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Theologin: Missbrauch in der Kirche fängt früh an

Nachricht 20. Juni 2019

Hannover (epd). Missbrauch in der Kirche fängt nach Ansicht der Philosophin und katholischen Theologin Doris Wagner nicht erst mit sexuellen Übergriffen, sondern bereits früher an. "Es gibt Menschen, deren Leben durch geistliche Autoritäten zerstört wurde, ohne dass sie jemals sexuellen Missbrauch erlebt haben", sagte Wagner auf einer Fachtagung der katholischen Kirche am Mittwoch in Hannover. Sie seien gezwungen worden, Dinge zu tun, die sie nicht tun wollten. Diese Art Missbrauch habe für die Betroffenen ähnliche Konsequenzen wie sexuelle Gewalt und reiche von Suchtkrankheiten und Depressionen bis hin zum Suizid.

Wagner beleuchtete das Thema aus wissenschaftlicher und persönlicher Sicht. Die heute 36-Jährige stammt aus einer frommen christlichen Familie, die, als sie 15 Jahre alt war, vom Luthertum zum Katholizismus konvertierte. Kurz nach dem Abitur trat sie dem katholischen Orden "Das Werk" bei. Dort sei sie spirituell und sexuell missbraucht worden. Nach acht Jahren verließ sie den Orden und verarbeitete ihre Erfahrungen in ihrer Autobiografie "Nicht mehr ich".

Um Missbrauch in der Kirche vorzubeugen, sei es notwendig, die Mechanismen dahinter zu verstehen, sagte Wagner. Gerade diejenigen, die spirituelle Hilfe brauchten, würden manipuliert, kontrolliert und letztendlich abhängig gemacht. Für ihr aktuelles Buch "Spiritueller Missbrauch in der katholischen Kirche" habe sie mit vielen Betroffenen gesprochen. 

"Manche Menschen leiden ein Leben lang darunter", sagte Wagner. "Es fühlt sich an, als wäre die eigene Persönlichkeit ausgelöscht." Die Fähigkeit, eigene Entscheidungen zu treffen, werde schrittweise ausgehöhlt. Oft fange der Missbrauch damit an, dass Ratsuchenden Antworten auf persönliche Nachfragen nach dem Sinn des Lebens verwehrt würden. Auf das bewusste Ignorieren folgten geschickte Manipulationen und letztendlich Gewalt, erläuterte Wagner. Irgendwann könnten sich die Betroffenen dann kaum noch wehren.

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