pelikan

Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) in Bilderbüchern

von Gert Liebenehm-Degenhard und Lena Sonnenburg


Das ist Willibart. Willibart ist Holzfäller. Und er macht, was Holzfäller eben so machen: Er fällt Bäume und hackt Holz.

Und Willibart liebt Routinen: Jeden Morgen nach dem Aufstehen macht er seine Morgengymnastik, isst ein morgendliches Frühstück mit Pfannkuchen, schwingt seine Axt über seine großen, breiten Schultern und geht in den Wald. „Hack. Hack. Hack“, schallt Willibarts Axt dann durch den Wald und ein Baum nach dem anderen fällt. Nach einem langen Tag voller Hacken, Schwingen, Schlagen und Spalten geht Willibart dann zurück zu seiner Hütte und ruht sich aus. Das geht viele Tage so.

Doch eines Abends kommt alles anders: Heute klopft es nämlich an Willibarts Tür und ein kleiner wütender Vogel steht da. Er berichtet Willibart, dass dieser den Baum mit seinem schönen Nest gefällt hat. Nun hat der Vogel kein Zuhause mehr. Nachdenklich kratz Willibart sich den langen, dichten Bart und überlegt. Dann schlägt er dem kleinen Vogel vor: „Wenn du magst, kannst du in meinem Bart wohnen.“ „Abgemacht!“, antwortet der kleine Vogel und zieht sofort ein. Gemeinsam legen sie sich ins Bett und schlafen.

Am nächsten Tag passiert, was immer passiert: Morgengymnastik, Frühstück, Holzhacken. Doch auch an diesem Abend klopft es an Willibarts Tür. Das Stachelschwein steht aufgebracht davor. Alle Nadeln und Zweige für den Bau seines Unterschlupfs sind aus dem Wald verschwunden. Es weiß nicht, wo es hin soll, und so zieht auch das Stachelschwein in Willibarts Bart ein.

Am dritten Tag klopft der Biber bei Willibart und sucht ebenfalls Unterschlupf. Nun wird es dem Holzfäller aber zu bunt: Er rasiert den Bart ab und legt ihn als Behausung für seine neuen Mitbewohner*innen auf die Terrasse. Danach schläft Willibart so gut wie schon lange nicht mehr, macht Morgengymnastik, isst Pfannkuchen und trägt nach dem Frühstück seine Schaufel hinaus, um dort, wo mal der Wald war, Löcher zu graben und mit seinen großen Händen einen Baum nach dem anderen zu pflanzen.

In den letzten zwei Jahren sind zahlreiche Bilderbücher mit Geschichten wie das von Willibart erschienen. Sie heißen „Für Weltretter“, „Ohne Wasser geht nichts!“ oder „Mach dich stark für eine bessere Welt“ und verfolgen das überaus wichtige Ziel, Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) schon den Kleinsten dieser Gesellschaft zu vermitteln. Gerade in der frühen Kindheit werden nämlich wichtige Weichen gestellt, um eine umweltgerechte Denk- und Handelsweise auszubilden. 

Dass das über Medien wie eben Bilderbücher besonders gut geht, ist unumstritten. Sie sind das zentrale Bildungs- und Sozialisationsmedium der frühen Kindheit. Kinder machen durch die Begegnung mit Bilderbüchern Erfahrungen, die sowohl für ihre Gegenwart als auch ihre Zukunft von großer Bedeutung sind, und werden gleichzeitig auf vielfältige Weise gestärkt. 

•    In Bilderbüchern spielen Vorbildfunktionen, die oft durch starke Kinderfiguren repräsentiert werden und sich als Vorbild- und Identifikationsfiguren in das Gedächtnis der Leser*innen einprägen, eine wichtige Rolle. 
•    Bilderbücher bieten für Kinder die Möglichkeit, bereits Erlebtes zu verarbeiten, einzuordnen und zu verstehen und durch Gegenwärtiges zu begleiten. 
•    Außerdem kann auf Künftiges vorbereitet werden, indem die Bilderbücher Kindern noch nicht Erlebtes gedanklich vorwegnehmen und ermöglichen, noch unbekannte Situationen theoretisch durchzuspielen, sich auf das vorzubereiten, was passieren könnte, und ihnen helfen, die Welt zu verstehen. 
•    Das Vorlesen und gemeinsame Betrachten von Bilderbüchern schafft außerdem Bindung und Sicherheit. 
•    Des Weiteren stärken (Bilder-)Geschichten Fantasie, Kreativität und schaffen es, die sprachliche Ausdrucksfähigkeit zu fördern.

Gerade in Kitas und Grundschulen lassen sich mit den aktuellen Bilderbucherscheinungen zahlreiche Themenfelder, an die die Bildung für nachhaltige Entwicklung anknüpft, erforschen: Wasser, Luft, Boden; Natur und Artenvielfalt; Länder und kulturelle Vielfalt; Energie und Klima; Ernährung und Landwirtschaft; Konsum und Mobilität; Abfall und Recycling. 

Doch nicht alle Bilderbücher mit einer BNE-Thematik sind gleichermaßen für den Einsatz im pädagogischen Kontext geeignet. Hier einige Aspekte, die bei der der Auswahl von Bilderbüchern für den Einsatz in Kita- oder Lerngruppen berücksichtigt werden sollten: 

•    Wie erzählen Text und Bilder von den BNE-Zielen? Scheint ein erhobener Zeigefinger durch? Wird versucht, den Kindern eine „richtige“ Moral zu vermitteln? Oder werden die Lernenden zum selbständigen Denken herausgefordert? 
•    Wer sind die Akteur*innen im Buch? Sind es nur Kinder, die die Weltrettung allein schaffen müssen und sich damit – verständlicherweise – schnell überfordert fühlen? Oder werden die Kinder in dem Buch von Erwachsenen oder etablierten Organisationen unterstützt – im Sinne der Idee „Gemeinsam schaffen wir das“? 
•    Vermittelt das Buch Hoffnung? Oder ist die Welt eher schlecht? Gibt es Hinweise darauf, dass Nachhaltigkeit auch gelingen kann? 
•    Steht eher die Schönheit der Schöpfung oder deren Zerstörung im Mittelpunkt des Buches? Werden die Kinder eingeladen, über die Schöpfung zu staunen, um Mitgefühl wachsen und daraus einen Impuls fürs eigene Engagement entstehen zu lassen? Oder wirken Bilder und Text eher destruktiv?

Optimalerweise regen Bilderbücher, die BNE nachhaltig fördern wollen, das selbständige Denken der Kinder an, zeigen die Schönheit der Schöpfung auf, machen Mut und zeigen den Kindern auch, dass sie die große Aufgabe, vor der die gesamte Gesellschaft steht, nicht allein schaffen müssen.

So auch das Bilderbuch „Rettet die Erde“. 

Auf dem Cover sind der Erdball und Kinder, die ihn mit ihrem Schwungtuch auffangen, zu sehen. Sind es also doch die Kinder, die die Erde retten sollen? Wird ihnen durch das Buch doch die Aufgabe der Gesamtgesellschaft aufgebürdet? Nein, ist die klare Antwort beim Blick in das Buch. „Rettet die Erde“ kommt nämlich mit elf Ideen, wie JEDER im Alltag etwas dazu beitragen kann, Ressourcen zu schonen. Dabei enthält jede Doppelseite eine kurze und machbare Aufforderung: 

Verschwendet keinen Strom. 
Lasst das Auto stehen.
Gebt Bienen Nahrung.
Gebt Dingen neuen Sinn.
Spart Wasser.
Esst mehr Gemüse.

Doch nicht diese Sätze sind es, die das Buch so empfehlenswert machen. Der Clou des Buches ist die Hoffnung, die es clever einzuspeisen weiß. Zunächst zeigt „Rettet die Erde“ ganz alltägliche Situationen. Dinge, wie man sie kennt: eine leere Garage und einen Vater, der mit seinem Kind im Auto durch die sonnige Landschaft fährt. Doch dann entdeckt man die (phtalatfreie) Folie! Schlägt man diese um, steht das Auto plötzlich in der Garage und man sieht Vater und Kind auf dem Fahrrad, vorn im Körbchen der Hund. Was für eine Überraschung! Davon will man mehr! Und man bekommt mehr, z.B. bei der Strandszene, bei der ein Junge im Meer taucht, in dem Müll und Plastikflaschen zu erkennen sind. Die Folie wird umgeblättert und schon erscheinen die Plastikflaschen in den Händen der Kinder am Strand. Sie haben sie eingesammelt.

Oder unter der Überschrift „Esst mehr Gemüse“: Da ist eine angeschnittene Wurst zu sehen – beim Umblättern „verwandelt“ sie sich in eine Gurke.
„Rettet die Erde“ zeigt, was im Alltag Veränderung braucht, was im Sine von BNE vielleicht nicht optimal läuft; und es zeigt Beispiele für Veränderungsmöglichkeiten. Damit macht es Hoffnung darauf, was wir wollen – und stellt eben nicht nur dar, was wir nicht mehr wollen.

Die Bilder unterstützen die elementare Botschaft des Buches, indem sie auf das Wesentliche reduziert sind und zeigen, wie es gehen könnte: Kinder in Aktion, die dadurch Selbstwirksamkeit erfahren, orientierende Beispiele, aber auch Schwierigkeiten und Stolpersteine werden gezeigt. Außerdem wird auf ermutigende und augenzwinkernde Weise mit dem Bild des wehenden Umhangs gespielt. Er taucht auf vielen Seiten auf, und es ist sicher kein Zufall, dass er die Betrachter*innen sofort an Superheld*innen im Einsatz denken lässt. 

Willibarts Wald kommt den oben genannten Kriterien auf eine ganz andere Art und Weise nach: Das Bilderbuch regt intensiv zum Weiterdenken und Forschen an. Warum werden Bäume eigentlich gefällt? Was passiert mit dem Holz? Wie kann nachhaltige Forstwirtschaft aussehen? Wie können Lebensräume geschützt werden? Die Schüler*innen könnten diesen Fragen in Sinne eines projektorientierten Lernens nachgehen. Dabei lassen sich auch Initiativen wie der WWF oder Fridays for Future entdecken und mit ihnen die stärkende Kraft gemeinschaftlicher Aktivität.

Weitere didaktische Ideen zu diesen beiden Büchern finden sich in unserem Bilderbuchpodcast „Rettet die Erde! Nachhaltige Ideen“. 1 Wer darüber hinaus Anregungen zu geeigneten Kinderbüchern sucht, findet einen aktuellen und profunden Überblick über gegenwärtige Kinder- und Jugendliteratur zu Umwelt, Klima und Naturschutz in einem Online-Seminar der Stiftung Lesen.2 

Anmerkungen

  1. www.rpi-loccum.de/Arbeitsbereiche/Der-Bilderbuchpodcast/Alle-Podcasts 
  2. www.youtube.com/watch?v=cURdT646dB4&list=PL-2sY-ZN2s8Sml_aB5qRNZE3hM9rKwky-&index=8 

Literatur

  • www.grin.com/document/584251 (29.3.2022)
     
Willibarts Wald

Duncan Beedie: Willibarts Wald
Magellan Verlag Bamberg 2018
Bilderbuch ab 3 Jahren
ISBN 978-3-7348-2045-8, Hardcover, 40 Seiten, 14,00 €

Rettet die Erde

Patrick George: Rettet die Erde!
Bilderbuch ab 3 Jahren
Aus dem Englischen von Markus Weber, Moritz-Verlag Frankfurt a.M. 2020, ISBN 978-3-89565-392-6, Hardcover, 52 Seiten, 18,00 €