rez_bild_oben

Bild: Rainer Sturm  / pixelio.de

rez131

Jens Beljan, 
Michael Winkler
Resonanzpädagogik auf den Prüfstand. Über Hoffnungen und Zweifel an einem neuen Ansatz
Weinheim: Beltz 2019
ISBN 978-3-407-25815-1,
120 Seiten, 19,95 €

 

Der Erziehungswissenschaftler Jens Beljan hat in seiner Dissertation die Resonanztheorie des Sozialphilosophen Hartmut Rosa auf „Schule als Resonanzraum und Entfremdungszone“ angewendet und damit einen Entwurf vorgelegt, den er selbst unter das Label „Resonanzpädagogik“ stellt. In dem vorliegenden Band diskutiert Beljan seinen Ansatz mit dem Pädagogikprofessor Michael Winkler. Die neun Kapitel sind durchgehend in Dialogform aufgezeichnet: als Gespräch zwischen einem Verfechter eines neuen Ansatzes und seinem kritischen, wohlwollenden Mentor, der schon im Vorwort rät: „Da musst du tierisch aufpassen … denn dafür kannst du ordentlich eins auf die Mütze bekommen.“ (7) Was so persönlich beginnt, entwickelt sich im Folgenden zu elaborierten Gesprächsgängen, die als Fragen nach dem Proprium, dem Stellenwert in der erziehungswissenschaftlichen Systematik und den Grenzen der Resonanzpädagogik Vignetten bildungstheoretischer Diskurse darstellen. In ihnen wird u.a. die historische und disziplinäre Verortung des Ansatzes vorgenommen (Kap. 2), nach der Normativität der Resonanzpädagogik als einer Pädagogik des guten Lebens gefragt (Kap. 3) sowie über die Methoden der Resonanzforschung diskutiert (Kap. 5). Den Schluss des Buchs bildet ein Nachwort von Hartmut Rosa. Rosa hat 2016 – ebenfalls in Dialogform und in demselben Verlag – mit dem ‚Lehrerfortbilder‘ Wolfgang Endres einen Entwurf zur Resonanzpädagogik herausgebracht. Im vorliegenden Band resümiert er darüber selbstkritisch, dass er und Endres hemdsärmelig begonnen haben, was Beljan später pädagogisch reflektiert unternommen hat: nämlich die Idee einer Resonanzpädagogik in die pädagogische Tradition seit Schleiermacher, Humboldt, Herder und dann auch Herbart einzuordnen (vgl. 116).

Beljans Ausgangspunkt für eine Resonanzorientierung ist seine Kritik an der gegenwärtig vorherrschenden Ressourcenfixierung in der Pädagogik, die Bildung als eine Kapitalform ansehe: Man konzentriere sich auf den kognitiven Outcome. Er sieht einen Zusammenhang zwischen diesem Maßstab und dem wachsenden Unbehagen an Schule. Ein ressourcenfixiertes Bildungssystem tendiere sehr stark dazu, den nötigen Leistungswillen sowie die Motivation durch extrinsische Anreize zu erzeugen und Prozesse wie Lernen und Unterrichten an einem Produktionsparadigma zu orientieren. „Um zu prüfen, ob sich wirklich alle mehr anstrengen, ob der Produktionsprozess den gewünschten Output erzeugt, installiert man ein kleinteiliges Evaluationssystem. Es werden Kontrollinstanzen geschaffen, die prüfen und überwachen, ob die Leistungssteigerung tatsächlich erfolgt.“ (10) Beljan entwirft in seiner Argumentation kein Zerrbild von Kompetenz, die mithilfe von Resonanzpädagogik demontiert wird. Er spricht stattdessen explizit von einem Ergänzungsverhältnis von Ressourcen- und Resonanzorientierung, die einander benötigen und jeweils unterschiedlichen Logiken folgen (vgl. 17).

Was macht den Kern einer Resonanzpädagogik aus? Was sind die Merkmale einer resonanzsensiblen Schulwelt? Resonanzpädagogik ist Beljan zufolge am ehesten vergleichbar mit einer Beziehungsdidaktik, die von einem Primat der Beziehung ausgeht: „Resonanzpädagogik zielt auf die Ermöglichung spezifischer Beziehungserfahrungen zwischen Menschen, Bildungsstoffen und den über diese vermittelten Weltausschnitten.“ (38) Er versteht sie als „Weltbeziehungsbildung“, die einen dritten Raum zwischen der Kompetenzorientierung und der ästhetischen Bildung darstellt und auf beide angewiesen ist. Gelingende Weltbeziehungen sind Beziehungen mit einer spezifischen, einer resonanten Wechselwirkung. „In Resonanzbeziehungen machen wir die Erfahrung, dass es da draußen[,] aber auch in uns Dinge gibt, die uns ansprechen, uns herausfordern, infrage stellen – kurz: die uns berühren und uns bewegen.“ (13) Die folgenden Konkretionen Beljans bezogen auf Schule und Resonanz – wie beispielsweise: In einer Klasse kommt etwas ins Rollen, lebhafte Diskussionen entspinnen sich, eine Gruppe wird leise und lauschend, in Resonanzhäfen wird kooperiert, räsoniert und sich miteinander auf Dinge eingelassen, in ihnen können Lernende die Erfahrung machen, gesehen und gehört zu werden – sind Merkmale von gutem Unterricht und von lebendigen Lernsituationen, die er mithilfe der Resonanzperspektive erfasst und deutet.
Für den Prozess der doppelseitigen Beziehung von Welt und Selbst wählt Beljan in Anschluss an Rosa den Begriff der „formierenden Anverwandlung“ und spricht auch von der „transformatorischen Kraft“ von Resonanz in Bildungsprozessen (13). Damit stellt Beljan sich in die Tradition von Wolfgang Klafki, der Bildung als Prozess einer ‚doppelseitigen Erschließung‘ zwischen Mensch und Wirklichkeit begreift. Als vier Kernmerkmale der Resonanz bestimmt Beljan Unverfügbarkeit, Affizierbarkeit, Selbstwirksamkeit und Transformation.

Winkler übernimmt in diesem Buchgespräch die Rolle des advocatus diaboli. Er wird nicht müde, nach dem Proprium, der disziplinären Verortung innerhalb der Erziehungswissenschaft und dem pädagogischen Wissenszuwachs, der durch Resonanzpädagogik erreicht wird, zu fragen. Er ordnet Beljans resonanztheoretische Aussagen bildungstheoretisch u.a. in die Konzepte von Mollenhauer, Herbart und Gruschka ein. Es wird beim Lesen nicht deutlich, ob Winkler seine Skepsis wirklich aufgibt, wenn er Beljan darin bestätigt, mit der Resonanzpädagogik für die unvermeidliche Offenheit aller pädagogisch organisierten Bildungsprozesse wie auch für das Intuitive im pädagogischen Handeln einzutreten.
Grundsätzlich bleibt zu fragen, ob diese weitere dialogische Schrift mit ihrem Mehr an pädagogischem Tiefgang für mehr Klarheit in Sachen Resonanzpädagogik sorgt. Für Lehrkräfte und in Resonanzpädagogik bislang unkundige Leser*innen wünscht man sich – bei allem Lesegenuss – eine pointiertere Darstellung des Ansatzes, die sich stärker an gegenwärtigen Herausforderungen von Schule und Unterricht orientiert.

Barbara Hanusa