ausdrücklich gewünscht, sondern es ist in den Seminaren ständiger Begleiter und hebt sich dadurch von allein auf die Tagesordnung, dass die Reflexion des Umgangs miteinander immer dazugehört. Stärkung der Persönlichkeit, Meinungsbildung, Sprachfähigkeit in religiösen und weltlichen Themen wie auch Erfahrungen von gelebter Religion können nur im Gegenüber geschehen, in der Gruppe, im Dialog, im Gespräch, im Interagieren und Rückmeldung-Bekommen. Das Ich wird am Du zum Ich, sagt Martin Buber.

Respekt zu zeigen fällt denjenigen Jugendlichen leichter, die in einer Familie aufgewachsen sind, in der sie erlebt haben und erleben, dass ihre Bedürfnisse respektiert werden. Sie haben eine Grundsicherheit bzw. ein Grundvertrauen, selbstverständlich erwünscht zu sein, und es fällt ihnen leicht, sich in der Gruppe auch zurückzunehmen und die eigenen Interessen hinter die der anderen oder der Mehrheit zurückzustellen. Jugendliche, die dies nicht erfahren, tun sich schwerer in der Gruppe, oft wollen sie im Vordergrund stehen, machen auf sich aufmerksam durch auffallende Aktionen, stören vielleicht und machen den Eindruck, als würden sie nicht satt von der Anerkennung durch die anderen. Ihnen scheint eine solide Basis zu fehlen. Die Kleingruppenarbeit und die Vielzahl an Methoden, auch aus dem erlebnispädagogischen Bereich, fangen das in Teilen auf und ermöglichen positive Erfahrungen. Diese werden ausdrücklich genannt, die Erfahrung von respektvollem Verhalten wird genauso thematisiert wie ihr Fehlen.

Wichtig ist auch, dass die Teamerinnen und Teamer diesen Respekt zeigen und ihre Position halten können – auch dann, wenn sie auf Schülerinnen und Schüler treffen, die aus einem ihnen fremden Milieu kommen. In diesem Fall braucht es starke Persönlichkeiten, gemeinsames Arbeiten im Zweier-Team und Reflexion der gemachten Erfahrungen.


Einstiege

Bei einem Klassenseminar bietet sich für eine Gesprächsrunde nach einer Kooperationsübung als Thema „Respekt“ an. Die Gruppe könnte reflektieren, wie sie miteinander umgegangen ist, inwieweit dieser Umgang von Respekt geprägt war und was eigentlich Respekt ist. Als weiterführende Fragen können z. B. folgende in das Gespräch eingebracht werden:

  • Was ist eigentlich Respekt? Was ist respektlos?
  • Wie entsteht Respekt?
  • Kann man Respekt lernen?
  • Wie zeigt sich Respekt?
  • Wie viel davon brauche ich und wie viel gebe ich?
  • Kann man sich Respekt verdienen? Wem gebührt Respekt?
  • Was sagt meine Religion/das Christentum zu Respekt?
  • Gibt es Situationen, in denen mein Glaube Respekt verhindert?
     

Möglich wäre auch eine Kartenabfrage zu Beginn des Seminares dazu, wie die Gruppe miteinander umgehen will. Die fünf bis sieben wichtigsten Nennungen werden herausgefiltert und im Laufe des Seminars immer wieder an und in konkreten Situationen überprüft. „Respekt“ wird mit ziemlicher Sicherheit dabei sein, genauso wie „sich ausreden lassen“, „zuhören“ und „tolerant sein“. Was das konkret bedeutet und wie es sich im Verhalten der einzelnen und der Gruppe zeigt, kann jeder Zeit im Geschehen des Seminars besprochen und reflektiert werden.


Das Konzept der „Tage zur Orientierung“

Im Folgenden soll auf ein besonderes Klassenseminar aufmerksam gemacht werden, in dem die Frage nach Respekt je nach Interesse implizit oder explizit aufgenommen und thematisiert werden kann: die „Tage zur Orientierung“ (TzO).1

TzO ist ein Angebot der Evangelischen Schülerinnen- und Schülerarbeit des Landesjugendpfarramtes in Kooperation mit dem jeweiligen Kirchenkreisjugenddienst und Schulen vor Ort. TzO sind schulformübergreifend: Gemeinsam verbringen Schülerinnen und Schüler sowie Jugendliche aus der Ev. Jugend für drei Tage an einem außerschulischen Ort. Im Mittelpunkt steht die Frage: Was kommt nach Klasse 10? TzO sind so konzipiert, dass Schülerinnen und Schüler der 9. und 10. Jahrgangsstufe daran teilnehmen können. Sie sind offen für alle und sollen die jungen Menschen unterstützen, Antworten auf die für sie entscheidenden Lebensfragen zu finden und ihnen Entscheidungskriterien für zukünftiges Handeln zur Verfügung stellen.

Tage zur Orientierung arbeiten induktiv, sie nehmen lebensweltorientiert die jeweilige Situation der jungen Menschen auf. Sie sind ihrem Charakter nach ein Angebot evangelischer Jugendarbeit, für die das Leitbild für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen maßgebend ist.2
 

Inhalte der „Tage zur Orientierung“ (TzO)

Inhaltlich wird in drei thematischen Blöcken gearbeitet: 1. „Ich bin“; 2. „Ich kann“; 3. „Ich werde“. Damit stehen Fragen nach den eigenen Stärken und Schwächen sowie nach Themen, die von den Schülerinnen und Schülern für wichtig erachtet werden, im Vordergrund. Diese drei Themenblöcke werden in Kleingruppen mit vielfältigen Methoden erarbeitet.

Eine Aufgabe im ersten Themenblock „Ich bin“ ist es, sich selbst zu inszenieren. Die Fotos, die dabei entstehen, werden in geschützter Situation in der Kleingruppe angesehen und besprochen. Dabei ist es Aufgabe der Teamerinnen und Teamer für eine vertrauensvolle Atmosphäre zu sorgen und einen respektvollen Umgang im Gespräch zu gewährleisten. Je nach Gruppe kann diese Arbeitsphase bei den Nachtgedanken aufgenommen werden und es kann eine Inszenierung zu Psalm 139 mit den von den Schülerinnen und Schülern erstellten Fotos gezeigt werden (M 2).

Im Themenblock „Ich kann“ sind das Gleichnis von den anvertrauten Talenten (Matthäus 25,14-30) und die Übertragung auf die eigene Situation zentral: Was ist mir anvertraut? Welche Talente habe ich? Eine Talentblume wird erstellt und ein Haus der Talente gebaut (M 3).

Im dritten Themenblock „Ich werde“ wird vielleicht ein Hindernis überwunden, z. B. eine Mauer oder ein Spinnennetz, und die Gruppe fragt sich, was es braucht, um das Bild der eigenen Zukunft in fünf Jahren zu verwirklichen. Alternativ kann ein Zimmerplan für eine Wohngemeinschaft erarbeitet werden, und die Aufgaben und Verantwortlichkeiten in der WG werden verteilt (M 4).

Die drei Themen münden in ein gemeinsames Fest, bei dem jede Kleingruppe einen eigenen Beitrag gestaltet. Morgenimpuls und Nachtgedanken öffnen und schließen das jeweilige Tagesprogramm.


Anmerkungen:

  1. Weitere Informationen zu TzO „Tage zur Orientierung“ sind zu erhalten unter: Schülerinnen- und Schülerarbeit im Landesjugendpfarramt im Haus kirchlicher Dienste der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers, Archivstraße 3, 30169 Hannover; www.ejh.de und www.kirchliche-dienste.de.
  2. Das Leitbild für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen wurde von der Landesjugendkammer der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers herausgegeben und von der 23. Landessynode der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers im Rahmen des Berichts des Jugendausschusses zustimmend zur Kenntnis genommen. Es steht unter www.ejh.de/leitbild als Download zur Verfügung.