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Familie und Namen. Impulse zur kulturellen und religionspädagogischen Aufmerksamkeit

von Silke Leonhard


In unserem Kulturkreis kann man sagen: Keine Person ohne Namen, und keine Familie ohne Familiennamen – durchaus im Plural gemeint. Wer an Ahnenforschung interessiert ist, braucht den Weg über die Familiennamen, um diachrone und synchrone Familienzusammenhänge aufzeigen zu können.

Das hier folgende kleine Kaleidoskop der Impulse zu der Namensthematik will dazu anregen, sich kulturgeschichtlich, sprachphänomenologisch und religionspädagogisch auf die Suche nach Zusammenhängen von persönlicher Identität, Familienzugehörigkeit und sozialer Eingebundenheit zu begeben. Die Verzahnung von individuellen mit kollektiven Spuren kultureller und religiöser Identität zur Beheimatung lässt sich so mit einem Brennglas partiell verfolgen. Eine intensivere Beschäftigung mit Namenszügen erfordert gleichwohl genauere Recherchen.1  Und die zunehmenden demografischen Veränderungen im Zuge von Migrationsgeschichten zeigen dabei auch Grenzen auf, weil z. B. geflüchtete Menschen ihre Nachnamen aus Besorgnis nicht angeben möchten und weil nicht alle eigene und andere Namen überhaupt transparent machen können.

Für den Religionsunterricht und im Fächer verbindenen bzw. fächerübergreifenden Lernen, für die Konfirmand*innenarbeit, Jugend- bzw. Erwachsenenbildung oder anderswo können die vorliegenden anfänglichen Anregungen im genetischen Sinne (Herkunftserkundung) exemplarisch (beispielhaft für unterschiedliche Formen von Namen – in Bezug auf eigene und andere Zugehörigkeit und auch Distanzierungen) und im sokratischen Gespräch entsprechend eingepasst bzw. als Arbeitsaufträge weiterentwickelt werden. 

Im Religionsunterricht könnte das Befassen mit der Namensthematik zu Biografiearbeit und Lebensdeutungen innerhalb von Sequenzen oder als Exkurse erfolgen, die im neuen Kerncurriculum Christliche Religion des Sek I-Bereiches im Kompetenzbereich Identität eine Schnittstelle zum Kompetenzbereich Gemeinschaft darstellen – und hier sowohl kognitive Aktivierungen als auch Gestalt(ungs)arbeit betrifft.2 

In der Konfi- und Jugendarbeit kann das Einbeziehen der Namensthematik die Identitätsstärkung und Orientierungsfähigkeit Jugendlicher als von Gott geliebte und angenommene Menschen befördern, die in Kreise der Familie, Gruppe, Gemeinschaft und Kirche / Kirchengemeinde gestellt sind.

In der Erwachsenenbildung können Bildungselemente der Genealogie, Namenserkundung und -kontextualisierung zur Persönlichkeitsbildung und Familienbildung, zur besseren Teilhabe durch Anerkennung von Herkunft und Vielfalt beitragen und das kulturelle Gedächtnis trainieren. Mögen diese ersten Anstöße weitere befördern.


Vor- und Familien-Namen

Nachnamen oder Familiennamen sind – anders als Vornamen – interessant, weil sie besondere soziale Zugehörigkeiten zu Familie, Orten oder Institutionen kennzeichnen. Es kann für Familien daher nicht unerheblich sein, inwiefern die Familienmitglieder aufgrund der Zugehörigkeitsgeschichte gleich heißen, teilweise Doppelnamen haben oder ganz unterschiedliche Nachnamen tragen. Einen Familiennamen zu haben, zu ändern oder, z. B. auch durch Eheschließung oder Adoption, zu verändern, lässt nicht unberührt. 

Wissenschaftlich ist die Onomastik mit der Genese und Form von Eigennamen befasst. 

Zu den Vornamen sind v.a. im Zuge des Kulturjahres 2018 einige Materialien und Anregungen entstanden.3  Die Erkundung der Nachnamen kennt einige wesentliche große Entstehungszusammenhänge: Räumlich geprägte Nachnamen, die sich aus Ortsherkünften (wie Dortmund, Herbolzheimer, Darmstadt o.ä.) oder aus Wohnstätten ergeben (tom Dieck – am Deich – oder auch Meyer zum Büschenfelde). Viele Familiennamen, vor allem männliche, sind Rufnamen (Friedrich, Leonhard, Peter, …). Außerdem wurden etliche Nachnamen aus Berufsbezeichnungen gebildet (Schlosser, Schreiner, Meyer, Bauer, Becker). Und schließlich entstehen Familiennamen aus Übernamen, die Attribute zu Körpergröße oder -form, körperlichen, charakterlichen oder verhaltensmäßigen Zuschreibungen oder gar Auffälligkeiten enthalten, auch in Bezug auf Nahrung, Kleidung und Lebensgeschichte (z. B. Jung, Kluge, Obermeyer o.ä.).4 

Die Probe aufs Exempel bei meinem eigenen Nachnamen: Leonhard ist klar ein Vorname – zugleich stecken in ihm Wortteile an Zuschreibungen wie leo – „hart, kühn“ etc.; auch harti meint „stark“. Man kann sich vorstellen, dass jemand meiner Vorfahren diese Attributierung zur Stärkung bekommen (oder sich genommen) hat, die sich dann vom Vornamen zum Nachnamen weiterbewegt hat. Dies ist im Laufe der Zeit in unterschiedlichen Schreibvarianten erfolgt (viele Leonhardt haben ein t am Ende bekommen). Damit ist keinesfalls bezeugt, dass diese Eigenschaften von einem selbst oder anderen genau so wahrgenommen werden; aber die Verbindungen lösen aus, sie als stimmig zu bedenken, ihre Tragweite zu erwägen, zuzustimmen, sie zu negieren – oder allererst nach ihnen zu suchen. 

  • Impulse

1. Identitätsstiftende Erfahrungen durch Erkundungen zum eigenen 
 Vornamen: 
     • Wer hat den Vornamen ausgesucht? Was wurde mit der Auswahl
        verbunden? Gibt es Personen, nach denen die Namensauswahl erfolgt
        ist – in der Familie oder anderswo?
     • Etymologische Nachforschungen zur wortgeschichtlichen
        Zusammensetzung der Vor- und Nachnamen.
2. Recherchen zu typischen Vornamen und Vermutungen zu Namensentwicklungen: Welche waren zu unterschiedlichen Zeitpunkten modern, welche sind heute up to date? Was befördert Tendenzen zur Namensmode?
3. Songs aus der klassischen und Pop-Musikkultur verwenden als Titel oft Vornamen der Gestalt, die sie thematisieren. Exemplarische Beziehungen herstellen zwischen dem Namen der besungenen Gestalt, ihrer Story und dem Label, was dadurch entsteht.5  Einen Songtext zur Biografie einer besonderen Person schreiben (zu bekannten einfachen Melodien).
4. Lesen, Singen, Deuten des religiösen Kinderliedes: „Ich schreibe meinen Namen dir mitten in die Hand“6 .
5. Erkundungen der Herkünfte von Familiennamen in kommunalen Archiven, in Kirchenbüchern oder anderen Orten (analog und digital):
    •    Wer trägt einen ähnlichen Nachnamen – gibt es Beziehungen
          untereinander – zufällige, erklärbare?
    •    Sprachgeschichtliche und regionale Abstammungen von
          Familiennamen: Woher könnte(n) diese(r) Namen der Ahnen
          stammen? 
    •    Skizzieren von Namensstammbäumen (analog oder digital).


Einzigartigkeit und Vielfalt: Namen und Identität

Der eigene Name ist ein Identitätsmerkmal. Geschlechtliche Identität ist in der Schule nicht selbstverständlich anerkannt 7; aber möglicherweise können Kinder und Jugendliche in der Schule oder Gemeinde einen Ort finden, an dem sie mit ihrem Namen, der ihrer geschlechtlichen oder kulturellen Identität entspricht, angesprochen werden – auch wenn ihre Eltern sich dem verweigern.

  • Impulse

6. Der eigenen Person einen oder mehrere stimmige, passende Namen aussuchen.
7. Die Bedeutung von Namenswechseln verfolgen, erklären, interpretieren.
8. Biblisch spricht Gott: „Fürchte dich nicht. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein.“ (Jesaja 43,1).– Was bedeutet es, von anderen und in diesem Fall von Gott angerufen, berufen, (an)erkannt zu sein?
9. Bedeutung von Namensnennung in der Taufe: Ansprechen mit Eigennamen, Taufe auf den Namen des dreieinigen Gottes.
10. Lesen, Singen, Deuten des religiösen Kinderliedes: „Ich trage einen Namen“8 .


Familie – ein Nomen und seine Zuschreibungen

Mit dem eigenen Vornamen ist Zugehörigkeit, aber auch Individualität markiert. Beim Familiennamen hat die Verwandtschaft und Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft das Schwergewicht. Dass dabei ein Weg vom Vornamen des Ich und Du zum Wir einer Familie führt, liegt nahe. Zugleich wird jeder Mensch aber auch aus einer bzw. in eine Familie hineingeboren – unabhängig davon, ob zu dieser überhaupt Kontakt besteht, davon gewusst oder diese als zugehörig anerkannt wird.

Etymologisch bedeutet das Nomen Familie „Gemeinschaft von Eltern und Kindern, Verwandtschaft”. Die zu lat. famulus „Diener” gebildete Ableitung lat. familia bedeutete ursprünglich „Gesinde, Sklavenschaft”, erweitert aber auch „die ganze Hausgenossenschaft” (Freie und Sklaven). Die Bezeichnung wird erst auf dem Weg vom 15. ins 16. Jahrhundert ins Deutsche entlehnt und setzt sich nach und nach durch. Die Zuschreibung des Adjektivs familiär wächst dabei mit: „die Familie betreffend, vertraut, zwanglos” galt im 16. Jahrhundert in der Form familiar, von lat. familiāris „zum Haus gehörig”. Später im 18. Jh. entwickelt sich unter Einfluss von frz. familier die heute gültige Form familiär.

Wo das Attribut familiär zutrifft, kann eine Zugehörigkeit als vertraut, lebendig, geborgen, als beheimatend erlebt werden. In diesem Zusammenhang sind auch Wahlfamilien als soziale Zusammenhänge prägend, erweiterte Familien, Freundschaftszusammenhänge oder Gruppen, z. B. auch dort, wo sich junge Menschen in ihrer eigenen Familie nicht zuhause fühlen oder nicht anerkannt sind.

  • Impulse

11. Erstellen einer Wortwolke (Mentimeter) mit Assoziationen und Verbindungen zum Schlüsselbegriff Familie – wie gewichten Einzelne für sich, was von der Gruppe favorisiert wird?
12. Ermittlung von Familiennamen in der Literatur, in Filmen, in Serien etc. (wie z. B. Peter Pan, Harry Potter, Die Simpsons, …); Interpretationen zur Wirksamkeit der Familiennamen.


Sprichwörtliches, Spitznamen und Heiligennamen

An Sprichwörtern und Redensarten zu Namensgebungen mangelt es nicht: „Sag mir deinen Namen und ich sage dir, wer du bist“ – „Nomen est omen“ – „Namen sind Schall und Rauch“. Ihre Aussagerichtungen sind unterschiedlich: Entweder sind Namen gehaltvoll, weil sie Hinweise und Prognosen über Eigenschaften geben – oder Namen haben keine weitere Bedeutung. Wie auch immer: Für diejenigen, welche einen Namen tragen, schwingt manches mit. Allein ob der eigene Name gemocht wird oder nicht, ob er zum Hänseln und zu Kränkungen herausfordert, zum Kürzen oder Verlängern, ob er liebevoll ausgesprochen wird oder ob humorvoll ein Spitzname in Gebrauch ist, prägt das eigene Verhältnis zum Namen. Die im Laufe der Jahre zu einer Kinofilmreihe gewachsenen Familiensatiren von Sönke Wortmann „Der Vorname“ (2018), „Der Nachname“ (2022) und „Der Spitzname“ (2024)9  befassen sich mit unterschiedlichen Aspekten von Familienzugehörigkeit und Namensgebungen.

  • Impulse

13. Spitznamen (Kosenamen und Schimpfnamen) im eigenen Umfeld:
       • Erkundungen und Befragungen, wie es zu der Namensgebung kam.
          Welches Verhältnis hat die Person, die mit dem Spitznamen gerufen
          wird, dazu?
       • Benennen, Deuten und begründetes Beurteilen des eigenen
          Spitznamens: Behalten, ändern, wegwerfen?
14.    Debatte zu den obigen Redensarten: Welche Argumente zählen?
15.    Filmbetrachtungen der obigen Spielfilme 
         • entweder des jeweiligen gesamten Spielfilms, methodisch
           vierschrittig: a. Beschreibung, b. Emotionale Resonanzen, c.
           Erinnerungen und Fantasien und d. Deutungsversuche zu Szenen und
           Elementen, die mit den Problemen und Vorstellungen der
           Namensgebungen in Beziehung stehen.10 
         • oder Interpretation von Filmszenen, auch auf der Basis von
           Nachstellungen / Standbildern zu Filmszenen.


Heilige, Namensgebungen von Gemeinschaften und Gemeinden, Namenstage

Namensgebungen erfolgen oft in Bezug zu Heiligen und Patron*innen. Manchmal tragen unterschiedliche Heilige den gleichen Namen. Im Kalenderjahr und in den Kalendern finden sich Namenstage, die je nach Konfession und Region z. T. liturgisch stärker gefeiert werden als Geburtstage.11  Auch Einrichtungen und Gemeinschaften werden nach besonderen, prägenden Gestalten benannt. Orte, an denen Namensgebungen sichtbar und prägend sind, gehören zu materiellen und immateriellen Erinnerungsräumen. Wappen von Familien, Orten oder Gemeinschaften tragen häufig christliche Symbole und Figurdarstellungen von christlichen Würdenträger*innen wie Bischöfen oder Schutzpatronen.

16. Den Narrationen zu Heiligengestalten und -legenden auf besondere Eigenschaften, Handlungen, Widerfahrnisse nachgehen. Bei welchen berühmten Heiligen spielt die familiäre Zugehörigkeit eine größere Rolle? Welche „Stars“ der Gegenwart werden als familienbezogene Personen sichtbar?
17. Begehungen und Erkundungen von außerschulischen und gemeindlichen Lernorten, die einen prägenden Namen tragen (z. B. Dietrich Bonhoeffer-Gemeinde, Ludwig-Windthorst-Haus): Biografische Anknüpfung ermitteln. Wie wird der*die jeweilige Namenspatron*in an dem Ort spürbar?
18. In vielen Wappen kommen Heiligengestalten vor. 
      • Suche dir Familienwappen und versuche sie zu ergründen. Wenn deine
         Familie eines hat: Zieh Verbindungen von den Elementen des Wappens
         zu Besonderheiten deiner Familie.
      •  Erfinden eines Familienwappen für die eigene Familie oder für die
         Wahlfamilie: Gestalte es zeichnerisch (analog oder digital) Stellt euch
          gegenseitig fiktive Familienwappen vor / erratet die jeweilige
          Zugehörigkeit zu einer* einem Mitschüler*in.

Anmerkungen

  1. Das Feld ist wenig erforscht. Vgl. Anonymus: Familiennamen in Deutschland. Onomastische Betrachtungen zu Entstehung und Entwicklung, München 2024.
  2. Vgl. die Anhörfassung für das Kerncurriculum für alle Schulformen des Sekundarbereiches I Christliche Religion Schuljahrgänge 5-10, https://kurzlinks.de/otoe (10.08.2025).
  3. Bei deinem Namen genannt. Ausstellung im Rahmen des europäischen Kulturerbejahres 2018 “Sharing heritage“, https://kurzlinks.de/cjcm (04.08.2025)
  4. https://kurzlinks.de/f0ce (04.08.2025)
  5. Z. B. https://kurzlinks.de/8hv2 (04.08.2025)
  6. Ich schreibe meinen Namen dir mitten in die Hand“. Text: Rolf Krenzer, Musik: Detlev Jöcker, in: Das Liederbuch zum Umhängen. 100 der schönsten religiösen Kinderlieder, Münster 1993, 42.
  7. Vgl. Vera Uppenkamp: Queere Theologie im Religionsunterricht. Chancen und Grenzen inklusiver Religionspädagogik, in: TheoWeb 23 (2024) 1 231-249; https://doi.org/10.23770/tw0337 (10.08.2025)
  8. Text: Rolf Krenzer, Musik: Peter Janssens, in: Das Liederbuch zum Umhängen. 100 der schönsten religiösen Kinderlieder, Münster 1993, 47.
  9. https://constantin.film/kino/der-spitzname/
  10. Vgl. Silke Leonhard: „Hogwärts“ sehen und Harry Potter begegnen. Methodologische Überlegungen zur Filmwahrnehmung in der Religionspädagogik, in: Astrid Dinter / Kerstin Söderblom (Hg.), Vom Logos zum Mythos: „Herr der Ringe“ und „Harry Potter“ als zentrale Grunderzählungen des 21. Jahrhunderts. Praktisch-theologische und religionsdidaktische Analysen, Münster 2010, 109-148.
  11. Vgl. Ulrike Witten: Heilige, in: WiReLex 2016, https://kurzlinks.de/vuf5 (05.08.2025).