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Bild: Rainer Sturm  / pixelio.de

Ulrich Kropaç. Ulrich Riegel (Hg.): Handbuch Religionsdidaktik, Kohlhammer Studienbücher Theologie, Band 25, Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2021, ISBN 978-3-17-039030-0, 616 Seiten, 42,00 €

Handbuch Religionsdidaktik

Ein in jeder Hinsicht gewichtiges Buch liegt mit dem Handbuch Religionsdidaktik, dem 25. Band aus der Reihe Studienbücher Theologie des Kohlhammer-Verlages, in der Hand: 616 Seiten inklusive eines 43-seitigen Literatur- sowie umfassenden Stichwortverzeichnisses. Zudem liest sich das Autor*innenverzeichnis wie ein „Who‘s Who“ der Religionsdidaktik an deutschsprachigen Universitäten und Hochschulen.

Die Herausgeber, Ulrich Kropaç und Ulrich Riegel, schreiben in ihrem Vorwort, sie hätten das vorliegende Handbuch als Herausgeberband organisiert, um Spezialist*innen zu den einzelnen Themen zu Wort kommen zu lassen und damit den „weiter gewachsenen Wissensbestände(n) einerseits und der voranschreitenden Ausdifferenzierung des Faches andererseits“ (7) Rechnung tragen zu können. Darüber hinaus sei ihnen von Anfang an wichtig gewesen, das Handbuch „in ökumenischem Geist“ (7) zu konzipieren.

Den Autor*innen war für ihre einzelnen Beiträge eine übergreifende Leitfrage mitgegeben: nämlich „inwieweit ihr Thema zu einem Religionsunterricht im Sinne eines learning from religion beitragen kann“ (7). Mit dieser Leitfrage geben die Herausgeber den Einzelbeiträgen des Handbuches sowohl eine gemeinsame Basis als auch ein verbindendes Ziel allen Nachdenkens über eine Religionsdidaktik vor, die sich den Herausforderungen einer unter pluralen Bedingungen gelingenden religiösen Bildung öffnet.

Der grundlegenden Frage nach religiöser Bildung explizit in der Schule und damit nach den Bedingungen und Zielen eines Religionsunterrichts (RU) im Kontext eines heterogenen gesellschaftlichen Umfelds mit fortschreitender Säkularisierung und zugleich religiöser Pluralisierung widmen sich alle sechs Beiträge des ersten Kapitels. Dieses Anfangskapitel liest sich wie eine Zusammenschau und Zwischenbilanzierung des aktuellen religionsdidaktischen Diskurses zur Frage nach gutem RU und ermöglicht deshalb eine Ausgangsverortung für das weitere Nachdenken über religionsdidaktische Einzelthemen sowie zur Weiterentwicklung des RU im deutschsprachigen Raum. Das ist nicht nur für religionsdidaktische Newcomer hilfreich und äußerst anregend, sondern auch für Fortgeschrittene in Praxis und Lehre, weil es einen klaren Ansatzpunkt für die vertiefende Auseinandersetzung mit der Frage nach der Zukunft des RU anbietet. Außerdem wird mit dem starken Anfangskapitel ein Spannungsbogen aufgebaut, der mit dem Abschlusskapitel zu Anspruch und Aufgaben der Religionsdidaktik als Wissenschaft im Sinne einer religiösen Bildung mit dem Ziel des learning from religion konsequent abgerundet wird. Zwischen diesen beiden Polen des Anfangs- und Schlusskapitels wird schließlich die sehr weite und spannende religionsdidaktische Landschaft kartografiert (7).

Dazu gehören Beiträge zu konfessionellen Perspektiven, den Personen im Religionsunterricht, empirischen Befunden und Modellen des Religionsunterrichts (Kapitel II-V), außerdem zu religionsdidaktischen Konzeptionen, Ansätzen, Lernformen und exemplarischen Lernwegen sowie zur Planung des Religionsunterrichts und zum Religionsunterricht in den verschiedenen Schulformen (Kapitel VI-X), bevor Kontexte und Berührungspunkte des Religionsunterrichts bspw. zu anderen Fächern und zur Kirchengemeinde (Kapitel XI) in den Blick genommen werden.

In den einzelnen Beiträgen der vielen verschiedenen religionspädagogischen Expert*innen findet sich neben Bekanntem viel Bemerkenswertes und Weiterführendes, stellenweise aber auch Enttäuschendes. Enttäuschend sind zum Beispiel Beiträge, in denen Weiterführendes im Sinne eines learning from religion nur angerissen wird und der*die Lesende für eine Vertiefung auf weiterführende Literatur verwiesen wird. In dem Beitrag zur religiösen Entwicklung der Schüler*innen werden bspw. ausführlich die altbekannten Stufentheorien von Oser/Gmünder und Fowler wiedergegeben. Vorhersehbar ist das Fazit dazu, dass sie zwar hilfreich für eine religiöse Bildung mit dem Ziel des learning from religion seien, aber nicht hinreichend, da sie ggf. den Individualisierungsprozessen entgegenstünden (118). Neuere Ansätze, die diesen Individualisierungsprozessen deutlich mehr Rechnung tragen könnten, wie Forschungen zu religiösen Stilen (Heinz Streib), werden zwar erwähnt und als wesentliche Weiterentwicklung der Stufentheorien angesehen (117), jedoch leider nicht weiter erläutert. So bleibt nur die vertiefende und weiterführende Literatur, obwohl doch bei einem mehr als 600 Seiten umfassenden Handbuch Religionsdidaktik aus dem Jahr 2021 zu erwarten wäre, dass für die sehr wichtige Frage nach der religiösen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen nicht gleich der Griff zu weiterführender Literatur notwendig sein müsste. Gleichsam enttäuschend sind Beiträge, die den*die Leser*in etwas ratlos zurücklassen, weil sie nach langen Ausführungen lediglich mit pauschalen Hinweisen enden, worauf in Zukunft zu achten sei, ohne dass wirklich hilfreich Konkretes für die Praxis angeboten wird. Auch die sehr wichtige Frage nach dem Dilemma eines konfessionellen RU mit dem Anspruch, Ambiguitätstoleranz und Identitätsbildung durch die Auseinandersetzung mit dem Andersdenkenden und -glaubenden fördern zu wollen, während er an vielen Schulen getrennt vom Werte-und-Normen-Unterricht und / oder anderem konfessionellem Religionsunterricht stattfindet, wird weitgehend mit allgemeinen Aussagen verhandelt oder gleich ganz vermieden.

Zahlreicher sind allerdings jene Beiträge, die bemerkenswerte und weiterführende Gedanken enthalten. Neben dem ersten Kapitel können in gleicher Weise auch die Beiträge der Kapitel II und IV hervorgehoben werden. In Kapitel II wird der Religionsunterricht jeweils aus katholischer, evangelischer, muslimischer, jüdischer und orthodoxer Perspektive betrachtet. Alle fünf Beiträge sind gleich gegliedert, was einen direkten Vergleich erleichtert und dabei zum Beispiel im Vergleich der konkreten Ziele des RU Bemerkenswertes zum Vorschein bringt; insbesondere, wenn diese mit dem allgemeinen Ziel des learning from religion abgeglichen werden. Besonders aufschlussreich sind darüber hinaus die drei Beiträge des IV. Kapitels, in dem über empirische Befunde rund um das Lernen im RU informiert wird. Die dargestellten empirischen Befunde bieten geeignete Grundlagen für konkrete Unterrichtskonzepte und didaktische Überlegungen, außerdem für den Diskurs über die Weiterentwicklung des Religionsunterrichts.

Insgesamt ist festzuhalten, dass das vorliegende Handbuch Religionsdidaktik nicht nur wegen seines Gewichts als gewichtig angesehen werden kann, sondern auch und vor allem wegen der fast lückenlosen Abbildung des aktuellen religionsdidaktischen Diskurses und des beeindruckenden Literaturverzeichnisses. Es kann Studierenden ebenso wie Referendar*innen trotz des nicht geringen Preises durchaus als grundlegendes Standardwerk empfohlen werden, wenngleich an einigen Stellen (s.o.) weiterführende Literatur notwendig ist. Besonders empfehlenswert aber ist es für Verantwortungsträger*innen religiöser Bildung in den Schulabteilungen, Diözesen und Landeskirchen, da es zahlreiche Anstöße für das Nachdenken und den Diskurs über die Weiterentwicklung des Religionsunterrichts bietet.

Christina Harder