Diakonie-Chef Lilie: Thema Einsamkeit "aus der Schmuddelecke holen"

Nachricht 23. August 2022

Bremen (epd). Diakonie-Präsident Ulrich Lilie will das oftmals tabuisierte Thema Einsamkeit „aus der Schmuddelecke holen“. „Ich möchte, dass es besprechbar wird, wenn man sich einsam fühlt“, sagte der Diakonie-Chef am Montag beim Start einer Sommerreise zu diesem Thema in Bremen. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) forderte er mehr Engagement und ein abgestimmtes Vorgehen gegen die wachsende Einsamkeit in der Gesellschaft, und zwar „mit langem Atem“: „Das sollte als Querschnittsaufgabe ressortübergreifend und über ein breites zivilgesellschaftliches Netzwerk gut koordiniert angepackt werden.“

Lilie tourt bis Donnerstag durch mehrere Bundesländer, um mit Menschen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten über ihre Erfahrungen mit Einsamkeit zu sprechen. So will er in Hamburg, Schwerin und Parchim unter anderem Alleinerziehende, Schülerinnen und Schüler, alte und alleinlebende Menschen sowie Seeleute und Führungskräfte treffen. Zum Auftakt in Bremen sprach er mit Besucherinnen und Mitarbeiterinnen eines diakonischen Tagestreffs für wohnungslose Frauen.

Sie besuche den Tagestreff oft, könne sich hier austauschen und habe nette Leute kennengelernt, die ihr respektvoll begegneten, schilderte Iris (50) im Gespräch mit Lilie ihren Weg aus der Isolation. Die Einrichtung habe ihr dabei geholfen, dass sie in der Zeit ihrer Wohnungslosigkeit nicht unter die Räder gekommen sei. Nun habe sie eine eigene Wohnung gefunden, in der sie selbstbestimmt leben könne: „Eine eigene Wohnung ist wirklich sehr viel wert, bei der Schlüsselübergabe hatte ich Tränen in den Augen.“

In nahezu allen Altersgruppen gebe es immer mehr Menschen, die alleine lebten, sagte Lilie dem epd. Die Pandemie habe diesen Trend noch verstärkt, Nähe sei oftmals zum Luxusgut geworden. „Mit Lockdown und Kontaktbeschränkungen haben viele Menschen Erfahrungen mit Einsamkeit gemacht, die sich bislang für immun hielten - quer durch alle gesellschaftlichen Schichten.“

Zwar führe nicht jede Einsamkeit zu Leid. Doch wenn sie als belastend empfunden werde, könne sie krank machen. „Die Stress- und Gehirnforschung zeigt, dass unfreiwilliges Alleinsein als extremer Stress erlebt wird und auf die gleichen Zentren wirkt wie das Schmerzempfinden.“ Einsamkeit sei für die Gesundheit ein genauso starker Risikofaktor wie etwa Fettleibigkeit oder dauerhaftes Rauchen.

Es gehe darum, beispielsweise mit Nachbarschaftscafés oder über Besuchsdienste Begegnungen und Gespräche zu ermöglichen, bekräftigte Lilie. Wichtig sei dabei auch eine umsichtige Stadtplanung und Quartiersgestaltung, die für lebendige, grüne und attraktive Begegnungsorte sorge: „Diakonie und Kirche verstehe ich dabei als gute Partner, weil sie schon über viele solcher Orte und Netzwerke verfügen.“