"Die Verbindung wird gehalten" – Drei Fragen an… Hochschul-Pastorin Simone Liedtke, Hannover

Nachricht 02. September 2020

Hannover. Simone Liedtke ist Pastorin in der Evangelischen Studierendengemeinde Hannover und am Religionspädagogischen Institut in Loccum (RPI). Im Interview spricht sie über ein besonderes Projekte für Studierende in der Corona-Zeit und wie sich die Pandemie auf das Leben von Studentinnen und Studenten auswirkt.

Frau Liedtke, „Die Verbindung wird gehalten“ lässt einen zunächst an eine Telefon-Warteschleife denken. Es geht aber um ein Fotoprojekt. Was verbirgt sich dahinter?

In den letzten Monaten fühlte man sich oft, als würde man in Warteschleife leben. Und in der Tat spielt das Smartphone in Zeiten von Kontakteinschränkungen eine große Rolle. Viele Menschen haben einander monatelang nur über ein kleines Display gesehen. Aber die meisten beklagen sich nicht darüber, sondern sind froh, dass das überhaupt möglich ist. Und werden kreativ, um miteinander in Verbindung zu bleiben: Sie veranstalten gemeinsame Spielabende über Skype, halten Arbeitsgruppen durch Telefonkonferenzen aktiv, feiern Andachten via Zoom. All das kann konkrete, persönliche Begegnung nicht ersetzen. Aber es bezeugt, dass Menschen sich nicht so leicht aufhalten lassen, wenn es darum geht, Verbundenheit zu schaffen und zu pflegen. Um diese Verbundenheit zu dokumentieren und als Hoffnungszeichen sichtbar zu machen, haben Fotograf Bernd Günther, Choreograph und Coach Ercan Carikci und ich auf ein Foto-Projekt gesetzt.

Gibt es ein Foto, das Sie ganz besonders berührt hat und warum?

Wenn ich jetzt antworte: "Mich berühren alle Fotos dieses Projekts!" ist das vorhersehbar und langweilig - aber ehrlich. Es war unheimlich schwer, eine Auswahl von Bildern zu treffen. Zum ersten Mal den Datei-Ordner mit den Fotos zu öffnen, war wie das Öffnen einer Schatzkiste. Und auch als die Texte zu den Bildern nach und nach bei mir ankamen, hatte ich das Gefühl, beschenkt zu werden. Das Projekt war ein Experiment, aus der Situation geboren. Keiner hat so genau gewusst, wohin die Reise geht. Aber alle Mitwirkenden haben sich darauf eingelassen, sich in Bildern und Worten unverfälscht und sehr persönlich zu zeigen. Das Shooting war intensiv, wir haben dabei viel über uns selbst erfahren. Ich denke, das spürt man, wenn man die Bilder betrachtet. Die Verbundenheit der Menschen auf diesen Fotos ist nicht gespielt, sondern echt. Wir haben durch dieses Projekt erfahren, wieviel Lebensmut es vermittelt, wenn sich Menschen aufmerksam und liebevoll begegnen und einander würdigen. Ich hoffe, dass sich dieses Gefühl auf die Menschen überträgt, die unser Projekt erreicht.

Über das Projekt hinaus: Wie sind Sie als Pastorin in der ESG in der Corona-Zeit gefordert?

Krisenzeiten bringen immer einen erhöhten Bedarf an seelsorgerlicher Begleitung mit sich. Dabei ist das persönliche Gespräch wichtig, das auch mit Wahrung von Abstandsregelungen möglich ist.

Viele ESG-Veranstaltungen konnten nicht im üblichen Setting stattfinden - aber es ließen sich alternative Formen finden und neue Formate generieren. Digitale Formate funktionieren gut. Und gegen Ende des Sommersemesters waren auch schon wieder viele Live-Veranstaltungen möglich, dann zum Beispiel als Outdoor-Event. Trotz Lockdown war viel zu tun! Nicht nur unter dem Eindruck der Corona-Krise haben Menschen ein starkes Bedürfnis nach Spiritualität. Und sie fragen danach, wie man dieses Leben deuten und ethisch angemessen gestalten kann. Ob man diskutieren, sich engagieren, Gemeinschaft erfahren oder sich trösten lassen will - Kirche macht diesbezüglich relevante Angebote, ob auf traditionellen oder neuen Wegen.

Mir ist außerdem schnell deutlich geworden, dass die Situation von Studierenden während der Pandemie bisher keine nennenswerte Aufmerksamkeit erhalten hat. Studium in Corona-Zeiten bedeutet nicht einfach nur, dass Seminare jetzt online gehalten werden. Das ist für sich genommen übrigens bereits eine gewisse Hürde für einige Studierende, denn nicht alle haben zuverlässig Zugang zu digitalen Medien. Praktika und praxisorientierte Vorbereitungsdienste wie Referendariate wurden erst einmal auf Eis gelegt, verschoben oder finden nun unter abenteuerlichen Bedingungen statt. Prüfungen können meist abgelegt werden, aber oft in recht provisorischen Settings; das vergrößert den Prüfungsstress. Viele junge Erwachsene wissen nicht mehr, wie sie sich finanzieren sollen, weil sie ihre Jobs verloren haben. Studieren mit Kind war schon immer eine große Herausforderung, jetzt gilt dies um so mehr. Und nicht wenige Studierende fragen sich, wie sich die berufliche Laufbahn gestalten soll, für die sie sich mit dem Studium entschieden haben. Denn die COVID-19-Pandemie wird unsere Lebens- und Arbeitswelt zum Teil grundlegend verändern, das ist wohl anzunehmen. Die Zukunft ist zwar immer ungewiss, aber im Moment haben die meisten jungen Erwachsenen mit eklatanten Unwägbarkeiten zu rechnen. Von all diesen jungen Menschen wird nun stillschweigend viel erwartet. Darum möchte ich mit dem Foto-Projekt auf die Situation der Studierenden aufmerksam machen. Und zeigen, was mich außerdem tief beeindruckt: Wie flexibel und zuversichtlich, freundlich und solidarisch erfreulich viele von ihnen auch in diesen schweren Zeiten agieren.