Ist Diakonie lernbar? – Ein Erfahrungsbericht aus Berlin-Brandenburg

von Lars Charbonnier und Karin Borck

 

„Ich glaub, die haben sich richtig gefreut, dass ich da war. Hat die eine wenigstens gesagt, als ich gegangen bin!“ (Kevin, 14 Jahre)

„Mit einem Behinderten hab ich ja echt noch nie gesprochen. Jetzt hab ich sogar das Zimmer von einem gesehen – sah ganz normal aus, sogar ein Poster von Tokio Hotel, echt!“ (Sophie, 11 Jahre)

„Ich kann ja nicht mehr richtig lesen. Und da ist es einfach schön, wenn einmal in der Woche mir mal jemand die Zeitung vorliest.“ (Richard, 84 Jahre)

„Da hat es schon ziemlich komisch gestunken. Und die Zimmer waren total klein …“ (Leonie, 8 Jahre)

„Die Alten erkennen manchmal ihre eigenen Kinder nicht mehr – aber was die von früher wissen, das ist der Hammer!“ (Laura, 13 Jahre)

„Plötzlich waren Schüler aktiv, die im normalen Unterricht immer nur ein gelangweiltes Gesicht machen. Das zu sehen, war einfach mal Balsam für die Seele.“ (Eine Religionslehrerin aus Berlin- Neukölln)

„Mit den andern Schülern Theater zu spielen ist total toll! Da ärgert mich keiner!“ (Christoph, 11 Jahre)
 

Diese ganz verschiedenen Blitzlichter kommen von Menschen, die an einem diakonisch-sozialen Projekt teilgenommen haben. Schülerinnen und Schüler haben ihre Klassenräume mit Orten diakonischen Handelns getauscht, haben Kirchengemeinden, Diakonische Einrichtungen oder Förderschulen kennen gelernt und sind Menschen begegnet, die dort leben, arbeiten oder zu Besuch sind. Natürlich wurden sie nach ihrem Einsatz nicht gefragt, wie sie die Frage „Ist Diakonie lernbar?“ beantworten würden. Unserer Meinung nach spiegeln die Blitzlichter aber wider, dass die Frage nach der Lernbarkeit dessen, was Diakonie ist und was sie bewirkt, welche Haltung hinter ihr steht, sehr eindeutig beantwortet werden kann.

Für Kirche und Diakonie in Berlin und Brandenburg liegt darin der Grund, das diakonisch-soziale Lernen nicht nur zu empfehlen, sondern es fest in den Rahmenplan für den Evangelischen Religionsunterricht zu integrieren. Wie das aussieht und welche Erfahrungen bei der Umsetzung gemacht wurden, möchten wir im Folgenden skizzieren.

 

Das Konzept

Das diakonisch-soziale Lernen ist keine neue Erfindung. An vielen evangelischen Schulen gibt es seit Jahren, teilweise seit Jahrzehnten besondere soziale Projekte oder Praktika, die eng mit dem gesamten Schulprofil verzahnt sind. Viele Religionslehrerinnen und Religionslehrer suchen im Rahmen der Unterrichtseinheiten zur Diakonie mit ihren Klassen Kontakt mit der Praxis, durch Besuche, Gespräche oder Briefpatenschaften. Eine neue Dimension ist zu diesem Engagement im institutionell kleinen Rahmen in den 1990er Jahren hinzugetreten: Im Zuge wachsender Individualisierung gerade in den familiären Strukturen wurde sowohl von kirchlichen wie von politisch-sozialen Stimmen der Wunsch laut, den Blick für den Anderen, die Einübung in Solidarität, das Verständnis sozialgesellschaftlicher Zusammenhänge und der Angewiesenheit auf das Engagement der Einzelnen auch institutionell, im Rahmen des schulischen Unterrichts, den Kindern und Jugendlichen zu vermitteln.

So entstanden Modellprojekte, die entweder, eher politisch initiiert, an das Konzept des „Service-Learning“ anknüpften, das zur Förderung des bürgerschaftlichen Engagements in den USA entstanden ist,1 oder kirchlich initiiert wurden, so etwa das Projekt „Compassion“, das an katholischen Schulen in Baden-Württemberg durchgeführt wurde.2 Pädagogisch knüpfen diese an Modelle des Praxis-Lernens an, die im Sinne von action-reflection-Modellen nachhaltiges Lernen gerade auf dem Feld handlungsbezogener Inhalte und damit im Zusammenhang stehende Werteinstellungen und Motivationen fördern. Die Erfolge dieses sozialen Lernens gerade bei den teilnehmenden Schülerinnen und Schülern waren groß, sodass vielerorts Aufnahmen und Fortentwicklungen im ganzen Bundesgebiet zu beobachten sind. Diese betreffen schwerpunktmäßig nach wie vor Schulen in kirchlicher Trägerschaft, im Bundesland Baden-Württemberg z.B. aber gehört das soziale Lernen für die Klassen 7 und 8 an Realschulen ebenfalls zum Pflichtprogramm.3

Auf Ebene der Diakonie in der EKD ist das diakonisch-soziale Lernen seit 1998 ein fester Punkt auf der bildungs­politischen Tagesordnung.4 Dabei wird der Unterschied zum sozialen Lernen deutlich gezogen: Diakonisch-soziales Lernen findet seine Begründung und Motivation in der biblischen Botschaft. Dabei kommt die Menschenfreundlichkeit Gottes ebenso zum Tragen wie das Gebot der Nächstenliebe. Der Unterschied zwischen sozialem und diakonisch-sozialem Lernen liegt also nicht in der Qualität des Tuns, sondern in der Begründung.

 

Gründe für die Einführung in Berlin und Brandenburg

Aufbauend auf den beschriebenen Erfahrungen entstand bei den Verantwortlichen für den Evangelischen Religionsunterricht in Berlin und Brandenburg die Idee, das diakonisch-soziale Lernen als einen wesentlichen neuen Standard in den Rahmenlehrplan aufzunehmen. Die Gründe dafür lassen sich in zehn Thesen kurz skizzieren, in denen auch inhaltlich die Vorzüge dieses Konzeptes deutlich werden.5 Diese Thesen dienten den Initiatoren wesentlich bei der Vorstellung des Konzeptes in den Konventen der Religionslehrenden6 und der diakonischen und kirchlichen Einrichtungen: 

Zehn Thesen zur Frage: „Warum diakonisch-soziales Lernen?“

  1. … weil wir damit dem Himmel ein Stück näher kommen. Jenseits von Werkgerechtigkeit und blindem sozialen Aktionismus gehört zur Nachfolge im Sinne der biblischen Botschaft genuin auch das gute Tun, die Liebe und Hinwendung zum Nächsten.
  2. … weil Gutes tun gut tut. Schüler und Schülerinnen lernen hier Lebens- und Arbeitsbereiche kennen, die nicht unbedingt zu ihrem Alltag gehören. Der Umgang mit alten Menschen, mit Menschen mit Behinderungen, Kranken, Migranten usw. ist meist kein selbstverständlicher Erfahrungsbereich im Leben von Schülern und Schülerinnen. Es sind somit vielleicht „einmalige“ Lernchancen, die für ihre Persönlichkeitsentwicklung wichtig sind.
  3. … weil Schule mehr und mehr außerschulische Lernorte als Bereicherung erkannt hat und fördern will. Außerschulische Lernorte liegen im pädagogischen Trend und gerade Kirche bietet in diesem Bereich eine Fülle an Möglichkeiten. Handlungsorientierter Unterricht – wie ihn das Schulgesetz für Berlin und Brandenburg vorsieht – ist im Bereich des diakonisch-sozialen Lernens sehr gut möglich.
  4. … weil die Bedeutung des Ehrenamts in unserer Gesellschaft zunehmend an Bedeutung gewinnt. Dies ist auch eine Folge der demografischen Entwicklung. Wir müssen – auch im eigenen Interesse – früh auf diese schulische „Helfergewinnung“ setzen, damit bereits junge Menschen sich mit der Frage auseinandersetzen: Wie steht es um mein soziales Engagement in dieser Gesellschaft?
  5. … weil alle etwas davon haben. Diakonische Begegnungen sind Begegnungen auf Augenhöhe. Es gibt nicht den Helfer auf der einen Seite und den Kranken, Alten, Gefangenen auf der anderen Seite. Diakonie ist keine Einbahnstraße. Wem am Ende mehr geholfen wurde, steht nicht fest.
  6. … weil es so viele gelungene Beispiele gibt. Die Durchsicht der Publikationen belegt fundiert, dass Organisationsaufwand und Überzeugungsarbeit sich lohnen. Schüler und Lehrkräfte berichten über eine Vielzahl gelungener Beispiele in allen Bundesländern und bei allen Schultypen. Diakonisch-soziales Lernen ist kein Privileg von Schulen in kirchlicher Trägerschaft.
  7. … weil Diakonie/Gemeinde und Schule hier zu Bildungspartnern werden und sich gemeinsam engagieren können. Die Kirche und ihre diakonischen Einrichtungen nehmen wichtige gesellschaftliche Aufgaben wahr. Sie berühren auch Bildungsfragen, die in der Schule ihren Ort haben müssen.
  8. … weil auch die Religionslehrkräfte etwas davon haben. Der Religionsunterricht erhält über das diakonische Profil ein unverwechselbares Erkennungszeichen, die Lehrkräfte erfahren Wertschätzung und der Zusammenhalt innerhalb der Lerngruppe wird gestärkt. Gerade in Berlin ist das ein ganz wichtiges Element.7
  9. … weil diakonische Einrichtungen sich aus eigenem Interesse dafür engagieren. Kirche und Diakonie werden über diese Projekte bekannt, und dies nicht nur bei ohnehin kirchennahen Personen. Die Diakonischen Einrichtungen werden in besonderer Weise wahrgenommen, auch als mögliche Arbeits- und Ausbildungsstätten. Diakonisch-soziales Lernen dient der Nachwuchsförderung.
  10. … weil soviel gelitten und manchmal auch geholfen wird. Es klingt pathetisch und ist banal: Menschen brauchen Menschen. Die Erfahrung, auf Hilfe und Zuspruch angewiesen zu sein, ebenso wie die Erfahrung gebraucht zu werden, beides macht den Menschen aus. Im diakonisch-sozialen Lernen wird dies für alle Beteiligten spürbar! 

 

Prinzipien der Umsetzung

Bei der Umsetzung dieses Konzepts haben uns fünf Stichworte geleitet: Kurze Wege, Verbindlichkeit, Eigeninitiative, Verschiedenheit, Begleitung. Was verbirgt sich dahinter? Die Bildungspartner Schule, Diakonie und Kirche sollen nicht auf überregionalen Ebenen ihre Kooperation vertiefen, sondern an den Orten, an denen sie aktiv sind.

Als Lernort soll die diakonische Einrichtung oder Kirchengemeinde ausgesucht werden, die möglichst dicht bei der Schule liegt (kurze Wege). So geraten tatsächlich die Einrichtungen vor Ort und damit auch das Bedürfnis nach sozialem Engagement dort in den Blick. Natürlich ist auch der Organisationsaufwand für die Lehrerinnen und Lehrer auf diese Weise minimiert, sind evtl. sogar Besuche zumindest im Rahmen von einer Doppelstunde problemlos möglich.

Die sich bildenden Kontakte der Schulen und Lernorte sind dabei auf Dauer angelegt. Damit soll Verbindlichkeit hergestellt und gefördert werden, die für alle Beteiligten den Mehraufwand dieses Lernmodells mit der Zeit auf ein Minimum beschränkt. Idealerweise entstehen so langfristige Partnerschaften und Projekte, die über ihre Initiatoren hinaus Bestand behalten.

Das Finden und Entdecken der möglichen Lernorte soll durch die Lehrerinnen und Lehrer, aber auch die beteiligten Schülerinnen und Schüler möglichst selbst erfolgen. Bekanntlich fördert ein aus Eigeninitiative begonnenes Projekt dessen Intensität und Stabilität. Die Schülerinnen und Schüler entwickeln über das konkrete Unterrichtsprojekt hinaus vielleicht auch weiteres Engagement.

Verschiedenheit bezieht sich vor allem auf die Auswahl der Lernorte: Das diakonische Engagement ist gerade in einer Stadt wie Berlin von unglaublicher Vielfalt gekennzeichnet. Diese Fülle an Lernorten soll wahrgenommen werden.

Besonders wichtig ist der letzte Grundsatz, die Begleitung. Sie ist sowohl aus pädagogischer Perspektive von immensem Gewicht, insbesondere in der reflexiven Nachbereitung eines Projekts, wird aber auch von den Lernorten gezielt gefordert.

 

Standards des Diakonischen Lernens im Rahmenlehrplan

Über fünf Standards wurde das Diakonische Lernen im Rahmenplan für den Evangelischen Religionsunterricht8 verankert. In einer ersten Fassung wurde jeder Doppeljahrgangsstufe ein Standard diakonisch-sozialen Lernens zugeordnet, der jeweils mit den Leitfragen „Nach dem Menschen fragen“ oder „Nach verantwortlichem Handeln fragen“ verbunden werden kann:

  • Die Schülerinnen und Schüler realisieren eine diakonische Aufgabe, die anderen eine Freude bereitet. (Jg. 1-2)
  • Sie begegnen hilfsbedürftigen Menschen und wissen, welche Unterstützung diese brauchen. (Jg. 3-4)
  • Sie engagieren sich für ein Projekt partnerschaftlicher Hilfe und erkennen, dass dieses auf den Beitrag Einzelner angewiesen ist. (Jg. 5-6)
  • Die Schülerinnen und Schüler kennen christliche Organisationen und Initiativen, die sich für soziale Gerechtigkeit einsetzen, führen ein diakonisches Praxisprojekt durch und dokumentieren ihre Erfahrungen. (Jg. 7-8)
  • Sie kennen biblische Weisungen für die Lebensgestaltung und können diese – unter Berücksichtigung der Auslegungsgeschichte – auf aktuelle ethische Fragestellungen und Entscheidungskonflikte beziehen und ihre Tragfähigkeit für das eigene Leben reflektieren. (Jg. 9-10)

In der Praxis des ersten Schuljahres 2006/07 mit diesem neuen Rahmenlehrplans zeigte sich schnell, dass diese genaue Zuordnung und darin besonders die Festlegung des längeren Praktikums für die 7. und 8. Jahrgangsstufe sowohl von Seiten der Schulen wie auch von Seiten der Einrichtungen problematisch ist. In der Revision im Jahr 2007 wurden deshalb Zusammenlegungen der Standards beschlossen, sodass nun die ersten drei genannten Standards in den Jahrgangsstufen 1-6, die letzten beiden in den Jahrgangsstufen 7-10 gültig sind, ohne dass eine Reihenfolge der Erfüllung vorgeschrieben ist (sie liegt natürlich inhaltlich-konzeptionell nahe). Damit wird die Flexibilität sowohl in der Schwerpunktsetzung des Unterrichtsinhalts wie in der Organisation der Praxisformen für Schule und Lernorte erleichtert.

 

Strukturen der Unterstützung

Das diakonisch-soziale Lernen ist kein neuer Ansatz. In vielen Schulen, auch in Berlin und Brandenburg, finden schon lange diakonisch-soziale Projekte verschiedenster Art statt. Für alle diejenigen, denen dieser Unterrichtsansatz bisher fremd war, wurden diverse Angebote der Unterstützung von Seiten der Landeskirche eingerichtet.

Personell wurden Kolleginnen und Kollegen aus jedem Bezirk für zwei Unterrichtsstunden pro Woche freigestellt, um als Diakonie-Koordinatoren vor Ort Ansprechpartner zu sein, Kontakte zu vermitteln, Materialien zu sammeln und zentral zur Verfügung zu stellen. Die Studienleiter des Amtes für kirchliche Dienste unterstützen sie und bieten regelmäßig Fortbildungen an. Konzeptionell begleitet wurde und wird die Arbeit von einem Arbeitskreis, dem Vertreter der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) ebenso angehören wie vom Diakonischen Werk (DW) der EKD, dem DW der EKBO und der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität. Im Rahmen dieses Kreises wurden konkrete Arbeitshilfen ebenso entwickelt wie Gespräche zur Rechtslage mit Vertretern der jeweiligen Ministerien geführt. Auch eine kick-off-Veranstaltung wurde organisiert.

Um die Suche von Lernorten zu erleichtern, wurde das Projekt „Diakonie-Atlas“ ins Leben gerufen. Für ein halbes Jahr mit einer halben Stelle, seitdem mit fünf Wochenarbeitsstunden ist ein Projektmanager mit Aufbau und Betreuung dieser Plattform im Internet in Kooperation von PTI Berlin und DW EKBO beschäftigt. Unter www.diakonieatlas.de können mittlerweile über 110 Lernorte recherchiert werden. Auf einem Blick finden sich Vorstellungen, Kontaktinformationen und Ansprechpartner der Lernorte, Möglichkeiten des Lernens mit Spezifizierung nach Lernformen und Jahrgangsstufeneignung sowie Erwartungen der Lernorte an die Schulen. All diese Informationen wurden über Fragebögen erfasst, die an alle diakonischen Einrichtungen und Kirchengemeinden in der EKBO verschickt wurden, sind also jeweils direkte Angaben der Lernorte selbst. Neben dieser für den Atlas zentralen Lernortsuche gibt es weitere Seiten mit Informationen und Hintergründen zum diakonisch-sozialen Lernen. Unterrichtsmaterialien werden zur Verfügung gestellt und Erfahrungen in Berichtform ausgetauscht. Die neueste Seite im Diakonie-Atlas berichtet über die Einführung eines Fonds für das diakonisch-soziale Lernen, der die Erstattung anfallender Kosten bei den Projekten ermöglicht. www.diakonieatlas.de ist damit die bisher deutschlandweit umfangreichste Internetplattform zum diakonisch-sozialen Lernen.

 

Erfahrungen

Von den Initiatoren wurde die Einführung der Standards diakonisch-sozialen Lernens mit viel Euphorie begangen. Die Begeisterung der Lehrenden hielt sich dagegen zunächst in Grenzen. Inhaltlich fand und findet der Ansatz großen Anklang, vor allem aber in Berlin traf dieser nun verlangte Projektunterricht, gerade vor dem Hintergrund des im Jahr 2006/07 eingeführten Ethikunterrichts auf viele strukturelle Probleme. Wie soll ein Besuch einer Einrichtung organisiert werden, wenn der RU zweimal an Randstunden im Nachmittagsbereich liegt? Wenn der RU aufgrund der geringen Teilnehmerzahlen jahrgangsweit in einer Gruppe unterrichtet wird, wie soll dann ein Projekttag genehmigt werden, während für die anderen Schülerinnen und Schüler des Jahrgangs der reguläre Unterricht weiterläuft? Wird ein Angebot am Samstag im Rahmen des ohnehin schon freiwillig zusätzlich besuchten Religionsunterrichts überhaupt angenommen werden? Einige Fragen, die zunächst eine große Skepsis hervorriefen.

Mittlerweile ändert sich das: Gelungene Beispiele zeigen, wie ein Projekt gelingen kann. Fächerübergreifende Kooperationen etwa mit LER in Brandenburg erleichtern die Organisation in der Schule. Schon lange erfolgreich durchgeführte Unterrichtsinhalte werden, mit leichten Modifikationen, als eigentlich schon immer diakonisch-soziale erkannt und ausgebaut. Die Flexibilisierung der Standards, die wachsende Zahl an Praxisbeispielen und Unterrichtsmaterialien und nicht zuletzt die Einführung des Fonds haben in den ersten eineinhalb Jahren des diakonisch-sozialen Lernens in Berlin und Brandenburg vieles erleichtert. So herrscht mittlerweile der Eindruck, dass tatsächlich ein Standard festgelegt wurde, der allen daran Beteiligten viel Gewinn bringt und langfristig den Religionsunterricht in Berlin und Brandenburg attraktiv macht!

Ein Beispiel möge abschließend illustrieren, wie ein solches diakonisch-soziales Projekt aussehen kann: Werbung für fair-trade. Unter dem Standard „Die Schülerinnen und Schüler engagieren sich für ein Projekt partnerschaftlicher Hilfe und erkennen, dass dieses auf den Beitrag Einzelner angewiesen ist.“ wurde eine Unterrichtseinheit zu Themen globaler Gerechtigkeit mit 17 Schülerinnen und Schülern zweier 6. Klassen in einem südlich gelegenen Vorort von Berlin durchgeführt. Als außerschulisches Projekt fand ein Besuch im örtlichen Weltladen statt, der Anschauungsmaterial und Hintergrundinformationen durch ehrenamtliche Mitarbeiterinnen des Ladens beinhaltete. In der Reflexion des Besuchs kam heraus, dass die Schülerinnen und Schüler diesen Laden vorher kaum kannten, was nicht zuletzt an der Lage des Hauses und an mangelnder Präsenz in der Öffentlichkeit lag, wie sie selbst analysierten. Aus eigenem Antrieb heraus entwickelten die Schülerinnen und Schüler deshalb die Idee, Werbung für diesen Laden zu gestalten.

Sie teilten sich in Gruppen auf, führten weitere Gespräche in ihrer Freizeit mit Besuchern und Mitarbeitern des Ladens, machten Fotos, sammelten Berichte und Reportagen, und erstellten schließlich eigene Plakate, die die wesentlichen Informationen in anschaulicher und ansprechender Weise enthielten. Diese hängten sie als Werbung in der Schule und an anderen prägnanten Stellen des Ortes auf. Im Unterricht wurden die Plakate bewertet und außerdem – thematisch fortführend – Diskussionen über die Wirksamkeit von Werbung geführt. Nicht nur die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Weltladens waren von diesem Engagement begeistert!

 

Anmerkungen

  1. Eine gute Einführung in Anliegen und Praxis bieten die Seiten www.servicelearning.de, dort finden sich auch Literaturhinweise und weitere Links. Aktiver Partner für Schulen v.a. im süddeutschen Raum ist die auch von kirchlichen Institutionen getragene mehrwert gGmbH Agentur für Soziales Lernen, www.agentur-mehrwert.de.
  2. Vgl. Metz, Johann Baptist / Kuld, Lothar / Weisbrod, Adolf (Hg.): Compassion. Weltprogramm des Christentums. Soziale Verantwortung lernen, Freiburg 2000, und online unter www.sstfr.de/ de/compassion.
  3. Vgl. www.bildung-staerkt-menschen.de. Mit zunehmendem Erfolg gibt es seit einigen Jahren die bundesweite Aktion „Mein sozialer Tag“: An einem Tag im Jahr arbeiten Schülerinnen und Schüler in selbst ausgewählten Tätigkeiten und spenden ihren Lohn für ein gemeinnütziges Projekt, vgl. www.sozialer-tag.de.
  4. Vgl. z.B. den Bericht zum vierten Bildungsforum des DW der ELD 2002 in Bethel, Diakonisches Werk der EKD (Hg.): Fürs Leben lernen! Tagungsbericht vom vierten Bildungsforum der Diakonie (Dokumentation 11/02), Leinfelden-Echterdingen 2002, download unter: www.diakonie.de/downloads/DD-11-2002.pdf (10.01.2008). S. auch Kirchenamt der EKD (Hg.): Herz und Mund und Tat und Leben. Grundlagen, Aufgaben und Zukunftsperspektiven der Diakonie. Eine evangelische Denkschrift, Gütersloh 1998.
  5. Eine umfassende Auseinandersetzung mit Geschichte und Ansätzen des diakonisch-sozialen Lernens liefert Toaspern, Huldreich David: Diakonisches Lernen. Modelle für ein Praxislernen zwischen Schule und Diakonie (Arbeiten zur Religionspädagogik Band 32), Göttingen 2007. Vgl. auch Adam, Gottfried / Schmidt, Heinz / Hanisch, Helmut / Zitt, Renate (Hg.): Unterwegs zu einer Kultur des Helfens. Handbuch des diakonisch-sozialen Lernens, Stuttgart 2006.
  6. Die Religionslehrerinnen und –lehrer sind in Berlin und Brandenburg Angestellte der Landeskirche und regional über sog. Arbeitsstellen für den Religionsunterricht organisiert, die sich jeweils regelmäßig in Konventen versammeln.
  7. Im Hintergrund stehen die Auseinandersetzung um den Status des RU als Wahlpflichtfach in Berlin.
  8. Der gesamte Rahmenplan findet sich unter www.ekbo.de/Dateien/ Rahmenplan2007.pdf.

Text erschienen im Loccumer Pelikan 2/2008

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