Eine weiße Geschichte - Wie die deutsche Kolonialgeschichte an Schulen unterrichtet wird - Von Jana-Sophie Brüntjen (epd)

Nachricht 15. September 2020

Maji-Maji-Aufstand? Wahrscheinlich nie von gehört - zumindest nicht in der Schule. Die deutsche Kolonialgeschichte kommt im Geschichtsunterricht oft eher am Rande vor. Das zeigt sich auch in den aktuellen Rassismus-Debatten.

Frankfurt a.M. (epd). Ein Geschichtsbuch für die siebte bis neunte Klasse, Erscheinungsjahr 2007: Im Kapitel "Neuer Imperialismus und der Wettlauf um Afrika" über die Auswirkungen des Kolonialismus wird kein Wort darüber verloren, dass unzählige Menschen in den Kolonien starben. Am Ende wird den Schülerinnen und Schülern die Frage gestellt, ob der Kolonialismus ein Desaster oder vielleicht nicht doch auch ein Vorteil für den afrikanischen Kontinent war?

Kamady Fofana, Lehrer an der berufsbildenden Schule in Speyer, entsetzten solche Inhalte. Verwundern tun sie ihn jedoch nicht. Der 33-Jährige setzt sich für Rassismusprävention und - intervention an Bildungseinrichtungen ein. Ein Thema, das unweigerlich mit dem Kolonialismus zusammenhängt.

Über den deutschen Beitrag zur Aufteilung der Welt unter den europäischen Großmächten herrsche viel Unwissen, sagt Fofana. Viele der aktuellen Debatten über Rassismus wären differenzierter, wenn die Menschen mehr über den Kolonialismus gelernt hätten. "Hinter dem Unverständnis vieler steckt kein böser Wille. Was man nicht weiß, kann man einfach nicht verstehen", sagt er.

Dabei ist es nicht so, als stünde das Thema nicht in den Lehrplänen. Oftmals wird der deutsche Kolonialismus im Zusammenhang mit dem europäischen Imperialismus unterrichtet. In Rheinland-Pfalz liegt der Fokus auf dem Partnerland Ruanda, in Mecklenburg-Vorpommern ist die Kolonialpolitik in verschiedenen Jahrgangsstufen ein Wahlthema. Je nach Bundesland wird das Thema auch im Zusammenhang mit dem ersten Weltkrieg oder Menschenrechten behandelt.

In Bayern, Sachsen und Baden-Württemberg steht die Entkolonialisierung für bestimmte Klassen im Lehrplan. Die zuständigen Ministerien weisen auf Nachfrage darauf hin, dass die Lehrpläne oftmals keine festen Stundenzahlen vorschrieben und die Lehrerinnen und Lehrer beziehungsweise die Schulen bestimmte Freiräume hätten.

Oberstudienrat Fofana sieht das Problem zum einen darin, dass in vielen Bundesländern den Fächern, in denen die Kolonialgeschichte unterrichtet werden könnte, nicht genug Zeit im Stundenplan eingeräumt werde. Zum anderen bereite das Studium Lehrerinnen und Lehrer nicht oder kaum auf den Umgang mit Rassismus und den Zusammenhang mit dem Kolonialismus vor.

Alexandra Engelsdorfer, die sich am Marburger Zentrum für Konfliktforschung mit postkolonialen Theorien beschäftigt, sieht die Schwierigkeit auch in der Perspektive. "Es ist eine weiße Geschichte, die in den Schulen erzählt wird", sagt sie. In Deutschland sind die Kultusministerien der Länder, also die Ministerien für Bildung, Wissenschaft und Kultur, für die Lehrpläne verantwortlich. Alle amtierenden Landesminister und -ministerinnen in diesen Bereichen sind weiß.

"Wer dekolonialisieren möchte, muss Privilegien aufgeben", sagt Engelsdorfer. Dies setze voraus, dass sich weiße Menschen eben dieser Privilegien bewusstwerden und sie reflektieren. "Das ist vielen unangenehm", sagt sie. Zudem stelle diese Auseinandersetzung Deutungshoheiten in Frage. Wenn also gängige Narrative über den Kolonialismus geändert werden sollen, müssen Menschen gefragt werden, "die nicht die vorherrschende weiße Perspektive haben", fordert sie.

So sehen es auch die Aktivistinnen und Aktivisten der deutschlandweiten Bewegung #blackhistoryindeutschland. Zehntausende unterschrieben deren Petitionen und fordern eine Überarbeitung der Lehrpläne, ohne eurozentrische Perspektive und mit tieferen Diskussionen über die deutsche Kolonialgeschichte. People of Color, also Menschen die nicht als weiß und deutsch wahrgenommen werden, und rassismuskritische Initiativen sollten in die Schulen eingeladen werden. Zudem müssten Quellen dieser Gruppen zum Unterrichtsmaterial gehören.

Nach der Erfahrung von Lehrer Fofana sind es, wenn überhaupt, einzelne Kolleginnen und Kollegen, die sich in diesem Bereich besonders engagieren. Institutionalisiert seien die Bemühungen nicht. Der Mannheimer kann das nicht nachvollziehen. Der Kolonialismus habe nicht im Afrika des 20. Jahrhunderts geendet. Seine Auswirkungen betreffen noch heute alle People of Color. "Fragen der Diversität gehören gerade zu den größten Herausforderungen der Schulen. Da kann man das das Thema nicht einfach ausklammern."

epd lnb bas jön
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