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Christliche Jugendarbeit mal anders

von David-Joel Scheer

Ein persönlicher Einblick 

Eines Tages sprach mich die Gemeindereferentin an und erzählte mir, dass die Gemeinde jemanden suche, der sich ehrenamtlich in der Teenie-Arbeit engagiert. Nach einigen Überlegungen sprach ich den Pastor daraufhin an und wir trafen uns. Ich teilte ihm meine Gedanken und Visionen für die Jugendarbeit mit. Bis heute bin ich ihm dankbar, dass er diesem übermotivierten jungen Kerl kein Nein gab, sondern ein Ja.

So übernahm ich schließlich im Dezember 2020 die Teenie-Arbeit der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde Hildesheim (Baptisten). Zu dieser Zeit lief sie noch unter dem Namen „Teenie Bibel Club“ und fand sonntags während des Gottesdienstes statt. Die Gemeinde hielt es für wichtig, den Jugendlichen neben dem Gottesdienst ein eigenes Programm zu bieten. Zudem erschwerten die Coronabeschränkungen regelmäßige Treffen unter der Woche, weshalb der Sonntagstermin bis zum Sommer 2021 beibehalten wurde.

Die Besucherzahl lag damals bei nur vier Personen. Das Wort „nur“ spiegelt mein damaliges Denken wider: „Eine Jugendarbeit braucht viele Menschen, nicht nur vier.“ Ich war überzeugt, dass eine wachsende Teilnehmerzahl ein Zeichen für gute Arbeit sei. Doch zu dieser Zeit waren diese vier Jugendlichen die einzigen in der Gemeinde.

Ehrlich gesagt fand ich das Konzept des Teenie Bibel Clubs nicht besonders überzeugend. Ich hatte das Gefühl, dass die Jugendlichen eher aus Pflichtgefühl kamen als aus echtem Interesse. Zudem empfand ich den Namen „Teenie Bibel Club“ als wenig einladend. Wie sollte man Freunde dazu einladen? Viele wären vermutlich gar nicht erst gekommen, da der Begriff „Bibel“ durch den Framing Effekt bei Außenstehenden oft negative Assoziationen weckt oder als langweilig empfunden wird. Das Format entsprach nicht meiner Vorstellung von einer lebendigen Jugendarbeit oder besser gesagt, von einer Jugendarbeit, die für diese Zielgruppe geschaffen ist.

Wenn ich meine Arbeit mit den Jugendlichen optimieren wollte, musste ich mir überlegen: Wer ist meine Zielgruppe, und welches Format würde wirklich zu ihnen passen? Für manche mag das vielleicht ungewöhnlich klingen: Gibt es überhaupt eine Zielgruppe in der Kirche oder in der Jugendarbeit? Rick Warren schreibt dazu in seinem Buch Kirche mit Vision: „Keiner einzelnen Gemeinde ist es möglich, jeden zu erreichen. Es sind alle Arten von Gemeinden nötig, um alle möglichen Arten von Menschen zu erreichen.“1 

Genauso ist es keiner einzelnen Jugendgruppe möglich, alle Jugendlichen zu erreichen. Keine Gruppe kann die gesamte Bandbreite abdecken. So ist es auch bei christlichen Jugendgruppen: Die einen fühlen sich im Jugendgottesdienst mit Band wohl, die anderen bevorzugen eine Kleingruppe mit Fokus auf Bibelarbeit.
Meine Zielgruppe definierte sich über die Jahre sehr klar: kirchenfremde Jugendliche aus schwierigen Verhältnissen mit zerbrochenen Herzen. Das ist auch das Besondere an unserer Jugendarbeit, bei uns kommen fast nur kirchenfremde Jugendliche. 

Die ersten Schritte der Jugend

Also war mein erster Schritt nach einer Sommerpause im Jahr 2021, den Teenie Bibel Club in „Jugend“ umzubenennen. Den Beginn dieses Wandels nennen wir heute rückblickend die „Geburtsstunde“ der Jugend. Zusätzlich zu unseren Treffen am Sonntag veranstalteten wir im September erstmals einen Jugendabend am Freitag um 18:30 Uhr. Dafür räumten wir gemeinsam einen Raum aus, der mit der Zeit immer mehr zur Abstellkammer geworden war. 

Aus diesem Kellerraum wurde, dank Lichterketten und einigen Sofas in Grün, Orange und Blau, unser neuer Jugendraum. Er war bei Weitem noch nicht perfekt, doch wenn man dranbleibt und an sein Projekt glaubt, kann man auch mit wenigen Mitteln viel bewirken. Doch für unsere ersten Jugendabende erfüllte der Raum völlig seinen Zweck.

Das Konzept des ersten Jugendabends war sehr simpel: Die Jugendlichen kamen ab 18:30 Uhr, wir gestalteten ein kleines Programm mit einer Andacht und danach bereiteten wir mit einem Sandwich-Maker leckere Sandwiches zu. Mein Ziel war es, einen Rahmen zu schaffen, in dem die Jugendlichen sich wohlfühlen, gerne kommen und so viel Spaß haben, dass sie sogar ihre Freunde mitbringen möchten. Und was klingt einladender als: „Hey, ich gehe heute zur Jugend. Wir machen Sandwiches – willst du mitkommen? Das Beste daran: Es ist komplett kostenlos!“

Tatsächlich war dieser Abend im Hinblick auf die Besucher ein voller Erfolg. Es waren sieben Jugendliche und mehrere Erwachsene da. Zum Vergleich: In mehr als einem halben Jahr der Arbeit mit dem Teenie Bibel Club ist keine zusätzliche Person aufgetaucht, und nun waren es gleich drei an einem Abend. Im Nachhinein betrachtet war es der richtige Zeitpunkt für diese Veränderung. Im Oktober wiederholten wir das gesamte Event. Zu dieser Zeit hatte sich bereits eine kleine Kerngruppe von etwa sechs Personen gebildet. 

Ab November 2021 legten wir einen klaren Fokus auf die Jugendveranstaltungen, und es trafen sich alle zwei Wochen Jugendliche im Alter von 14 bis 19 Jahren. Den Teenie Bibel Club am Sonntag ließ ich komplett einschlafen. 

Es war eine spannende Zeit. Damals wurde der erste Grundstein für die Jugendarbeit gelegt. Es bereitete mir viel Freude, diesen Pionierschritt zu wagen und eine eigene, bunte Leinwand zu haben, auf der ich Jugendarbeit neugestalten konnte. 

Nicht alles verlief reibungslos, besonders die sozialen Probleme in der Gruppe waren herausfordernd. Es fehlte an echtem Gemeinschaftsgefühl, viele blieben Einzelkämpfer, bestehende Freundschaften schlossen andere aus und einige hatten Schwierigkeiten, Kontakte zu knüpfen. Störungen, geringe Aufmerksamkeitsspanne und mangelndes Interesse aneinander erschwerten das Programm. Dennoch überraschte mich ihre Verlässlichkeit: Trotz Unruhe und vermeintlicher Lustlosigkeit kamen sie alle zwei Wochen zuverlässig. Nach Corona schien es, als müssten sie soziale Interaktionen erst wieder neu lernen, ihre Entwicklung wirkte verzögert.

Ein Licht in der Dunkelheit

Viele hätten in dieser Situation wahrscheinlich gesagt, dass sie das nicht mehr mitmachen oder die Probleme dadurch gelöst, dass sie einige Jugendliche ausgeschlossen hätten. Doch genau das wollte ich nie tun. Ich wollte gerade für diese Zielgruppe da sein, auch wenn das bedeutete, dass ich keine kleine, perfekt funktionierende Jugendgruppe hatte. Es war nicht immer einfach, aber ein Bibelabschnitt aus Matthäus 5,14-16 hat mich stets motiviert und inspiriert.
14 Ihr seid das Licht der Welt. Eine Stadt, die auf einem Berg liegt, kann nicht verborgen bleiben. 15 Man zündet auch kein Licht an und stellt es unter einen Eimer, sondern setzt es auf den Leuchter. So leuchtet es allen im Haus. 16 Genauso soll euer Licht vor den Menschen leuchten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen. 

Wir sollen das Licht dieser Welt sein und Gottes Liebe sowie seine Gnade widerspiegeln. Für mich war klar, dass ich genau in dieser Jugendgruppe Licht ins Dunkel bringen sollte.
In der Zeit von Januar bis August 2022 lernte ich viele Jugendliche kennen. Einige von ihnen hatten schwere Schicksale erlebt. Sie waren von Missbrauch, Depressionen, Suizidgedanken oder schwerem Mobbing betroffen. Ich war sehr dankbar, sie kennenlernen zu dürfen, und zu sehen, dass sie bei uns einen Ort fanden, der zwar nicht perfekt war, ihnen aber ein Stück Heimat geben konnte. Ein Ort, an dem sie Freunde fanden und wieder lachen konnten.

Ja, ich merkte, dass wir als Kirche genau hier ein Licht sein konnten. Die Jugendlichen, die wir erreichten, brauchten diesen Ort. Sie brauchten einen Ort der Hoffnung, denn es gibt keinen hoffnungslosen Fall. Sie brauchten einen Ort, an dem sie Ermutigung hörten, an dem sie weinen konnten und an dem ihnen, wenn sie sich selbst kleinredeten, jemand entgegnete: „Nein, das glaube ich nicht, dass du das nicht kannst.“

Nach einem Jahr Jugendarbeit war das Resultat erstaunlich, besonders dafür, dass ich so ungeplant und mit wenig Erfahrung gestartet bin. Die Jugendgruppe wuchs auf etwa zehn feste Mitglieder, mit weiteren fünf Jugendlichen im Umfeld. Viele hatten großen Spaß an der Gruppe und brachten immer wieder Freunde mit. Es entstanden erste Freundschaften zwischen Jugendlichen, die sich nur aus der Jugend kannten. Außerdem war ich sehr dankbar, dass ich kein Einzelkämpfer mehr war.

Ein Raum zum Wohlfühlen – Gemeinsam gestalten, gemeinsam wachsen

Doch noch immer bestand der Jugendraum nur aus Möbeln, die wir in der Gemeinde gefunden hatten. Im Sommer 2022 war ich fest entschlossen, einen ersten großen Umbau zu starten. 
Also sprach ich einen Freund an, der Tischlermeister war. Er entwarf einen Plan, was wir alles benötigen würden, um sechs Paletten-Sofas zu bauen. Gemeinsam sammelten wir Materialien, kauften Paletten aus der Umgebung und machten uns mit den Jugendlichen an die Arbeit. 

Die Unterstützung durch unser Jugendmitarbeiterteam und die Begeisterung jedes einzelnen Jugendlichen war unglaublich. Ob beim Schleifen, Schrauben oder Zusammenbauen – jeder half mit. Und genau das schaffte ein starkes Gemeinschaftsgefühl. Wir wussten: Das ist unser Raum, den wir gemeinsam gestalten durften.

Im Sommer 2022 sollte sich vieles ändern. Ich ging nun deutlich strukturierter an die Sache heran und erarbeitete gemeinsam mit unserem Mitarbeiterteam ein klares Konzept. Ab jetzt trafen wir uns jeden Freitag. Eine große Überraschung erwartete mich, als ich am ersten Freitag nach den Sommerferien den Jugendraum betrat. Dort saßen 14 Jugendliche auf den neuen Paletten-Sofas. Ich war sprachlos und überwältigt vor Begeisterung. 

In den ersten Wochen sprach ich über Identität, begleitet von bewegenden Bekehrungsgeschichten junger Erwachsener. Besonders eindrücklich war ein Zeugnis über Esoterik, das viele Jugendliche bis heute berührt. In dieser Zeit entstand auch die „Epische Nacht“, anfangs eine Filmnacht, später ein frei gestaltetes Event mit Spielen, Filmen und Gemeinschaft.

Ein Neuanfang mit neuer Perspektive

Vieles aus dieser Zeit war sehr positiv, aber es gab ein riesiges Problem in der Jugendgruppe – und das war ich. Das mag merkwürdig klingen, aber ich war kein guter Leiter. Ich entschied oft über die Köpfe der anderen hinweg, hielt meine Methoden und Prinzipien für die einzig richtigen und ließ wenig Raum für andere Meinungen. Wenn Jugendliche widersprachen, durften sie ihre Meinung zwar äußern, doch für mich war klar, dass meine Ansicht die bessere war. Mein größtes Ziel war, dass die Jugendgruppe wächst. Auch wenn ich oft betonte, dass die Qualität der Arbeit wichtiger sei, lag mein Fokus insgeheim doch stark auf der Anzahl der Teilnehmenden.

Doch eines Tages änderte sich plötzlich alles. Es war ein Jugendabend, und nur zwei oder drei Jugendliche waren da. Alle anderen blieben weg. Mein Stolz war tief verletzt. Noch dazu wechselten einige aus unserer Gruppe in eine befreundete Jugendgruppe. Was war passiert? Ich hatte nur noch das große Ganze gesehen, mich auf steigende Teilnehmerzahlen konzentriert und dabei den einzelnen Jugendlichen aus den Augen verloren. Zudem wurde die Kritik von Jugendlichen und Mitarbeitenden an meiner Person immer lauter. 
Ich nahm mir eine Auszeit und lernte viel über Leiterschaft, wie sie Jesus gelebt hat. Eine der Haupterkenntnisse und eventuell das Wichtigste, was ich lernen musste, steht in Markus 10,45.
45 Denn auch der Sohn des Menschen ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben zu geben als Lösegeld für viele. 

Auch als Jugendleiter ist dieses Prinzip von großer Bedeutung. Meine Aufgabe ist es nicht, den Jugendlichen vorzuschreiben, was wahr oder falsch ist. Es geht nicht darum, die Jugendgruppe wie eine Diktatur zu führen, alle Entscheidungen allein zu treffen oder mich selbst durch die Gruppe zu profilieren. Vielmehr geht es darum, den Jugendlichen zu dienen. Sie dazu anzuregen, über den eigenen Glauben und die persönlichen Werte nachzudenken und sie kritisch zu hinterfragen. Es bedeutet, den Einzelnen mit seinen Stärken und Schwächen wahrzunehmen und ihm zu helfen, seine Begabungen und Talente zu entdecken. Es geht darum, sie zu ermutigen und ihnen Zuspruch zu geben, den sie vielleicht sonst nicht bekommen würden.

Für mich fühlte sich die Zeit nach der Pause wie ein Neustart an. Ich begann, die Jugend neu zu denken und andere Schwerpunkte zu setzen. Es gab neue Abläufe. Ich legte mehr Wert auf den einzelnen Menschen, führte wieder tiefgehende Gespräche mit Jugendlichen, mit denen ich zuletzt wenig Kontakt hatte, und versuchte, nicht mehr so besessen von hohen Teilnehmerzahlen zu sein. 

Im Sommer 2023 wurde ich als Jugendreferent in einer 50-Prozent-Stelle angestellt. Diese Möglichkeit ergab sich nur, weil der Landesverband und der Bund der Baptisten die Stelle förderten – begeistert davon, dass so viele Jugendliche von außerhalb kamen.

Seit September 2023 treffen sich die Jugendlichen mittwochs und freitags in zwei unterschiedlichen Formaten. Das neue Format „Hangout“ findet mittwochs statt und bietet ihnen einen Raum, um kreative Ideen zu entwickeln und eine Art Mini-Jugendabend nach ihren eigenen Vorstellungen zu gestalten. So entsteht ein selbst organisiertes Programm, das genau auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten ist. Freitags kommen wir dann wie gewohnt zu unserer Jugendgruppe zusammen.

Mittlerweile sind wir eine bunte Jugendgruppe mit vielen unterschiedlichen Menschen und immer wieder lustigen sowie verrückten Ideen, die wir gemeinsam umsetzen. Ich erzähle ihnen regelmäßig vom Evangelium, aber wir schaffen auch Raum, es praktisch zu leben zum Beispiel, indem wir nicht nur über Nächstenliebe sprechen, sondern sie aktiv zeigen: sei es beim Kochen für Obdachlose oder beim Bauen von Bänken für einen öffentlichen Garten.

Der Aufbau einer Jugendgruppe ist eine große Herausforderung. Er erfordert viel Reflexion, eine klare Vision, Geduld und Durchhaltevermögen. Doch wenn ich auf diese Zeit zurückblicke, würde ich sie gegen nichts eintauschen. Was mich immer motiviert hat, war die Frage nach dem „Warum?“ Warum mache ich das? Die Antwort fand ich in den vielen bewegenden Geschichten der Jugendlichen, in ihrem wiedergefundenen Lachen, in ihrer positiven Veränderung, in den Momenten, in denen sie ihren Eltern vergeben konnten oder wertvolle Freundschaften entstanden. Diese Entwicklung zu sehen, war für mich der größte Lohn und die schönste Bestätigung, dass sich all die Mühe gelohnt hat.

Anmerkung

  1.  Warren, Rick: Kirche mit Vision: Gemeinde, die den Auftrag Gottes lebt, Asslar 2003, 151.