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Bild: Rainer Sturm  / pixelio.de

Florian Dinger: Religion inszenieren. Ansätze und Perspektiven performativer Religionsdidaktik, Mohr Siebeck: Tübingen 2018, ISBN 978-3-16-156324-9, 370 Seiten, 69,00 €

 

Diese bei Bernd Schröder in Göttingen entstandene Dissertation schließt eine dringliche Forschungslücke. Seit etwa 20 Jahren hat sich der Begriff der performativen Religionsdidaktik etabliert, der aber bislang nur in wissenschaftlichen Aufsätzen begegnete und mit Ausnahme von Hans Mendl noch keine Monografie hervorgebracht hat. Inhalt, Geschichte, Konzeptionen und Kontexte dieses Begriffs werden in dieser Dissertation endlich einmal im Vergleich dargestellt. Im Hintergrund steht dabei die nicht unwichtige Frage, ob es sich hierbei um ein für die Religionsdidaktik fruchtbares Konzept handelt, das den konkreten Religionsunterricht in seiner in vielerlei Hinsicht prekären Situation weiter zu bringen vermag.

Florian Dinger, seit 2015 Lehrer für Evangelische Religion, Deutsch und Darstellendes Spiel und nun Wissenschaftlicher Assistent in Göttingen, bringt in seiner Dissertation Theorie und Praxis eindrücklich zusammen.

Dabei reflektiert er in seinem ersten theoretischen Teil in systematischer Perspektive zunächst die Bedeutungen der Rede vom Performativen, die zum einen in Austins Sprechakttheorie wurzeln, zum anderen theaterwissenschaftliche Einsichten auf die Bühne bringen und schließlich in den Kulturwissenschaften mit dem performative turn zu einem umbrella term avanciert, der viel Unterschiedliches versammelt.

Was genau also ist mit performativer Religionsdidaktik gemeint? Dies klärt Dinger in einem Panorama der unterschiedlichen Entwürfe, die er ausdrücklich zugespitzt darstellt, um so das weite Spektrum performativer Religionsdidaktiken verdeutlichen zu können. Mit Bernhard Dressler und Thomas Klie wird die semiotische Begründung einer performativen Religionsdidaktik vorgestellt, bei der der Als-ob-Modus des performativen Unterrichtsgeschehens in der Schule betont wird. Hier kommt alles auf die „Unterscheidungsfähigkeit“ (33) in religiösen Fragen an. Bei Christoph Bizer und Silke Leonhard steht die „Gestaltbildung“ (59) im Vordergrund, die bei Leonhard den „Körper als Lernort“ (66) profiliert. Dietrich Zilleßens und mein Ansatz werden als poststrukturalistische Varianten wahrgenommen, bei denen „die Suche nach dem Unbekannten im Profanen“ (76) sowie das „unterrichtliche Entstehen von Religion“ (88) eine große Rolle spielen.

Schließlich werden mit Hans Mendls konstruktivistischer Lesart von „Religion erleben“ (104) und Mirjam Schambecks „mystagogische[m] Lernen“ (114) zwei weit auseinanderliegende katholische Varianten performativer Religionsdidaktik dargestellt. Die weitgehende Nichtberücksichtigung katholischer Ansätze in der evangelischen performativen Religionsdidaktik kritisiert Dinger zu Recht. 

Der zweite Teil bietet eine vergleichende Perspektive und zeigt anhand der bislang kaum wahrgenommenen Diskussion des Performativen in anderen Fachdidaktiken, dass die Religionspädagogik den performative turn erst relativ spät für sich entdeckte. In der Literaturdidaktik gibt es schon seit den 1980er-Jahren Bestrebungen in diese Richtung, insbesondere durch Kaspar H. Spinner und Ingo Scheller. Aber auch die Fachdidaktik des in vielen Bundesländern mittlerweile etablierten Schulfachs Darstellendes Spiel bietet wichtige Impulse für performative Fragestellungen in der Schule.

Auch der dritte Teil mit seiner historischen Perspektive ist sehr erhellend. Hier werden die performativen Ansätze in den Konzeptionen von Christian Gotthilf Salzmann, Friedrich Schleiermacher, Richard Kabisch, Otto Eberhard, Gerhard Bohne und Peter Biehl skizziert. Besonders hervorzuheben ist Dingers sehr kluge und wohlwollende Darstellung von Gerhard Bohne einerseits und Peter Biehl andererseits, der für die gegenwärtige performative Religionsdidaktik wichtige Anfangsimpulse gesetzt hat. Der Umstand, dass die Ansätze Kabischs und Eberhards eine politische Nähe zu überhöhtem Nationalismus bzw. Nationalsozialismus hatten, hätte allerdings noch grundsätzlich kritischer in Bezug auf das Element des Performativen und dessen Faszination reflektiert werden können. Welche Ansätze des Performativen sind theologisch mit Momenten ausgestattet, die dem Rausch des Performativen nicht vorschnell erliegen, insofern sie die bzw. das Andere u.a. auch als ganz Andere*n immer mit sich führen, wenn auch un(be)greifbar? Dinger bezieht auch meinen eigenen Ansatz mit ein, liest ihn allerdings vornehmlich durch die Brille der kritischen Rezeption Rudolf Englerts. Eine Auseinandersetzung damit würde einen eigenen Diskurs erfordern, der im Rahmen einer Rezension unangemessen wäre.

In seinem letzten Teil, der handlungsorientierten Perspektive, fragt Dinger schließlich kritisch nach „Tragweite und Tragfähigkeit performativer Ansätze für den Religionsunterricht von morgen“ (273). Dabei stellt er einige sehr dringliche Fragen, die eine performative Religionsdidaktik angehen muss, wenn sie tragfähig sein will: Wie steht es mit der „Schul-“ bzw. „Unterrichtsreligion“ und dem damit verbundenen „Probehandeln“ (290f.)? Ist die These vom Traditionsabbruch als Begründungsfolie für performativen Religionsunterricht nicht weitgehend irreführend? Gehört liturgisches Lernen in die Schule, oder beschränkt sich schulischer Religionsunterricht besser auf Bibeldidaktik? Was unterscheidet das Ausüben von Religion im schulischen Unterricht vom Ausüben von Sport, Sprechen von Fremdsprachen, Musizieren, Malen oder Rechnen? Welche Rollen müssen Lehrkräfte für performativen Religionsunterricht lernen? Muss bzw. kann es performative Unterrichtsentwürfe geben? Und schließlich und besonders dringend: Was bedeutet dieser performative Ansatz für den konfessionell-kooperativen Religionsunterricht und insbesondere für interreligiöse Lernarrangements und -prozesse?

Dingers Dissertation ist ein großer Wurf, der vieles ordnet und einordnet, zugleich einen weiten Horizont erkennen lässt und manche fruchtbaren Diskussionen auslösen wird. Chapeau!

Harald Schroeter-Wittke