Rezension
Ahmad Milad Karimi
Gott 2.0. Grundfragen einer KI der Religion. [Was bedeutet das alles?]
Reclam Philipp Jun., Ditzingen 2024
ISBN 978-3-15-014591-3
112 Seiten, 7,00 €
„Versuche nicht, den Menschen zu überwinden, es könnte dir gelingen.”
Ahmad Milad Karimi ist Professor für Islamische Philosophie und Mystik, sowie Direktor der Forschungsstelle Theologie der künstlichen Intelligenz an der Universität Münster. Seinen theologischen Grundgedanken spürt man zwar gelegentlich den islamischen Blickwinkel ab, sie sind aber für die christliche Theologie mehr als anschlussfähig.
Theologie ist für Karimi zugespitzt formuliert eine Anthropologie, die den Menschen in seinem Verhältnis zu Gott betrachtet. Gott selbst bleibt „unverständlich und nicht erreichbar. Wir können uns weder Gott als Gott vorstellen, noch können wir nachvollziehen, wie eine göttliche Intelligenz funktioniert.“ (75)
Der Blick der Theologie richtet sich daher auf den Menschen als das Wesen, das von Gott angenommen wurde, obwohl oder gerade weil es fehlbar, vulnerabel und immer wieder zum Scheitern verurteilt ist. Dies macht die Intelligenz des Menschen aus, dass sie eben nicht perfekt, aber offenbar genauso von Gott geliebt ist. Der Mensch ist, anders als eine künstliche Intelligenz (KI) das vielleicht eines Tages sein könnte, nicht perfekt. Deshalb strebt Karimi eine Theologie der Imperfektibilität an, denn nur so kann Theologie auf den Menschen bezogen bleiben.
Theologie reflektiert laut Karimi den Glauben, will dabei „nicht Glaubenssätze festhalten, sondern sie durchdenken.“ (19) Theologie bezieht sich dabei auf Narrative, die jeweils neu für die aktuelle Zeit auf ihre Bedeutung befragt werden. Narrative erklären dabei nicht die Welt, die gar nicht vollständig erklärt, wohl aber erzählt werden kann. Die Abrahamserzählung ist zeitlos, weil sie auch in unserer Zeit etwas zu sagen hat. Was sie zu sagen hat, das durchdenkt die Theologie. Hier sieht Karimi einen wichtigen Unterschied zwischen menschlicher und künstlicher Intelligenz: Eine KI erzählt nicht, sondern informiert bloß.
Die theologische Auseinandersetzung bezieht sich nun nicht auf die mittlerweile vorhandene schwache KI, mit der man z.B. Texte schreiben oder Bilder erstellen lassen kann. Vielmehr geht es Karimi um eine Auseinandersetzung mit starker KI, die eines Tages dazu dienen könnte, den Menschen abzulösen, eine Art Übermenschen zu schaffen. So wird das Buch eine Auseinandersetzung mit dem Transhumanismus. Der Titel „Gott 2.0“ meint demzufolge auch nicht, dass sich Gott bzw. Gottesbilder durch die KI verändern würden. Vielmehr geht es darum: Der Mensch könnte mit einer starken KI zunächst selbst zum Schöpfer werden, zum Homo Deus, wie Yuval Noah Harari ihn genannt hat, um sich dann mit diesem neuen Geschöpf, der KI, selbst zu überwinden, seine Zeitlichkeit abzulegen und damit zum neuen Gott, zum Gott 2.0, zu werden. Das heißt: Nicht der Mensch, sondern diese KI, die den Menschen beerbt, wäre dann der neue Gott; ein Gott freilich, der selbst Geschöpf ist.
Karimi schließt sein Buch mit einer „Essenz einer Theologie der Imperfektibilität im Angesicht der KI.“ (103) Hier stellt er einen neuen Dekalog zusammen, in dem die Fehlbarkeit des Menschen gepriesen wird.
Karimis Buch ist eine konsequent theologisch-systematische Auseinandersetzung mit Fragen, die durch die KI und den Transhumanismus aufgeworfen werden. Das ist im Reigen der meist theologisch-ethischen Betrachtungen eine wichtige Ergänzung.
Zudem entwirft Karimi eine Theologie, die sich unabhängig macht von einer bestimmten Religion. Insofern Künstliche Intelligenz die Narrative durch Informationen ersetzt und statt zu erzählen nur noch zählt, ist jede Religion und ihre jeweils zugehörige Theologie in Frage gestellt. Ein übergreifender theologischer Ansatz scheint eine logische Reaktion zu sein auf eine KI, die ebenso allumfassend werden könnte. Nicht allen theologischen Gedanken muss man dabei folgen; so scheint mir z.B. der Gedanke, dass der Mensch von Gott programmiert wurde, zu bemüht. Aber Karimi ist eben auch keine KI, sondern ein Mensch, der seine Fehlbarkeit zu lieben versucht. Darin will ich ihm gern folgen.
Andreas Behr