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Schätze der baptistischen Tradition

von Simon Werner

Baptisten in Deutschland – der Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden

Der Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland gehört zu großen Teilen der baptistischen Tradition an.1  Die baptistische Tradition, hervorgegangen aus dem separatistischen Puritanismus des frühen 17. Jh., ist in den Hauptstrom evangelischer Kirchen einzuordnen.2  Sowohl die altkirchliche als auch die reformatorische Lehrbildung (vornehmlich in calvinistischer Ausprägung) gehört zu ihren Grundlagen.

Zum weltweiten Zusammenschluss, der Baptist World Alliance, gehören 266 Mitgliedskirchen in 134 Ländern mit etwa 53 Millionen Mitgliedern.3  Die baptistischen Kirchen sind inzwischen überwiegend Kirchen des Globalen Südens mit ca. 30 Millionen Mitgliedern in Afrika, Asien und Südamerika. Die europäische Traditionslinie ist – obwohl seit 1609 die älteste – die kleinste mit deutlich unter einer Million Mitgliedern. In Deutschland hat der Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden ca. 73.000 Mitglieder, die sich auf knapp 800 Gemeinden verteilen.4

Als Entstehungsdatum gilt das Jahr 1609, als der ehemals anglikanische Priester John Smyth mit einigen Anhängern, unter ihnen auch der Jurist Thomas Helwys, Zuflucht vor der rigorosen englischen Religionspolitik im Exil in Amsterdam fand und dort die erste baptistische Gemeinschaft gründete.

Die theologische Streitfrage, die auch die erste baptistische Gemeinschaft beschäftigte – wann ein Mensch recht zu taufen sei und welches Verständnis der Taufe damit einhergehe – trat freilich schon direkt in den ersten Jahren der Reformation an geografisch ganz anderer Stelle auf den Plan. In dem Züricher Kreis um Konrad Grebel, Felix Manz und Jörg Blaurock ist eine der wichtigsten Wurzeln zu finden, die der Täuferbewegung5  mit der Taufe des Priesters Jörg Blaurock durch Konrad Grebel am 21. Januar 1525 ihr Gründungsdatum bescherte.6  Baptist*innen stehen in mittelbarem Zusammenhang zu dieser frühen reformatorischen Strömung.


Die Baptist Principles

Die sog. Baptist Principles formulieren kurz, was wesentliche Kennzeichen baptistischer Identität sind. Sie beanspruchen weder, eine normative Formulierung zu sein, die in einer bestimmten historischen Situation zu verorten ist, noch eine in ihrem Bestand vollkommen eindeutige Liste von Überzeugungen. In ähnlicher Weise sind sie aber in vielen baptistischen Kirchen rund um die Welt präsent und gelten als angemessene Zusammenfassung dessen, was baptistische Identität ausmacht. Die deutschen Baptisten fassen sie mit den folgenden Stichworten zusammen:
•    „die Bibel als Gottes Wort, daher alleinige Regel und Richtschnur für Glauben und Leben
•    die Gemeinde der Gläubigen, daher die Notwendigkeit von Mission und Evangelisation
•    die Taufe auf das Bekenntnis des Glaubens, daher Verbindung von Taufe und Gemeindemitgliedschaft
•    das allgemeine Priestertum aller Gläubigen, daher keine Ämterhierarchie (Rangordnung)
•    die Selbständigkeit der Ortsgemeinde, daher Gemeindeleben in eigener geistlicher Verantwortung und gleichzeitig Einbindung in einen Gemeindebund
•    Glaubens- und Gewissensfreiheit, daher Trennung von Kirche und Staat.“7

Will man die wichtigsten Punkte bzw. Alleinstellungsmerkmale dieser Sätze hervorheben, so kommt man an der Überzeugung nicht vorbei: Der Glaube ist immer etwas Persönliches, d.h. von einem Menschen zu Ergreifendes. Erst wenn ein Mensch den Glauben für sich als Zugang zur Welt ergriffen hat, ist er darauf auch ansprechbar. Daraus folgt, dass die Taufe als Teil der Glaubensinitiation8  dieses persönliche Ergreifen voraussetzt und ihm nicht vorausgeht. Und so konstituiert sich auch die Gemeinde als Gemeinschaft der frei und eigenverantwortlich Glaubenden. Das wiederum bringt eine Gemeindeform hervor, die ohne Ämterhierarchie auskommt und in Selbstständigkeit und Eigenverantwortung geführt wird. Schließlich ist es das nonkonformistische Eintreten für die Freiheit der religiösen Orientierung des Individuums, das die Überzeugung trägt, der Staat habe sich unter keinen Umständen in die religiösen Fragen einzumischen und schon gar nicht auf irgendeine Weise Zwang oder Konformitätsdruck auszuüben.

Selbstverständlich teilen auch andere Traditionen einige dieser Überlegungen – schauen wir uns drei Punkte an, die die baptistische Tradition besonders als Schätze in den breiten Strom der christlichen Traditionen einbringt:

Religionsfreiheit für alle Menschen

In dem Traktat „A Short Declaration of the Mystery of Iniquity“ formulierte Thomas Helwys 1611/12: „Die Gottesverehrung der Menschen ist eine Sache, die nur Gott und sie selbst etwas angeht. Der König ist dafür weder verantwortlich, noch darf er sich zum Richter zwischen Gott und Mensch aufschwingen. Mögen sie Häretiker, Muslime, Juden oder was auch immer sein: Es steht der irdischen Macht nicht zu, sie dafür auch nur in der geringsten Weise zu bestrafen.“9
 
In diesem ganz am Anfang der baptistischen Geschichte stehenden Text schlägt sich eine grundlegend andere Sicht auf die Zugriffsmöglichkeiten des Staates gegenüber der Religiosität des Individuums nieder als einige Jahrzehnte später im Westfälischen Frieden von 1648, der in religiösen Angelegenheiten wesentlich den Augsburger Religionsfrieden von 1555 und dessen Kernformel cuius regio, eius religio bestätigte und damit religiöse Fragen zu einer hoheitlichen und machtbewährten Angelegenheit machte.

1848 schreibt Julius Köbner, einer der Gründungsfiguren des deutschen Baptismus, in seinem „Manifest des freien Urchristenthums an das deutsche Volk“, dass „wir dem Prinzipe der Religionsfreiheit huldigen. Wir empfangen diese edle Freiheit nicht erst heute aus der Hand irgendeiner Staatsgewalt […]. Aber wir behaupten nicht nur unsre religiöse Freiheit, sondern fordern sie für jeden Menschen, der den Boden des Vaterlandes bewohnt, wir fordern sie in völlig gleichem Maße für Alle, seien sie Christen, Juden, Muhamedaner oder was sonst. Wir halten es nicht nur für eine höchst unchristliche Sünde, die eiserne Faust der Gewalt an die Gottesverehrung irgend eines Menschen zu legen, wir glauben auch, daß der eigene Vortheil jeder Partei ein ganz gleichmäßiges Recht aller erheische.“10

Mit beiden Zitaten sind jeweils Gründungs- und Abgrenzungssituationen referenziert. Sie kommen aber nicht nur als Forderung eigener partikularer Rechte daher, sondern fordern Religionsfreiheit als ein universales Prinzip für alle Menschen ein. Im England des frühen 17. Jahrhunderts war dieser Gedanke, der dann auch deutlich in dem frühen amerikanischen Zweig des Baptismus Raum greift11 , neu und steht relativ am Anfang einer großen Entwicklung im 17. und 18. Jahrhundert.

Heute wird man konzedieren müssen, dass es einzelne Strömungen baptistischer Benennung gibt, die die Religionsfreiheit für alle Menschen nicht als erstes ihrer Ziele erkennen lassen. Weltweit aber haben baptistische Kirchen oft aus Minderheitensituationen heraus genau das auch zugunsten anderer religiöser Auffassungen vertreten und so das Bewusstsein dafür geschärft, dass die Freiheit eines religiösen Bekenntnisses ein Menschenrecht ist.

Die Ekklesiologie in Form des Kongregationalismus

Von Anfang an organisierten sich baptistische Gemeinden kongregationalistisch, d.h. unter Betonung der Selbständigkeit der Ortsgemeinde. Sie verstehen sich als in Glaubensdingen keiner bischöflichen oder staatlichen Autorität untergeordnet. Hierin liegt ein deutliches nonkonformistisches Aufbegehren gegen die im 17. Jh. strikte Konformität fordernde Church of England und deren Oberhaupt, den König.

Die Grundverfassung des Kongregationalismus hat sich über die Jahrhunderte so herausgebildet, dass man heute in den Ortsgemeinden von basisdemokratischen Strukturen ausgehen kann: Personen werden in bestimmte Leitungsämter gewählt und alle wichtigen Fragen – auch Glaubensfragen – werden in Mitgliederversammlungen besprochen. Es gibt kein dem weltweiten Baptismus zugrunde liegendes Bekenntnis (das man z. B. mit der Bedeutung der Confessio Augustana für das weltweite Luthertum vergleichen könnte), und zugleich gibt es eine Vielzahl von Bekenntnissen, die über die Zeiten entstanden sind und Orientierung in Glaubensfragen bieten.12 

Für den deutschen Sprachraum ist seit den späten 1970er-Jahren die Rechenschaft vom Glauben als „Ausdruck und Zeugnis der Übereinstimmung der Gemeinden im Glauben“13  in Kraft. Hier ist also die deskriptive Funktion des Bekenntnisses stärker betont als die normative. Dieses Bekenntnis wurde über die Jahre weiterentwickelt, was ein wenig von der oben genannten Grundverfassung zeigt: So lag das Bekenntnis, das in einer gemischten Kommission aus der Schweiz, Österreich, der DDR und der Bundesrepublik erarbeitet wurde, schließlich nicht einheitlich vor. In dem Artikel über die Taufe – einer für Baptist*innen nicht unwesentlichen Frage – wurde in der DDR ein anderer Text verabschiedet als in Österreich, der Schweiz und der Bundesrepublik. Erst nach der Wiedervereinigung der beiden Kirchenbünde in Ost und West wurde dieser Artikel neu besehen und im Jahr 1995 ein gemeinsamer Artikel zur Taufe verabschiedet. Und auch der Artikel „Gottes alter und neuer Bund“ in dem das Verhältnis zwischen Juden und Christen thematisiert wird, erfuhr im Jahr 2019 eine Änderung.14  Der Text der Rechenschaft vom Glauben erfuhr also in den knapp 50 Jahren seiner Existenz zwei wichtige Überarbeitungen – Baptist*innen versuchen, Bekenntnistexte den neuen Gegebenheiten und den gemeinsam verantworteten Erkenntnissen anzupassen. Als Schatz beschrieben bedeutet diese kongregationalistische Grundverfassung, dass in der Gemeinschaft der Glaubenden die wesentliche Ressource für Kirche zu finden ist.

Zu baptistischen Kirchen gehört in der Regel auch die Bezeichnung Freikirche. Damit ist zunächst ein (recht spezifisch deutsches) Gegenüber zu den Territorialkirchen benannt und der historische Bezug zur nachreformatorischen Zeit und den landesherrlichen Kirchenregimentern hergestellt. Ganz im Sinne der erste Baptist*innen galt in den verschiedenen Kontexten: „Neither may the king be judge between God and man.“15  Gerade in einer von volkskirchlichen Modellen geprägten kirchlichen Landschaft zeigen baptistische Gemeinden, dass man Gemeinde auch ganz anders denken kann.

Die Taufe und der persönliche Glaube

In der Rechenschaft vom Glauben ist zur Taufe zu lesen: „Durch den Vollzug der Taufe wird dem Täufling bestätigt, was ihm das Evangelium zusagt und wozu er sich vor Gott und Menschen bekennt: Jesus Christus ist auch für mich gestorben und auferstanden.“16  Damit ist sowohl der Zuspruchs- als auch der Bekenntnischarakter der Taufe gleichermaßen gefasst. Dieser Doppelcharakter der Taufe lässt sich auch in dem sog. „Lima-Papier” des ÖRK erkennen: „Die Taufe ist zugleich Gottes Gabe und unsere menschliche Antwort auf diese Gabe.“17  In dem aktuellen Dokument „Kirchengemeinschaft auf dem Weg“ heißt es beschreibend: „Nach baptistischem Verständnis ist die Taufe eine Bekräftigung sowohl der Zusage Gottes, dass er die Gläubigen als seine Kinder und Erben angenommen hat, als auch der Zusage der Täuflinge, dass sie ihr Leben im Glauben an Jesus Christus, in der Liebe zu Gott und den Nächsten und in der Hoffnung auf das ewige Leben führen wollen.“18

Würde man ein baptistisches Proprium der Tauftheologie formulieren wollen, so ist es wohl das, dass in der Taufe die Zusage Gottes und der bekannte Glaube des Menschen in einer vollzogenen Handlung derart zusammenkommen, dass sie nicht in die eine oder die andere Richtung aufgelöst werden können, ohne substanziell an Bedeutung zu verlieren. Die baptistische Tradition hält damit das Bewusstsein aufrecht, dass zur Taufe sachgemäß sowohl das Handeln Gottes als auch das Handeln des Menschen gehören. Dies steht mancher Vereinseitigung entgegen, das baptistische Taufverständnis reduziere sich auf einen menschlichen Bekenntnisakt – es beschreibt vielmehr einen dritten Schatz, den es gerade auch im ökumenischen Miteinander zu würdigen gilt.

Anmerkungen

  1. Seit 1942 sind unter dem Namen „Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden (BEFG)” Baptistengemeinden und Brüdergemeinden (und zwischenzeitlich auch Elim-Gemeinden) zusammengeschlossen. Die baptistische Tradition bildet dabei den weit überwiegenden Teil des BEFG.
  2. Konfessionskundliche Darstellungen u.a.: Balders, Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe; Strübind, Rothkegel, Baptismus; Beasley-Murray, Die christliche Taufe; Geldbach, Taufe; Swarat, Wer glaubt und getauft wird.
  3. Vgl. https://baptistworld.org (17.03.2025).
  4. Vgl. www.befg.de (17.03.2025).
  5. Zur Täuferbewegung zählen klassisch vor allem Mennoniten, Hutterer und die Amischen.
  6. Vgl. zum Jubiläumsjahr 2025 https://taeuferbewegung2025.de (17.03.2025).
  7. https://kurzlinks.de/yh3d (17.05.2025).
  8. Zu dem Begriff der Glaubensinitiation siehe auch: BEFG (Hg.), Kirchengemeinschaft auf dem Weg, 29ff., https://kurzlinks.de/4hxm (17.05.2025).
  9. Thomas Helwys, A Short Declaration of the Mystery of Iniquity, zit. nach Rothkegel, Freiheit, 204.
  10. Köbner, Manifest des freien Urchristenthums an das deutsche Volk, 135f. (Hervorhebungen im Original).
  11. Hier ist z. B. der Name Roger Williams und die Kolonie Rhode Island zu nennen. Vgl. Brackney, Die Geschichte der Baptisten in Nordamerika, 50.
  12. Vgl. z. B. Lumpkin, Baptist Confessions.
  13. Swarat (Hg.), Rechenschaft, 15. Vgl. auch https://kurzlinks.de/8h42 (17.05.2025)
  14. Vgl. Swarat (Hg.), Rechenschaft, 59-78.
  15. Thomas Helwys, A Short Declaration of the Mystery of Iniquity, zit. nach Rothkegel, Freiheit, 204.
  16. Swarat, Rechenschaft II.3, 26.
  17. Ökumenischer Rat der Kirchen (Hg.), Taufe, Eucharistie und Amt, 11. https://kurzlinks.de/tram (17.05. 2025).
  18. Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden (Hg.), Kirchengemeinschaft auf dem Weg, 49.

Literatur

  • Balders, Günter (Hg.): Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, Kassel 31989
  • Beasley-Murray, George: Die christliche Taufe, Kassel 1968
  • Brackney, William H.: Die Geschichte der Baptisten in Nordamerika, in: Strübind, Andrea/Rothkegel, Martin (Hg): Baptismus, Geschichte und Gegenwart, Göttingen 2012, 47-67
  • Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden (Hg.): Kirchengemeinschaft auf dem Weg. Abschlussdokument zu dem Lehrgespräch zwischen dem Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden und der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands in den Jahren 2017 bis 2023, Elstal 2024
  • Geldbach, Erich: Taufe, Bensheimer Hefte 79, Göttingen 1996
  • Köbner, Julius: Manifest des freien Urchristenthums an das deutsche Volk, in: Geldbach, Erich/Wehrstedt, Markus/Lütz, Dietmar (Hg.): Religions-Freiheit. Festschrift zum 200. Geburtstag von Julius Köbner, Berlin 2006, 129-150
  • Lumpkin, William L.: Baptist Confessions of Faith, Chicago, Philadelphia, Los Angeles 1959
  • Ökumenischer Rat der Kirchen (Hg.): Taufe, Eucharistie und Amt. Konvergenzerklärungen der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung des Ökumenischen Rates der Kirchen, Paderborn 1982
  • Rothkegel, Martin: Freiheit als Kennzeichen der wahren Kirche, in: Strübind, Andrea/Rothkegel, Martin (Hg): Baptismus, Geschichte und Gegenwart, Göttingen 2012, 201-225
  • Swarat, Uwe (Hg.): Rechenschaft vom Glauben, Kassel 2021
  • Swarat, Uwe (Hg.): Wer glaubt und getauft wird … Texte zum Taufverständnis im deutschen Baptismus, Kassel 2010