Rouven und der Zorn Jesu – Die Geschichte der Tempelaustreibung mit bibliodramatischen Elementen erarbeiten

von Beate Peters und Lissy Weidner

 

Eine “Wut-tut-gut”-Geschichte in Kindertagesstätte, Grund- oder Förderschule

Markus 11,15-18: Räuberhöhlen-Tische umstürzen

Jesus ist wütend! Mit den Tischen stößt er eingespielte Gewohnheiten um und stellt längst etablierte Sitten auf den Kopf. Unerhört? In den Augen derjenigen, die sich mit dieser Art des Tempellebens identifizierten, sicherlich. Das Umtauschen der Geldmünzen mit dem Bild des Kaisers in die “koschere” Tempelwährung und der Verkauf von Opfertieren gehörten schließlich zum Tempelalltag. Doch das Treiben hatte sich verselbständigt, diente nicht mehr seinem Zweck:

Geldwechsler versuchten, den Kurs in die Höhe zu treiben – und diejenigen, die sich ein Opferlamm oder gar einen Stier leisten konnten, sahen auf die herab, bei denen es nur für ein Täubchen reichte. So wird der Tempel, der Einheimische und Fremde, Arm und Reich im Gebet miteinander verbinden soll, zum Ort, an dem Profitgier und die Sucht nach Sehen und Gesehen-Werden Menschen zertrennt. “Es steht geschrieben:”, ruft Jesus, “Mein Haus soll ein Bethaus sein. Ihr aber habt eine Räuberhöhle daraus gemacht!”

Wie nehmen wir das Verhalten Jesu wahr? Aus der Distanz von 2000 Jahren heraus scheint es leicht, Jesu Verhalten als richtig und notwendig zu bewerten. Ja, der Tempel ist ein Bethaus! Doch was, wenn die Frage uns nahe kommt: Welches Treiben füllt unsere Räume in Kindertagesstätte und Schule, was die Räume in meinem eigenen Leben? Was ist uns “heilig” und was muss heraus, um dem Heiligen Raum zu schaffen?

Die Geschichte fordert uns heraus, Kindern nicht nur einen “lieben, netten” Jesus vorzustellen, sondern einen Sohn Gottes, der unbequeme Fragen stellt und das Leben kritisch beleuchtet. Und sie zeigt, dass es manchmal nicht nur Freundlichkeit, sondern auch unseren gelebten Zorn braucht, um Räuberhöhlen-Tische umzustürzen.

 

Entscheidungen

  • An drei Momente kann in der Arbeit mit Kindern gut angeknüpft werden:
  • Passions- und Adventszeit: Von ihrem Ort im Markus-Evangelium her gehört die Geschichte in die Passionszeit; sie folgt auf den Einzug Jesu in Jerusalem. In dieser Zeit nehmen manche Kinder in ihrer Gemeinde oder Familie an Fastenaktionen teil: Sie verzichten auf etwas, um den Blick für das Wesentliche wieder zu gewinnen. Im oft überladenen und durchgeplanten Alltag der Kinder tut dies auch Not: Kindergärten führen spielzeugfreie Wochen ein, weil Kinder verlernt haben, sich “einfach so” zu beschäftigen; viele Kinder können sich nur noch am Samstag verabreden, da alle anderen Nachmittage “sinnvoll” verplant sind.
  • Auch in der anderen Zeit der Besinnung und Umkehr, der Adventszeit (beiden Zeiten ist im Kirchenjahr die liturgische Farbe lila zugeordnet, die dies symbolisiert), erleben Kinder, dass viel von Besinnlichkeit und Ruhe geredet wird – aber gleichzeitig Geschäftigkeit und Geschäftemacherei das Bild dieser Zeit prägen und Besinnung gerade verhindern wie zur Zeit Jesu das Treiben im Tempel.
  • Statussymbole: Kinder kennen schon als Vorschul- und erst Recht dann als Schulkinder die Bedeutung von Statussymbolen (welche Turnschuhe, welches Spielzeug, welche Ranzenmarke…?) und deren oft trennende Funktion – wie die der Größe eines Opfertieres.
  • Der Zorn Jesu als Überraschungsmoment: Ein lauter und wütender Jesus entspricht nicht dem gängigen Jesusbild von Kindern – so wie auch das von ihnen in der Regel erwartete Verhalten kaum Randalieren und Schreien sein dürfte. Dieses Moment der Überraschung kann genutzt werden, um über den Zusammenhang von Mitgefühl und Zorn und seine Bedeutung als Motor für das eigene Handeln nachzudenken.

 
Entsprechend kann die Beshäftigung mit der Geschichte Kinder dazu anregen,

  • ihr eigenes “Lebenshaus” zu “entrümpeln”: wahrzunehmen, was es füllt, Lebensförderndes von Lebenshinderndem zu unterscheiden lernen und Möglichkeiten des “Austreibens” zu bedenken;
  • über die Funktionen von Statussymbolen nachzudenken;
  • ihr Jesusbild um das des zornigen Jesus zu erweitern und Chancen des Zorns auszuloten. (In der Parallelstelle Matthäus 21,12-17 kommen Lahme, Blinde und Kinder in den leergefegten Tempel, um geheilt zu werden und Gott zu preisen!)

 

Arbeit mit bibliodramatischen Elementen

Die durch starke Bewegung, lautes Rufen und heftige Emotionen geprägte Geschichte provoziert geradezu, sie mit viel Handlung und Ausdruck umzusetzen. Elemente des Bibliodramas ermöglichen eine Umsetzung für alle Sinne.2 Der Wahrnehmung des Klangs und der Bewegung im Text kann schon vor dessen Hören Raum gegeben werden, und gerade im szenischen Spiel können Emotionen gut ausgedrückt werden.

Für die eigene Vorbereitung bietet es sich entsprechend an, zunächst selbst die Geschichte so in Sprache umzusetzen, dass die zornige Stimme Jesu zu hören ist.

Auch das körperliche Nachvollziehen der im Text beschriebenen Bewegungen und das bewusste Einnehmen vermuteter Körperhaltungen von Personen im Text kann helfen, zunächst selbst mit allen Sinnen in die Geschichte einzutauchen.

Am Ende der Vorbereitung könnte das Nachdenken über folgende Aspekte der Geschichte stehen:

  • Was mich an der Geschichte wundert …
  • Was ich eine/r Person in der Geschichte gern sagen / fragen würde …
  • Was ich aus meinem Arbeitsort / aus meinem Leben gern hinauswerfen würde …
  • Wofür ich gern mehr Raum hätte …

 

Konkret: Drei Einheiten zu Markus 11, 15-18

Der folgende Praxisentwurf wurde auf einer Freizeit mit zehn- bis zwölfjährigen Kindern erprobt, in abgewandelter Form dann noch einmal im Kindergarten Mariensee.

 

Erste Einheit

0.         Vorbereitung des Raumes
Stuhlkreis oder Kreis aus Sitzkissen, in der Mitte ist auf rotem und gelbem/goldenem Tuch schon mit einfachen Holzklötzchen oder Kett-Tüchern der Tempel angedeutet, darin eine rote oder goldene Kerze.


1.         Eingangsritual

Die Kerze wird entzündet. Es folgt das in der Gruppe/Klasse übliche Anfangsritual für religionspädagogische Einheiten oder den RU.

Direkt im Anschluss daran wird das Lied “Wenn du glücklich bist, dann klatsche in die Hand” in der ursprünglichen deutschen Fassung von Gerhard Schöne (M 1) mit den entsprechenden Bewegungen gesungen. Dabei werden schon Gefühle, die den Bibeltext prägen, in Bewegung umgesetzt, in der zweiten Strophe ausdrücklich das Gefühl der Wut.


2.         Mit dem Körper wahrnehmen

Fülle, Überfülle und Leere
Um die Kinder schon vor dem Hören des Textes Raum und Platz, Fülle, Überfülle und Leere erleben zu lassen, werden die Kinder wie folgt eingeladen, sich im Raum zu bewegen (langsam und mit kleinen Pausen gesprochen):

Geht im Raum umher. Spürt, wie viel Platz ihr habt. Ist es so viel, wie ihr wollt – oder zu viel – oder zu wenig? Bleibt einmal stehen. Schaut euch um: Wie viel Platz hat jede und jeder von euch?

Und jetzt stellt euch vor, unser Raum ist ganz vollgestellt mit allem möglichen Krempel – wie bewegt ihr euch jetzt? Geht einmal wie durch einen richtig vollgestopften Raum!

Und jetzt stellt euch vor, der Raum ist ein ganz großer Saal. Wie ein Tanzsaal, ganz leer. Wie bewegt ihr euch jetzt?

Und jetzt könnt ihr alle wieder in den Kreis kommen.

(Bei Bedarf kurze Rückmeldung: Wie war das? Was habt ihr erlebt?)


Die Kraft der eigenen Stimme

Auch an die Geräuschkulisse des Tempeltreibens können die Kinder sich mit einer kleinen Übung annähern, die zugleich der Erprobung der eigenen Stimmkraft dient:

In einem großen Kreis stehend bildet jedes Kind ein Paar mit dem Kind, das am weitesten von ihm entfernt im Kreis genau gegenüber steht. Die Paare werden aufgefordert, sich jeweils abwechselnd ein “Ho!” zuzurufen. Dabei wird die Art des Rufens zunächst vorgegeben: das “Ho!” wird gerufen, geschrien, wütend gebrüllt, sehnsüchtig oder liebevoll lockend gerufen, traurig gejault oder auch einmal geflüstert.

Dann erhalten die Kinder den Auftrag, eine Minute lang im eigenen Rhythmus dem Partnerkind ihr “Ho!” so zuzurufen, wie sie mögen – Hauptsache, das andere Kind hört und kann antworten. Eine Klangschale o. ä. gibt das Signal zum Schweigen; die folgende Stille wird bewusst eine kurze Zeit wahrgenommen.

Dann kommen die Kinder zurück in den Sitzkreis.

 

3.         Überleitung zum Text: Jeder hat seinen Platz im Tempelleben
Jedes Kind darf sich aus einer Menge von Holzkegeln, Püppchen o. ä. eines aussuchen und zunächst unter seinen Stuhl stellen. Mit folgenden Worten wird nun mit einfachen Holzklötzchen, Tüchern und Holzkegeln/Bibelpüppchen o. ä. nach und nach die Kulisse zum Text aufgebaut:

So laut, wie es eben bei uns war, ist es auch zur Zeit Jesu im Tempel in Jerusalem.
(Braunes Tuch für den Tempelbereich, Mauer aus Klötzchen.)
Von überall her kommen die Menschen nach Jerusalem, um für Gott ein Opfer zu bringen: Sie kaufen ein Tier bei den Händlern im Tempelvorhof

  • zwei Klötze als Tische, zwei Händler)
  • für Gott. Wenn sie reich sind, ein Lamm oder sogar einen Stier; wenn sie arm sind, ein Huhn oder ein Täubchen. Ihre Geldmünzen müssen sie vorher bei Geldwechslern in die Tempelwährung eintauschen
  • (zwei Klötze als Tische, zwei Wechsler).
  • Dann gehen die Männer in den Tempel zum Beten (rotes Tuch grenzt das Tempelinnere ab, 2 Schriftgelehrte/Priester). Schriftgelehrte und Priester lesen aus der Heiligen Schrift und achten darauf, dass alles seine Ordnung im Tempel hat. Und dann gibt es da noch das Allerheiligste
  • (goldenes Tuch, Hoherpriester),
  • Da darf nur der höchste Priester hinein.
  • Am Tor zum Tempel sitzen oft Bettler
  • (zwei bis drei Bettler).
  • Sie hoffen, dass die Leute, wenn sie vom Beten kommen, ihnen auch ein paar Münzen geben. Aber weil sie meistens sehr schmutzig und oft auch noch krank sind, dürfen sie nicht selbst in den Tempel:

An dieser Stelle werden die Kinder eingeladen, ihre eigene Figur in das Tempelgeschehen hinein zu stellen und somit ihren Ort zu Beginn der biblischen Geschichte zu finden.

 

4.         Textbegegnung als Stellgeschichte
Nun wird die Geschichte aus der Sicht des jüdischen Jungen Rouven erzählt (M 2). Die vorher unter einem Tuch bereit gelegten weiteren Figuren werden entsprechend des Erzählvorschlags in das Bodenbild eingestellt und bewegt. Am Ende der Geschichte werden die Kinder aufgefordert, ihren Platz in der Geschichte neu zu überdenken. (In der Erprobung stellten fast alle Kinder ihre Figur am Ende um; die meisten wollten ganz nah bei Jesus, einige aber auch direkt vorm Allerheiligsten sein.)

Zum Abschluss der ersten Einheit werden die ersten beiden Strophen des Liedes “Randale im Tempel” (M 3) gesungen.

 

Zweite Einheit

0.         Vorbereitung des Raumes und

1.         Eingangsritual wie am ersten Tag

Dann wird an der Schnittstelle der Textbegegnung wieder eingesetzt.


2.         Modifizierte Textbegegnung als Klanggeschichte

Jeder Person bzw. Personengruppe in der Geschichte (M2) wird ein Orff-Instrument zugeordnet und mit dessen Klang experimentiert. Dann wählt jedes Kind ein Instrument und damit die Person aus, der es im Laufe der Geschichte einen Klang verleihen wird: leise oder laut, schnell oder langsam etc. Während nun die Geschichte ein zweites Mal erzählt wird, werden Lärm und Stille, Wut, Erschrecken, Staunen und Freude im Tempel durch die parallel erklingenden Instrumente hörbar. Gleichzeitig hilft diese Art der Textbegegnung, sich mit einer Person der Geschichte zu identifizieren und bereitet so das Erleben der Geschichte im Rollenspiel vor.


3.         Die Geschichte erleben

Damit Kinder aus der Perspektive einzelner Figuren heraus noch einmal in die Geschichte “eintauchen” können, werden verschiedene Vorübungen zu einem szenischen Spiel gemacht:

  • Auftrag: “Suche dir eine Person in der Geschichte aus und nimm ihre Körperhaltung ein.” Der/die Leitende befragt daraufhin einzelne Kinder, welche Rolle sie übernommen haben und was ihnen in dieser durch den Kopf geht.
  • Die Kinder werden angeregt, die Körperhaltung Jesu einzunehmen.
  • Anschließend werden sie ermutigt, die Worte Jesu in passender Sprachmelodie und Lautstärke zu wiederholen. (Evtl. verkürzt: “Dieses Haus ist ein Bethaus und keine Räuberhöhle!”) Nach ersten Versuchen werden sie ggf. ermuntert, dabei Jesu Gefühlslage nachzuempfinden und mit entsprechenden Emotionen die Worte zu sprechen, schreien, …
  • Im weiteren Verlauf kann die Szene frei nachgespielt werden. Entweder wird in mehreren Gruppen gespielt oder eine Gruppe spielt und übrige Kinder sehen als Zuschauende die Szene an. Die Zuschauenden erhalten den Auftrag, jeweils ein spielendes Kind in Bezug auf seine Rolle genau zu beobachten. Zunächst wird gemeinsam überlegt, welche Figuren gespielt werden sollen und wer entsprechende Rollen übernimmt. Dabei müssen nicht alle in der Erzählung erwähnten Figuren auftauchen. Der/die Leitende kann das Spiel evtl. dadurch unterstützen, dass er/sie zu Beginn kurz in die Szene einführt und nach Bedarf kurze beschreibende oder kommentierende Sätze einfügt, die das Augenmerk auf bestimmte Figuren lenken; z. B.:
    • Im Jerusalemer Tempel sind viele Menschen ver­sammelt. Auch Rouven und seine Familie sind dorthin gekommen. Rouven spricht mit seinen Eltern über seine Eindrücke …
    • Rouven sieht, dass ein junger Mann in den Tempel kommt. Er beobachtet, was der Mann macht …
    • Auch andere Leute haben beobachtet, was der Mann getan hat. Sie unterhalten sich …

In der Erprobung steht ein fünfjähriges Mädchen, das die Rolle des Jesus gewählt hat, lange unschlüssig vor den Händlern – deutlich hin- und hergerissen zwischen dem Bedürfnis, einem Bettlerkind Raum zu verschaffen und der Sorge, als zorniger Jesus “falsch” zu sein. Erst als ein zuschauender Junge ihr zuruft: “Schmeiß die Tische um!”, beginnt sie, die die Tische symbolisierenden Teppichfliesen wegzutreten – mit jedem Tritt sicherer werdend. Am Ende ist sie selbst erstaunt, wie schnell sie damit dem Bettlerkind, das keinen Platz fand, Zutritt zum Tempel verschafft hat.

  • Im Anschluss werden die Zuschauenden gefragt, was sie gesehen haben.
  • Alle Kinder erhalten am Ende die Möglichkeit, sich frei zu ihren Eindrücken und dem Erlebten zu äußern. (“Was habt ihr erlebt?”) Mögliche Fragen der Kinder können aufgegriffen und von allen gemeinsam bedacht werden. Dabei können mit älteren Kindern intensiver mögliche Beweggründe für Jesu Verhalten und Reaktionen der Umstehenden bedacht werden. (“Habt ihr Ideen für Gründe dafür, dass Jesus so handelt?” “Welche Gründe gibt es für die Reaktion der Hohenpriester und Schriftgelehrten?”)

Auch die zweite Einheit wird mit dem Lied “Randale im Tempel”, V. 1+2, abgeschlossen.

 

Dritte Einheit

0.         Vorbereitung des Raumes und

1.         Eingangsritual wie am ersten Tag

2.         Die Geschichte vertiefen
Vorüberlegungen
Die Weiterarbeit an dieser Stelle vertieft den Focus, den die Kinder am Vortag im Spiel und dem sich daran anschließenden Gespräch gesetzt haben. Welches Angebot zur Vertiefung sich anbietet, sollte daher in sensibler Wahrnehmung dessen entschieden werden, was die Gruppe besonders bewegt. Wie unterschiedlich diese Ansatzpunkte ausfallen können, zeigt der Rückblick auf die Erfahrungen mit den Jugendlichen einerseits und den Kindern der Kindertagesstätte andererseits:


Rückblick: Focus “Überfülle”

Die Gruppe der Zehn- bis Zwölfjährigen setzte den Akzent auf den Aspekt der Überfülle im Tempel, die ihrem Erleben nach der Überfülle in ihrem eigenen Alltag entsprach und ihnen oft das Gefühl gab, zu wenig Raum für sich selbst zu haben. Hier wurde den Jugendlichen angeboten, die von ihnen empfundene Überfülle mit “Bausteinen” ihres Alltags (entsprechend beschrifteten Schuhkartons) im Raum aufzubauen und zu benennen, welche der Bausteine ihnen wichtig sind und welche sie hinausstoßen möchten, weil sie empfinden, dass diese ihnen Raum für Wichtiges rauben. Fast alle stießen ein oder zwei Bausteine hinaus; einige ersetzten sie durch einen neu beschrifteten, mehrere durch einen bewusst frei gehaltenen Baustein.

Ein zwölfjähriges Mädchen aus einer stets gemeinsam auftretenden Fünfergruppe zum Beispiel schrieb “Verabredungen” auf einen Baustein und stieß diesen später mit Kraft hinaus. Auf die Frage hin, ob es sich nicht gern verabrede, sagte es: “Ich meine nicht alle Verabredungen. Aber manchmal, da ist das so, dass ich eigentlich mal allein sein will, und dann ruft K. an und L. auch noch und … Na ja, dann komm’ ich eben auch, weil … ich will ja auch nicht, dass die was erleben, wo ich nicht bei bin. Und dann streiten wir uns meistens, weil mir das eigentlich viel zu viel ist.” Dieses Mäd­chen wollte gern einen ganz freien Stein in ih­rem “Lebenshaus” ha­ben.


Rückblick: Focus “Platz für alle”

Im Kindergarten Mariensee spielte der Aspekt der Überfülle keinerlei Rolle. Hier lag der Schwerpunkt auf dem Bemühen Jesu, Platz für alle im Tempel zu schaffen und jedes dargebrachte Opfer gleich Wert zu schätzen. Der Wunsch aller Kinder, auch etwas Schönes auf dem golden gestalteten “Altar” im Tempel “op­fern” zu dürfen, drückte den Wunsch aus, dazugehören und etwas Eigenes in diesen schönen Raum einbringen zu dürfen.

Entsprechend wurden die Kinder am Ende der zweiten Einheit eingeladen, am nächsten Tag etwas mitzubringen, das sie in einem Spiel im Tempel “opfern” wollen. Es sollte etwas sein, “das man nicht kaufen kann” – und die Kinder brachten z. B. besonders ge­formte Stöckchen, schöne Steine oder auch einen ganz großen Stein mit. In einer Ecke des Raumes war ein “Tempel” gestaltet, der sowohl einen “Altar” zum “Opfern” als auch gerade Platz für alle anwesenden Kinder bot.

Nach dem Eingangsritual zogen die Kinder in einer langen Schlange mit ihren Opfergaben durch den Raum bis zum Tempeltor. Dort blieben sie stehen. Ein Kind nach dem anderen durfte nun ohne zu sprechen in den Tempel treten, sein Opfer auf den Altar legen und sich dann einen Platz im Tempel suchen.

Nachdem alle Kinder ihren Platz gefunden hatten, wurde ein Kind nach dem anderen angetippt und gefragt, ob es sich dort wohl fühle. Wer sich an seinem Platz nicht (mehr) wohlfühlte, weil z. B. ein anderes Kind es bedrängte oder die Sicht auf den Altar verstellte, durfte sich einen neuen Platz suchen. Dabei durfte es allerdings kein anderes Kind von seinem Platz vertreiben.

Mit Andacht und großem Stolz legten die Kinder ihre mitgebrachten Schätze auf den Altar und nahmen im Tempelraum Platz. Etwa die Hälfte der Kinder wechselte noch einmal. Das Kind, das am Vortag erst eine Rolle übernommen und dann doch nicht zu spielen gewagt hatte, legte mit Nachdruck wert auf den Platz, der dem Altar am nächsten war. Seine Hand legte es zwischen die Opfergaben. “Ganz nah” wollte es sein.


Raum für’s Heilige, für jede und jeden, für Gott

Platz schaffen für das, was mir wirklich wichtig, was mir “heilig” in meinem Leben ist – Platz schaffen für jede und jeden von uns: So setzten die Kinder und Jugendlichen in den beiden Erprobungen ihren Akzent. Und beide Male war sowohl im Spiel als auch in den Gesprächen deutlich, dass Jesus mit seinem gelebten Zorn diesen Raum schafft. So wäre auch eine Vertiefungs-Übung denkbar, die den Aspekt des konstruktiven Umgangs mit Zorn vertieft.

Ebenso wäre denkbar, dass im Rahmen des Themas De­kalog der Gedanke des Feiertags vertieft würde: Was füllt ihn – und wofür schenkt dieser Tag Raum? Oder aber: Wie könnte ein Sonntag aussehen, der für Gott so duftet wie ein leckerer Lammbraten – und an dem Platz für Kinder ist?


3.         Schlussritual
Je nach Unterrichtssituation und Vorerfahrungen der Kinder kann am Ende zu einem Schlussritual eingeladen werden. Bei der vorgeschlagenen gemeinsam gesprochenen Segens-Bitte ist zu bedenken, dass hier religiöse Praxis vollzogen wird. Die Kinder werden in eine Segensbitte hineingenommen, die ein Einverständnis voraussetzt. Deshalb schlagen wir vor, dieses Angebot nur zu machen, wenn vorher im Unterricht Segen und Gebet bereits thematisiert wurden und als Möglichkeit deutlich gemacht wird, sich beim gemeinsam Gesprochenen an Gott zu wenden. Zum Verständnis der Kinder kann beitragen, ggf. nach mehrfachen Wiederholungen in Folgestunden mögliche Fragen und Gedanken zur Bedeutung und Wirkung des Gesprochenen aufzugreifen.

Die Kinder sprechen im Kreis stehend den Segen (M 4) mit Gebärden. Dabei wird der Segen von der/dem Leitenden in drei Abschnitten vorgesprochen und jeweils von allen Kindern wiederholt.

 


M 1:  Lied über das Ausdrücken von Gefühlen (Gerhard Schöne)

Wenn du glücklich bist, dann klatsche in die Hand (klatsch, klatsch),
wenn du glücklich bist, dann klatsche in die Hand (klatsch, klatsch),
zeig mir, wenn du bei mir bist, wie dir grad zu Mute ist,
wenn du glücklich bist, dann klatsche in die Hand.

Wenn du wütend bist, dann stampfe mit dem Fuß (stampf, stampf) …

Wenn du traurig bist, dann seufze doch einmal (seufz, seufz) …

Und wenn du mich gern hast, gib mir einen Kuss (schmatz, schmatz) …

Wenn du bei mir bist, dann zeig mir, wie’s dir geht (klatsch, stampf, seufz, schmatz)… 

 

M 2:  Die Geschichte aus der Sicht des jüdischen Jungen Rouven

Wasser!” – Völlig erschöpft und ver­schwitzt kamen sie in der großen Stadt an. Rouvens Eltern füllten gleich am ersten Brunnen die Wasserschläuche und den Krug auf. Drei Tage waren sie gelaufen. Kamele hatten sie nicht, und sie besaßen auch nur einen Esel. Der trug das Gepäck und nur die Mutter durfte ab und zu aufsitzen, wenn ihr Bein wieder weh tat.

Aber das war jetzt alles egal! Die Dächer Jerusalems glitzerten golden in der Sonne, die bunten Stände der Händler waren schön anzusehen, es roch nach Gewürzen und reifen Früchten … Und schon standen sie vor dem Tempel. – Das Haus Gottes!

Jedes Jahr wieder war Rouven überwältigt. So viel Gold! Und der Duft von den Opfertieren!

Gerade von Lämmern roch es so wohlgefällig, dass er sich richtig vorstellen konnte, wie Gott sich über diesen Duft freute. Alle Gläubigen aus seinem Dorf opferten einmal im Jahr.

Wie immer waren sie mit anderen Familien gemeinsam aufgebrochen. Das war sicherer unterwegs. Und auch hier, im Gewimmel des Tempelvorhofs, wo die Opfertiere gekauft und von fremd aussehenden Menschen Geld gewechselt wurde.

Die Eltern von Rebecca kauften immer einen Stier für das Opfer – Neid! Aber die hatten auch zwei Kamele. Seine Eltern waren froh, dass sie überhaupt einen Esel hatten und das Geld für ein Huhn zum Opfern reichte. Wie gern hätte er wenigstens einmal ein Lamm für Gott gekauft!

“Huhn riecht gar nicht nach Opfer”, hatte Rebecca einmal gesagt, und Rouven schämte sich deshalb. Aber die Mutter sagte: “Wichtig ist, dass es von Herzen kommt wie auch unser Gebet.”

Schon hatte der Vater das Huhn bezahlt. Doch bevor der Händler es ihm überhaupt aus dem Käfig holen konnte, geschah plötzlich etwas Ungeheuerliches: Ein junger Mann, gefolgt von einer Menge anderer Leute, arm und abgerissen, stürmte durch den Tempelvorhof und stieß die Tische der Händler und Geldwechsler um. Tauben flatterten aus umgekippten Käfigen, Lämmer blökten, Händler schrieen und Geldwechsler fluchten mitten im Hause Gottes! Es war ein riesiger Tumult, Rouven sah zu, dass er Vater und Mutter nicht verlor. Und mitten in diesen Tumult hinein schrie der Mann, der die Tische umstieß: “Hat Gott nicht gesagt: Mein Haus soll ein Bethaus sein? Ihr habt eine Räuberhöhle daraus gemacht!”

Einen kleinen Moment lang war es fast still. Aber dann sortierten sich die Leute; Rouven konnte es gut erkennen: Die Freundinnen und Freunde des Mannes versuchten ihn vor den Schlägen der wütenden Händler zu schützen. Die Hohenpriester und Schriftgelehrten – Rouven erkannte sie an ihren Gewändern – stellten sich zusammen und diskutierten, wie man den Mann zur Strecke bringen könnte. “Der muss weg, der ist gefährlich!”, hörte er einen von ihnen zischen.

Anderen, auch Rouven selbst, stand der Mund offen vor Staunen. “Das ist Jesus”, sagte sein Vater ganz ehrfürchtig, “Daniel hat mir von ihm erzählt. Er sagt, dieser Jesus erzählt so von Gott, dass man meint, Gott selbst wäre in ihm.” “Ein komischer Gott, der fremde Tische umstößt und durch den ganzen Tempelvorhof brüllt”, meinte die Mutter. “Was für ein Vorbild für die Kinder!” Schnell wollte sie ihren Sohn samt Rebecca zur Seite ziehen. Doch der Vater hielt sie zurück: “Bleib, bitte bleib, Lea”, bat er. “Dieser Jesus rüttelt uns wach, zeigt uns genau, wie es ist. Du selbst hast es vorhin zu mir gesagt: ‚Ob Gott unser Gebet zum Opfer überhaupt noch hören kann bei all’ diesem Lärm hier?’ Es geht nur noch ums Ansehen, wer das beste Opfertier kauft – und ums Geld. Jesus hat Recht: eine Räuberhöhle ist unser Tempel geworden, in der Gott seine Ehre geraubt wird und den Armen das Geld.”

Rebeccas Vater nickte zustimmend: “Ja, auch wir haben doch um die Wette geopfert – und es nicht mehr gemerkt. Kommt, lasst uns beten – und danach möchte ich noch mehr von diesem Jesus hören.”

Als sie in den Tempel hinein gingen, wimmelte ein Türsteher gerade zwei blinde Bettler ab. “Jesus hat wirklich Recht”, sagte Rouven und verstand plötzlich, was der Vater gemeint hatte. Wütend stampfte er mit dem Fuß auf. “Rouven, im Hause Gottes!”, sagte die Mutter vorwurfsvoll. Aber Rouven war sicher, dass Gott ihn verstanden hatte.

 

M 3: 

Lied Randale im Tempel

 

 M 4 Segen

 

Gott helfe uns,
alles zu vertreiben,
das uns den Platz zum Leben nimmt. 

(mit den Händen “Wegscheuch bewegungen vom eigenen Körper in die Kreismitte hin)

 

Er schenke uns freien Raum
für uns selbst
und für andere Menschen.

(Arme weit nach rechts und nach links ausstrecken)

 

Und er komme selbst
in unser Herz
wie in seinen Tempel.

(Hände übereinander gelegt auf die Brustmitte)

 

Amen.

 


Materialliste

Für die Raumgestaltung:

  • Sitzkissen oder Teppichfliesen für jedes Kind (oder Stuhlkreis)
  • ein rotes und ein gelb-goldenes Tuch für die Mitte
  • eine rote oder goldene Kerze und Streichhölzer
  • evtl. Holzklötzchen für einen angedeuteten Tempel

 

Für die Erzähllandschaft:

  • je ein braunes, ein rotes und ein gelb-goldenes Tuch
  • Bauklötze für Tempelmauer, Tische und Opferaltar
  • Holzkegel oder Biegepuppen für Händler, Geldwechsler,  Schriftgelehrte, Priester und Bettler

 

Für die Stellgeschichte:

  • Holzkegel oder Biegepuppen für Rouven und seine Eltern, Rebecca und ihre Eltern,
  • Jesus und ein bis zwei Freunde Jesu
  • Holzkegel für die Kinder
  • Sind zu wenige Kegel oder Puppen vorhanden, können als Figuren für die teilnehmenden Kinder auch vorher von ihnen als Mensch bemalte Sektkorken verwendet werden.

 

Für die Klanggeschichte:

  • Orff-Instrumente

 

Für das Rollenspiel:

  • ausreichend unterschiedlich gefärbte Tücher (Bettlaken, ausgediente OP-Tücher o.ä.)
  • evtl. Seil zum Markieren des Tempelbereichs

 

Für die Vertiefung:

Je nach Art der Vertiefung, die gewählt wird

  • viele Schuhkartons (ca. eine Woche vorher im Schuhgeschäft bestellen, dann landen sie dort  nicht im Altpapier!)
  • Filz- oder Wachsmalstifte zur Gestaltung von Bausteinen
  • Zettel, Stifte und Klebestift für die “Umwidmung” einzelner Steine

oder

  • begehbarer gestalteter “Tempel” mit “Altar” zur Ablage der Opfergabe

oder …

 

Anmerkungen

  1. Die Anregungen zur Geschichte der Tempelreinigung sind in ähnlicher Weise bereits in der Reihe “12 kreative Gottesdienste mit Mädchen und Jungen” zum EKD-Plan für den Kindergottesdienst 2010 im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht veröffentlicht.
  2. Eine ausführlichere Einführung in solches Arbeiten mit Kindern findet sich im Loccumer Pelikan 4/10, S.168-173

Text erschienen im Loccumer Pelikan 4/2011

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