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Bild: Rainer Sturm  / pixelio.de

Rezension

Matthias Gronover et al. (Hg.)
Offene Konfessionalität
Diskurse mit Expertinnen und Experten zum Profil des Religionsunterrichts an berufsbildenden Schulen
Reihe Glaube – Wertebildung – Interreligiosität. Berufsorientierte Religionspädagogik, Bd. 22
Waxmann Verlag, Münster 2021
ISBN 978-3-8309-4347-1
310 Seiten, 34,90 €

Religionsunterricht wird in Niedersachsen, wie im Grundgesetz verankert (Art 7.3), „in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften“ erteilt. Dies impliziert die konfessionelle Bindung des Religionsunterrichts; die Alternative wäre ein rein religionskundlich ausgerichteter Unterricht „über Religion“.

Doch wie genau äußert sich die Konfessionalität des Religionsunterrichts? Ist sie, wie Obermann in Aufnahme eines Diktums von Ulrich Beck fragt, eine „Zombie-Kategorie“, weil sie „auf etwas scheinbar Lebendiges [verweist], das aber in Wirklichkeit schon tot ist“ (203) oder ist sie für die Gestaltung des Religionsunterrichts von zentraler Bedeutung, wie Grümme im selben Band betont? Wie lassen sich die aktuelle konfessionelle Gebundenheit des Religionsunterrichts auch an BBS und seine Erteilung im (interreligiösen) Klassenverband zusammendenken? Auf den Punkt gebracht: Welche Rolle spielt Konfessionalität im Religionsunterricht?

Solche Fragen waren Gegenstand einer Untersuchung, die von den drei deutschen Instituten initiiert wurde, die sich der Berufsorientierten Religionspädagogik verschrieben haben: das katholische KIBOR und das evangelische EIBOR in Tübingen sowie das BIBOR (evangelisch, in Bonn). Die Befragung war empirisch angelegt als „multiperspektivische Betrachtungsweise des Phänomens Konfessionalität“ (7; vgl. 94). Als Instrumentarium wurde die sogenannte Delphi-Methode gewählt. So wie das antike Orakel von Delphi wiederholt befragt wurde, um zu den erhofften Konkretionen zu gelangen, setzt sich auch die moderne Delphi-Studie aus mehreren Phasen zusammen, in denen die Zwischenergebnisse zur Grundlage des weiteren Austauschs werden (90).

Bereits der Titel der Publikation verrät das Resultat: Religionsunterricht an BBS müsse künftig, so die Herausgeber*innen, unter dem Diktum der „offenen Konfessionalität“ erteilt werden (vgl. 223–237). Nur so könne eine didaktische Sensibilität für die Pluralität und Heterogenität der im Unterricht versammelten Schüler*innenschaft gewährleistet werden. Denn nicht deren Konfessionalität spiele im Unterricht eine Rolle, weder als Ausgangspunkt noch als Zielpunkt, sondern es gehe um den Erwerb konfessorischer Kompetenz.

Die Unterschiede, die zwischen katholischer und evangelischer Perspektive zutage treten, bestehen dabei eher in Nuancen als in fundamentalen Differenzen. So wird katholischerseits stärker betont, welche Chance der Religionsunterricht als Möglichkeit existenzieller Selbstvergewisserung biete (vgl. 29), doch geht es auch hier darum, „das Gewicht der eigenen Existenz in den Kontext einer Diskussion zu stellen“ (15). Evangelischerseits wird stärker Wert gelegt auf die „evangelische Brille“ (18) und damit auf eine typisch evangelische Sichtweise auf alle im Unterricht behandelten Themen (vgl. 117): „Wo evangelisch drin ist, muss Freiheit rauskommen!“ (136)

Die Konfessionalität des Religionsunterrichts müsse deshalb, so eine Forderung, zum „Horizont“ der Kommunikation über religiöse Inhalte werden (vgl. 215). Dabei sei es die Person und damit die Konfession der Lehrkraft, die die Konfessionalität des Unterrichts garantiere – und ihn damit zu einem „ehrlichen“ Unterricht mache, „weil er Unterschiede nicht verschweigt und sich stattdessen der eigenen Position bewusst ist.“ (179). Zugleich garantiere die Ausrichtung hin auf eine offene Konfessionalität „das positive Potenzial eines Identitätsangebots“, das „weniger exklusiv als vielmehr inklusiv angelegt ist“ (7) und damit alle Schüler*innen dazu anleite, sich ihrer eigenen Position zu religiösen Themen zu vergewissern.

Die Lektüre dieser Publikation ist ein Gewinn nicht nur für Menschen, die beruflich mit dem Religionsunterricht an BBS zu tun haben, sondern für alle, die religionspädagogisch arbeiten. Nicht nur die Fragen der Studie, sondern auch die Beiträge der Beteiligten weisen auf einen möglichen Weg, den der Religionsunterricht auch im allgemeinbildenden Bereich beschreiten muss, wenn er weiterhin von aktueller Relevanz und gleichzeitig konfessionell gebunden bleiben will. In diesem Sinne ist der Religionsunterricht an Berufsbildenden Schulen ein „Laboratorium“ der „Heterogenitätsfähigkeit“ des konfessionellen Religionsunterrichts insgesamt (209) und schlägt mit der Rede von der offenen Konfessionalität wichtige Schneisen für die Zukunftsfähigkeit des Religionsunterrichts insgesamt.

 

Michaela Veit-Engelmann