Jugendpsychiater: Medienzeiten im Lockdown nicht ausweiten

Nachricht 18. Januar 2021

Hannover (epd). Der hannoversche Jugendpsychiater Professor Christoph Möller empfiehlt Familien, die Mediennutzungszeiten im Lockdown nicht auszuweiten. "Durch das Distanzlernen verbringen die Kinder ohnehin bereits mehr Zeit vor dem Bildschirm", sagte Möller im Gespräch mit dem dem Evangelischen Pressedienst (epd). Als Ausgleich seien jetzt Aktivitäten, wie Sport oder Gesellschaftsspiele, wichtig. "Familien sollten sich ein gemeinsames Projekt suchen." Möller ist Chefarzt der Kinder- und Jugendpsychiatrie im Kinderkrankenhaus auf der Bult in Hannover. Er leitet zudem die Therapiestation Teen Spirit Island, die auch Mediensucht behandelt.

Untersuchungen hätten bereits im ersten Corona-Lockdown gezeigt, dass die Zeit, die Kinder und Jugendliche mit digitalen Medien verbringen, erheblich zugenommen habe, sagte Möller. So habe eine Studie der Krankenkasse DAK und des Universitätsklinikums Hamburg Eppendorf ergeben, dass 10- bis 17-Jährige im Mai 2020 im Vergleich zum September 2019 werktags 75 Prozent mehr Zeit mit Onlinespielen verbracht haben. Und auch die Nutzung der sozialen Medien habe der Studie zufolge mit 66 Prozent deutlich zugenommen.

Was das in Stunden heißt, hat Möller zufolge das Ifo-Institut der Universität München berechnet. "Bei leistungsstarken Schülern sind die Stunden, die sie täglich mit Fernsehen, Computer und Handy verbringen, von 3,8 vor Corona auf 4,8 gestiegen, bei leistungsschwächeren Schülern sogar von 4,6 auf 6,3 Stunden", zitiert Möller aus der Studie. Die Zeiten, die für die Schule aufgewendet werden, hätten entsprechend abgenommen.

"Das sind alarmierende Ergebnisse", sagte Möller. Der Jugendpsychiater geht davon aus, dass es durch die lange Zeit der Schulschließungen und der Kontaktbeschränkungen zu einer weiteren Zunahme von problematischem Gaming- und Internetverhalten unter jungen Menschen kommen wird. Die Folgen exzessiven Medienkonsums könnten Schlaf- und Konzentrationsstörungen sein sowie Übergewicht, Kurzsichtigkeit und bei jüngeren Kindern Sprachentwicklungsstörungen.  "Wir haben ohnehin bereits ein Problem mit pathologischer Mediennutzung unter jungen Leuten", sagte Möller. Mediensucht stelle stoffgebundene Drogen inzwischen in den Schatten.

Eltern rät Möller angesichts eines möglicherweise noch länger andauernden Lockdowns, die Medienzeiten ihrer Kinder besonders genau im Blick zu behalten. "Auch wenn die Möglichkeiten anderer Aktivitäten und Kontakte eingeschränkt sind, bleiben Sie bei den Verabredungen, die Sie mit Ihren Kindern diesbezüglich getroffen haben", appellierte der Arzt. Digitale Mediennutzung dürfe immer nur eine Ergänzung zu anderen Freizeitaktivitäten sein.

epd lnb jul mir
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## Info
Buchhinweis: Christoph Möller, "Jugend sucht. Ein Präventionsbuch - Ehemals Abhängige berichten", Kohlhammer, 143 Seiten, ISBN 978-3-17-036559-9