Forscher: Suche nach Anerkennung macht empfänglich für Islamismus

Nachricht 27. März 2024

Extremismus-Experte fordert mehr islamischen Religionsunterricht

Ein Fünftel von 300 befragten muslimischen Jugendlichen befürwortet islamistische Aussagen. Die Befunde der Studie sollten ernst genommen werden, sagt einer der Autoren. Die Ergebnisse sollten nicht dramatisiert werden, findet Islam-Experte Kiefer.

Hannover (epd). Die Suche nach Anerkennung und einem Gefühl der Zugehörigkeit macht aus Sicht des hannoverschen Soziologen Carl Philipp Schröder Jugendliche anfällig für Islamismus. „Das Selbstwertgefühl ist möglicherweise noch nicht gefestigt, die Unsicherheit groß“, sagte der Mitarbeiter des Kriminologischen Forschungsinstitutes in Hannover der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“ (Dienstag). „Extremistische Gruppen nutzen das aus.“

Schröder bezog sich auf eine Umfrage des Forschungsinstitutes unter rund 300 muslimischen Jugendlichen im Rahmen des größer angelegten „Niedersachsensurvey 2022“, an dem er beteiligt war. Unter den Schülerinnen und Schülern der neunten Klasse waren der Studie zufolge islamistische Einstellungen bei rund einem Fünftel anzutreffen. In der Studie, die dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegt, wird jedoch darauf verwiesen, dass die Auswertungen aufgrund der kleinen Gruppe der Befragten nicht repräsentativ für muslimische Schüler in Niedersachsen sind.

Dennoch seien die Ergebnisse bemerkenswert, sagte Schröder. „Das ist ein ernst zu nehmender Befund, dem weiter nachgegangen werden muss.“ Eine Mehrheit der muslimischen Befragten befürwortet laut der Studie etwa die Aussagen „Nur der Islam ist in der Lage, die Probleme unserer Zeit zu lösen“ (51,5 Prozent) und „Die Regeln des Korans sind mir wichtiger als die Gesetze in Deutschland“ (67,8 Prozent). Die Aussage „Die Bedrohung des Islam durch die westliche Welt rechtfertigt, dass Musliminnen und Muslime sich mit Gewalt verteidigen“ stieß bei 21,2 Prozent der Befragten auf Zustimmung.

Schröder sagte der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“, er gehe bei den allermeisten Befragten davon aus, dass diese ihr islamistisches Gedankengut nicht in die Tat umsetzten. Allerdings sei bei späteren Tätern eine Radikalisierung über einen langen Zeitraum erfolgt. Um Taten vorzubeugen, seien kostenfreie Freizeitangebote nötig, die Jugendlichen Orientierung böten, sagte der Forscher. Auch politische Bildung in der Schule sei wichtig.

Der Osnabrücker Islamismus-Experte Michael Kiefer warnte davor, die Ergebnisse zu dramatisieren. Die Befunde seien nicht neu. Aus früheren Studien sei bekannt, dass muslimische Heranwachsende auf diese Art Fragen zum Koran und zu islamistischer Gewalt häufig mit Übertreibungen und Provokationen reagierten, sagte Kiefer am Dienstag dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Das verschwindet nach der Pubertät in den allermeisten Fällen wieder.“

Zudem sollten die Aussagen nicht missinterpretiert werden, sagte der Professor am Institut für Islamische Theologie der Universität Osnabrück. „Ich kann auch als Christ das Neue Testament und die Zehn Gebote für wichtiger halten als das Grundgesetz. Das würde ja nicht bedeuten, dass ich die Gesetze missachte. Das sollte man auch Muslimen nicht unterstellen.“

Kiefer wies allerdings ebenfalls auf die Bedeutung von Bildung in der Islamismus-Prävention hin. Vor allem der islamische Religionsunterricht sei ein wichtiges Instrument. Dort lernten die Schülerinnen und Schüler, sich mit ihrer eigenen Religiosität und den schriftlichen Quellen kritisch und reflektiert auseinanderzusetzen. „Wir sollten die religiöse Bildung nicht TikTok und den Hinterhofmoscheen überlassen.“

Allerdings bleibe gerade in Niedersachsen das Angebot des islamischen Religionsunterrichts deutlich hinter den Erwartungen zurück. Die Lehramts-Absolventen der Uni Osnabrück wanderten zum Teil schon nach Nordrhein-Westfalen ab. „Die Landesregierung in Hannover sollte vor allem die Schulen mit hohem Anteil an Muslimen dabei unterstützen, den islamischen Religionsunterricht zu etablieren.“

  • Zum Download des "Niedersachsensurvey 2022": http://u.epd.de/2y55 - Informationen zu der Umfrage ab Seite 160
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