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Kinderkathedrale - mutig – stark – beherzt

von Susanne Paetzold

Wie wäre es, wenn sich Gestaltungen und Veranstaltungen im Kirchenraum mal nicht am „erwachsenen“ Glauben orientierten, sondern den Bedürfnissen der Kinder Raum geben – wenigstens für eine Zeit? Das Motto des Kirchentages „mutig – stark – beherzt” kann einen Anlass dazu geben. Es ist alles da: Der Raum ist da, mit seiner theologischen und liturgischen Dimension. Die Menschen sind da, mit ihren Begabungen, Professionen und Netzwerken. Die Kinder sind da, mit ihrer Neugier, die Welt zu entdecken und ihrem Blick auf die Welt. Und Gott ist da, ob auf dem Kirchplatz unter freiem Himmel, in der Jurte im Pfarrgarten oder im Kirchenraum. Im August 2024 wurde in der St. Pauluskirche in Buxtehude eine Kinderkathedrale gestaltet und gefeiert.


Vorüberlegungen zum Thema

Kinderkathedrale – das ist Kirche von, mit und für Kinder(n).

Der Kirchenraum hat seine Geschichte, seine physikalischen Bedingungen und erzählt Geschichten von Gott und den Menschen. Seine ästhetische Gestalt in Architektur und Ausstattung nimmt Bezug auf biblische Motive. Diese zu entdecken, mit den Lebenswelten der Kinder zu verbinden und neu ins Spiel zu bringen, ist eine Qualität der Kinderkathedrale. Unterschiedliche Perspektiven der Raumerfahrung (kirchenpädagogisch, theologisch und liturgisch) und die Perspektive der Kinder münden in eine Gestaltung und ein Programm.

Kinderkathedrale ist eine Form, Theologie von, mit und für Kinder(n) zu gestalten. Nur Mut für eine offene Beteiligung der Kinder. Erst dann wird es eine Kirche von, mit und für Kinder(n). Das Motto „mutig – stark – beherzt” findet seinen Ausdruck in interaktiven Erlebnisinseln, in Führungen für Kita-Gruppen und Grundschulklassen, in Ferien- bzw. Projekttagen. Ältere Schüler*innen können für die Kinderkathedrale in Projekten Führungen, Erlebnisinseln oder digitale Medien erarbeiten. So kommt es vom Erleben im Kirchenraum, zur eigenen stärkenden Erfahrung.

Das Motto des Kirchentages kann den Anlass geben, mit unterschiedlichen Perspektiven und Akteuren den Kirchenraum zu gestalten und spirituelle Formate zu erproben. Nicht nur in Hannover.


Didaktische Überlegungen

„Wie seid ihr eigentlich auf Gott gekommen?“, fragt der zehnjährige Shawn.

Die Kinderkathedrale folgt einem erfahrungsorientierten Ansatz, den Raum und Beziehungen wahrzunehmen und zu erleben. Kirchenräume haben ihre eigene ästhetische Sprache; und ihre je eigenen theologischen Narrative erzählen von Leben und Tod. Diese Themen mit Kindern zu entdecken und von Kindern lesen zu lassen, kann auch für die begleitenden Erwachsenen bereichernd sein.

„Hat Gott ein Schloss?“ fragt die neunjährige Fara.

Kinder brauchen unterschiedliche Erfahrungsräume1 . Im Kirchenraum lassen sich vielschichtige, sinnliche Erfahrungen machen, in theologischen Gesprächen Deutungen des Lebens finden und in kreativen, schöpferischen Vertiefungen einen Ausdruck finden. Gleichzeitig eröffnet Singen und Klingen eine berührende Gemeinschaftserfahrung. Die Kernthemen des Religionsunterrichtes „Ich und die anderen und Gott und Schöpfung“ sind im Kirchenraum sichtbar. Für viele Kinder ist die Kirche ein fremder Ort und für manche wäre es eine erste Begegnung. Da, wo der Kontakt zwischen Schule/Kita und Kirche bereits gelebt wird, öffnen sich in einer Kinderkathedrale weitere Spielräume.

„Das Tollste war, dass man in der Kirche laufen durfte und laut sprechen“, sagt der achtjährige Phil.

Räume und spirituelle Formen haben heilsame Wirkungen. Der Raum umgibt den Körper. Leibarbeit und Stilleübungen sind hier anders erfahrbar als im Klassenraum.

Ich gebe mich hinein in einen Raum, in dem Menschen schon vor mir gebetet und das Evangelium gehört haben, in einen Raum, in dem ich anders klinge, in einen Raum, in dem Menschen ihre Lebenserfahrungen teilen, die leichten und fröhlichen sowie die schweren und traurigen.

Im Raum sind Kreativtechniken sichtbar, die in eine eigene Gestaltung führen können: Schablonentechniken, Nass in Nass, die Werkstoffe Holz, Textil und Stein u.v.m. Ausstattungen weisen auf liturgische Vollzüge: Lesen, Erzählen, Singen, Beten, Tischgemeinschaft, Taufen und Segnen.

Welche Kompetenzen sollen gefördert werden? Der Kirchenraum weist auf etwas Größeres hin und über unser Leben hinaus. Kinder bekommen Verantwortung für den Raum. Im Prozess der Entwicklung können Kinder einbezogen werden, demokratische Entscheidungsprozesse üben und Kreativtechniken erlernen. Die Erfahrungen von Personen in biblischen Texten, Ritualen, selbst wirksam sein und kraftvollen Liedern im Kirchenraum haben eine stärkende und empowernde Wirkung: mutig – stark – beherzt.


Zur Praxis der Kinderkathedrale

1. Kinderkathedrale kostet Zeit. Sie kann klein beginnen.

Beteiligungsprojekte mit Kindern könnten in einer Projektwoche erarbeitet werden, in der beispielsweise mit Kindern Mutparcours entwickelt, Antependien gestalten oder Führungskonzepte erarbeitet werden.

Der Besuch einer Kinderkathedrale als Angebot für Kinder braucht Zeit. Die Empfehlung sind drei Zeitstunden vor Ort.
•  Ankommen und Orientierung (10-15 Min.),
•  ein geführter Einstieg oder Führung im Raum (20-30 Min. je nach Ausstattung des Kirchenraumes),
•  freie Werkstatt- bzw. Spielzeit (60 Min.),
•  Zusammenkommen und Wahrnehmen (30 Min.)
•  und ein spiritueller Abschluss (15 Min.).
•  Die restliche verbleibende Zeit ist nötig für Pausen, gemeinsames Essen und Erzählen, je nach Gewohnheiten des Kita- bzw. Schulalltags.

Eine gute Raumaufteilung bietet Orientierung für das, was die Kinder und Erwachsenen hier erleben können. Aus den Lebenswelten sind uns vertraut: Empfangssituation (Check-in und Check-out), ein Bereich zum Chillen, Erlebnisstationen mit Impulsen und Gelegenheiten für eigenes Tun.

Die folgenden Erlebnisräume wollen anregen, den je eigenen Erlebnisspuren im Kirchenraum zu folgen.

2. Weg

Die Ausstattung der Kirchenräume entspricht in der Regel nicht den Proportionen der Körpergrößen der Kinder. Das bringt eine Eigendynamik mit sich. Kinder rennen durch lange Gänge, verstecken sich in Bänken und hinter Säulen, klettern auf die Kanzel, kriechen hinter das Antependium am Altar u.v.m. Diese Entdeckerfreude lässt sich nutzen. Die räumlichen Hindernisse lassen sich in neue Erfahrungsräume wandeln und bekommen eine Bedeutung.

Gänge: Kinder rennen lassen von hinten nach vorne und wieder zurück. Wenn wir gemeinsam durch die Gänge wandeln, dann wird es zu einer Prozession. Schwellengänge und liturgische Wege mit den Kindern nachvollziehen als Wege des Lebens. Dazu können biblische Wegworte und Geschichten inszeniert werden, ein Lied oder eine Melodie den Weg begleiten oder Kerzen getragen werden. Es ist ein langer Weg Gottes mit den Menschen.

Bankreihen ohne Mittelgang stellen Besucher*innen vor die Entscheidung: Welchen Weg nehme ich? Gänge und Bänke bieten Gestaltungs- und Spielräume: Schnüre spannen, Wege lenken und über und unter Hindernisse führen. Dabei können Kinder sich gegenseitig führen und leiten.

Der Kirchenraum ist kein Spielplatz, aber im freien Spiel lassen sich Erfahrungen vertiefen und ermöglichen, dass die Erfahrungen von Personen in biblischen Geschichten sehr nahekommen. Mit Abraham eine Wegstrecke gehen, sich verkriechen, wie Elia oder mit Hagar in der Wüste weinen.

3. Atelier

Der Raum umgibt uns mit Kulturtechniken. Alle Ausstattungen und Gestaltungen wurden in professionellen Werkstätten hergestellt. Daher die Einladung, einen großen, weiten Raum für Kreatives bereitzustellen: Schlusssteine gestalten, großformatige Bilder oder Mosaike erstellen, ein gemeinsames Bild weben, Naturfarben herstellen2  und – wenn viel Zeit ist – mit Knüpfel und Beitel einen Sandstein bearbeiten. Immer verbunden mit der Frage nach eigenen kraftvollen Bildern der Kinder. Welche Botschaft einer Geschichte soll durch die Fenster leuchten? Unter welchem Bild fühlst du dich geborgen? Welches Motiv würdest du unter der Decke heute gestalten? Die Wand schützt; kennst Du Geschichten von Schutz und Hilfe? U.v.a.m.

Jede Kulturtechnik braucht gutes Material und Schutzmaßnahmen. Für einen längeren Projektzeitraum empfiehlt es sich, einen großen Teppich auszulegen, der den Fußboden schützt.

4. Erzählen

Erzählen als Kulturtechnik findet seine Gestaltung in einem Zelt oder ähnlichem. Ein klar begrenzter Bereich dient einer geheimnisvollen und persönlichen Atmosphäre, dient als Rückzugsort und lässt Kinder zur Ruhe kommen. Es kann der Ort für eine gemeinsame Erzählzeit sein bzw. Kinder anregen, selber zu erzählen und Geschichten zu erfinden. Dazu können Satzanfänge oder Material zum Erzählen ausgelegt werden.

Neben dem Erzählort ist ein Vertiefungsort sinnvoll. Z.B. Tische auf denen Szenen nachgestellt und -gespielt werden können, eine Sandkiste, die gestaltet wird oder ein Bereich mit Kreativmaterial, Schuhkartons o.ä.

Alternativ: Motive des Raumes aufnehmen und dort erzählen, wo man etwas entdecken kann. Welche Erzählspuren bietet der Kirchenraum?

5. Gebet

Kirchenräume sind Orte der Einkehr und des Gebets. In vielen Kirchen können Kerzen angezündet werden oder es werden Anliegen für Fürbitten gesammelt. Doch sind die Orte auch für Kinder erreichbar und einladend? Wo ist Raum für Gebet? Was führt in die Stille? Mit welchen Zeichen bekommen Kinder einen Zugang zum Gebet?

Mit Hilfe eines Sandkastens: Worte in den Sand schreiben, Steine für das Schwere ablegen, Blüten falten und für das Schöne in den Sand „pflanzen“.

Die Lutherrose als Bekenntnis erzählt ebenfalls von Mut und Stärke und Herz. Ihre Elemente voneinander zu isolieren, kann eine Anleitung zum Beten sein. Rose mit Sand, einen Herzraum zum Kuscheln, ein Kreuz gefüllt mit spitzen schwarzen Steinen für Kerzen, ein blauer Stuhl zum Ausruhen mit Blick in den „Kirchenhimmel“ und ein goldener Bogen als Segenstunnel.

Eine Segensdusche, in die man hineingeht und sich einen Segen zusprechen lassen kann.

Das Herz mit Armen lässt es haptisch werden – nicht nur für Kinder. Das Herzkissen wird von einem zum anderen Kind gereicht. In der Stille kannst Du alles vor Gott legen: Was liegt Dir am Herzen, was ist schwer, was lässt das Herz hüpfen?

6. Leseecke

„Eine Kinderkathedrale braucht eine Leseecke,“ meint der zehnjährige Marius. Und so ist aus Euro-Paletten unter Mitwirkung der Kinder eine Leseecke entstanden. Die Holzelemente sind miteinander verschraubt, so dass nichts verschoben werden kann. Um vor Splittern zu schützen, sind auf der Oberfläche Webteppiche fixiert. Aus bemalten Stoffstücken sind Kissen entstanden.

Eine Auswahl an Kinderbibeln und Bilderbüchern lag bereit. „Mutig, mutig“ heißt ein Bilderbuch, das sich gut inhaltlich mit dem Motto des Kirchentages verbinden lässt. Im digitalen Materialteil stellt Wiebke Mandalka (Leiterin Evangelisches Literaturportal, Göttingen) einen Entwurf zur Verfügung.

Die Leseecke war ebenfalls ein guter Ort für Gespräche mit Kindern, um die Gruppe zu sammeln, neue Aufträge zu erteilen oder organisatorische Dinge zu klären.


Materialien

•    Bilderbuch von Lorenz Pauli: Mutig, mutig.
•    Kreative Bausteine erarbeitet von Wiebke Mandalka.
•    Segenswunsch mit roten Luftschlangen.
•    Geschichtenparcours mutig – stark – beherzt.
•    Die Website www.kinderkathedrale.de vernetzt bundesweit Kinderkathedrale-Projekte und gibt Einblicke in Raumgestaltungen und Projektthemen.
•    „Auf dem Weg zur eigenen Kinderkathedrale“. Erlebnisraum und Prozessberatung von Susanne Paetzold.

Anmerkungen

  1. Vgl. Krenz, Kinder brauchen Seelenproviant.
  2. Vgl. Paetzold, Kleine Kirchenforscher.

Literatur

  • Krenz, Armin: Kinder brauchen Seelenproviant. 5. Aufl., München 2008
  • Paetzold, Susanne: Kinderkathedrale: Erfahrungen – Grundlagen – Impulse, KIMMIK-Praxis Nr. 53, Michaeliskloster Hildesheim 2019, www.material-michaeliskloster.de
  • Paetzold, Susanne: Kleine Kirchenforscher. Erkundungsspielräume mit den Kleinsten. 2. Aufl., Michaeliskloster Hildesheim 2016, www.material-michaeliskloster.de
  • Pauli, Lorenz: Mutig, mutig. Mit Illustrationen von Kathrin Schärer, 5. Aufl., Zürich 2022