Zur Anthropologie des Spiels – Das Spiel als Bedingung des Menschen

Von Christoph Wulf

„Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“ In diesem Satz seiner Briefe Über die ästhetische Erziehung des Menschen bringt Friedrich Schiller die anthropologische Bedeutung des Spiels zum Ausdruck.1 Johan Huizinga entwickelt sie im Homo ludens im 20. Jahrhundert weiter.2 Nach seiner Auffassung sind Spiele freiwillige Handlungen, die ihr Ziel in sich selbst haben und sich von den Handlungen in der normalen Alltagswelt unterscheiden. Im Spiel bildet der Mensch seine kulturellen Fähigkeiten aus; hier erzeugt er sich als Individuum, bringt er Emotionen zum Ausdruck und vollzieht einen kreativen Umgang mit den Anforderungen der Außenwelt. Im Spiel knüpfen Menschen soziale Beziehungen, entwickeln sich und schaffen Gemeinschaft und Kultur. Spiele sind unterschiedlich und vielfältig; ihre Zahl ist nicht begrenzt. Immer wieder werden neue Spiele erfunden; sie zu klassifizieren, stößt auf große Schwierigkeiten.

„Spiel“ leitet sich ab vom althochdeutschen „spil“ mit der Bedeutung Tanzbewegung. Spiel ist eine Bewegung, eine Tätigkeit, die keinen Zweck verfolgt, sondern die darauf zielt, Vergnügen und Freude zu machen. Auch wenn das Spielerische bzw. Ludische für die kreative Gestaltung von Arbeit und zielgerichteten Tätigkeiten erforderlich ist, wird das Spiel nicht durch die Logik der Arbeitswelt bestimmt. Im allgemeinen ist es weder instrumentell noch auf Nutzen ausgerichtet. Als Tätigkeit und Bewegung ist es körperlich und sinnlich. In der Kindheit und Jugend trägt es zur Entwicklung des Körpers und der Sinne bei.

Im „freien Spiel“ werden die Regeln von seinen Teilnehmer*innen im Verlauf des Spielens erfunden. Für die Entwicklung der Einbildungskraft und eines kommunikativen praktischen Wissens kommt den Spielen in der Kindheit und in der frühen Erziehung der Kinder erhebliche Bedeutung zu. Kaum weniger wichtig sind in diesen Jahren Funktions- und Lernspiele.

Viele Spiele beruhen auf Regeln. Zu ihnen gehören beispielweise Gruppen- und Mannschaftspiele (Fußball, Handball, Volleyball). Sie sind für die Erzeugung von Gemeinschaft und die Herausbildung der Kooperationsfähigkeit von zentraler Bedeutung.

Da viele Spiele und ludische Arrangements häufig körperliche Inszenierungen und Aufführungen sind, haben sie oft mehr soziales Gewicht als bloße Diskurse. Mit ihrer Körperlichkeit bringen die Spielenden mehr ein als lediglich sprachliche Kommunikation. Dieses Mehr wurzelt in der Materialität ihrer Körper und der in ihr begründeten Existenz der Menschen. Mit der Inszenierung und Aufführung von Spielen werden Differenzen bearbeitet und Gemeinsamkeiten geschaffen. Menschen inszenieren sich, ihre Beziehungen zu anderen im Spiel. Indem Spiele zum Mitspielen einladen, laden sie dazu ein, die sich in ihnen zeigenden Strukturen als gegeben zu akzeptieren. Wer die Einladung zum Mitspielen in einer Gemeinschaft nicht annimmt, gliedert sich aus, wird ausgeschlossen und kann zum Sündenbock und damit zur Projektionsfläche von Negativität und Gewalt werden.


Prinzipien des Spiels

Immer wieder wurde versucht zu verstehen, was Spiele sind und wie sich die Vielfalt der Spiele begreifen lässt. Einen interessanten Vorschlag, die Mannigfaltigkeit der Spiele zu strukturieren, hat Roger Caillois gemacht, der davon ausgeht, dass sich Spiele dadurch unterscheiden lassen, dass sie sich einem oder mehreren der folgenden Prinzipien zuordnen lassen.

•    Agon: Hier sind Wettkampfspiele gemeint, in denen es darum geht zu gewinnen. Wie im Schachspiel oder im Fußballspiel stehen sich zwei Gegner gegenüber, die jeweils versuchen, den*die andere*n zu besiegen. Man will sich mit dem*der Gegner*in messen und dadurch die eigene Stärke erfahren. Traditionellerweise werden diese Spiele häufiger von Jungen bzw. Männern gespielt, wobei sich diese Präferenzen heute zu ändern scheinen (Frauenfußball z.B.).

•    Alea: Hier spielt der Zufall eine entscheidende Rolle. Spieler*innen erfahren, dass ihr Spielerfolg in erster Linie nicht von ihnen abhängt, sondern vom Zufall, den man – auch wenn man es immer wieder versucht – nicht beeinflussen kann. Man spielt gegen oder mit einer Macht, die einem überlegen ist und die entscheidet, ob man gewinnt oder verliert. Hierhin gehören z.B. Würfelspiele.

•    Illinx: In diesen Spielen versucht man sich in einen Rauschzustand zu bringen, der sich deutlich vom normalen Leben unterscheidet. Kinder versuchen dies z.B., indem sie sich so lange schnell im Kreis drehen, bis sie das Gleichgewicht verlieren und im Rauschzustand zu Boden sinken. Jugendliche suchen bei Volksfesten ähnliche Erfahrungen im Karussell oder in der Achterbahn, in denen ihre Körper durch Kreisbewegungen oder durch Hinabstürzen stark beschleunigt werden. Auch Bungee Jumping gehört hierhin.

•    Mimikry: Mit Masken, Schminken und Kostümen wird hier versucht, sich eine andere Identität zu geben. Man will nicht mehr der sein, der man ist, sondern möchte durch die entsprechenden Utensilien signalisieren, dass man ein*e andere*r ist. Bei Volksfesten mit Umzügen und Verkleidungen spielt diese Komponente eine wichtige Rolle.


Spiele als performative Handlungen

Die Nachhaltigkeit der Wirkung von Spielen ist an ihren performativen Charakter, d.h. an die Körperlichkeit der szenischen Inszenierungen und Aufführungen gebunden. In der körperlichen Aufführung von Spielen zeigen Menschen, wer sie sind und wie sie ihr Verhältnis zu anderen Menschen und zur Welt begreifen. Spiele lassen sich als szenische Aufführungen performativen Handelns verstehen.4

Zur Inszenierung und Aufführung von Spielen gehört eine angemessene Rahmung, die erkennen lässt, in welchem Zusammenhang das Spiel mit vorausgehenden Handlungen steht, und die Hinweise darauf gibt, wie das Spiel zu verstehen ist. Die Rahmung schafft den herausgehobenen Charakter des Spiels und sichert seinen magischen Charakter. Dieser resultiert aus dem Glauben aller Beteiligten an das Spiel, etwa bei einer Weltmeisterschaft, durch den erst die Gemeinschaft entsteht.

Zur Inszenierung und Durchführung vieler Spiele bedarf es performativer Äußerungen und Requisiten: Im Fall einer Fußballweltmeisterschaft sind es z.B. Maskottchen, die das Glück beschwören. Oder es sind intensive Trainingssequenzen, die die erhoffte Höchstform sichern sollen. Auch die Kommentare, die das Spiel im Nachhinein einordnen und bewerten, spielen hier eine Rolle. In Spielen erzeugen performative Handlungen Szenen und Szenenfolgen. Zu deren Gestaltung gehören nicht nur die Inszenierung der menschlichen Körper, sondern auch das Arrangement der Umwelten. Sie müssen ebenfalls in einer den Spielen angemessenen Weise gestaltet sein, damit das erforderliche Ensemble entsteht. Im Gesamtkunstwerk eines Spiels wird die ludische Ordnung sichtbar.

Spiele erfordern Bewegungen des Körpers, mit deren Hilfe Nähe und Distanz sowie Annäherung und Entfernung zwischen den Teilnehmenden des Spiels entstehen. In ihren Körperbewegungen kommen häufig soziale Einstellungen und Haltungen zum Ausdruck. Kompetitive Beziehungen erfordern andere Bewegungen des Körpers als freundschaftliche oder gar intime Beziehungen. Durch die Gestaltung ludischer Situationen mit Hilfe von Körperbewegungen wird auch der Körper geformt. In der Inszenierung von Spielen wirkt häufig ein ostentatives Element mit; die Beteiligten möchten, dass ihr Spiel gesehen und angemessen gewürdigt wird. In den Bewegungen ihrer Körper soll ihr Anliegen zur Darstellung und zum Ausdruck kommen.

Wenn vom Performativen, von Performanz und Performativität, die Rede ist, so liegt der Akzent auf der Welt konstituierenden Seite des Körpers. Wenn vom performativen Charakter des Spiels die Rede ist, wird damit Sprache als Handlung und Spiel als Inszenierung und Aufführung bezeichnet. Wird menschliches Spiel als ein aufführendes kulturelles Handeln begriffen, so ergeben sich daraus Veränderungen für das Verständnis sozialer Prozesse. In diesem Fall finden die Körperlichkeit der Spielenden sowie der Ereignis- und inszenatorische Charakter ihres Spiels größere Aufmerksamkeit. Spiel ist mehr als die Verwirklichung von Intentionen. Der Bedeutungsüberschuss besteht u.a. in der Art und Weise, in der Spielende ihre Ziele verfolgen und zu realisieren versuchen. In diesen Prozess gehen Wünsche, Erfahrungen und Empfindungen ein. Trotz der intentional gleichen Ausrichtung eines Spiels zeigen sich in der Inszenierung der körperlichen Aufführung der Spieler und in dem Wie der Durchführung des Spiels erhebliche Unterschiede.

Das Performative enthält ebenfalls eine ästhetische Dimension, die für künstlerische performances, aber auch für viele Spiele konstitutiv ist.5 Diese Perspektive verweist auf die Grenzen einer funktionalistischen Betrachtungsweise der Performativität von Spielen. Wie die ästhetische Betrachtung künstlerischer performances dazu führt, dass diese nicht auf intentionsgeleitetes Handeln reduziert werden, so erinnert sie auch daran, dass sich die Bedeutung von Spielen nicht in der Verwirklichung von Zielen erschöpft. Nicht weniger wichtig als die Ziele ist die Art und Weise, in der die Spielenden ihre Ziele realisieren.

Schließlich kommt dem performativen Charakter der Sprache bei oder nach Spielen erhebliche Bedeutung zu. Die umfangreichen Kommentare über die Handlungen einzelner Spieler*innen und die Inszenierung und Aufführung eines Fußballspiels durch Kommentator*innen führt zur Bekräftigung oder Kritik des Spiels. Entsprechendes gilt für Spiele, in denen die Gender-Identität bzw. das Verhältnis der Geschlechter zueinander organisiert wird und in denen wiederholte spielerische Handlungen eines Kindes als für Jungen oder Mädchen typisch angesehen werden und dadurch dazu beitragen, Geschlechtsidentität herauszubilden.


Strukturelemente des Spiels

Ein anderer Versuch, die Vielfalt der Spiele zu begreifen und das Spektrum der Spiele zu analysieren, besteht darin, Strukturelemente zu entwickeln, die für das Verständnis von Spielen wichtig sind und die sich auch dazu eignen, ihren historischen und kulturellen Charakter zu begreifen. Ohne den Anspruch der Vollständigkeit werde ich zwölf Strukturelemente nennen, die man für eine Struktur- und Wirkungsanalyse von Spielen heranziehen kann.

•    Raum und Zeit: Spiele finden in bestimmten Räumen und Zeiten statt und strukturieren Raum und Zeit in ihrer Inszenierung und Aufführung. So wird z.B. ein Stadion durch Fußballspiele zu einem Fußballstadion.
•    Regeln: Spiele gelingen nur, wenn sich ihre Teilnehmer*innen an bestimmte – und sei es von ihnen selbst entwickelte – Regeln halten. Sie bieten die Kriterien, nach und mit denen gespielt wird.
•    Imagination: Spiele erfordern, dass Spieler*innen mithilfe ihrer Einbildungskraft eine eigene Welt entwerfen und bereit sind, sich in dieser zu bewegen und sie zu gestalten.
•    Das Als-ob: In Spielen überlagern sich Ernst und Nicht-Ernst. Die Spieler*innen engagieren sich mit ihrer ganzen Kraft, auch wenn sie gleichzeitig wissen, dass es sich um ein Spiel und nicht um eine Auseinandersetzung in der Wirklichkeit handelt, in der eine Niederlage möglicherweise existenziell gefährliche Konsequenzen hätte.
•    „Flow“ – und Sinnerfahrung: Spiele machen dadurch Sinn und Freude, dass es zwischen ihren Teilnehmer*innen zu einem „Fließen“ kommt. Jeder Spielzug antwortet einem anderen. Wie von selbst entsteht ein Fließen der Spiel-Bewegung, zu dem es keine Alternative zu geben scheint.
•    Mimesis: Spielen ist ein mimetischer Prozess, das heißt: ein Prozess kreativer Nachahmung. Die Spielenden beziehen sich auf die Regeln und Arrangements vorausgegangener Spiele. Dabei nehmen sie gleichsam einen Abdruck von diesen und verwenden sie eigenständig in ihrem aktuellen Spiel. Dadurch schränken sie die Gestaltung ihres Spiels nicht ein, sondern ermöglichen die Freiheit der Spielgestaltung.
•    Performativität: Spiele sind das Ergebnis von Inszenierungen und Aufführungen. In ihnen haben körperliche und sinnliche Komponenten eine zentrale Rolle. Verabredet man sich z.B. zu einem Völkerballspiel, dann wissen alle Spielteilnehmer*innen, was gespielt wird. Sie kennen die Inszenierung „Völkerball“ mit ihren Regeln und Eigenarten und schaffen auf der Grundlage dieser Kenntnis konkrete Aufführungen, die sich bei jeder Wiederholung unterscheiden.6
•    Praktisches Wissen: Um spielen zu können, bedarf es nicht nur eines sprachlichen und kognitiven Wissens, sondern auch eines praktisch in mimetischen Prozessen erworbenen Wissens, mit dessen Hilfe die Spieler*innen am Spiel gestaltend teilnehmen können.
•    Gemeinschaft: Spiele machen aus den Spieler*innen eine Gemeinschaft. Im Spielen erfahren die Teilnehmer*innen, dass sie aufeinander angewiesen sind und nur Erfolg haben, wenn Gefühle der Verbundenheit zwischen ihnen entstehen.
•    Funktionslosigkeit: Spiele haben keine außerhalb ihrer selbst liegende Funktion. Sie sind selbstreferenziell und verfolgen nur ihre eigenen Ziele. Erst in einer Meta-Analyse lässt sich eine über sie hinausweisende Funktion identifizieren.
•    Spielutensilien: Viele Spiele verwenden Spielmittel wie das Fußballspiel den Fußball, das Mensch-ärger-dich-nicht-Spiel einen entsprechenden Spieluntergrund, Spielsteine und Würfel.
•    Ungewissheit des Spielausgangs: Spieler*innen wissen im Vorhinein nicht, wie ein Spiel ausgehen wird. Sein Ausgang ist offen. Der Umgang mit Nicht-Wissen und Unsicherheit ist eine Bedingung des Spielens.


Spiele und ihre Familienähnlichkeit

Aufgrund der Multidimensionalität ihrer Materialität haben viele Spiele einen nicht einholbaren Bedeutungsüberschuss. Neben ihrer auf Einordnung und Anpassung zielenden Seite haben sie eine konstruktive Seite, die es Spieler*innen möglich macht, auch Probleme und Konflikte zu bearbeiten. Als kulturelle Aufführungen sind Spiele körperlich, performativ, expressiv, symbolisch, ostentativ, regelhaft. In ihnen werden kollektiv geteiltes Wissen und kollektiv geteilte Handlungspraxen inszeniert, in denen eine Selbstdarstellung und Selbstinterpretation der gemeinschaftlichen Ordnung bestätigt werden. Die szenischen Arrangements von Spielen enthalten Momente der Reproduktion, Konstruktion und Innovation. Sie finden in ge-stalteten sozialen Räumen statt und haben einen herausgehobenen Charakter. Sie sind ostentativ und werden durch ihre jeweilige Rahmung bestimmt. In Spielen werden Differenzen zwischen Menschen und Situa-tionen bearbeitet. Spiele sind in Machtbeziehungen eingebunden und strukturieren soziale Wirklichkeit; sie schaffen und verändern soziale Ordnungen und Hierarchien. Ihre Inszenierung und Aufführung erfordern ein praktisches Spiel-Wissen.

Die Vielfalt der Spiele ist so groß, dass der Versuch, sie zu strukturieren, begrenzt ist. Bedenkt man, dass sich spielerische bzw. ludische Elemente auch in Ritualen und anderen Formen sozialen Handelns finden, wird das Spektrum des Ludischen noch größer. In vielen Fällen handelt es sich nicht um ausgeformte Spiele, sondern um soziale Handlungen, in denen ludische Elemente enthalten sind.

Spiele und soziales Handeln mit ludischen Elementen kommen in unterschiedlichen Kontexten vor. Sie lassen sich am besten mit Ludwig Wittgensteins Konzept der Familienähnlichkeit begreifen. In den Philosophischen Untersuchungen fragt Wittgenstein, was das Gemeinsame von Spielen sei.7 Seine Antwort: „Es muss ihnen etwas gemeinsam sein, sonst hießen sie nicht ‚Spiele‘ – schau, ob ihnen allen etwas gemeinsam ist. – Denn, wenn du sie anschaust, wirst du zwar nicht etwas sehen, was allen gemeinsam wäre, aber du wirst Ähnlichkeiten, Verwandtschaften sehen, und zwar eine ganze Reihe.“8

Familienähnlichkeit bildet transitive Beziehungen: Man kann mit Hilfe eines Merkmals zu einem jeweils anderen Mitglied der Familie weitergehen, dann wiederum mit Hilfe eines wieder anderen Kennzeichens zu einem weiteren Verwandten.9

In Spielen erzeugen Menschen ihre eigene Welt, beziehen sich dabei aber auf andere Welten, die es in der Wirklichkeit oder in der Vorstellung bereits gibt. Spielen lernen Menschen dadurch, dass sie mit anderen Menschen zusammenspielen und in aufeinander bezogenen mimetischen Handlungen, d.h. in Prozessen kreativer Nachahmung, Spielkompetenz erwerben.


Spiele in der modernen Gesellschaft

In der heutigen gesellschaftlichen Situation, die von Diskussionen über den Zerfall des Sozialen, den Verlust von Werten und die Suche nach kultureller Identität geprägt ist, gewinnen Spiele und ludische Arrangements eine wachsende Bedeutung. Sie übernehmen eine Brückenfunktion zwischen Individuen, Gemeinschaften und Kulturen. Sie erzeugen soziale Kohärenz, die durch ihren ethischen und ästhetischen Gehalt in Zeiten der Unübersichtlichkeit Sicherheit gewährt. Spiele und ludische Arrangements stellen eine Kompensation der mit der Moderne verbundenen Verlusterfahrungen von Gemeinschaftlichkeit, Identität, Authentischem und Stabilität in Aussicht, die mit den Tendenzen zum Individualismus, den Abstraktions- und Virtualisierungs-Erscheinungen, den Erosionen sozialer und kultureller Systeme verbunden sind. Mithilfe von Spielen und ludischen Arrangements werden die Welt und die menschlichen Verhältnisse interpretiert; in ihnen werden sie erlebt und konstruiert. Spiele haben für die Gestaltung der Welt heute und für eine zeit-gemäße Bildung der Menschen eine wichtige Funktion.10

Anmerkungen:

  1.      Vgl. Schiller, Über die ästhetische Erziehung des Menschen
  2.      Huizinga, Homo ludens.
  3.      Vgl. Caillois, Die Spiele und die Menschen
  4.      Vgl. Wulf / Zirfas, Pädagogik des Performativen.
  5.      Vgl. Wulf, Bilder des Menschen.
  6.      Vgl. Resina / Wulf, Repetition, Recurrence, Returns
  7.      Vgl. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, § 66.
  8.      Ebd.
  9.      Vgl. Gebauer / Wulf, Spiel, Ritual, Geste.
  10.      Wulf, Bildung als Wissen vom Menschen.

Literatur:

  • Caillois, Roger: Die Spiele und die Menschen: Maske und Rausch (1958). Frankfurt am Main/Berlin/Wien 1982
  • Gebauer, Gunter/Wulf, Christoph: Spiel, Ritual, Geste. Mimetisches Handeln in der sozialen Welt. Reinbek 1998
  • Huizinga, Johan: Homo ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel. Reinbek 1987
  • Resina, Joan Ramon/Wulf, Christoph: Repetition, Recurrence, Returns: How Cultural Renewal Works. Lanham MD 2019
  • Schiller, Friedrich: Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen (ca. 1795). Stuttgart 2008
  • Wittgenstein, Ludwig: Philosophische Untersuchungen (1953), Frankfurt am Main 2001
  • Wulf, Christoph/Zirfas, Jörg: Pädagogik des Performativen. Theorien, Methoden, Perspektiven. Weinheim/Basel 2007
  • Wulf, Christoph: Bilder des Menschen. Imaginäre und performative Grundlagen der Kultur. Bielefeld 2014
  • Wulf, Christoph: Bildung als Wissen vom Menschen im Anthropozän. Weinheim/Basel 2020