„... aber ich persönlich kann nicht ganz an ihn glauben.“ – Religionskritik in Theologischen Gesprächen in der Grundschule

Von Nina Rothenbusch und Lena Sonnenburg

„... aber ich persönlich kann nicht ganz an ihn glauben, denn ich kenne ihn ja nicht, und es gibt keinen Beweis dafür, dass es ihn gibt.”

So wie Markus geht es vielen Kindern im Religionsunterricht der Grundschule. Sie können „nicht so ganz an ihn [Gott] glauben“, denn sie sind wenig oder gar nicht religiös sozialisiert, fühlen sich nicht sprachfähig, wenn es um ihren Glauben geht, haben unterschiedliche Vorstellungen von Gott oder sagen, dass man sich kein Bild von Gott machen dürfe. Und doch sind die meisten von ihnen spirituell interessiert, ohne dass sie dies näher beschreiben können. Manche suchen auch nach Beweisen für die Existenz Gottes, nach den „richtigen“ Antworten auf ihre religiösen Fragen.1

Dass es diese „richtigen“ und schnellen Antworten im Religionsunterricht oft nicht gibt, müssen die Schüler*innen erst lernen. Dass hier seitens der Religionslehrkräfte ein echtes Interesse an kindlichen Gedanken und Fragen besteht, dass sie zur Selbsttätigkeit aufgefordert sind und eine kritische Auseinandersetzung von ihnen gefordert wird, ist nicht selbstverständlich für die Schüler*innen. Doch gerade diese Subjektorientierung wird im Kerncurriculum Evangelische Religion Grundschule betont, das den Religionsunterricht als einen Ort bezeichnet, an dem Schüler*innen mit ihren existenziellen Fragen zu Wort kommen, wo Grundfragen menschlicher Existenz im Zusammenhang mit Zeugnissen der biblisch-christlichen Tradition und gelebtem Glauben bedacht werden und eine spezifische Didaktik des Fragens, des In-Frage-Stellens, des Entdeckens und Staunens genutzt wird, um Lernprozesse, die auf eine Fragehaltung und die aktive Beteiligung der Schüler*innen abzielt, zu initiieren.2

Gottesbeweise wie die von Anselm von Canterbury und Thomas von Aquin oder religionskritische Texte von Feuerbach, Dawkins oder Harari sucht man im Kerncurriculum der Grundschule dem Alter der Kinder entsprechend vergeblich, was nicht bedeutet, dass für religionskritisches Denken kein Raum wäre. Im Gegenteil, im inhaltsbezogenen Kompetenzbereich „nach Gott fragen“ wird beispielsweise betont: „Schülerinnen und Schüler fragen danach, ob es Gott gibt und wie er3 sich zeigt. Sie bringen individuelle oder keine Vorstellungen von Gott4 mit. Im Religionsunterricht lernen die Schüler*innen biblische Gottesbilder und verschiedene Gottesvorstellungen kennen. Sie nehmen Gotteserfahrungen anderer Menschen zur Kenntnis und beziehen sie in eigene Vorstellungen ein, so dass diese geöffnet und weiterentwickelt werden können. Der Religionsunterricht gibt [dabei] Orientierungshilfen aus christlicher Perspektive“5, zwingt jedoch keine Meinung auf.

Damit die Schüler*innen – wie in den inhaltsbezogenen Kompetenzen gefordert – eigene Gottesvorstellungen und Erfahrungen mit Gott beschreiben und sich mit unterschiedlichen Anfragen an Gott angesichts freud- und leidvoller Erfahrungen auseinandersetzen können6, ist es unerlässlich, gleichermaßen die prozessbezogenen Kompetenzen zu schulen: So sollen die Schüler*innen lernen, religiöse Phänomene wahrzunehmen und zu beschreiben, religiöse Sprache zu deuten, Gestaltungsformen zu nutzen, religiöse Fragen zu verbalisieren und einen Standpunkt einzunehmen, damit es ihnen möglich wird, zu Aussagen – wie zu der von Markus – zu gelangen7.

Ein Unterrichtsprinzip, mit dem eine offene Gesprächskultur vorbereitend angebahnt werden kann, ist das Theologische Gespräch. Wenn Kinder über ihren (Nicht)Glauben miteinander ins Gespräch kommen, diskutieren, nachdenken, eigene Gedanken äußern und logische Schlussfolgerungen ziehen, kann man im Sinne der Kindertheologie8 davon sprechen, dass sie „theologisieren“  oder philosophieren. Sie führen ein philosophisch-theologisches Gespräch. Solche Gespräche können aus Unterrichtssituationen heraus spontan und unerwartet anhand von Fragen entstehen oder gezielt von Lehrkräften initiiert und angeleitet werden.

Lehrende, die bewusst einen solchen Zugang wählen, entscheiden sich nicht nur für eine Methode – (methodisch gibt es viele Wege, solche Gespräche zu initiieren) – sie nehmen vielmehr eine dialogisch ausgerichtete religionsdidaktische Grundhaltung ein, die auch konfessionslosen Schüler*innen einen Gesprächszugang zu religiösen Themen eröffnen kann und diese zu integrieren vermag. Wer sich für die Fragen, Unsicherheiten und Aussagen der Schüler*innen interessiert, diese wahrnimmt und zu ordnen weiß, bei Bedarf passende Impulse gibt und zum Weiterdenken anreget, wird den Horizont der Schüler*innen erweitern und kann der zuvor benannten Subjektorientierung entsprechen.

Ein angemessener Umgang mit Wissens- oder Glaubensfragen gehört von Anfang an zu den entwicklungspsychologischen Herausforderungen des Religionsunterrichts.10 Die Antwort auf Wissensfragen11 kann eindeutig als richtig oder falsch klassifiziert werden12, bei Glaubensfragen13 hingegen steht die Antwort im Zusammenhang mit der persönlichen Überzeugung oder Weltsicht einer Person. Ein*e Buddhist*in beantwortet die Fragen nach Gott anders als ein*e Atheist*in oder Christ*in. Und selbst, wenn man nur Atheist*innen oder nur Christ*innen fragte, wären die Antworten sehr verschieden. Es kann zudem nicht abschließend geklärt werden, welche Antwort die einzig richtige ist. Wissensfragen können beantwortet werden, über Glaubensfragen lässt sich im Idealfall dialogisch diskutieren.14 Beide Fragenkomplexe können auch hinsichtlich einer interreligiösen Kompetenz wichtige Akzente für gegenseitiges Verstehen setzen. Nur wer miteinander im Gespräch bleibt, kann lernen, Heterogenität nicht als Bedrohung wahrzunehmen.

Um individuelle religiöse Überzeugungen und religionskritische Anfragen im Religionsunterricht wahrnehmen zu können, brauchen Lehrkräfte unterschiedliche Fähigkeiten. Als wichtigste seien hier eine offene Grundhaltung gegenüber den Aussagen der Schüler*innen und die Ermöglichung einer positiven Gesprächsatmosphäre genannt. Denn: Wenn der Eindruck entsteht, dass geäußerte Ansichten negativ bewertet oder sogar belächelt werden, werden Schüler*innen sich nicht an einem Gespräch beteiligen. Ein gleichberechtigter Dialog auf Augenhöhe, bei dem nicht gewertet, sondern religiöse Phänomene verbalisiert, wahrgenommen, beschrieben und gedeutet werden und ein eigener Standpunkt15 erlaubt ist, fördert weit mehr als Toleranz.

Wenn Kinder anfangen, selbstständig theologisch und/oder religionskritisch zu denken und komplexer werdende Fragen stellen, werden in der Kindertheologie drei Perspektiven unterschieden: Die Theologie von Kindern wird als eigene theologische Reflexion der Kinder in Bezug auf bestimmte Fragen und Inhalte verstanden, wobei sehr spannende unerwartete Gedanken entwickelt werden können (siehe Gesprächssequenz unten). Das Theologisieren mit Kindern beschreibt den bewussten, gleichberechtigten Dialog, wobei individuelle theologische Überlegungen (Theologie von Kindern) in einen Diskurs eingebracht werden. Glaubens- und Wissensfragen sind gewollt, erwünscht und es wird gemeinsam nach passenden individuellen Antworten gesucht. Dabei gilt es zu beachten, dass Impulse und Anregungen im Gesprächsprozess vor dem Hintergrund einer altersangemessenen Theologie für Kinder bedacht werden, denn nur dann sind sie hilfreich und förderlich für eine gesunde religiöse Entwicklung. Diese entwicklungspsychologisch-pädagogisch ausgerichtete „Kinder“-Theologie kann als jenseits „… der akademischen Theologie ansetzende Aufklärung durch Theologie“  verstanden werden. Lehrkräfte brauchen dafür u.a. Wissen bzgl. der religiösen Entwicklung, um die Schüler*innen nicht zu über- oder zu unterfordern.


Ein Theologisches Gespräch zum Thema „Gottesvorstellungen“

Nachfolgend soll aufgezeigt werden, wie ein Gespräch zu Gottesvorstellungen aussehen könnte. Die dargestellte Unterrichtseinheit wurde in leicht modifizierter Form bereits mehrfach durchgeführt. Es hat sich als sinnvoll für den Gesprächsprozess erwiesen, wenn den Schüler*innen durch entsprechende Methoden zunächst der Zugang zu den eigenen Vorstellungen eröffnet wird. Handlungsorientierte Methoden bieten hierfür vielfältige Optionen. Exemplarisch wurde mit einer speziell zugeschnittenen Comic – Sequenz gearbeitet, die mit einer offenen Frage endet und Schüler*innen zu einer persönlichen Antwort auffordert.
Dafür muss jedes Kind sich zunächst der eigenen Gedanken bewusst werden und soll diese schriftlich dokumentieren (1. Phase). Diese individuelle Antwort auf die Frage nach Gott kann daran anschließend freiwillig in eine Gruppenfragestellung integriert werden (2. Phase), bevor ein Theologisches Gespräch ausgehend von den Impulsen und Gedanken der Schüler*innen geführt wird (3. Phase).


=> 1. PHASE: SICH DER EIGENEN GEDANKEN BEWUSST WERDEN

Bild für Bild wird die nachfolgende Comicsequenz17 gezeigt (siehe Bilderleiste rechts) und mittels einer kurzen Rahmengeschichte18 erzählt. Die Schüler*innen sind aufgefordert, ihre Antwort auf die Frage von Hobbes „Wie Gott so ist ...“ zu geben, indem sie Calvin einen Brief schreiben19 oder einen Antwort-Comic an ihn gestalten.

Wird die Briefmethode gewählt, erhalten die Schüler*innen einen vorgegebenen Briefanfang, um ihnen den Einstieg zu erleichtern.

Hallo Calvin
Also, wenn du mich fragst, dann würde ich sagen, dass ...

Eventuell kann es sinnvoll sein, sie darauf hinzuweisen, dass im Folgenden der Inhalt ihres Briefes stärker im Fokus stehen wird als Orthografie und Rechtschreibung. Entscheidend ist, dass die Schüler*innen evtl. Schreibhemmungen überwinden und sich (thematisch) öffnen.

Als Ergebnis der ersten Phase werden exemplarisch drei Briefe vorgestellt.

 

=> 2. PHASE: GRUPPENFRAGESTELLUNG NACH GOTT

Die Schüler*innen (Sitzkreis) erarbeiten nun gemeinsam ein Bodenbild, eine Mind-Map oder ein kollektives Schreibgespräch. Dafür wird „Gott“ in die Mitte eines großen Papierbogens geschrieben; jedes Kind darf an beliebiger Stelle seine Gedanken, Ideen, Fragen oder Ansichten notieren. Es ist erlaubt, dialogisch zu interagieren oder Schreibkonferenzen zu initiieren. Während dieser Phase soll nicht miteinander gesprochen werden. Diese Phase kann so lange dauern, bis die Aktivitäten der Gruppe erkennbar zurückgehen.


=> 3. PHASE: EIN THEOLOGISCHES GESPRÄCH FÜHREN

Erst jetzt werden die Schüler*innen anhand der Impulse, der Fragen, Aussagen der Mind-Map bzw. des Bodenbildes oder des kollektiven Schreibgesprächs in ein offenes Gruppengespräch überführt. Dabei können von der Lehrkraft beliebige Aspekte des Plakates aufgegriffen und gemeinsam besprochen werden.
Zentrale Aspekte des Gesprächsverlaufs sollten dabei auf Wortkarten festgehalten und ggf. in einem Schaubild visualisiert werden.20 Das können gemeinsame Erkenntnisse, unterschiedliche Vorstellungen, Kritik, wichtige Fragen und erkennbare Unsicherheiten sein.
Dabei kommt es darauf an, dass sich die Schüler*innen möglichst in der Dokumentation wiederfinden. Das macht es gegebenenfalls erforderlich, die Akzeptanz der Dokumentation zu überprüfen und Rückfragen zu stellen. Widersprüchliches muss nicht aufgelöst werden und Spannungen dürfen bestehen bleiben. Hierdurch wird nebenbei auch das Ergebnis des Gesprächs für alle nachvollziehbar gesichert.

 

Transkribierter Gesprächssauschnitt eines theologischen Gesprächs zum Thema Gottesvorstellungen:

Markus: „Also, ich stelle mir eigentlich ja Gott so vor, so 15 Meter groß, so‘n alter Mann mit ‘nem riesigen weißen Bart, der auf ‘ner Wolke sitzt.”
Jonathan: „Ja!”
Jonas: „Ja, ich find, ’nen Vollbart. Er ist zwar groß, aber auch nicht so „wumm“, dick.”
Markus: „So 15 Meter groß.”
Jonas: (erstaunt) „15 Meter?“
Markus: „Sein Oberkörper!”
Jonas: „Warum sein Oberkörper? Nicht Unterkörper?“
Markus: „Er hat ‘nen riesigen Bart und er sitzt auf ‘ner Wolke.“
Jonas (zu Ole): „Stell dir mal vor, 15 Meter groß.“
NR: „So sieht Gott aus?“
Patryk: „Der hat ‘nen Heiligenschein.”
Markus: „(…) stelle ich ihn mir vor.”
Maxi: „Vielleicht!”
Tom: „Das kann nicht sein.”
Markus: „Ich habe auch gesagt für mich!”
Jonathan: „Einen Heiligenschein.
NR: „Für dich, sieht er so aus und …”
Tom: „Nur weil, noch niemand hat Gott gesehen und deshalb. Manche glauben an ihn, aber manche sagen einfach, wir können ihn nicht sehen, also, wir glauben nicht an ihn. Also, hat ja nur Jesus gesehen, aber das ist jetzt, das ist nur, weil Jesus, es gibt keinen mehr, der Jesus richtig, der richtig Jesus gesehen hat.”
Maxi: „Da gab es ja noch keine Fotos.”
Ole: Ich stelle mir Gott so vor, also, er ist da, aber er ist, ähm, also ich stelle ihn mir nicht so vor, dass er ein Mann im Himmel ist, also, er ist einfach da.”
Patryk: „Er ist einfach unsichtbar neben dir.”
Ole: „Genau!”
Patryk: „Ja?”
Ole: „Ja!”
Jonathan: „Wer ist Gott? Wir oder die?”
Ole: „Ich stelle mir vor, dass er nicht irgendwo auf ‘ner Wolke sitzt, sondern…” (Pause)
NR: „Kannst du ein Beispiel finden, das es erklärt?”
Ole: „Ähm.”
Lenard: „… dass er immer bei uns ist, bloß man sieht ihn nicht. Man sieht ihn nicht.”
Markus: „Ich glaube, Ole stellt sich den so vor, als wäre er ein normaler Mensch, der unsichtbar irgendwo rumläuft.”
Ole: „Ja!”
Patryk: „Ja, ich doch auch!”
Tom: „Naja, aber das geht doch nicht, man sagt ja, dass er immer bei einem ist.”
Markus: „Vielleicht gibt es ja mehrere Gotts. Hier sitzt einer, da sitzt einer” (zeigt auf verschiedene Positionen).
Jonathan: „Hallo! Dann wären‘s ja wieder Götter…”
Tom: „… dann wären‘s ja wieder Götter und dann, dann…”
Markus: „… dann hat er sich eben geklont!” (unsicheres Gelächter)
Tim: Und dann sagt man wieder, der eine ist ein Donnergott, der eine ist der Früchtegott, der andere ist der so und so Gott …“
Jonathan: „Aber es gibt eigentlich nur einen Gott.”

 

Eine weitere Möglichkeit: Woran denkst du?

Vorstellungen oder Gedanken von Schüler*innen können auch auf einem anderen Weg gesprächsvorbereitend fassbar / bewusstgemacht werden, indem das Bilderbuch von Laurent Moreau: „Woran denkst du?“ zum Einsatz kommt. Das Buch eignet sich für den Einsatz in vielen unterschiedlichen Bereichen des Religionsunterrichts (aber auch darüber hinaus); es ist vor allem eine Möglichkeit, sich den Glaubensfragen der Schüler*innen anzunähern.
Die Aufmachung des Buches ermöglicht es, in die Köpfe vieler verschiedener Personen hineinzuschauen und so über verschiedene Gedanken und Fragen in ein Gespräch zu kommen: „Maximilian denkt sich gern Abenteuer aus. Johannes kocht vor Wut. Anna hat nur Süßes im Kopf und Anton verliebt sich gerade.“ 21
Wenn den Schüler*innen das Buch nicht durch die Einführung in einer früheren Stunde bereits bekannt ist, muss es zunächst vorgestellt und eingeführt werden, um zeiteffizient mit einer Kopiervorlage arbeiten zu können. Im Fall der angesprochenen Gottesvorstellung sollte betont werden, dass nun die Vorstellung der Schüler*innen von Gott gefragt ist – eben das, woran sie denken, wenn sie das Wort „Gott“ hören. Dazu zeichnen die Schüler*innen ihre Gedanken auf das Arbeitsblatt und versehen diese dann mit Schlagworten (sie dürfen aber auch nur schreiben). Auch Schüler*innen, die nicht an Gott glauben, werden angehalten, mitzuarbeiten. Sie können ggf. auch darstellen, was andere mit Gott meinen und tragen so im Sinne der o.g. Kompetenzen dazu bei, vorhandene Gottesbilder zu öffnen und weiterzuentwickeln. Nach dieser Fokussierung lohnt es, ein bereits begonnenes Gespräch fortzusetzen bzw. ein theologisch-philosophisches Gespräch zu initiieren. Die Vorstrukturierung ermöglicht den Schüler*innen eine gezielte Beteiligung sowie eine Visualisierung, auf die bei Erklärungsschwierigkeiten zurückgegriffen werden kann. Ausgehend von den Gedanken der Schüler*innen kann dann über die unterschiedlichen Vorstellungen gesprochen werden.

Als Beispiel sei nebenstehendes Bild (siehe Bilderleiste rechts) vorgestellt:

Die anschließende Gesprächssequenz ergab sich bei Nachfragen.

NR: „Du hast einen Königsthron gemalt, den hab ich erkannt.” (Pause) „Da steht: ‚Der, der auf dem Stuhl sitzt, ist Gott‘. Aber, da sitzt gar keiner.”
Lara: „Ja, das sind die Striche, sozusagen” (zeigt mit den Fingern auf das Bild). „Das is ja so‘n Geist.”
NR: „Zeigst du mir genau, wo ‚Gott‘ ist?”
Lara: „Die Striche sozusagen” (zeigt erneut mit den Fingern auf das Bild). Das soll, ehm, weil Gott ist ja nich sichtbar… Den mal ich wie so ne Art Staubwirbel und so was.”
NR: „Wie bist du denn auf die Idee vom Staubwirbel gekommen?”
Lara: „Ja, das is mir jetz so eingefall‘n, ähm, so‘ne Art Geist, unsichtbar.”

Werden solche Gedanken oder Vorstellungen in ein Gruppengespräch eingebracht, wird in vielen Fällen erkennbar, dass Schüler*innen gemeinsam (weiter-)denken und miteinander komplexe Gedanken und Lösungsansätze entwickeln können, dass sie nicht nur angeeignetes Wissen wiedergeben, sondern Freiräume nutzen und dabei nicht selten eine erstaunliche Weitsicht entwickeln (s.o.). Neben der Schulung der religiösen Ausdrucksfähigkeit werden Lebensweltbezüge gesucht, gefunden und es wird reflexiv aufeinander Bezug genommen. So entsteht mitunter auch schon in der Grundschule eine rege Religionskritik: auf einer anderen Ebene als bei älteren Schüler*innen, jedoch nicht weniger vor dem Hintergrund unserer multireligiösen, globalen und heterogenen Gesellschaft.

 

Anmerkungen:

  1. Vgl. Von Gontard, Spiritualität von Kindern und Jugendlichen, 67-85.
  2. Vgl. Kerncurriculum Evangelische Religion Grundschule, 9f.
  3. Oder sie
  4. Der Terminus „Gott“ bezieht in diesem Fall alle spirituellen oder transzendenten Konstrukte der Schüler*innen mit ein.
  5. Kerncurriculum Evangelische Religion Grundschule, 18.
  6. Vgl. ebd.
  7. Vgl. ebd., 14f.
  8. Zimmermann, Kindertheologie als theologisches Konzept von Kindern.
  9. Büttner et al., Handbuch Theologisieren mit Kindern.
  10. Büttner / Dieterich, Entwicklungspsychologie in der Religionspädagogik.
  11. Freudenberger-Lötz, Theologische Gespräche mit Jugendlichen, 14.
  12. Denn es gibt eine eindeutig richtige Antwort auf die jeweilige Frage.
  13. Freudenberger-Lötz, 14.
  14. Foerster, Lethologie spricht in diesem Zusammenhang von beantwortbaren (Wissens-) und unbeantwortbaren (Glaubens-)Fragen; vgl. 14-32.
  15. Vgl. ebd., 14f.
  16. Vgl. dazu Bucher, Jahrbuch für Kindertheologie.
  17. Bei den Comicfiguren handelt es sich um einen Jungen und sein Stofftier, das zum lebendigen Gegenüber wird. Sie sprechen miteinander und sinnen über viele philosophische Fragen nach. Im Zusammenhang mit einer Unterrichtseinheit zum Thema Gott, wird der Original-Strip verändert. Die letzte Äußerung von Calvin lautet im Original: Also irgendwer hat es auf mich abgesehen: Vgl.: Bill Watterson, Calvin und Hobbes – Fix und Fertig, Bd.2.
  18. Es ist einer dieser schönen warmen Sommertage und unsere beiden Freunde haben es sich unter dem großen Baum hinten an der Wiese gemütlich gemacht. Sie schauen lange in den Himmel. Irgendwann setzt Hobbes sich auf und schaut in die Ferne. Hey, Kumpel, was denkst du gerade? Ich? Nix ... und du? Ich habe in den Himmel geschaut und an die Sterne, das Weltall und so gedacht. Calvin, sag mal, glaubst du, dass es einen Gott gibt? Calvin ist ganz überrascht und muss kurz nachdenken. Das scheint eine schwierige Frage zu sein und die Antwort ist noch schwieriger. So ganz genau weiß er wohl nicht, was er antworten soll, und darum sagt er: Kann sein, kann nicht sein. Aber wenn ja, dann wüsste ich wirklich gerne, wie Gott so ist.“
  19.  Arbeitsauftrag: „Ich glaube, Calvin braucht eure Hilfe! Kannst du einen Brief an Calvin schreiben und ihm eine Antwort auf seine Frage geben?”
  20. Für eine Visualisierung können unterschiedliche Bausteine genutzt werden: Symbole, Bilder, Worte, Aussagen, Figuren oder Ähnliches
  21. Moreau, Woran denkst du?

 

Literatur

  • Büttner, Gerhard; Dieterich, Veit-Jakobus: Entwicklungspsychologie in der Religionspädagogik. Göttingen 2013
  • Büttner, Gerhard; Freudenberger-Lötz, Petra; Kalloch, Christina; Schreiner, Martin: Handbuch Theologisieren mit Kindern. Einführung – Schlüsselthemen – Methoden. Stuttgart / München 2014
  • Bucher, Anton A.; Büttner; Freudenberger-Lötz, Petra; Schreiner, Martin (Hg.): Im Himmelreich ist keiner sauer. Jahrbuch für Kindertheologie, Stuttgart 2003
  • Freudenberger-Lötz, Petra: Theologische Gespräche mit Jugendlichen. Stuttgart / München 2012
  • Moreau, Laurent: Woran denkst du? Berlin 2017
  • Niedersächsisches Kultusministerium (Hg.): Kerncurriculum Evangelische Religion Grundschule, Niedersachsen, Anhörfassung, Hannover 2019
  • von Foerster, Heinz: Lethologie. Eine Theorie des Erlernens und Erwissens angesichts von Unwissbarem, Unbestimmbaren und Unentscheidbarem, in: Voß, R.: Die Schule neu erfinden. Systemisch-konstruktivistische Annährung an Schule und Pädagogik, Neuwied 2002
  • von Gontard, Alexander: Spiritualität von Kindern und Jugendlichen. Stuttgart 2013
  • Watterson, Bill: Calvin und Hobbes. Fix und Fertig, Bd. 2. Frankfurt am Main 1989
  • Zimmermann, Mirjam: Kindertheologie als theologisches Konzept von Kindern. Neukirchen-Vluyn 2013
Eine positive Gesprächsatmosphäre und ein gleichberechtigter Dialog auf Augenhöhe sind wesentliche Voraussetzungen, damit Kinder über ihren (Nicht-)Glauben miteinander ins Gespräch kommen. – © vgajic/iStock

Der auf dem Stuhl