Mitgespielt: Krippenspiel mit echten Tieren

Von Ingrid Illig

Alljährlich zum zweiten Advent zieht es viele Menschen, Groß und Klein, Jung und Alt, warm gekleidet und bepackt mit Kissen und Wolldecken hinauf in die Wittenburger Kirche bei Elze. Dort wird seit vielen Jahren Samstag und Sonntag ab 16 Uhr die biblische Geschichte von der Geburt Jesu lebendig. Nicht nur Maria und Josef, Herodes, die Hirten, die Weisen aus dem Morgenland, die Engel und die hartherzigen Wirtsleute tragen dazu bei, sondern vor allem die Tiere, die in dieser Inszenierung eine besondere Rolle spielen und zu einem großen Teil die Anziehungskraft ausmachen.

Im Jahr 1997 entstand für das 500. Jubiläum der Klosterkirche Wittenburg bei Elze ein eigenes Historienspiel, das mit sehr großem Erfolg aufgeführt wurde. Die Klosterkirche gliedert sich in zwei Teile auf, einer ist Kirchraum mit Altar und angegliederter Sakristei, der andere leerer Raum (Westkirche), der zeitweise bestuhlt wird und für Ausstellungen und Konzerte genutzt wird. Von der Westkirche gehen Treppen hoch zur Empore und zur Orgel, außerdem bildet eine massive Tür den Übergang zur Kirche. Das alles wird im Spiel genutzt, z.B. schreiten die Engel singend die Treppe herunter und der Herrscher Herodes kommt mit Fanfarenklang durch die riesige Tür. Die Orgel dringt vom Kirchraum in den „leeren“ Raum und bereichert das Geschehen in den Umbaupausen mit weihnachtlichen Klängen. Da die Westkirche einen einfachen Betonboden hat, kann sie mit Stroh unkompliziert tiergerecht verändert werden.

Durch das Historienspiel motiviert gründete sich die „Theatergruppe über‘n Berg“ (zunächst kamen die Schauspieler*innen aus den Dörfern rund um diesen Berg, auf dem die Klosterkirche steht), die es sich zur Aufgabe machte, ein weiteres Stück zu schreiben, das seitdem jedes Jahr wieder zur Aufführung kommt. Ein Krippenspiel sollte es sein, aber keins, was es schon irgendwo fertig gab. Es kam die Idee auf, dass Tiere, die in dieser ländlichen Region ja durchaus zum Alltag gehören, in diesem Stück mitspielen sollten. Also wurde das Stück von einer Gruppe selbst verfasst und im Laufe der Jahre immer mal wieder leicht verändert. Betitelt wurde es als das „Boitzumer Krippenspiel“, da es die ersten Jahre in einer großen Scheune in Boitzum zur Aufführung kam, damals noch mit Ochs und Kalb. Als das aus Brandschutzgründen nicht mehr genehmigt wurde, zog die Gruppe in die Wittenburger Kirche.

Die Textvorlage orientiert sich eng an den Überlieferungen durch Lukas und Matthäus und verbindet beide zu einer Geschichte. Inwieweit dieses Vorgehen ein sachgerechter Umgang mit den biblischen Texten ist, bleibt offen. Aber vielfältige Krippendarstellungen zeigen ja ebenso eine solche Zusammenschau.

Lukas als Erzähler spielt eine wichtige Rolle, denn er erzählt den Kindern von heute diese Geschichte und sammelt sie um sich und verbindet mit Kinderfragen die einzelnen Szenen. Dadurch wird die Bedeutung für die heutige Zeit besonders hervorgehoben und die Kinder werden explizit angesprochen. In der letzten Szene wird deutlich gemacht, dass auch heute noch Menschen auf der Flucht sind vor Gewalt, Terror und Diktatur und die biblische Überlieferung nichts an Aktualität eingebüßt hat. Die jüngsten der 45 Schauspieler*innen sind im Grundschulalter, als Statisten durchaus auch jünger, die ältesten über 70 Jahre alt. Das Krippenspiel verbindet nicht nur die Dörfer, sondern auch die Generationen und Familien miteinander. In diesen Monaten sind in der Theatergruppe drei Babys zur Welt gekommen und das wirft die Frage auf, ob Jesus, sonst als Puppe, dieses Jahr mal ganz lebendig wird.

Das Boitzumer Krippenspiel umfasst acht Szenen, in denen einige Tiere mitspielen. Die Schafe befinden sich während der ganzen Zeit in einem Gatter am Rande der Spielfläche und blöken, wann sie wollen. Der folgsame Hütehund begleitet die Hirten auf dem Felde und beim Gang zum Stall. Die Drei Weisen werden begleitet von drei Zwergponys, denn Kamele spielen nicht mit und sie würden auch den engen Spielraum sprengen. Ab und zu verirrt sich ungewollt eine Maus dorthin und ruft besondere Aufregung hervor. In einem Jahr haben sich Mäuse über Nacht an Brot und Käse von den Hirten gestärkt und für die zweite Aufführung musste improvisiert werden. Der „Star“ des Krippenspiels ist aber immer der Esel. Esel sind selten geworden und von daher fasziniert schon allein das Erscheinen dieses Tieres. Eigenwillig und etwas unberechenbar zeigt sich der Esel häufig, nicht immer so zu lenken, wie es für das Spiel erforderlich wäre. Oft helfen nur Möhren und Äpfel, um ihn wieder auf den rechten Weg zu bringen. Letztes Jahr erkrankte unser Esel Pico und konnte nicht spielen. Nach langem Suchen wurde ein Ersatz gefunden, aber dieser Esel war so eng mit einem anderen verbandelt, dass er nicht alleine seinen Stall verließ. Also kamen zwei Esel hoch auf den Berg und Maria und Josef waren zeitweise mit zwei Eseln unterwegs, manchmal aber auch ohne, wenn die beiden nicht zu bewegen waren, von draußen in die Westkirche zu gehen.
Was ist so faszinierend an den Tieren? Vielleicht lassen die Tiere das Geschehen lebendiger werden. Das Eintauchen in die Zeit vor 2000 Jahren fällt leichter. Dazu kommen die Gerüche und die Geräusche der Tiere, das Blöken der Schafe und das Iah vom Esel, manchmal an passenden Stellen, oft unverhofft, manchmal die Schauspieler übertönend.

Nach der Vorstellung dürfen die Tiere auch gestreichelt werden und das sind sicherlich Momente, die vielen lebenslang in Erinnerung bleiben werden.

„Ohne dieses Krippenspiel kann es für mich nicht Weihnachten werden“, sagt eine alte Dame, die sich Jahr für Jahr auf den Weg macht in die Wittenburger Kirche. Das gleiche Ritual jedes Jahr wieder gibt Sicherheit. Es stimmt ein in die vorweihnachtliche Zeit und die Begegnung vor und nach dem Spiel bei Kakao und Glühwein, bei Schmalzbroten und Waffeln trägt auch dazu bei. Trotz geringer Eintrittspreise wird immer ein Erlös erwirtschaftet, der wechselnd unterschiedlichen sozialen Einrichtungen zugute kommt. Das Krippenspiel findet immer am zweiten Adventswochenende samstags und sonntags um 16 Uhr statt, denn am Heiligen Abend wäre das logistisch und familiär nicht zu bewerkstelligen. Weitere Informationen und viele Bilder vom Krippenspiel unter www.theatergruppe-uebern-berg.de