Apokalypse im Film

von Inge Kirsner

 

Ein paar grundlegende Überlegungen zu Beginn

Der Mensch wird durch Maschinen ersetzt; ein großer Planet trifft auf die Erde; eine rätselhafte Krankheit lässt die Sehkraft der Menschen erlöschen:
Filmische Visionen über eine mögliche Zukunft der Erde sind ein Spiegel der Gesellschaft, in dem Tendenzen der Gegenwart aufgenommen und weitergedacht werden.

Aus der „Lust am Untergang“ ist ein eigenes Filmgenre geworden. Zuletzt ließ Christopher Nolan in „Interstellar“ seine Astronauten nach einem neuen Planeten für die Menschen suchen, da die Erde nicht länger bewohnt werden konnte; 2013 ließ Roland Emmerich immerhin das Weiße Haus einstürzen („White House Down“, USA 2013). Das hat der Sindelfinger Emmerich bereits 1996 getan, und zwar in dem Film „Independence Day“, in dem die Menschen erfolgreich eine Invasion feindlicher Aliens aus dem All besiegen konnten.

Der an den Kinokassen unglaublich erfolgreiche „Independence Day“ war der Startschuss für eine Renaissance des Katastrophenfilms im Kino. Bis zur Jahrtausendwende zeugen zahlreiche weitere Hollywood-Produktionen wie „Deep Impact“ (Mimi Leder, USA 1998), „Armageddon“ (Michael Bay, USA 1998) etc. [1] von dem wiedererwachten Interesse v. a. der amerikanischen Populärkultur am Weltuntergang. In diesen amerikanischen Produktionen wird die Vielfalt der Geschichten und Visionen autoritär auf eine Weltanschauung bzw. Großgeschichte fixiert.

Verstehen wir apokalyptische Visionen als Symbolisierungen nachhaltiger seelischer und sozialer Erschütterungen [2], so stellen entsprechende Dramatisierungen eine Bewältigungsstrategie traumatischer Erfahrungen dar. Sie bauen erzählerisch eine rettende Distanz zwischen den beteiligten Personen und der übermächtigen Realität des Bösen auf und bannen so seine destruktive Kraft. Als Symbolisierungen nachhaltiger Krisen können apokalyptische Visionen somit auch heilende Kräfte bergen. [3]

Neben der potenziell heilenden Kraft einer apokalyptischen Vision gibt es nach ethischen und ästhetischen Aspekten noch weitere systematische Funktionen:

  1. Medien können die oben genannte autoritäre Struktur apokalyptischer Rede nutzen, um ihr Publikum politisch und/oder religiös zu manipulieren. Dies wird, wie es in „Independence Day“ geschieht, mithilfe von Überwältigungsästhetik versucht. Ethische und ästhetische Ideologiekritik kann zur Entdramatisierung des Pathos beitragen.
  2. Neben religiösem und politischem Interesse kann die Konjunktur apokalpytischer Motive und Stilfiguren auch Ausdruck kommerziellen Verwertungsinteresses sein. Medienkritische Auseinandersetzung kann den Blick schärfen für ästhetische Manipulation der Aufmerksamkeitslenkung, die, wie oben, sich einer manipulativen Ästhetik bedient.
  3. Schließlich kann die apokalyptische Visualisierung auch Zeichen sein für die wache Sensibilität gegenüber potentiellen und von Menschen mitverschuldeten Krisen. Dann hat der Film eine prophetische Funktion und ermöglicht den Betrachtenden neue Sichtweisen. Im Sinne einer solchen doppelten Realitätsansage halten solche Filme die Spannung zwischen Untergang und Neuanfang in der Schwebe.

Ein Beispiel dafür ist die Verfilmung eines Romans von José Saramago aus dem Jahr 1995, der ganz – oder, wie im Folgenden vorgestellt, mit Ausschnitten – im Religionsunterricht zum Thema „Apokalypse im Film“ bearbeitet werden kann.



Beispiel für einen Apokalypse-Film im RU: „Die Stadt der Blinden“
(Fernando Mereilles, Brasilien/Japan/Kanada 2008)

Die Ampel schaltet auf Grün, doch ein Auto bleibt stehen, mitten auf einer verkehrsreichen Straße; alle hupen, fluchen, überholen – irgendwie.

Ein Blick in das blockierende Auto offenbart einen verstörten Mann, der immer wieder die Hände vor das Gesicht schlägt, hilflos herumtastend. „Ich kann nichts mehr sehen!“ Der Mann am Steuer hat von einem Augenblick auf den anderen sein Augenlicht verloren. Der freundliche Passant, der den Hilflosen anspricht und nach Hause geleitet, wird den Schlüssel behalten und das Auto des Blinden stehlen; ein geringes Delikt im Vergleich zu dem, was folgt, als epidemieartig immer mehr Menschen schlagartig erblinden. Die Folge dieser Epidemie ist der Zusammenbruch der Zivilisation, und deutlich wird, dass wir in einer visuellen Welt leben, in der Informations- und Warenströme hautsächlich über das Auge laufen. Fällt der Sehsinn aus, läuft auch sonst nichts mehr. Im Vorteil sind hier die Immer-Schon-Blinden, da sie sich besser in dieser Welt auskennen.

„Der Zustand der Welt erfüllt mich mit großer Angst und Sorge, da bahnt sich eine Katastrophe an, um die sich niemand zu kümmern scheint. Wir müssen die Art, wie wir leben und konsumieren, radikal verändern, bewegen uns aber immer weiter in dieselbe Richtung“, resümiert der brasilianische Regisseur Fernando Mereilles die Intention seines Filmschaffens.[4] Diese apokalyptische Grundstimmung kommt in der Verfilmung des Romans von José Saramago am stärksten zum Ausdruck. Im Gegensatz zum meist furiosen Auftakt vieler Endzeitdramen kündigt sich hier das Grauen, wie die oben beschriebene Anfangsszene zeigt, ganz leise an. Was bedeutet es, in einer Mediengesellschaft und somit aufs Visuelle ausgerichteten Welt, in der das Auge das wichtigste Organ der Wahrnehmung darstellt, plötzlich das Augenlicht zu verlieren? Es ist der Untergang, zunächst der persönlichen, dann auch der ganzen westlichen, zivilisierten Welt. Die Zivilisation zeigen Mereilles wie auch Saramago als dünne Schicht, gleich darunter lauert die Barbarei, die sich zunehmend ungehindert Bahn bricht.

„Ich werde blind“, denkt am Ende ihrer Odyssee die einzig Sehende, die ihre Gruppe, von einer Notgemeinschaft zur Wahlfamilie geworden, schließlich sicher in ihrer (ehemaligen) Wohnung untergebracht hat. Sie hat zuviel gesehen: Hunde, die aus Nahrungsmangel Leichen fressen; ‚natürlich’ Blinde, die ihre Vorerfahrung in den Dienst skrupelloser Tyrannen stellen, eine Welt, die von der Natur zurückerobert wird und in der die Menschen, sich als evolutionärer Fehltritt erweisend, einander ausrotten. Blind sein wäre eine Gnade gewesen, und blind werden wäre die natürliche Konsequenz, nachdem sie, mit der zweifelhaften Gabe des Sehens gesegnet, die anderen gerettet hat, die gerade wieder staunend anfangen, die Dinge mit ihren Augen wahrzunehmen – die sie zuvor (so) nicht gesehen haben.

Am Ende des Films, das in der Wohnung der letzten Sehenden spielt, sehen wir, wie der erste Blinde sein Augenlicht wiedererlangt und damit den anderen Hoffnung gibt.



Apokalypse des Kinos?

Sehenden Auges blind zu sein, dieses Motiv hat Platon in seinem Höhlengleichnis ausgeführt, das die Matrix für mehrere Romane Saramagos (am dichtesten in „Das Zentrum“) darstellt. Das Kino bildet strukturell die Höhle Platons nach, und ein Kinostück zu machen, das annähernd dieses (Nicht)-Sehen abbildet, das hat Filmemacher Mereilles geschafft. Die Welt, in der die Sehenden ihr Augenlicht verlieren müssen, um zu erkennen, was Leben ausmacht, was Liebe ist, was die Welt zusammenhält, geht am Ende nicht unter; Keimzelle der Hoffnung bildet die kleine Gemeinschaft, die, einander solidarisch begleitend, einander erkannt hat und so in der apokalyptischen Umwelt überleben kann.

Die ganze Welt retten, wie es die US-amerikanischen Helden tun, ist ihnen versagt; aber sie werden einander zur Welt.

Werfen wir nun einen kurzen Blick zurück auf jene US-amerikanischen Helden: Diese sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren. Die Superhelden scheinen zugleich mit den Twin Towers zu Fall gekommen zu sein und haben sich davon nicht mehr erholt. Der dunkelste Held von allen ist Batman, der in „The Dark Knight“ (Christopher Nolan, USA 2008) einen so starken Abschied genommen hat, dass niemand an (s)eine Rückkehr glauben mochte. Um Gotham City, exemplarisch für die ganze Welt, zu retten, musste er seinen Heldenstatus opfern, fremde Schuld auf sich nehmen, um der Menschheit ihren Glauben an das Gute und somit ihre Überlebensfähigkeit zu erhalten. Aber nun kehrt das Böse zurück – denn solange Batman lebt, wird er die dunklen Mächte anziehen.

Die Düsternis von „Dark Knight“, in dem „der tragische Held den Kampf gewonnen, die moralische Schlacht jedoch verloren hat“ [5], konnte von seinem Sequel kaum übertroffen werden. Das Austreiben des Heroischen aus dem Helden jedoch wird in „The Dark Knight Rises“ (Christopher Nolan, USA 2012) perfektioniert. Als heroisch könnte am Ende lediglich sein (allerdings von ihm selbst inszenierter, also gefakter) Opfertod gedeutet werden, als er die von Bösewicht Bane scharf gemachte Atombombe mit dem Batmobil aus Gotham herausschafft (durch den Autopiloten jedoch gerettet wird).

In der gesamten Batman-Trilogie Nolans herrscht eine apokalyptische Grundstimmung, die den Eindruck vermittelt, dass es bestenfalls um Verlängerung des Bestehenden und schon lange nicht mehr um Rettung geht.

Diese Einschätzung wäre mit den Schülerinnen und Schülern zu diskutieren; hat sich auch ansonsten das Heldenbild verändert (außerhalb der S-F u.a. Apokalypsefilme, so z.B. James Bond)? Welche Ursachen sind in amerikanischen Filmen ausschlaggebend für den (drohenden) Weltuntergang? Kommt die Bedrohung von außen wie in „Mars Attacks“, ist sie Folge von Klimaveränderungen, die von Menschen mitverursacht wurden („The Day After Tomorrow“) oder stellt das Szenario eine Verbindung zwischen äußeren und inneren Faktoren dar (wie in der „Alien“-Tetralogie, wo Menschen die außerirdische Kraft militärisch nutzbar machen wollen)? Ist es der Umgang der Menschen mit einer plötzlichen Veränderung, der die Katastrophe herbeiführt, wie in „Die Stadt der Blinden“?



4. Erarbeitung der „Stadt der Blinden“ im RU

Um die Apokalypse-Thematik im RU einzuführen, empfiehlt es sich, ohne großen Kommentar zunächst die Anfangsszene des Films „Die Stadt der Blinden“ zu zeigen.

Der Film hat die FSK-Altersfreigabe ab 12, kann also ab Klasse 6 eingesetzt werden (mit den zwei im Folgenden vorgestellten Ausschnitten); eine Sichtung des gesamten Films empfiehlt sich erst ab Klasse 9.


Erster Filmausschnitt: Anfang von „Die Stadt der Blinden“ (0.00 bis 03.16)
Nach der etwa dreiminütigen Anfangsszene kann ein kurzes Perzept (Wahrnehmungsprotokoll), das anschließend besprochen wird, mit folgenden Leitfragen geschrieben werden:

  • Was habe ich gesehen?
  • Was geschieht in und mit einer Stadt, in der die Menschen ihre Sehkraft verlieren?
  • Wie wird die Geschichte (folglich) weitergehen?

Alternativ dazu ist natürlich auch ein offenes Filmgespräch denkbar. Dies wird weitergeführt mit der Frage, welche Filme den Schülerinnen und Schülern zum Thema „Weltuntergang“ einfallen. Auf Basis dieses Vorwissens wird im Folgenden gemutmaßt, welches Ende die Geschichte wohl haben wird.

Die verschiedenen Entwürfe werden miteinander verglichen; vielleicht ergibt sich aus den Ergebnissen, dass amerikanische Filme eher zum Happy End tendieren, während europäische oder, wie in diesem Fall, mit verschiedenen Ländern koproduzierte Filme zu einem offenen, wenn nicht gar „schlechten“ Ende neigen.

Im Anschluss an Vergleich und Diskussion wird das Ende des Films geschaut.


Zweiter Filmausschnitt: Schluss von „Die Stadt der Blinden“ (die letzten 3 Min.)
Eventuelle Verständnisfragen müssen geklärt werden (es gibt nur eine Person, den Patienten „Zero“, der vom Anfang des Films bekannt ist; die anderen Personen sind erst nach und nach dazugekommen). Dann wird das Ende diskutiert und mit den Erwartungen verglichen.

In der nächsten Schulstunde wird das Thema „Sehen/Nichtsehen“ nochmals aufgegriffen und kann, in höheren Klassen, durch die Lektüre von José Saramagos „Das Zentrum“ (Reinbek bei Hamburg 2002, 373-379) und Platons „Höhlengleichnis“ vertieft werden.

„To see“ – „erkennen“ wäre das Motto einer dritten Stunde: Zeichen der Zeit deuten können: Apokalyptische Filme können prophetische Funktion haben, sie sind – neben ihrem Unterhaltungswert, der „Lust am Untergang“ – Seismographen gesellschaftlicher Entwicklungen. Die zuvor mit den Schülerinnen und Schülern gesammelten Filme werden daraufhin befragt, welche Zeichen darin gesehen und wie gedeutet wurden. In Kl. 7 beispielsweise, wo der Prophet „Amos“ auf dem Lehrplan steht, werden die prophetischen Bilder des Amosbuches mit den Filmbildern des Untergangs verglichen. Welche Bilder hätte Amos heute gewählt?

Es sind zunehmend düstere Bilder, wie sie auch in gegenwärtigen Apokalypsefilmen Gestalt gewinnen – allen voran in „Die Tribute von Panem“, der kongenialen Verfilmung der Trilogie von Suzanne Collins (2008-2010). Die weibliche Amazone Katniss ist hier zugleich ein zutiefst verunsicherter und verängstigter Teenager, der eine Welt, die bereits einmal untergegangen ist und zwischen deren Trümmern die Menschen vegetieren (alle, bis auf einige, die im Wohlstands-„Kapitol“ leben), aus der Bevormundung durch eine Herrschaftselite befreien soll. Der Film stellt die pragmatische Einschätzung der Gegenwart dar, in der eine überforderte Jugend zugleich zum Hoffnungsträger wird.

Hoffnung worauf? Die Alternativen sind nicht sehr verlockend; die Rebellen werden angeführt von einer Präsidentin (gespielt von Julianne Moore, die auch die Sehende in der „Stadt der Blinden“ verkörpert), die vor keinem Mittel zurückschreckt, um den Krieg zu gewinnen; Katniss wird funktionalisiert, sie weiß darum und versucht sich am Ende in der ,neuen´ Welt, die sich von der alten nur unwesentlich unterscheidet, irgendwie einzurichten. Entspricht diese filmische Vision dem Lebensgefühl heutiger Jugendlicher?

 

Anmerkungen

  1. Vgl. Müller, Josef/Zwick, Reinhold (Hg.), Apokalyptische Visionen. Film und Theologie im Gespräch, Schwerte 1999.
  2. Vgl. Martin, Gerhard Marcel, Weltuntergang. Gefahr und Sinn apokalyptischer Visionen, Stuttgart 1984, 47-60 und 73-82.
  3. Vgl. Loretan, Matthias/Martig, Charles, Weltuntergang im Film, in: Müller/Zwick, a.a.O., 1999, 47-95, 50f.
  4. „Wir sitzen alle im selben Auto“. Der brasilianische Regisseur Fernando Mereilles über die Internationale des Kinos, den Zustand der Welt und seinen neuen Film „360“, Gespräch mit Anke Sterneborg in: epd Film 8/2012, 18-23, 23.
  5. Schnelle, Frank: Filmkritik zu „The Dark Knight Rises“, epd-Film 8/2012, 41.

 


Filmographie (verwendete und verwendbare Filme):

  • Alien (Ridley Scott, GB/USA 1979), FSK 16
  • Alles, was wir geben mussten (Mark Romanek, GB/USA 2012), FSK 12
  • Blade Runner (Ridley Scott, USA 1982), FSK 16
  • Children of Men (Alfonso Cuarón , USA/GB 2006), FSK 16
  • Die Stadt der Blinden (Fernando Mereilles, Brasilien/Japan/Kanada 2008), FSK 12
  • Die Tribute von Panem (Gary Ross, USA 2012), FSK 12
  • Gattaca (Andrew Niccol, USA 1997), FSK 12 (sehr empfehlenswert zu Gentechnologie)
  • Interstellar (Christopher Nolan, USA 2014), FSK 12
  • Mars Attacks (Tim Burton, USA 1996), FSK 12
  • Melancholia (Lars v. Trier, Dänemark/Schweden/Frankr./Deutschl. 2013), FSK 12
  • Solaris (Steven Soderbergh, USA 2002), FSK 12
  • Terminator 2 (James Cameron, USA/Fkr. 1991), FSK 16
  • The Dark Knight (Christopher Nolan, USA/GB 2008), FSK 16
  • The Day After Tomorrow (Roland Emmerich, USA 2004), FSK 12