Bischof Meyns: Kirche muss soziale Verantwortung wahrnehmen

Nachricht 04. Dezember 2020

epd-Gespräch: Daniel Behrendt

Braunschweig (epd). Angesichts der starken Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Wirtschaft und Arbeit befürchtet der braunschweigische Landesbischof Christoph Meyns eine weitere Verschärfung sozialer Ungleichheit. Im epd-Gespräch erläutert der evangelische Theologe, welche Folgen die Krise für die Gesellschaft hat - und welche Handlungsaufträge daraus für die Kirche resultieren.

epd: Seit bald einem Dreivierteljahr prägt die Corona-Pandemie nahezu alle Lebensbereiche. Wie nah ist Ihnen die Pandemie in dieser Zeit gekommen?

Meyns: Zumindest im beruflichen Umfeld war ich mit einigen - auch schwerwiegenden - Erkrankungen konfrontiert. Das waren Berichte, die einen bewegen und ins Bewusstsein rufen, dass wir es mit einem gefährlichen Virus zu tun haben. Eine Gefahr vor allem für die Schwächsten, die uns zu Achtsamkeit und gegenseitiger Verantwortung ermahnt.

epd: Wie kommt die Region Braunschweig aus Ihrer Sicht durch die Krise?

Meyns: Im Braunschweiger Land ist die Industrie stark, vor allem VW und Zuliefererbetreibe sind wichtige Wirtschaftsfaktoren. Zwar mag die Corona-Krise die Automobilkrise verschärft haben, ich bin aber zuversichtlich, dass VW da einigermaßen glimpflich durchkommt. Auch wir als Kirche sollten nicht klagen. Sicher, wir haben Kirchensteuerrückgänge, aber die spielen sich noch im einstelligen Prozentbereich ab. Sorgen mache ich mir um die kleinen Betriebe, um Gastronomen, um Kulturschaffende und inhabergeführte Geschäfte.

epd: Es heißt, die Coronakrise wirke wie ein Brennglas und verschärfe bereits bestehende Probleme. Welche nehmen Sie am deutlichsten wahr?

Meyns: Vor allem, dass sich die soziale Ungleichheit verschärft. Ich glaube, derzeit wird ein Prozess beschleunigt, der bereits vor der Jahrtausendwende, etwa durch die Hartz-Gesetze, begonnen hat. Die Balance zwischen sozialen und wirtschaftlichen Belangen hat sich zu sehr zugunsten der Wirtschaft verschoben. Heute mag die Grundsicherung höher sein als vor 20 Jahren, dafür rutscht man schneller hinein. Die Zahl der Menschen, die vom sozialen Abstieg bedroht sind, ist größer geworden.

Und jetzt, in der Krise, geht die Schere zwischen Arm und Reich noch weiter auseinander. Ein Teil der Gesellschaft bleibt wirtschaftlich unberührt, Beschäftigte mit guten Tarifverträgen haben trotz Kurzarbeit kaum Einbußen, Beschäftigte in schlecht organisierten Branchen rutschen hingegen in den wirtschaftlich prekären Bereich. Wir alle machen dieselbe Krise durch - und doch trifft sie die Menschen sehr unterschiedlich hart.

epd: Macht sich diese soziale Zuspitzung in der kirchlichen Arbeit bemerkbar?

Meyns: Definitiv. Die Kreisstellen unserer Diakonie haben selbst in der Lockdown-Zeit durchgearbeitet, um dem gestiegenen Bedarf nach Beratung und Unterstützung nachzukommen. Die Telefonseelsorge verzeichnet ebenfalls deutlich mehr Kontakte. Für mich wird durch diese Krise noch ersichtlicher, wie wichtig unsere sozialdiakonische Arbeit ist. Wir starten gerade einen Zukunftsprozess mit verschiedenen strategischen Projekten. Bis Ende des kommenden Jahres wollen wir Ziele für die Entwicklung unserer Landeskirche bis 2030 formulieren. Unser soziales und gesellschaftliches Engagement, die Vernetzung von Diakonie und Kirche, wird dabei gewiss eine zentrale Rolle spielen.

epd: Wird das soziale Engagement zukünftig womöglich wichtiger werden als das religiöse Kerngeschäft?

Meyns: Vielleicht nicht wichtiger, aber die Kirche wird ihre soziale und gesellschaftliche Verantwortung noch engagierter wahrnehmen müssen. Womöglich werden in den Kirchen zukünftig weniger Gottesdienste gefeiert. Dafür aber könnte ihre Bedeutung als Sozialraum steigen - als Begegnungsort für Menschen unterschiedlichster Herkunft und Milieus. Ebenso als Möglichkeitsraum für Projekte und Initiativen, die das Gemeinwesen stärken.

epd: Solche Begegnungsorte funktionieren angesichts bestehender Kontaktbeschränkungen derzeit nur äußerst eingeschränkt. Im Frühjahr ploppten deshalb zahllose digitale Angebote auf allen kirchlichen Ebenen auf. Ist die Kirchengemeinde der Zukunft digital?

Meyns: Sicher sollten wir genau hinsehen, welche Formate sinnvoll sind und weiter ausgebaut werden sollten. Zugleich warne ich aber davor, in Verkündigungsformaten auf Facebook, YouTube und Co. das Heil der Kirche zu suchen. Die Kirche lebt vor allem durch real präsente Gemeinschaft. So ist es ja auch bei Parteien, Gewerkschaften, Vereinen und anderen Organisationen, die Zusammenhalt stiften. Aber als ergänzende Kommunikation brauchen wir heute auch die sozialen Medien, weil sie zunehmend das Leben und den Alltag der Menschen prägen. Und wir wollen da sein, wo die Menschen sind.

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