Psychiater: Leid von Menschen mit Depression nicht übersehen

Nachricht 19. Februar 2022

Hannover, Frankfurt am Main (epd). Der vermehrte Stress durch Einschränkungen in der Corona-Pandemie wird nach Einschätzung des Psychiaters Ulrich Hegerl nicht zu einer massiven Zunahme depressiver Neuerkrankungen führen. „Ohne entsprechende Veranlagung bekommt niemand plötzlich eine Depression“, sagte der Vorsitzende der Stiftung Deutsche Depressionshilfe im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Stress durch Homeoffice und Home-Schooling, Bedrückung durch die Freiheitseinschränkungen, berufliche Sorgen und Gesundheitsängste seien nachvollziehbare Reaktionen auf die schwierigen Lebensumstände, erläuterte er. „Das hat mit der Erkrankung Depression nichts zu tun.“

Allerdings verschlimmerten die Corona-Einschränkungen massiv die Lage von Menschen mit manifester Depression oder depressiver Veranlagung, mahnte der Inhaber der Senckenberg-Professur an der Universität Frankfurt am Main. Laut der letzten Befragung der Stiftung vom September 2021 berichteten viele Betroffene über Rückfälle, das Auftreten von Suizidgedanken und eine beunruhigend hohe Zahl auch über Suizidversuche in den vorhergehenden sechs Monaten.

Diese Verschlechterungen standen Hegerl zufolge im Zusammenhang mit Angaben über eine immer noch sinkende Versorgungsqualität. Noch immer würden stationäre Behandlungen verschoben. In der ambulanten Behandlung oder in Selbsthilfegruppen fielen Termine aus. Manche Betroffene hätten zudem Angst vor einer Ansteckung und würden deswegen nicht beim Arzt vorstellig.

Zudem hätten Betroffene angegeben, sich wegen der Maßnahmen gegen Corona weniger bewegt und vermehrt ins Bett zurückgezogen zu haben. Das verstärke in der Regel die Depression und könne Rückfälle auslösen. Bei hochgerechnet etwa zwei Millionen Menschen, die zumeist bereits unter Depressionen litten, habe sich die Krankheit in der Corona-Zeit verschlimmert, sagte Hegerl.