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Bild: Rainer Sturm  / pixelio.de

Jochen Bauer: Religionsunterricht für alle. Eine multitheologische Fachdidaktik, Reihe Religionspädagogik innovativ, Band 30; Kohlhammer; Stuttgart 2019, ISBN 978-3-17-037460-7, 486 Seiten;  39,00 €
 

Religionsunterricht für alle

Jochen Bauer hat sich zum Ziel gesetzt, erstmalig ein systematisches fachdidaktisches Konzept für den Religionsunterricht für alle (RUfa) vorzulegen. Dass ihm dies mit seiner umfangreichen Monografie gelingt, ist unbestritten. Jochen Bauer, als Fachreferent für Religion in der Hamburger Behörde für Schule und Berufsbildung und Fachseminarleiter am Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung tätig, wählt dafür die Metapher des Raums und fragt nach dem Raum selbst, den räumlichen Dimensionen und den didaktischen Orientierungen. Mag das starre Festhalten an dieser Metaphorik gelegentlich etwas gekünstelt wirken, so überzeugen die Ergebnisse dennoch: Alle Einzelkapitel sind profund entfaltet, alle im gängigen Diskurs zentralen Positionen werden dargestellt. 
Den sechs Seiten eines Raums entsprechen die Aspekte, die es laut Bauer zu bedenken gilt, wenn die Möglichkeiten, Grenzen, Funktionen und Aufgaben eines RUfa bestimmt werden sollen.

Dabei gelte: Religionsunterricht müsse in einer „postmigrantischen Gesellschaft“ (142 u.ö.) einen Beitrag zur pluralismusfähigen Gesellschaft leisten, indem er den Schüler*innen die Positionalität ihres eigenen Bekenntnisses aufzeige (109 u.ö.). Dabei müsse stets berücksichtigt werden, dass im RUfa verschiedene Religionen und unterschiedliche Religiositäten eingespielt würden und dass dies bewusst nicht von einem neutralen Beobachterposten, sondern aus einer eigenen religiösen Positionalität heraus erfolge.

Anhand der drei didaktischen Dimensionen Inhalt, Identität und Wahrheit beschreibt Bauer nun die Bewegungsmöglichkeiten innerhalb dieses Raums. Weil sich Religion „im Wechselspiel von subjektiver Religiosität und den kulturell-kollektiven Symbolsystemen der Religionen“ zeige (194), sei der Religionsunterricht als Beitrag zur religiösen Identitätsbildung der Schüler*innen zu gestalten (241). Diese gehe jedoch der dialogischen Beschäftigung mit (anderen) Religionen nicht voraus, sondern entwickele sich in ihr: „Religiöse Identitätsbildung erfolgt zugleich im Dialog als einem dynamischen Erkenntnisprozess von Information und Transformation, in dem das Sich-Einlassen auf Andere und die Rückkopplung an das Eigene sich wechselseitig bedingen.“ (246) 

Angesichts der Möglichkeiten des Raums führt Bauer den Begriff der Orientierung zur eigenen Positionsbestimmung ein; ihm ordnet er drei in sich dialektische Dimensionen zu: So müsse, frage man nach der Inhaltsdimension des Religionsunterrichts, der Polarität von Schüler*innen- oder Traditionsorientierung Rechnung getragen werden. Gehe es um die Identitäts-dimension, so gelte es abzuwägen zwischen einer dialogischen Orientierung und einer, die an den Spezifika der jeweiligen Religionen ausgerichtet ist. Gerade hier zeige sich die wechselseitige Regulation der didaktischen Prinzipien: So erhielten die Schüler*innen gerade durch den Dialog die Möglichkeit, „sich in ihre je eigene Hintergrundreligion zu enkulturieren“. (360) Die dritte Dimension sei die der Wahrheit, die sich aus Authentizitäts- und Wissenschaftsorientierung zusammensetze. 

All dies sieht Bauer im RUfa ermöglicht. Denn: „Ein multireligiös-trägerpluraler Religionsunterricht erweist sich als besonders pluralismusfähig, da er die faktische religiöse Pluralität in Gesellschaft und Schule nicht nur berücksichtigt, sondern in seiner äußeren Verantwortungsstruktur und seiner inneren Gestaltung selbst abbildet.“ (115)
Auch wenn sich Bauer auf das sogenannte Hamburger Modell konzentriert, so bietet er bedenkenswerte Hinweise auch für den konfessionell(-kooperativ)en Religionsunterricht: Auch hier nehmen im Gaststatus immer häufiger nichtchristliche Schüler*innen teil, deren spezifische Religiosität es im Unterricht zu berücksichtigen gilt. Den Hamburger Rahmen dafür hat Bauer abgesteckt. Weil jedoch Religionsunterricht immer eine „Entdeckungsreise“ (Peter Biehl) ist (427), darf man gespannt sein, wohin diese Reise in anderen Bundesländern führt.

Michaela Veit-Engelmann