"Wir schenken uns nichts"

Nachricht 10. Dezember 2021

Konsumkritik oder Verlegenheit - Warum manche der Gabenflut zum Fest trotzen

Weihnachten ist das Fest der Geschenke. Doch manchmal fällt es schwer, das Passende für Freunde oder Verwandte zu finden. Andere stemmen sich gegen den Konsum nach der Devise: "Wir schenken uns nichts." Aber das ist gar nicht so leicht umzusetzen.

Hannover, Lüneburg (epd). Julia Beatrice Theiler kann zumindest in einer Hinsicht entspannt in die Vorweihnachtszeit gehen. Volle Innenstädte oder Lieferengpässe im Online-Handel sind für sie kein Problem. „Ich schenke nichts und ich möchte auch selbst nichts geschenkt bekommen“, sagt die 44-Jährige, die in Hannover als Marketing-Referentin arbeitet. Seit einigen Jahren versucht sie, als Minimalistin zu leben. Sie hat im Kleiderschrank, der Küche und im Bücherregal radikal ausgemistet. Der bewusste Verzicht auf Weihnachtsgaben aber war in ihrer Familie nur sehr schwer durchzusetzen, wie sie sich erinnert.

Weihnachten ist ein Fest der Geschenke. In diesem Jahr wollen die Deutschen laut „Gesellschaft für Konsumforschung“ im Schnitt 325 Euro für das ausgeben, was sie unter den Baum legen. Das sind zwar zwei Euro weniger als im Vorjahr und außerdem hat die Hälfte der Befragten angegeben, das Thema Nachhaltigkeit spiele für sie eine Rolle bei der Auswahl von Präsenten. Doch von einem freiwilligen Konsumverzicht kann nicht die Rede sein. Angesichts steigender Preise geben nämlich laut Umfrage vor allem diejenigen weniger aus, bei denen das Geld ohnehin knapp ist. Andere wollen sogar mehr verschenken als noch 2020.

„Bei uns gab es zu Weihnachten immer einen absoluten Überfluss“, sagt Theiler. Wenn an Heiligabend die Familie mit Geschwistern, Mutter, Neffen und Nichten zusammenkam, lag der Fußboden im Wohnzimmer voll von Geschenken. „Wir haben früher sechs Wochen vor Weihnachten angefangen, Kekse zu backen, zu kochen und Essen einzufrieren. Das war ein Riesenaufwand.“

Doch dann stellte sie die hohen Ansprüche an das Weihnachtsfest infrage und machte einen Schnitt. Wie sie verzichtet seitdem auch ihr Mann auf Geschenke zu Weihnachten. Der Rest der Familie aber konnte und wollte dem nicht folgen. Ein Kompromiss-Versuch, bei dem alle nur etwas Kleines mitbringen sollten, „das in eine Streichholzschachtel passt“, scheiterte.

„Ich finde es richtig, konsequent auf Geschenke zu verzichten“, betont sie dennoch. „Das hat für mich nichts mit mangelnder Liebe oder Wertschätzung zu tun, sondern mit meinem Wunsch, durch materiellen Verzicht eine umwelt- und klimafreundlichere Wirtschaft zu schaffen.“

So sieht es auch Jasmin Mittag, die in Hannover einen Minimalismus-Stammtisch begründet hat. „Je tiefer man in die Zusammenhänge eintaucht, desto absurder sind die Mechanismen im Kapitalismus“, sagt die 43-Jährige, die sich auch in einem Podcast mit dem Thema bewusster Konsum auseinandersetzt. „Wir führen dieses Leben, weil wir andere ausbeuten, andere Menschen, Tiere, den Planeten.“ Mittag hat sogar schon einmal ein lieb gemeintes Geschenk zurückgegeben. Bettwäsche von ihrer Mutter, die sie nicht gebrauchen konnte. „Da war sie ein bisschen vor den Kopf gestoßen. Aber ich hatte es ja vorher gesagt.“

Einander nichts zu schenken, kann manchmal eine Entlastung sein, sagt die Kieler Psychologin Svenja Lüthge. „Wenn es der Wunsch auf beiden Seiten ist, auf Geschenke zu verzichten, um sich nicht unter Stress zu setzen, dann kann auch das ein schönes Geschenk sein.“ Es könne für eine Zufriedenheit sprechen, wenn etwa Partner zueinander sagten: „Wir brauchen jetzt nichts Materielles.“ Manchmal sei auch etwas Gebrauchtes aus dem eigenen Bestand eine gute Wahl. „Eine Tante meines Mannes hat mir einen alten sehr hübschen Tortenheber geschenkt, der bei ihr nicht mehr so oft zum Einsatz kommt.“

Wichtig sei es, Erwartungen nicht zu hochzuschrauben und miteinander zu reden. Kindern allerdings sollten die Eltern den Herzenswunsch erfüllen, ist Lüthge überzeugt. Unter Erwachsenen dagegen könnte auch das Risiko, den jeweiligen Geschmack nicht zu treffen, Grund für die Verabredung zum Nichtschenken sein.

Sabine Thümer-Bauereiß kennt sich mit ungeliebten Geschenken aus. Sie gehörte vor Corona zu den Organisatorinnen der „Nacht der langen Gesichter“ in Lüneburg. Kurz nach Weihnachten hat dabei die Stiftung „Medien und Onlinesucht“ für einen guten Zweck Weihnachtspräsente versteigert, die die Beschenkten nicht behalten wollten. „Oft waren das Dinge, die doppelt waren, wie die x-te Brotbackmaschine“, sagt sie. Herzanhänger haben von zerbrochenen Beziehungen gezeugt. Ein Porzellan-Tablett mit passender Tasse und eingearbeiteter Keks-Mulde wurde als Staubfänger verschmäht. „Das hab ich selbst ersteigert“, sagt Thümer-Bauereiß mit einem Lachen.

Für die Lüneburgerin ist Weihnachten ohne Geschenke nicht vorstellbar. „Ich liebe schenken und schenke so lange ich etwas habe“, sagt sie. Theiler und ihr Mann gönnen sich stattdessen gemeinsame Aktionen. „Und ich finde es toll, wenn man Geld für einen guten Zweck spendet und sich das gegenseitig schenkt“, betont sie. Und Mittag sagt: „Ich schenke Menschen Aufmerksamkeit, Liebe, Zeit.“ Sie selbst freue sich über ein gutes Essen.